Sperrungsanordnung Access-Provider:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, AZ: 27 K 5887/10, Urt. v. 08.11.2011
Leitsätze:
1. Der Access-Provider
überschreitet auch bei Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Angebots,
zu dem er den Zugang vermittelt, ausgehend von den Haftungsprivilegien
nach dem TMG, grundsätzlich nicht die nicht Gefahrengrenze und ist
deshalb nicht als Störer im ordnungsrechtlichen Sinn anzusehen.
2. Zur Ermessensfehlerhaftigkeit einer Sperrungsanordnung wegen
Verstoßes gegen Art. 3 GG bei Inanspruchnahme von lediglich zwei
Acces-Providern als Nichtstörer.
3. Zu den bei einer Sperrungsanordnung gegen einen Acces-Provider in
die Ermessensentscheidung einzustellenden maßgeblichen Aspekten.
Die Entscheidung ist ungemein interessant. Sie betrifft einen Sachverhalt aus dem Bereich des Glücksspiels im Internet mit Auslandsberührung, der zur einer Sperrungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf führte, deren Rechtsauffassung das VG nicht geteilt hat, weil es § 8 TMG so anwendet, wie es den europarechtlichen Vorgaben entspricht der E-Commerce-Richtlinie der EU entspricht, die den Access - Provider als einem reinen Durchleiter von einer Haftung für die durchgeleiteten Informationen freigestellt, wenn nicht bestimmte Ausnahmetatbestände erfüllt sind. Vorliegend konnte von diesen Ausnahmen nicht ausgegangen werden, da der Provider weder die Übermittlung der Glücksspielinhalte veranlasst hat, noch diese oder den Adressaten ausgewählt hat. Zudem kann offenkundig ein Zusammenwirken der Klägerin mit einem Nutzer im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG ausgeschlossen werden. Auch eine Inanspruchnahme als Nichtstörer nach ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten wurden überzeugend verneint. Die Begründung ist derartig ausführlich, dass sie für sich selbst spricht und als Vorbild für künftige Beurteilungen dienen sollte. In der Folge zeigt die Argumentation auch, dass mit Sperrungsanforderungen in der Sache selbst nicht viel erreicht werden kann, wenn man die gegenwärtige Rechtslage entsprechend zur Kenntnis nimmt.
Sachverhalt:
"Die Klägerin bietet Privat- und Geschäftskunden
verschiedene Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Mobilfunk,
Festnetz, Datendienste und Breitband-Internet an, darunter auch
Internetzugang. Die Beigeladene bietet auf der Internetseite www.U.com
die Vermittlung von Wetten auf den Ausgang verschiedener staatlicher
europäischer Lotterien an, unter anderem das von den Mitgliedern des
Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) veranstaltete Lotto "6 aus 49"
und die europäische Lotterie "Euro Millones". Sie vermittelt die Tipps
der Spielteilnehmer an die Veranstalterin der Zweitlotterien, die N
Ltd., die ursprünglich 100%-ige Mutter der Beigeladenen, deren
Geschäftsanteile ursprünglich vollständig von der U AG (heute X) in I,
der früheren Marktführerin auf dem Gebiet der Lottovermittlung im
Internet, gehalten wurden. Sowohl die Beigeladene als auch die N Ltd.
verfügen über eine entsprechende Genehmigung der britischen
Glücksspielaufsichtsbehörde.
Mit
Schreiben vom 21. Juni 2010 wies die Bezirksregierung E die Klägerin
darauf hingewiesen, dass die Beigeladene und C Ltd., H über die Websites
www.U.com und www.C.com Lotterien, Sportwetten und andere Glücksspiele
anbieten würden, bei denen es sich um unerlaubtes Glücksspiel nach § 4
Abs. 1 Satz 2 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) handele, dessen
Veranstaltung und Vermittlung im Internet verboten sei (§ 4 Abs. 4
GlüStV) und welches den Straftatbestand des § 284 des Strafgesetzbuches
(StGB) erfülle. Die Klägerin als Internet-Zugangsanbieterin ermögliche
es den Internetnutzern aus NRW bzw. aus ganz Deutschland, auf diese
Seiten zuzugreifen.
Mit
Schreiben vom 30. Juni 2010 hörte die Bezirksregierung E die Klägerin
als "bösgläubiger Störer und verantwortlicher Diensteanbieter" (§ 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV i.V.m. §§ 2 und 7 ff. Telemediengesetz (TMG))
sowie "äußerst hilfsweise" als "Nichtstörer" (i.S.d. § 19 OBG NRW) zur
beabsichtigten Untersagung ihrer Mitwirkung am Zugang zum unerlaubten
öffentlichen Glücksspielangebot unter www.U.com und www.C.com an. Unter
dem 19. Juli 2010 erweiterte die Bezirksregierung E diese Anhörung,
indem sie sich auf eine Ermächtigung durch die Bundesländer Brandenburg,
Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt berief. Mit Schreiben vom 27.
Juli, 10. und 11. August 2010 ermächtigten das Ministerium des Inneren
des Landes Brandenburg, das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt sowie
die Landesdirektion Leipzig des Freistaates Sachsen die Bezirksregierung
E auch mit Wirkung für sie entsprechende Sperrungsanordnungen unter
anderem gegen die Klägerin zu erlassen. Die Ermächtigung für das Land
Brandenburg bezog sich auf die Internetseite www.U.com, diejenige des
Freistaates Sachsen auf die Internetseite www.C.com und diejenige des
Landes Sachsen-Anhalt auf beide zuvor genannten Internetseiten."
Gründe (Zusammenfassung):
(...)
Die Klägerin ist Diensteanbieterin im Sinne des §
2 Nr. 1 TMG. Als Access-Provider vermittelt sie den Zugang zur Nutzung
von Telemedien. Diensteanbieter sind nach § 7 Abs. 1 TMG für eigene
Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen
Gesetzen verantwortlich. In Hinsicht auf fremde Informationen ist im
Telemediengesetz jedoch eine Haftungsprivilegierung vorgesehen. Nach § 7
Abs. 2 Satz 1 TMG sind Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG
nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten
Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf
eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Spezifische
Haftungsprivilegierungen ergeben sich in Abhängigkeit von der Funktion
des Diensteanbieters aus den §§ 8 bis 10 TMG. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG
bleiben Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von
Informationen nach den allgemeinen Gesetzen jedoch auch im Falle der
Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 TMG
unberührt.
Die
Klägerin ist - in Abgrenzung zu § 9 TMG und § 10 TMG - aufgrund ihrer
Tätigkeit unzweifelhaft als Diensteanbieter im Sinne des § 8 TMG
(Zugangsvermittler) anzusehen, da sie fremde Informationen in einem
Kommunikationsnetz übermittelt bzw. den Zugang zur Nutzung zu solchen
vermittelt. Als Diensteanbieter im Sinne des § 8 TMG ist sie für die
durch Aufruf der Domains "www.C.com" und "www.U.com" zu erreichenden
Inhalte nicht verantwortlich. Diensteanbieter im Sinne des § 8 TMG sind
nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift für fremde Informationen nicht
verantwortlich, sofern sie die Übermittlung nicht veranlasst, den
Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und die
übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben. Nach §
8 Abs. 1 Satz 2 TMG findet § 8 Abs. 1 Satz 1 TMG keine Anwendung, wenn
der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes
zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. Diese
Haftungsausschlussvoraussetzungen erfüllt die Klägerin. Weder veranlasst
sie die Übermittlung der Glücksspielinhalte, noch wählt sie diese oder
den Adressaten aus. Zudem kann offenkundig ein Zusammenwirken der
Klägerin mit einem Nutzer im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG
ausgeschlossen werden.
Der
Umstand, dass die Klägerin Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der
Inhalte hat, ist im Anwendungsbereich des § 8 TMG – wie die
Ausgestaltung der Haftungsregelungen des § 8 TMG im Vergleich zu den
Haftungsregelungen des § 10 TMG zeigt – ohne Relevanz.
Eine
Haftung der Klägerin als Störerin lässt sich entgegen der Einschätzung
der Bezirksregierung E in der Sperrungsanordnung (vgl. S. 9) wie auch im
vorliegenden Verfahren (vgl. Bl. 78 der Gerichtsakte) auch nicht mit
der Regelung des § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG begründen. Nach dieser Vorschrift
bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters
nach den §§ 8 bis 10 die Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung
der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen unberührt.
Die von der Bezirksregierung insoweit angeführten "allgemeinen Gesetze –
nämlich glücksspielrechtliche Vorschriften und (...) das
Strafgesetzbuch (§ 284 StGB)" begründen indes solche Verpflichtungen zur
Entfernung oder Sperrung für den Access-Provider nicht. Dies wird
gesetzestechnisch auch nicht durch § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG bewirkt. Diese
Regelung sieht – wie zitiert – lediglich vor, dass anderweitig
begründete Verpflichtungen unberührt bleiben, d.h. fortbestehen.
3.
Es verbleibt die Möglichkeit der Inanspruchnahme als Nichtstörerin,
deren tatbestandlichen Voraussetzungen aber ebenfalls offen gelassen
werden können (a.), da sie jedenfalls ermessensfehlerhaft erfolgt ist
(b.).
a.
Nach § 19 Abs. 1 OBG NRW kann die Ordnungsbehörde Maßnahmen gegen
andere Personen als die nach den §§ 17 oder 18 Verantwortlichen richten,
wenn eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist (Nr. 1),
Maßnahmen gegen die nach den §§ 17 oder 18 Verantwortlichen nicht oder
nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen (Nr. 2),
die Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder
durch Beauftragte abwehren kann (Nr. 3) und die Personen ohne erhebliche
eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in
Anspruch genommen werden können (Nr. 4).
Eine
gegenwärtige erhebliche Gefahr dürfte zwar vom Glücksspiel im Internet
wegen des Verstoßes gegen den Glücksspielstaatsvertrag und der Erfüllung
des Straftatbestandes des § 284 StGB grundsätzlich ausgehen. Dies
kann hier aber letztlich ebenso die das Vorliegen der sonstigen
Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 OBG NRW im Ergebnis ob der
Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung offen bleiben.
Aus
diesem Grund bedarf es auch weder der Klärung der von der Klägerin
aufgeworfenen Frage, ob die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV
dem § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV als Spezialvorschrift vorgeht und einen
Rückgriff auf § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV ausschließt, wenn die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV nicht
erfüllt sind, noch
näherer Erwägungen dazu, ob der Verweis des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
GlüStV auf die Verantwortlichkeit nach dem TMG ausschließlich die
Vorschriften der §§ 8 bis 10 TMG erfasst oder zugleich die Vorschrift
des § 7 TMG mit ihrem Verweis auf die Verpflichtungen zur Sperrung nach
den allgemeinen Gesetzen und damit auch die Möglichkeit der
Inanspruchnahme des Zugangsproviders als Nichtstörer.
b.
Die Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin durch die
Bezirksregierung E stellt sich jedenfalls als ermessensfehlerhaft dar
(vgl. § 114 VwGO). Die Ausübung des Auswahlermessens hinsichtlich der in
Anspruch zu nehmenden Dienstleister durch die Bezirksregierung E
verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG (aa.), zudem hat die Bezirksregierung E
nicht alle für die Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin
maßgeblichen Aspekte in ihre Ermessensentscheidung einfließen lassen
(bb.).
(...)
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