Montag, 30. Januar 2012

LG Düsseldorf: Unwirksamkeit eines DSL - Vertrages bei Unterschreitung der Bandbreite

LG Düsseldorf, Urteil vom 28.12.2011, 12 O 501/10 


Bei dem fraglichen Vertragsmodell ging es um einen DSL - 6000 - Anschluss, der jedoch nur mit einer Geschwindigkeit von DSL 2000 geschaltet wurde. Die Vertragspartnerin erhielt eine Woche nach Vertragsschluss ein Schreiben, mit der Vodafone ihr überraschend einen Anschluss mit der Bezeichnung "Vodafone-Internet 2000" bestätigte, die sie nicht bestellt hatte, woraufhin die Betroffene das Vertragsverhältnis fristlos aus wichtigem Grund kündigte. Dieser fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund trat Vodafone wie üblich mit Hinweis auf die betreffende Allgemeinen Geschäftsbedingungen entgegen und verlangte Fortzahlung der Kosten bis zum Vertragsende (24 Monate). Es handelt sich dabei um den Vorbehalt eines einseitigen Leistungsänderungsrechts im Rahmen einer einseitigen Vertragsänderung. 

Nachdem Vodafone sich in derartigen Fällen außergerichtlich stets auf die Wirksamkeit derartiger Klauseln berufen hat und jedwede Inhaltskontrolle zurückgewiesen hat, ist dieses Urteil umso interessanter, weil es zum einen Argumente für etliche Fälle dieser Art bietet und man zum anderen gespannt sein darf, wann Vodafone diese Klauseln durch neue fantasiereiche Klauseln ersetzen wird. Jedenfalls hat das LG Düsseldorf mit überzeugenden Argumenten entschieden, dass der Besteller eines DSL - Vertrages - insoweit bestehen durchaus mehrere Angebotsmodelle, die immer wieder variiert werden - nicht an einen DSL-Vertrag gebunden ist, wenn die bestellte Bandbreite eines DSL-Anschlusses nicht dauernd verfügbar ist. Vorliegend ging es um den Tarif "Vodafone-Internet 6000", wobei folgende Klausel seitens des vzbv beanstandet wurden, die sämtlich für unwirksam erklärt wurden:


"1. Sollte Vodafone-Internet mit der von mir gewünschten Bandbreite nicht zur Verfügung stehen, möchte ich das von mir ausgewählte Paket inkl. der ausgewählten Sprach-Extras mit der maximal verfügbaren Bandbreite erhalten.


2. Mein Vertragspartner kann mir Text- oder Bildmitteilungen an mein Telefon (sowie meine E-Mail- und Postadresse) zukommen lassen.


3. Das Vertragsverhältnis kommt zustande, sobald mir Vodafone diesen Auftrag bestätigt hat."

Allerdings sah das Gericht hinsichtlich der ersten Klausel den Hauptansatzpunkt bei einer zu starken Abweichung von § 150 Abs.2 BGB, weil eine Abänderung des Vertrages zu einem neuen Angebot führt und die betreffende Klausel nach § 307 BGB wegen der erheblichen Abweichung vom gesetzlichen Leitbild den Kunden zu stark benachteiligt. Darüberhinaus handelt es sich um einen unwirksamen Änderungsvorbehalt nach § 308 Nr.4 BGB. Die zweite Klausel sah das Gericht wegen der fehlenden ausdrücklichen Zustimmung für Werbung per SMS ebenfalls als unwirksam an. Die dritte Klausel wurde verworfen, weil der  Vertragsschluss einzig und alleine von Vodafone abhängig gemacht wurde, was vom Vertragsschlussmodell des BGB völlig abweicht. 

Im Grunde handelt es sich um eine Form der Schlechterfüllung, weil die im ursprünglichen Vertrag vereinbarte Leistung nicht erbracht wurde. Für viele Betroffene stellt sich bei diesem Vertragsmodell die Frage, ob der Vertrag fristlos gekündigt werden sollte, wenn die Voraussetzungen der vereinbarten Leistung nicht gegeben sein sollten.

Die Geschwindigkeit am Standort lässt sich online testen:  DSL Speedtest . Sie ist technisch von vielen Faktoren abhängig, die der Anbieter aber bereits auch vor Vertragsschluss ermitteln kann, da insbesondere die Lage zum nächsten Hauptverteiler ermittelbar ist, die die Geschwindigkeit maßgeblich beeinflusst, neben der Auslastung des DSL -Kabelbaumes, der verwendeten Hardware und anderen Faktoren, die den Anbieter aber nicht von einem Festhalten an seinem Angebot entbinden können, wenn ein Angebot eines Kunden angenommen worden ist. Lässt sich das Angebot am Standort tatsächlich nicht realisieren, muss dem Kunden die Möglichkeit verbleiben, den Vertrag wieder kurzfristig und zwar fristlos aus wichtigem Grund beenden zu können. 

KG Berlin: Air Berlin und Ryanair dürfen nicht mit irreführenden Preisangaben werden

Das Kammergericht Berlin hat mit Urteil vom 04.01.2012, AZ: 16 O 27/09  der Fluggesellschaft Air Berlin  in einem nach dem Unterlassungsklagengesetz geführten Rechtsstreit untersagt, im Internet mit irreführenden Flugpreisangaben zu werben, was seit langem auf das Unverständnis zahlreicher Flugreisener gestoßen ist, zumal auch die Erstattungspraxis seit geraumer Zeit in der Kritik ist.So ganz neu ist diese Linie nicht. Nach der zutreffenden Auffassung des Kammergerichtes Berlin muss Air Berlin künftig die Preise stets immer inklusive Steuern, Gebühren und Kerosinzuschlägen ausweisen. In einem Parallelverfahren hat das Kammergericht Ryanair dazu verurteilt, richtigerweise auch die Bearbeitungsgebühr für die Ticketzahlung in den Flugpreis einzurechnen, was ebenfalls seit langem gerügt wurde (Urteil vom 09.12.2011, Az.: 15 O 160/09, ebenfalls nicht rechtskräftig). 

Kläger war in beiden Fällen der Verbraucherzentrale Bundesverband, der damit vielen Flugreisenden einen Gefallen getan hat. Bekanntlich stellte Air Berlin weder Steuern noch Gebühren in den Flugpreis ein, so dass aus den Eingaben bei der Onlinebestellung nach Eingabe von Datum, Abflug- und Zielort zwar eine Tabelle mit den Preisen ausgewählter Flüge angezeigt wurde, ohne jedoch den konkreten Gesamtpreis auszuweisen, der oftmals auch auf der Hotline schwer zu erfragen war. Die in der Online - Eingabemaske ausgewiesenen Preise waren oftmals unvollständig und wiesen weder Steuern, Flughafengebühren noch Kerosinzuschläge noch die «Service Charge» von 10 oder 15 Euro für die Zahlung per Lastschrift oder Kreditkarte aus. Mit einer transparenten Preisangabe hat dies alles wenig zu tun. Die Angabe des zutreffenden Gesamtpreises ließ sich online allenfalls für den jeweils voreingestellten oder angeklickten Flug und lediglich unterhalb der Preistabelle aufgeführt gewesen. 

Das Kammergericht hat laut Verbraucherzentrale deutlich gemacht, dass es nicht hinreicht, wenn ein Endpreis allenfalls an irgendeiner Stelle im Buchungsvorgang intransparent aufgeführt wird. Fluggesellschaften sind rechtlich verpflichtet, stets korrekte Endpreise anzugeben. Dies schließt sämtliche Gebühren und - auch versteckte - Zusatzkosten ein, soweit sie zu zahlen sind. 

Ryanair nannte bislang nicht die Bearbeitungsgebühr für eine Kartenzahlung in Höhe von fünf Euro, es sei denn es wurde eine in Deutschland kaum bekannte Prepaidkarte genutzt. Erst im dritten Buchungsschritt wurde diese Gebühr ausgewiesen. Auch dies hielt das Kammergericht für intransparent und entschied, dass diese für die meisten Kunden unvermeidliche Gebühr in den Endpreis einzurechnen und mit der Gesamtpreisangabe auszuweisen ist. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. 


Mittwoch, 25. Januar 2012

LG München I: Hitlers „Mein Kampf“ darf nicht an die Kioske

Die 7. Zivilkammer des LG München I hat in einer am 25.01.2012 ergangenen einstweiligen Verfügung einem Verbotsantrag des Freistaates Bayern gegen einen englischen Verleger stattgegeben und die Herstellung und Verbreitung kommentierter Auszüge aus Adolf Hitlers Machwerk „Mein Kampf“ verboten. Interessant ist dabei, dass die Kammer die Auffassung vertritt, dass Art. 5 GG die Durchsetzung des urheberrechtlichen Verbotsanspruches nicht hindert, was erneut die wenig thematisierten Probleme des Verhältnisses des Urheberrechtsschutzes zu den Informationsgrundrechten anspricht. 

Unabhängig davon, dass es kaum einen sachlichen Anlass gibt, sich mit den kruden Auffassungen des "GröFaz" in der heutigen Zeit zu beschäftigen, ist wenig bekannt, warum das Buch in Deutschland nicht vertrieben werden darf. Es geht hier um Pläne eines britischen Verlegers parallel zu diesem Buch auch Nazi - Zeitungen wieder publik zu machen, was sich in erster Linie an ein "weltanschaulich interessiertes Publikum" richten wird, dessen Auffassungen, hoffentlich in Deutschland nie wieder "mehrheitsfähig" werden. 

Die Verbreitung dürfte in der heutigen Zeit kaum noch den öffentlichen Frieden durch Verbreitung des Buches stören, § 166 I StGB, so dass auch eine Einziehung nach § 74 StGB als Strafvollstreckungsmaßnahme nach einer Verurteilung entfällt. Die Probleme liegen daher nicht im Strafrecht. 

Entgegen recht landläufigen Ansichten, ist mein "Mein Kampf" (12,5 Millionen verkaufte Exemplare in 16 Sprachen) in Deutschland nicht gesetzlich verboten, zumal ohnehin noch viele alte Exemplare im Umlauf sind. Es war und ist vielmehr so, dass wer diesen Text lesen will, an diesen Text auch in mehreren Sprachfassungen herankommen kann. Allerdings liegen die ausschließlichen Nutzungsrechte/Urheberrechte beim Freistaat Bayern (Finanzministerium) aus übergegangenem Recht des Eher - Verlages, der nach 1945 im Rahmen der insoweit stattgefundenen Entnazifizierung nach dem Kontrollratsgesetz Nr.2 abgewickelt worden ist, wobei Unklarheiten hinsichtlich des Rechtsüberganges und seinen Rechtswirkungen verbleiben. Einer Abmahnung des Freistaates aus dem Jahr 2006 lässt sich folgendes zur Rechtslage entnehmen:

"Im Rahmen der Entnazifizierung wurden aufgrund alliierten Besatzungsrechts (Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10.10.1945, Kontrollratsdirektive Nr. 50 vom 29.04.1947) die Vermögenswerte des Münchner Franz-Eher-Nachfolger-Verlags als Zentralverlag der NSDAP eingezogen und auf das Belegenheitsland übertragen. Inhaber des Copyrights aller im Eher-Verlag erschienenen Veröffentlichungen ist damit der Freistaat Bayern."

Bis zum Ablauf der 70jährigen Schutzfrist - § 64 UrhG - kann durch den Freistaat Bayern jeder Neudruck untersagt werden, was mit der einstweiligen Verfügung auch geschehen ist. Das Urheberrecht wird allerdings 2015 erlöschen und zwar exakt 70 Jahre nach Hitler's Tod am 30.04.1945, zum 01.01.2016. Dieses Datum ist rechtlich bindend, weil das Amtsgericht Berchtesgaden Hitler am 25.10.1956 für tot erklärt hat und dieses Datum der Entscheidung zugrundeliegt, ungeachtet weiterer Urteile, die sich mit seinem nach demn Kontrollratsgesetz Nr.2 beschlagnahmten Erbe beschäftigten.

Wenn der Freistaat Bayern nach 2015 eine Verbreitung neuer Ausgaben - auch in Internetmedien - verhindern will, besteht insofern ein schwieriger, rechtlich kaum einlösbarer Handlungsbedarf, sofern man nicht Auffassung vertritt, dass nichts diesen Text mehr entmystifizieren könnte als die Möglichkeit ihn zu lesen, was das Internet schon länger ermöglicht. Auf der anderen Seite ist die Lektüre für manche Leser sicher ohne Erläuterungen gefährlich und verstörend wie die unkommentierte Vorführung von "Jud Süss" oder "Kolberg" (sog. Vorbehaltsfilme, ebenfalls auf rein urheberrechtlicher Grundlage, überwacht durch die Friedrich-Wilhelm Murnau - Stiftung). Es handelt sich um schwierige Abwägungen, die nicht leicht fallen werden, wobei allerdings das Ende des Urheberrechtsschutzes eine feststehende Tatsache ist und ein Verbotsgesetz kaum verfassungskonform erlassen werden kann, weil es mit den Informationsgrundrechten kollidiert. 

Im vorliegenden Fall plante der seitens des Freistaates Bayern verklagte Verleger – insbesondere unter Berufung auf das urheberrechtliche Zitatrecht nach § 51 UrhG – in Deutschland kommentierte Auszüge aus „Mein Kampf“ zu verbreiten. Die Auffassungen, ob dies vom Zitatrecht gedeckt ist oder nicht gehen weit auseinander, jedenfalls hat der Freistaat Bayern als Inhaber der Rechte an „Mein Kampf“ hiergegen nun eine einstweilige Verfügung beantragt und auch erhalten: 

"Die 7. Zivilkammer gab dem Antrag statt. Zur Begründung verweist die Kammer darauf, dass die geplante Publikation nicht vom Zitatrecht gedeckt ist. Außerdem sieht die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass der Freistaat Bayern aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert wäre, den urheberrechtlichen Verbotsanspruch gegen die Antragsgegner durchzusetzen."


Beschluss des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 7 O 1533/12; nicht rechtskräftig
Die Sache wird mutmaßlich ihren Fortgang durch die Instanzen nehmen.

BVerwG: Videoüberwachung auf der Reeperbahn zulässig

BVerwG, Urteil v. 25.01.2012, AZ: 6 C 9.11 

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 25.01.2012 entschieden, dass die offene Videoüberwachung der Reeperbahn in Hamburg auf der Grundlage des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei zulässig ist. Ähnliche Gesetzesgrundlagen finden sich inzwischen in allen präventivpolizeilichen Regelungen, s. etwa im Vergleich § 29 Abs.3 Bremisches Polizeigesetz (Rolf Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, § 29, Rdnrn. 13 ff mit Hinweisen zur Rechtslage auch der anderen Bundesländer). 

Verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch sind derartige offenen Überwachungen nach wie vor umstritten, zumal sie nicht notwendig an eine Gefahr anknüpfen. Aber auch Gefahren für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wurden zumindest angesichts der Gefahren einer flächendeckenden Überwachung immer wieder geäußert. Kritik wurde aber auch an den diesbezüglichen Gesetzgebungskompetenzen der Länder geäußert, da für die Aufklärung von Straftaten der Bund zuständig ist. Da eine allgemeine Lebensüberwachung unzulässig ist, durften die Fenster der Klägerin schon nach den Vorinstanzen nicht mehr durch Videotechnik aufgezeichnet werden, was nicht mehr Gegenstand dieses Revisionsverfahrens war. Die Pressemitteilung ist in rechtlicher Hinsicht etwas karg, so dass insoweit der Volltext der Entscheidung abzuwarten ist. 

Das BVerwG hat hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen von Hamburg keine Probleme gesehen, weil es sich nach seiner Auffassung nicht um eine Maßnahme der Strafverfolgung im Schwerpunkt handelt, sondern um eine präventivpolizeiliche Maßnahme bei abstrakter Gefahrenlage aufgrund bereits geschehener Straftaten. Letzteres ist für die Reeperbahn letztlich ebenso selbstverständlich wie für die Düsseldorfer Altstadt, will aber für derartige Vergnügungsviertel letztlich nicht viel besagen. 

Viel schwerer wiegt indessen der Umstand, dass ein Grundrechtseingriff eher en passant verneint wird, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob die Videoaufzeichnung vor Ort tatsächlich die effektivste polizeiliche Maßnahme der polizeilichen Aufgabenerfüllung bei gleichzeitiger Schonung der Grundrechte ist. Sind Videoaufzeichnungen und Augenschein gleich effezient, wird bei entsprechender Dauer und Intensität des Augenscheins nicht in Grundrechte eingegriffen (s. Schmidt, a.a.O., Rn. 28). Das Problem stellt sich aber unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit, weil die betreffenden Vorschriften offen lassen, in welcher räumlichen Weite eine Überwachung erfolgt und man darf gespannt sein, ob der Volltext hierzu Ausführungen enthält. Grundsätzlich ist für eine dauerhafte und intensive Observation nach hiesiger Auffassung nur dann Raum, wenn konkrete Gefahrenlagen bestehen, so dass über eine teleologische Reduktion solcher Normen zumindest nachzudenken wäre. So wie es klingt, hat das Gericht sich die bürgerrechtliche Auseinandersetzung mit diesem Thema einfach gemacht. 

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Nach diesem Landesgesetz darf die Polizei unter anderem öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung und -aufzeichnung offen beobachten, soweit an diesen Orten wiederholt Straftaten begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist. Die Bildaufzeichnungen sind spätestens nach einem Monat zu löschen, es sei denn, sie werden zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder von Straftaten benötigt oder Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass eine aufgenommene Person künftig Straftaten begehen wird, und die Aufbewahrung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erforderlich ist.

Auf dieser Grundlage installierte die Polizei auf der Reeperbahn zwölf Videokameras. Sie können um 360° geschwenkt und variabel geneigt werden. Die Kameras verfügen über eine Zoomfunktion. Sie werden in der Polizeieinsatzzentrale gesteuert. Dorthin werden die Bilder auf eine Monitorwand übertragen, die aus zwölf Bildschirmen für die einzelnen Kamerastandorte und einem größeren Bildschirm besteht, auf den jeweils ein Kamerabild als Großbild aufgeschaltet werden kann. Die Videobilder werden durch Mitarbeiter der Polizeieinsatzzentrale täglich 24 Stunden lang überwacht. 

Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in einem Haus an der Reeperbahn. Gegenüber diesem Haus ist eine der Kameras an einem Pfahl auf dem Mittelstreifen der Reeperbahn in etwa vier Meter Höhe befestigt. Sie erfasst in ihrem Schwenkbereich das Wohnhaus und den davor liegenden Straßenraum. 

Auf die gegen diese Videoüberwachung gerichtete Klage der Klägerin haben das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht Hamburg der Polizei untersagt, mit der Videoüberwachung auch die Wohnräume der Klägerin und den Eingangsbereich des Hauses zu erfassen. 

Im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es deshalb nur noch um die Videoüberwachung des öffentlichen Straßenraums durch die gegenüber dem Wohnhaus der Klägerin installierte Kamera. Insoweit sah das Bundesverwaltungsgericht die Videowachung als rechtmäßig an. 

Insbesondere besaß der Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass der hier einschlägigen Vorschrift. Die Videoüberwachung nach dem Hamburgischen Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei dient der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgungsvorsorge. Soweit die Strafverfolgungsvorsorge betroffen ist, unterfällt diese zwar der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Strafverfahren. Der Bund hat aber in der Strafprozessordnung keine Vorschriften erlassen, die den hier inmitten stehenden Sachverhalt abschließend regeln und deshalb einen Zugriff der Länder verhindern. Namentlich die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Anfertigung und Aufbewahrung von Lichtbildern zu erkennungsdienstlichen Zwecken sowie über die Observation Tatverdächtiger weisen nach Einsatzzweck und Voraussetzungen bedeutsame Unterschiede zur offenen Videoüberwachung auf. Dass die aufgezeichneten Bilder, soweit nötig, im Strafverfahren verwendet werden können und sollen, macht die offene Videoüberwachung nicht zu einer Maßnahme der Strafverfolgung. 

In der Sache verfolgt der Gesetzgeber mit der offenen Videoüberwachung von Brennpunkten der Straßenkriminalität legitime Ziele, nämlich derartige Delikte zu verhüten und Vorsorge für ihre strafrechtliche Verfolgung zu treffen. Diese Ziele rechtfertigen einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in dem hier allein noch streitigen Umfang. 

BVerwG 6 C 9.11 - Urteil vom 25. Januar 2012 
Vorinstanzen: OVG Hamburg, 4 Bf 276/07 - Urteil vom 22. Juni 2010 - 
VG Hamburg, 4 K 2800/06 - Urteil vom 24. Mai 2007 -

BGH bejaht Zulässigkeit der Angabe eines Postfachs als Widerrufsadresse bei Fernabsatzverträgen

Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle 
Nr. 014/2012 vom 25.01.2012 

 Der Bundesgerichtshof hat heute eine wenig überraschende Entscheidung zu der Frage getroffen, ob für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung bei einem Fernabsatzgeschäft die Angabe einer Postfachadresse des Widerrufsadressaten in der Widerrufsbelehrung ausreicht. Der BGH hatte diese Frage bereits zu einer früheren Rechtslage bejaht (BGH, Urteil vom 11. April 2002 – I ZR 306/99, NJW 2002, 2391 unter II – Postfachanschrift). Allerdings ist diese Entscheidung für die aktuelle Rechtslage bedeutungslos und betrifft eine gegenstandslose Fassung der BGBInfoVO. Dies entbindet den Unternehmer nicht davon, bei einem aktuellen Vertragsschluss im Wege des Fernabsatzes seine ladungsfähige Anschrift anzugeben, die nie ein Postfach sein kann. Die Entscheidung lässt sich überdies auch nicht auf die "Impressumspflicht" nach § 5 TDG und darüber hinaus bestehende Sondervorschriften zu dieser Norm übertragen. Insofern nicht nicht recht verständlich, welches Aufsehen diese Entscheidung erregt hat. 

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 Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einem Energieversorgungsunternehmen, im Jahre 2008 im Wege des Fernabsatzes einen Sondervertrag über den leitungsgebundenen Bezug von Erdgas. Der Vertrag sah für die Dauer der bis zum 31. August 2010 vereinbarten Laufzeit einen Festpreis vor und räumte dem Kläger ein Widerrufsrecht ein. Die Widerrufsbelehrung enthielt als Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, die Postfachadresse der Rechtsvorgängerin der Beklagten. 

 Am 1. Oktober 2009 erklärte der Kläger den Widerruf seiner Vertragserklärung. Die Beklagte akzeptierte den Widerruf nicht. Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass das Vertragsverhältnis durch den Widerruf wirksam beendet worden sei. 

Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. 

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Angabe eines Postfachs als Widerrufsadresse im Fernabsatz den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden gesetzlichen Anforderungen genügte (§ 312d Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1**, § 312c Abs. 2*, § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB aF***). Bei Fernabsatzgeschäften ist gemäß § 312c Abs. 2, § 312d Abs. 2 Satz 1, Art. 245 EGBGB****, § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV aF***** der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufs- oder Rückgaberechts sowie die Bedingungen und die Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, mitzuteilen. 

Die Angabe einer Postfachadresse als Widerrufsadresse genügt, wie der Bundesgerichtshof vor Inkrafttreten der BGB-InfoV () bereits entschieden hat, den gesetzlichen Anforderungen. Daran ist auch nach dem Inkrafttreten der BGB-InfoV festzuhalten. Der Verbraucher (BGH, Urteil vom 11. April 2002 – I ZR 306/99, NJW 2002, 2391 unter II – Postfachanschrift) wird durch die Angabe einer Postfachadresse in gleicher Weise wie durch die Angabe einer Hausanschrift in die Lage versetzt, seine Widerrufserklärung auf den Postweg zu bringen. Seine "ladungsfähige" Anschrift musste der Unternehmer bei einem Fernabsatzvertrag ohnehin angeben (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BGB-InfoV aF*), was im zu entscheidenden Fall auch unstreitig geschehen war. 

 *§ 312c Unterrichtung des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen (in der bis zum 10. Juni 2011 geltenden Fassung) … (2) Der Unternehmer hat dem Verbraucher ferner die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie die in der Rechtsverordnung nach Artikel 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bestimmten Informationen in dem dort bestimmten Umfang und der dort bestimmten Art und Weise in Textform mitzuteilen … 
 **§ 312d BGB: Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen (in der bis zum 10. Juni 2011 geltenden Fassung) (1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden. (2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Abs. 2 Satz 1 nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312c Abs. 2 … 
 ***§ 355 BGB: Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen (in der bis zum 10. Juni 2011 geltenden Fassung) (1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. (2) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist, die auch Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und einen Hinweis auf den Fristbeginn und die Regelung des Absatzes 1 Satz 2 enthält. … 
 ****Art. 245 EGBGB Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf, 1.Inhalt und Gestaltung der dem Verbraucher gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1, § 356 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und den diese ergänzenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs mitzuteilenden Belehrung über das Widerrufs- und Rückgaberecht festzulegen … *****§ 1 Informationspflichten bei Fernabsatzverträgen (in der bis zum 10. Juni 2011 geltenden Fassung, vgl. nun Art. 246 § 1 EG-BGB) (1) Der Unternehmer muss dem Verbraucher gemäß § 312c Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs folgende Informationen zur Verfügung stellen: … … 3. die ladungsfähige Anschrift des Unternehmers … … 10. das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufs- oder Rückgaberechts sowie die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und die Rechtsfolgen des Widerrufs oder der Rückgabe, einschließlich Informationen über den Betrag, den der Verbraucher im Fall des Widerrufs oder der Rückgabe gemäß § 357 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für die erbrachte Dienstleistung zu zahlen hat, … (4) Der Unternehmer hat dem Verbraucher gemäß § 312c Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs folgende Informationen in Textform mitzuteilen: 1. die in Absatz 1 genannten Informationen … 

 Urteil vom 25. Januar 2012 - VIII ZR 95/11 
 AG Dorsten - Urteil vom 11. August 2010 - 21 C 596/09 
 LG Essen - Urteil vom 3. Februar 2011 - 10 S 313/10 
 Karlsruhe, den 25. Januar 2012 Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Donnerstag, 19. Januar 2012

OLG Hamburg: Hotelbewertungen weiterhin erlaubt

Hanseatisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19.01.2012, AZ: 5 U 51/11

Ähnlich wie zuvor schon das Kammergericht in Berlin  hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg entschieden, dass Hotelbewertungen in Internetportalen rechtlich weitgehend unbedenklich sind, weil eine Prangerwirkung grundsätzlich nicht festgestellt werden kann. 

Bewertungen können in der Tat für die Tourismusbranche zu einem Dilemma führen. Auf der einen Seite haben - durchaus manipulierbare - positive Bewertungen einen nicht zu unterschätzenden Werbeeffekt. Auf der anderen Seite können negative Bewertungen ein Hotel auch "nach unten ziehen". Auch sie sind letztlich "manipulierbar". Der Portalbetreiber kann den Wahrheitsgehalt von Bewertungen kaum verifizieren oder falsifizieren. Diese Bewertungen können aufgrund subjektiver Einfärbungen bis hin zur Boshaftigkeit falsch sein. Auch angesichts der in Internetforen oftmals seit Jahren feststellbaren "Trollkultur" verlassen solche Bewertungen oftmals den Boden der Sachlichkeit und der Tatsachen recht schnell. 

Das Anliegen der Hotelbetreiber solchem Tun Einhalt gebieten zu wollen, ist nachvollziehbar und legitim. Zwar muss sich jeder Gewerbetreibende öffentliche Kritik gefallen lassen, doch findet dies seine Grenze bei überwiegendem Meinungsgehalt im Verbot der "Schmähkritik". Die Behauptung unwahrer Tatsachen muss ohnehin niemand ohne weiteres hinnehmen, wobei die Judikatur in diesem Bereich sich als Caselaw "reinsten Wassers" darstellt. 

Der Senat stellt aber völlig zutreffend darauf ab, dass sich aus rechtlichen Gesichtspunkten ein allgemeines Bewertungsverbot nicht herleiten lässt, zumal ein solches Verbot auch in mittelbarer Drittwirkung mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit kollidiert. Die geäußerte Kritik kann durchaus zutreffend sein. Hingegen besteht bei rechtswidrigen Bewertungen im einzelnen durchaus ein Löschungsanspruch. Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an solchen Informationen wird klar herausgestellt. Der Senat äußert sich auch zum Recht auf Anonymität im Internet und bejaht es unter dem Aspekt der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, was deutlich zu begrüßen ist. 

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Das Hanseatische Oberlandesgericht hat heute die Berufung einer Hotel- und Hostelbetreiberin zurückgewiesen, mit der diese erreichen wollte, dass ihr Hotel / Hostel nicht mehr in dem von der Beklagten betriebenen Internetportal bewertet werden darf.

Die Klägerin betreibt in Berlin unter einem Dach ein Hotel und ein Hostel.

Die Beklagte vermittelt in ihrem Reiseportal im Internet Reisen und Hotelübernachtungen. Zugleich bietet sie Internetnutzern die Möglichkeit, in dem Bewertungsbereich des Portals Kommentare über Hotels und Reisen abzugeben und die Kommentare anderer Nutzer anzusehen. Auch über das Haus der Klägerin befanden sich Bewertungen im Portal der Beklagten. Hier berichteten Nutzer von zahlreichen Mängeln ihrer Unterkunft.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe gegen die Beklagte hinsichtlich der Bewertung ihres Hauses ein Unterlassungsanspruch zu. Die Beklagte habe mit dem Portal einen virtuellen „Pranger“ geschaffen, an dem jedermann – unabhängig davon, ob er Gast im Hotel gewesen sei - völlig anonym und risikolos veröffentlichen könne, was er wolle, und zwar ohne dass eine ausreichende Inhaltskontrolle stattfinde.

Nachdem die Klage der Klägerin bereits vor dem Landgericht Hamburg abgewiesen worden war (Az. 312 O 429/09), hatte nun auch die Berufung gegen das landgerichtliche Urteil keinen Erfolg. 

Der zuständige 5. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts hat entschieden, die Abwägung der Interessen der Klägerin gegen jene der Beklagten, der Nutzer des Bewertungsportals sowie der an Hotelbewertungsportalen interessierten Öffentlichkeit ergebe, dass der Klägerin der geltend gemachte umfassende Unterlassungsanspruch nicht zustehe. 

Die Klägerin sei unzutreffenden und für ihren Hotelbetrieb abträglichen Bewertungen nicht schutzlos ausgeliefert, da sie deren Löschung verlangen und dies ggf. auch gerichtlich durchsetzen könne. 

Das von der Klägerin begehrte allgemeine Bewertungsverbot führe jedoch dazu, dass das von der Rechtsordnung anerkannte Betreiben einer Hotelbewertungsplattform unmöglich gemacht werden könnte. Das liege nicht im Interesse der Allgemeinheit, die ein schutzwürdiges Interesse an Information auch durch derartige Bewertungsportale besitze. 

An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändere sich nichts dadurch, dass die Beklagte eine im Wesentlichen anonyme Bewertung zulasse. Denn auch anonym abgegebene Meinungsäußerungen stünden unter dem Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit.

Das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens lautet 5 U 51/11. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen. 

Quelle: Pressestelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts 

Dienstag, 17. Januar 2012

BGH zu Rabattmodellen von Apotheken bei Bezug von Arzneimitteln aus dem Ausland

Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle Nr. 005/2012 vom 13.01.2012 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes über Rabattmodelle für den Arzneimittelbezug aus dem Ausland bringt eine gewisse Bewegung in das Werberecht der Apotheken und gibt Anlass über weitere "Liberalisierungen" nachzudenken, die diese Entscheidung möglicherweise anstößt. Diesen Werbegestaltungen liegen veränderte Vertriebskonzepte zugrunde, die teilweise auf Importe und Reimporte zurückgreifen wollen, denen aber auch preisrechtliche Vorschriften entgegenstehen können, da dieser Markt sehr reguliert ist. 

Das Apothekenrecht und das Arzneimittelvertriebsrecht - letzteres ist stark europarechtlich geprägt inzwischen - sind im Bereich des Werberechts von erheblichen Werbe- und Vertriebsverboten geprägt, die in ihrer Reichweite mehr und mehr problematisch werden. So verwundert es nicht, dass einzelne Apotheken die Grenzen der Werbeverbote "austesten", hier das Verbringungsverbot des § 73 AMG. Dabei geht es angesichts des schwierigen Marktes mehr und mehr um Rabattmodelle, die indessen auch wirtschaftlich sein sollten und Qualität garantieren müssen. Auf der anderen Seite ist es kein Wunder, wenn andere Apotheken versuchen, gegen bestimmte Rabattmodelle wettbewerbsrechtlich als Konkurrenten vorzugehen und Unterlassungsansprüche zu realisieren, gerade bei Versandmodellen, die seit langem die Rechtsprechung beschäftigen. 

Wie im UWG - Bereich üblich wird sich die Rechtsprechung in diesen Bereichen von Fall zu Fall an Lösungen vorantasten, die von der Werbewirklichkeit schnell überrollt werden können, so dass immer neue Modelle entlang der Grenzen der einschlägigen Rechtsnormen "ausgetestet" werden. 

Mit dem OLG München hat der BGH ein Abgabeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente, die von Großhändlern aus Deutschland nach Budapest geliefert und von dort mit geringeren Preisen nach Deutschland reimportiert werden, unter dem Aspekt der preisrechtlichen Vorschriften bejaht, die insoweit keinem Spielraum eröffnen. 

Der BGH hat es jedoch für nicht verschreibungspflichtige Medikamente verneint, da Empfänger ungeachtet der Vertragssituation nicht der Verbraucher ist, sondern die dt. Apotheke, der insoweit eigenständige Prüfungspflichten vor Aushändigung an den Verbraucher obliegen. Damit ist das für die betreffende Apotheke interessantere Rabattmodell höchstrichterlich beendet worden, so dass damit auch nicht mehr geworben werden darf. 

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Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat hat ein von einer Freilassinger Apothekerin betriebenes Rabattmodell für Arzneimittel teilweise für unbedenklich angesehen und die Abweisung der gegen diese Apothekerin gerichteten Klage in diesem Punkt bestätigt. 

Die Beklagte betreibt eine Apotheke in Freilassing. Sie bietet ihren Kunden an, Medikamente bei einer Apotheke in Budapest zu bestellen und zusammen mit einer Rechnung dieser Apotheke bei ihr in Freilassing abzuholen. Den Kunden verspricht sie dabei einen Rabatt in Höhe von 22% bei nichtverschreibungspflichtigen und von 10% bei verschreibungspflichtigen Medikamenten.  Im Falle einer Bestellung lässt die Beklagte die Medikamente zunächst durch einen Großhändler aus Deutschland an die Apotheke in Budapest liefern, von wo aus sie wieder zurückgeliefert werden. Auf Wunsch werden die Kunden, die Medikamente auf diesem Wege beziehen, in der Apotheke der Beklagten pharmazeutisch beraten.  

Die Klägerinnen, die ebenfalls in Freilassing Apotheken betreiben, sehen in dem Verhalten der Beklagten - soweit verschreibungspflichtige Arzneimittel abgegeben werden - einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtlichen Preisvorschriften. Soweit die Beklagte sonstige Arzneimittel auf diese Weise abgibt, beanstanden die Klägerinnen in erster Linie den Verstoß gegen andere arzneimittelrechtliche Bestimmungen. 

Mit ihrer beim Landgericht Traunstein erhobenen Klage haben sie die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht Traunstein hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht München hat dieses Urteil nur insoweit bestätigt, als die Beklagte Rabatte auf preisgebundene verschreibungspflichtige Arzneimittel angeboten hat. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. 

Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung nunmehr bestätigt. Insbesondere hat er in Übereinstimmung mit dem OLG einen Verstoß der Beklagten gegen das arzneimittelrechtliche Verbringungsverbot des § 73 Arzneimittelgesetz* verneint. Danach dürfen zulassungspflichtige Arzneimittel nur unter bestimmten Voraussetzungen nach Deutschland eingeführt werden. Insbesondere ist der Versand von Arzneimitteln auch aus dem EU-Ausland an deutsche Endverbraucher nur unter engen Voraussetzungen gestattet, die die hier eingeschaltete Budapester Apotheke nicht erfüllt.  

Der Bundesgerichtshof hat jedoch einen Versand unmittelbar an Endverbraucher im Streitfall verneint. Auch wenn das von der Beklagten praktizierte Modell so ausgestaltet ist, dass sie den Verkauf der bestellten Arzneimittel durch die Budapester Apotheke lediglich vermittelt und der Kaufvertrag deswegen zwischen dem deutschen Kunden und der Budapester Apotheke zustande kommt, ist die Beklagte arzneimittelrechtlich als Empfängerin anzusehen, die ihrerseits die Medikamente sodann an die Kunden abgibt. 

Für die arzneimittelrechtliche Beurteilung ist dabei maßgebend, dass in die Abgabe an den Endverbraucher eine inländische Apotheke eingeschaltet ist, die verpflichtet ist, die Qualität, Eignung und Unbedenklichkeit der auf diese Weise abzugebenden Arzneimittel zu prüfen und die Verbraucher bei Bedarf zu beraten. Deswegen ist arzneimittelrechtlich die inländische Apotheke der Beklagten Empfängerin der von der Budapester Apotheke versandten Arzneimittel. Daher hat der Bundesgerichtshof einen Verstoß gegen das Verbringungsverbot des § 73 AMG verneint. 

Im Übrigen ist der Beklagten die Gewährung eines Rabatts im Falle verschreibungspflichtiger Arzneimittel von den Vorinstanzen gerade deswegen verboten worden, weil sie die Arzneimittel als inländische Apothekerin abgibt. Denn die insoweit anwendbaren arzneimittelrechtlichen Preisvorschriften, die einen solchen Rabatt untersagen, gelten nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts nur im Falle der Abgabe durch inländische Apotheken. 

Urteil vom 12. Januar 2012 - I ZR 211/10 - Europa-Apotheke Budapest 
LG Traunstein – Urteil vom 11. März 2009 – 2 HKO 2534/08 
OLG München – Urteil vom 28. Oktober 2010 – 6 U 2657/09 A&R 2010, 279 

 Karlsruhe, den 13. Januar 2012 

 *§ 73 Abs 1 Satz 1 und 1a AMG Verbringungsverbot (1) Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung oder Genehmigung nach § 21a oder zur Registrierung unterliegen, dürfen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes nur verbracht werden, wenn sie zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen, nach § 21a genehmigt, registriert oder von der Zulassung oder der Registrierung freigestellt sind und 1. der Empfänger in dem Fall des Verbringens aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum pharmazeutischer Unternehmer, Großhändler oder Tierarzt ist, eine Apotheke betreibt oder als Träger eines Krankenhauses nach dem Apothekengesetz von einer Apotheke eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum mit Arzneimitteln versorgt wird, 1a. im Falle des Versandes an den Endverbraucher das Arzneimittel von einer Apotheke eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, welche für den Versandhandel nach ihrem nationalen Recht, soweit es dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht, oder nach dem deutschen Apothekengesetz befugt ist, entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel versandt wird oder … Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Keine Sperrzeit für bedrohten Vorstand eines Fußballvereins

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - Pressemeldung 2/2012
Urteil vom 22.12.2011, Aktenzeichen: L 1 AL 90/10, Urt. v. 22.12.2011

Das LSG hatte hier über einen Fall zu entscheiden, indem eine Sperrfrist nach § 144 SGB III verhangen worden war, weil ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden war, dessen Konditionen in der Pressemitteilung nicht genannt werden. Fest steht jedenfalls, dass eine Sperrfrist von 12 Wochen hinsichtlich der finanziellen Leistungen der Arbeitsagentur verhangen wurde, die oftmals nicht in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben verhangen wird, so dass sich Widersprüche durchaus lohnen können. 

 Der Fall ist sicher auch deshalb interessant, weil er eine "Schattenseite" des Fußballgeschäfts zeigt, die letztlich Ursache des Aufhebungsvertrages des Vorstandsvorsitzenden des Vereins war. Im vorliegenden Fall war der Vorstandsvorsitzende von Fans derart bedroht worden, dass er beim Betreten des Stadions nach Nichterreichen der Qualifikation ("Aufstieg") um Leib und Leben fürchten musste und es vorgezogen aus Vorstandsamt und Anstellungsvertrag "auszusteigen". Das LSG sieht hier mit guten Gründen einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. 

Ungeachtet des Anlasses bietet diese Entscheidung Anlass diese Beurteilung auch auf weitere "Bedrohungskonstellationen" zu erstrecken, in denen Arbeitnehmern oft keine andere Wahl mehr bleibt als aus dem Unternehmen auszuscheiden und sich ein neues Wirkungsfeld zu suchen. 

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Ein Vorstandsvorsitzender eines Vereins, der eine Profifußballmannschaft unterhält, kann einen wichtigen Grund zur vorzeitigen Beendigung seines Anstellungsverhältnisses haben, wenn er andauernden Beschimpfungen und Protesten seitens des Fanumfeldes ausgesetzt ist. Die Feststellung einer zwölfwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, während der ein Bezug von Arbeitslosengeld ausgeschlossen ist, ist dann nicht gerechtfertigt. Dies entschied das Landessozialgericht in einem heute veröffentlichten Urteil. 

Der Kläger war als Vorstandsvorsitzender des Vereins, der sich mit seiner Mannschaft vergeblich um die Qualifikation für die "eingleisige dritte Liga" bemühte, u.a. für Spielerverkäufe und den Abschluss von Spielerverträgen verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Kommunikation mit den Fanclubs. Als die Qualifikation nicht erreicht wurde, kam es zu massiven Beschimpfungen des Vorstands einschließlich der Anbringung von Plakaten in der Heimatstadt des Vereins und zu Konfrontationen mit gewaltbereiten Fans. 

Der Sicherheitsberater des Vereins legte dem Kläger nahe, das Stadion nicht mehr zu besuchen, da es schwierig sei, die Sicherheit zu gewährleisten. Der Kläger unterzeichnete daraufhin auf Drängen des Aufsichtsrats vor dem Ende seiner Vertragslaufzeit einen Aufhebungsvertrag. 

Die Bundesagentur für Arbeit stellte eine zwölfwöchige Sperrzeit fest, in der ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht und die den Leistungsanspruch entsprechend mindert. Hiergegen wandte sich der Kläger. 

Nachdem das Sozialgericht Koblenz die Klage abgewiesen hatte, gab das Landessozialgericht dem Kläger nun Recht. Eine Sperrzeit war nicht eingetreten, weil der Kläger aufgrund der drohenden persönlichen Beeinträchtigungen einen wichtigen Grund für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Verein hatte und ihm die Fortsetzung nicht zuzumuten war. Urteil vom 22.12.2011, Aktenzeichen: L 1 AL 90/10

BGH entscheidet zur Verkehrssicherungspflicht auf Bahnsteigen

Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle Nr. 007/2012 vom 17.01.2012

 Eigentlich hat der BGH hier eine Selbstverständlichkeit entschieden, denn es liegt auf der Hand, dass die DB Fernverkehr AG hier eine Haftung für den Zustand ihrer Bahnsteige im Winter trifft: 

 "Trotz der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 1994 I S. 2439) ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags verpflichtet, Bahnanlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, bereitzustellen und verkehrssicher zu halten. Dies ist dem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das diese Bahnanlagen aufgrund eines Stationsnutzungsvertrags mit dem Infrastruktur-unternehmen nutzt, im Zusammenwirken mit diesem möglich. Wird diese vertragliche Pflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB und hat ein etwaiges Verschulden des Eisenbahninfrastrukturunternehmens – und im Fall der Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf weitere Dritte deren Verschulden – in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB)." 

 Ein begrüßenswert klares Urteil zum Beförderungsrecht! 

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 Der für Rechtsstreitigkeiten über Personenbeförderungsverträge zuständige X. Zivilsenat hat heute über den Schadensersatzanspruch eines Fahrgastes wegen eines Sturzes aufgrund von Glatteis auf einem Bahnsteig entschieden. Die Beklagte zu 1, die DB Fernverkehr AG, erbringt Eisenbahnverkehrsleistungen im Fernverkehr. 

Die Klägerin erwarb bei ihr einen Fahrausweis für eine Fahrt mit dem ICE von Solingen nach Dresden. Auf dem Weg zum Haltepunkt des ICE stürzte die Klägerin auf dem Bahnsteig des Bahnhofs. Eigentümerin des Bahnhofs ist die DB Station & Service AG. Diese hatte die Reinigung und den Winterdienst der Beklagten zu 2, der DB Services GmbH, übertragen. Die Beklagte zu 2 hat behauptet, sie habe ihrerseits den Winterdienst auf den Streithelfer übertragen. Wegen der durch den Sturz zugezogenen Verletzungen nahm die Klägerin zunächst die DB Station & Service AG in Anspruch. Das Landgericht wies diese Klage mit der Begründung ab, die DB Station & Service AG habe die ihr obliegende Räum- und Streupflicht auf die Beklagte zu 2. übertragen. 

 Die Klägerin begehrt nunmehr von den Beklagten Schmerzensgeld, Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden wegen der durch den Sturz zugezogenen Verletzungen. Das Landgericht hat die Klage gegen die Beklagte zu 1 durch Teilurteil abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Teilurteil und das Verfahren aufgehoben, die Sache an das Landgericht zurückverwiesen und die Revision zugelassen. 

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, das Teilurteil des Landgerichts sei unzulässig, da auch eine Haftung der Beklagten zu 1 in Betracht komme. Das Eisenbahn-verkehrsunternehmen sei gegenüber dem Fahrgast vertraglich verpflichtet, für einen verkehrssicheren Zustand des benutzten Bahnsteigs zu sorgen. Dies ist dem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das diese Bahnanlagen betreibt auch zuzumuten. 

 Der Bundesgerichtshof hat dies bestätigt und die Revision des beklagten Eisenbahnverkehrsunternehmens zurückgewiesen. 

 Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleidet. Dies betrifft nicht nur den eigentlichen Beförderungsvorgang zwischen Ein- und Aussteigen, sondern auch den Zu- und Abgang. Trotz der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 1994 I S. 2439) ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags verpflichtet, Bahnanlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung Bahnanlagen aufgrund eines Stationsnutzungsvertrags mit dem Infrastrukturunternehmen nutzt, im Zusammenwirken mit diesem möglich. Wird diese vertragliche Pflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB und hat ein etwaiges Verschulden des Eisenbahninfrastrukturunternehmens – und im Fall der Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf weitere Dritte deren Verschulden – in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB). 

AZ:  X ZR 59/11 – Urteil vom 17. Januar 2012 
 LG Wuppertal – 16 O 165/09 – Urteil vom 26. August 2010 
 OLG Düsseldorf – 18 U 158/10 – Urteil vom 20. April 2011 
 Karlsruhe, den 17. Januar 2012 Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Haftung der Geschäftsführer einer GmbH für "stehen gelassene Winzergelder"


Pfälz. Oberlandesgericht Zweibrücken - Urteil vom 12. Januar 2012, 4 U 75/11
Schlechte Lagerung - Geschäftsführer haften für verlorene "Winzergelder"


Aus der Pressemitteilung lässt sich der rechtlich relevante Sachverhalt nicht völlig ersehen, aber die hier berührten Fragen sind auch für andere Konstellationen von Interessen in denen es um "Kapitalsammlungen" aus Verkaufserlösen für Dritte geht, was LG und OLG hier als Bankgeschäft nach § 32 KWG angesehen haben. Bankgeschäfte nach § 32 KWG bedürfen der Erlaubnis der BAFIN. Ungeachtet der Frage der Wirksamkeit stellt sich in solchen Fällen angesichts der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen nach dem KWG die Frage der persönlichen Haftung der Geschäftsführer auf Schadensersatz neben der Gesellschaft, die der Senat hier als Haftung aus unerlaubten Bankgeschäften - vermutlich nach § 823 II BGB i.V.m. § 32 KWG - bejaht hat. 

Der BGH (Urteil v. 11.07.2006, AZ:VI ZR 341/04) hat § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des einzelnen Kapitalanlegers angesehen. Wenn eine Erlaubnis zur Führung von Bankgeschäften nach § 32 KWG nicht vorliegt, kann darauf der Schadensersatzanspruch eines geschädigten Anlegers gestützt werden. Der Schaden liegt hier im Teilverlust der Einlage. Der Fall wirft schwierige Rechtsfragen auf, die sich letztlich nur unter Analyse des Volltextes des Urteils vornehmen lassen. Auch dieser Fall zeigt aber, dass es sehr gefährlich werden kann, § 32 KWG bei derartigen Geschäften nicht in Betracht zu ziehen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hat der Senat die Revision zum BGH zugelassen. 

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Der Kläger, Mitglied einer Winzergemeinschaft, verkaufte an eine Gesellschaft (Weinkellerei), deren Geschäftsführer die Beklagten waren, seit vielen Jahren Weintrauben. Im Jahr 1989 hatte die Weinkellerei den Mitgliedern der Winzergemeinschaft angeboten, sich den Verkaufserlös für die Weintrauben ganz oder teilweise nicht auszahlen zu lassen, sondern bei ihr „stehen zu lassen“, damit sie mit dem Kapital („Winzergelder“) wirtschaften könne. Sie verpflichtete sich, die Winzergelder für ihn günstig zu verzinsen und jederzeit auf Verlangen an ihn auszuzahlen. Bis zum Jahr 2007 ließen mindestens 50 Winzer, unter ihnen auch der Kläger, ihre Verkaufserlöse deshalb bei der Weinkellerei stehen, die auf diese Weise ein Kapital von rund 2,5 Mio. € ansammelte.


  
Im Jahr 2009 geriet die Weinkellerei in Insolvenz und konnte die Winzergelder nicht mehr zurückzahlen. Ihre Vermögenswerte wurden von einer anderen Gesellschaft übernommen, die dem Kläger von seiner Einlage in Höhe von zuletzt rund 80.000 € ca. € 30.000 € erstattete. Den Restbetrag in Höhe von 50.000 € hat der Kläger von den beiden beklagten Geschäftsführern der Weinkellerei als Schadenersatzanspruch gerichtlich geltend gemacht.

Seine Klage hatte sowohl vor dem Landgericht Landau in der Pfalz als auch vor dem Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken (Urteil vom 12. Januar 2012, 4 U 75/11) Erfolg. 

Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass das Geschäftsmodell des „Stehenlassens der Verkaufserlöse“ ein Bankgeschäft gewesen sei, für welches der Weinkellerei jedoch die nach § 32 Abs. 1 Kreditwesengesetz erforderliche Erlaubnis gefehlt habe. Deshalb habe es sich um ein unerlaubtes Bankgeschäft gehandelt. Für die aus diesem unerlaubten Geschäft entstandenen Schäden der Winzer hätten die Geschäftsführer der Weinkellerei persönlich einzustehen.

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, auch weil es ähnliche Geschäftspraktiken bei anderen Warengenossenschaften im Landhandel gibt, und zur Fortbildung des Rechts die Revision gegen das Urteil zum Bundesgerichtshof zugelassen.



Freitag, 13. Januar 2012

BVerfG: Zur gerichtlichen Kontrolle der telekommunikationsrechtlichen Marktregulierung durch die Bundesnetzagentur

Bundesverfassungsgericht 
Pressemitteilung Nr. 1/2012 vom 12. Januar 2012 Beschluss vom 8. Dezember 2011 

Der Streit über die Terminierungsentgelte zwischen den Anbietern mobiler Telekommunikation beschäftigt immer wieder die Verwaltungsgerichte. Es geht dabei grob gesagt, um die Kosten der Gewährung des Zugangs zu anderen Mobilfunknetzen zwischen den Netzbetreibern, die für die Wirtschaftlichkeit der Produkte wesentliche Funktionen haben. Etwaige Entgelte sind reguliert und unterliegen der Festsetzung durch die Bundesnetzagentur nach §§ 10, 11 TKG, der das BVerwG insoweit einen weiten Beurteilungsrahmen zubilligt, so dass deren Entscheidungen nur eingeschränkt kontrolliert werden können. Dies hat das BVerfG nunmehr für die Rechtslage des Jahres 2005 bestätigt (inzwischen haben sich insoweit erhebliche Veränderungen ergeben, da die betreffenden Entgelte immer geringer werden, derzeit ca. 3,4 ct/min, bei Abrechnung im Sekundentakt, was seitens der TK - Anbieter als zu gering angesehen wird). Sie sind eine Grundlage für die Preiskalkulation im Bereich des Endkundenpreises, die angesichts des Smartphonemarktes wieder erheblich in Bewegung geraten ist. Im Verlauf des Jahres 2012 wird ein neues Konsulationsverfahren stattfinden, da die derzeitigen Preise auf den 30.11.2012 befristet sind. 

Die Entscheidung des BVerfG ist auch so zu verstehen, dass sich künftige Verfassungsbeschwerden gegen künftige Urteile des BVerwG in diesem Bereich kaum mehr lohnen werden. Der Inhalt der Entscheidung ist wenig überraschend. 

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 Das Telekommunikationsgesetz (TKG) weist der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen die Aufgabe der Regulierung des Wettbewerbs im Bereich der Telekommunikation zu. Bei der sogenannten Marktregulierung hat sie anhand bestimmter gesetzlicher Kriterien die Telekommunikationsmärkte festzulegen, die für eine Regulierung in Betracht kommen (Marktdefinition, § 10 TKG). Ihr obliegt ferner die Prüfung, ob auf dem betreffenden Markt wirksamer Wettbewerb besteht, was dann nicht der Fall ist, wenn ein oder mehrere Unternehmen auf dem Markt über beträchtliche Markmacht verfügen (Marktanalyse, § 11 TKG). 

Ende 2005 legte die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur fest, dass mehrere Mobilfunknetzbetreiber, darunter auch die Beschwerdeführerin, auf dem Markt für Anrufzustellung in ihr jeweiliges Mobilfunknetz über eine solche beträchtliche Marktmacht verfügen. Auf dieser Grundlage erließ die Bundesnetzagentur 2006 eine Regulierungsverfügung, mit der sie der Beschwerdeführerin unter anderem Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG, insbesondere die Terminierung von Anrufen in ihr Mobilfunknetz, aufgab und anordnete, dass die von der Beschwerdeführerin für die Zugangsleistungen erhobenen Entgelte vorab genehmigt werden müssen. Die damit auch der behördlichen Genehmigung unterworfenen Terminierungsentgelte, die zunächst der Netzbetreiber des Anrufenden zu entrichten hat, haben für die Mobilfunknetzbetreiber erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. 

Mit ihrer gegen die Regulierungsverfügung erhobenen Klage hatte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Erfolg (vgl. dessen Pressemitteilung Nr. 22/2008 vom 3. April 2008). Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Regulierungsverfügung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei, weil der Bundesnetzagentur hinsichtlich der von ihr vorzunehmenden Marktdefinition und Marktanalyse ein Beurteilungsspielraum zustehe. Die Bundesnetzagentur habe zudem bei der Auferlegung der Regulierungsverpflichtungen die Grenzen des ihr insoweit eingeräumten Regulierungsermessens nicht überschritten. 

Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz und sieht sich zudem in ihrer Berufsausübungsfreiheit verletzt. 

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Die Beschwerdeführerin ist nicht in ihren Grundrechten verletzt. 

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 

1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt zwar grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Sie schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber der Verwaltung Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume eröffnet, welche die Rechtskontrolle von Exekutivakten durch die Gerichte einschränken. Ein Gericht verletzt das Gebot wirksamen Rechtsschutzes, wenn es ein behördliches Letztentscheidungsrecht annimmt, das mangels gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und deshalb die vollständige Prüfung der Behördenentscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit unterlässt. Auch der Gesetzgeber ist nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse. Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrunds. Bei Anwendung dieser Vorgaben ist die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition und der Marktanalyse ein Beurteilungsspielraum zusteht, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht verwendet bei seiner Auslegung der §§ 10, 11 TKG anerkannte Auslegungsmethoden. Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik, des Normzwecks und des unionsrechtlichen Hintergrunds der Bestimmungen ist es vertretbar, diesen Regelungen die Einräumung eines weitreichenden Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde bei der Marktdefinition und der Marktanalyse beizumessen. Des Weiteren bestehen für die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte durch den Gesetzgeber tragfähige Sachgründe. Die in § 10 TKG genannten Kriterien zur Bestimmung der für eine Regulierung in Betracht kommenden Märkte hängen wesentlich von ökonomischen Einschätzungen ab. Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 TKG). Die erkennbaren Schwierigkeiten einer gerichtlichen Vollkontrolle dieser Tatbestandsmerkmale durfte der Gesetzgeber zum Anlass nehmen, der Bundesnetzagentur einen entsprechenden Beurteilungsspielraum einzuräumen. Zudem begrenzt das Bundesverwaltungsgericht durch seine Interpretation der gesetzlichen Regelung den grundsätzlich auch für den Bereich der Marktregulierung vorausgesetzten wirksamen Rechtsschutz durch die Gerichte nicht insgesamt, sondern belässt den Fachgerichten genügend Möglichkeiten, aber auch die Pflicht zu einer substantiellen Kontrolle des behördlichen Handelns. 

2. Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die zugrunde liegende Rechtslage verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, da der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Die Regulierung der Telekommunikationsmärkte nach dem Telekommunikationsgesetz verfolgt mit dem Schutz der Verbraucherinteressen und der Sicherstellung chancengleichen Wettbewerbs gewichtige Gemeinwohlziele. Dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass im Telekommunikationssektor insgesamt und nicht nur in ehemaligen Monopolbereichen die Gefahr unzureichender Marktverhältnisse besteht, der nicht allein mit den Mitteln des allgemeinen Wettbewerbsrechts begegnet werden kann. Auch trifft die Regulierungsverfügung die Beschwerdeführerin nicht unverhältnismäßig in ihrer Berufsausübungsfreiheit. Ihr Interesse an freier unternehmerischer Betätigung wird durch die Zugangsverpflichtung nicht übermäßig eingeschränkt, zumal auch sie selbst ein Interesse an der umfassenden Erreichbarkeit ihrer eigenen Mobilfunkkunden haben wird. Die finanziellen Folgen der Verfügung insbesondere der Genehmigungspflicht für die Entgelte der Zugangsgewährung erscheinen ebenfalls nicht unangemessen. Der Beschwerdeführerin wird kein finanzielles Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt, sondern lediglich eine möglicherweise lukrative Preisgestaltung zulasten der Kunden der anderen Mobilfunknetz- sowie der Festnetzbetreiber unmöglich gemacht. 

Mit Beschlüssen vom 21. Dezember 2011 hat die Kammer unter Verweisung auf den Beschluss vom 8. Dezember 2011 gleichgelagerte Verfassungsbeschwerden von drei weiteren Mobilfunkunternehmen nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 1933/08, 1 BvR 1934/08 und 1 BvR 1935/08).

OLG Düsseldorf: Anforderungen an Abmahnungen im Bereich "Filesharing"

Oberlandesgericht Düsseldorf, AZ: I-20 W 132/11, Beschluss vom 14.11.2011 

Der interessante und sehr lesenswerte Beschluss änderte auf eine sofortige Beschwerde der Beklagten gegen einen ablehnenden  Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2011 zwecks Gewährung von Prozesskostenhilfe diese Entscheidung ab, so dass nach dieser Entscheidung Prozesskostenhilfe gewährt wurde, weil die zugrundeliegende Abmahnung den Anforderungen des OLG Düsseldorf nicht genügte.

Ungeachtet des Umstandes, dass diese strengen Kriterien richtig sind, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsprechung - möge sie Nachahmer finden! - in anderen Oberlandesgerichtsbezirken in dieser Form derzeit nicht ohne weiteres geteilt wird, auch wenn vielerorts Gerichts zunehmend erkennen lassen, dass derartige Verfahren die Justiz extrem belasten und letztlich wenig begrüsst werden. 

Nimmt man diesen Beschluss beim Wort stellt er - durchaus erfüllbare - Anforderungen an anwaltliche Abmahnschreiben auf, die den Vorwurf konkret bezeichnen müssen, was auch einschließt den Verletzungstatbestand einem konkreten Verletzten zuzuordnen. Der Beschluss geht aber darüber hinaus - und setzt sich insoweit in Widerspruch zu diversen Entscheidungen des LG Köln und des OLG Köln - und fordert eine klare Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast für durch den Verletzten, der sich nicht darauf zurückziehen kann, Unterlassung für sein ganzes Repertoire zu fordern, wenn es nur um bestimmte Musiktitel geht, die dann auch genau unter Darlegung der Rechtekette zu bezeichnen ist. Völlig zutreffend ist überdies der Hinweis, das P2P auch völlig legal genutzt werden kann, etwa wenn Künstler oder Rechteinhaber bestimmte Titel zum Download zur Verfügung stellen (Beispiel:  http://www.devi-rock.com). 

Natürlich ist kein Betroffener an einem wahrheitsgemäßen Bestreiten des Sachverhaltes gehindert, der ihm vorgeworfen wird. Viele Gerichte machen es sich hier auch technisch viel zu einfach. Auch die Ausführungen zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Unterlassungsbegehrens sind zutreffend. Schließlich unternimmt der Senat hier eine "Anwaltschelte", die darin gipfelt, dass es sich bei einer solchen Abmahnung um eine völlig unbrauchbare anwaltliche Leistung handelt. 

Im Einzelnen: 

G r ü n d e : 

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 8. Juni 2011, mit der sie sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für ihre Rechtsverteidigung in erster Instanz wendet, ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung zu Unrecht verneint.

Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die beabsichtigte Rechtsverteidigung der Beklagten bietet eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es steht nicht fest, dass die Beklagte die ihr vorgeworfenen Urheberrechtsverletzungen begangen oder zu vertreten hat. Das Landgericht hat die die Beklagte treffende Substantiierungslast verkannt. Die Beklagte ist nicht gehindert, die Aktivlegitimation der Klägerinnen, das Anbieten der streitgegenständlichen Musikdateien über die IP-Adresse … und die Zuordnung dieser IP-Adresse zu ihrem Anschluss mit Nichtwissen zu bestreiten. Die Beklagte hat keinen Einblick in den Geschäftsbetrieb der Klägerinnen, des "Onlineermittlers" und des Internetproviders. Die weitere Substantiierung des Klägervortrags ist für die Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissen irrelevant.

Soweit sich die Beklagte gegen die Verpflichtung zur Erstattung der Abmahnkosten wendet, hat ihre Rechtsverteidigung unabhängig vom Ausgang der Beweisaufnahme hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Abmahnung der Klägerinnen genügte den an eine Abmahnung zu stellenden Mindestanforderungen nicht. Zur Abmahnung gehört, dass der Abmahnende seine Sachbefugnis darlegt, also kundtut, weshalb er sich für berechtigt hält, den zu beanstanden-den Verstoß zu verfolgen (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.13; Ahrens/Deutsch, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl. Kap. 1 Rn. 35). Die Abmahnung muss mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, welches konkrete Verhalten beanstandet wird. Auch wenn der Gläubiger Unterlassung nicht nur der konkreten Verletzungsform begehrt, muss er doch den Anlass der Beanstandung ganz konkret bezeichnen, damit der Schuldner weiß, was genau für den Gläubiger den Stein des Anstoßes bildet (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.15; OLG Stuttgart, WRP 1996, 1229, 1230). Um ihren Zweck zu erfüllen, muss in der Abmahnung der Sachverhalt, der den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, also die begangene Handlung, genau angegeben und der darin erblickte Verstoß so klar und eindeutig bezeichnet sein, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen ziehen kann (OLG Köln WRP 1988, 56; Ahrens/Deutsch, a.a.O. Rn. 45).

Vorliegend sind weder die Aktivlegitimation noch der Verstoß hinreichend dargelegt. Das Anbieten von 304 Audiodateien zum Herunterladen stellt alleine noch keinen Urheberrechtsverstoß da. Nicht jedes Angebot einer Audiodatei zum Herunterladen verletzt fremde Urheberrechte. Die Dateien können gemeinfrei oder mit einer allgemeinen Lizenz versehen sein. So ist es inzwischen nicht mehr ungewöhnlich, dass Interpreten ihre Stücke zur freien Verbreitung in das Internet einstellen. Zudem ist das Urheberrecht ein Ausschließlichkeitsrecht. Es ist jedem Inhaber von Urheberrechten selbst überlassen, ob er seine Rechte im konkreten Fall ausübt oder ob den Verletzer gewähren lässt. Ein Dritter kann diese Rechte nicht geltend machen. Von daher verfängt auch das Argument, eine Berechtigung der Beklagten an den Titeln sei jedenfalls nicht ersichtlich, nicht. Entscheidend ist allein, ob und an welchen Titeln den Klägerinnen Rechte zustehen. Ohne die Angabe der Titel, durch deren Angebot die Rechte gerade der Klägerinnen verletzt worden sind, konnte die Beklagte der Abmahnung daher nicht entnehmen, welches Verhalten sie in Zukunft unterlassen soll. Zur generellen Unterlassung des Anbietens von Audiodateien zum Herunterladen ist sie eben nicht verpflichtet, sondern nur zur Unterlassung des Angebots der Titel der Klägerinnen. Der zur Unterlassung verpflichtende Verstoß war folglich nicht das Anbieten von 304 Audiodateien zum Herunterladen, sondern - die Aktivlegitimation der Klägerinnen unterstellt - das Angebot der vier im Klageantrag genannten Musiktitel der Klägerinnen. Dieser Verstoß hätte in der Abmahnung dargelegt werden müssen, wobei zum notwendigen Vertrag der Aktivlegitimation zumindest auch die Zuordnung der Titel zu einzelnen Klägerinnen gehört hätte.

Ohne eine solche Darlegung war der Beklagten die Abgabe einer wirksamen Unterlassungserklärung gar nicht möglich. Die Liste der zum Herunterladen angebotenen 304 Audiodateien besteht vorwiegend aus Stücken anderer Berechtigter und kann schon von daher nicht Gegenstand einer gegenüber den Klägerinnen erklärten Verpflichtung sein. Eine auf die darin enthaltenen Musiktitel der Klägerinnen oder gar - wie von ihnen in ihrer Abmahnung verlangt - auf ihr gesamtes Repertoire gerichtete Unterlassungserklärung konnten die Klägerinnen in Ermangelung einer Individualisierung dieser Stücke nicht verlangen. Es kann dahinstehen, ob die Verletzung der Rechte an einzelnen Musiktiteln einen Anspruch auf eine das ganze Repertoire der Gläubigerin umfassende Unterlassungsverpflichtung vermittelt. Die Klägerinnen selbst machen vorliegend mit ihrer Klage nur noch eine Unterlassungsverpflichtung bezüglich der vier nach ihrem Vortrag tatsächlich zum Herunterladen bereitgestellten Musiktitel geltend. Eine auf das gesamte Repertoire erstreckte Unterlassungsverpflichtung setzt jedenfalls die Beifügung einer Repertoireauflistung voraus.

Ein entsprechender Unterlassungsantrag wäre ohne eine solche Repertoireliste nicht hinreichend bestimmt. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift einen bestimmten Antrag enthalten. Ein Verbotsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sich der Beklagte nicht erschöpfend verteidigen kann und es in der Zwangsvollstreckung, wenn dem im Erkenntnisverfahren gestellten Antrag Rechnung getragen würde, die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre (BGH, GRUR 1998, 489, 491 - Unbestimmter Unterlassungsantrag III). Allein die Klarstellung, dass der Antrag und die Verurteilung sich nur auf die zum Repertoire der Klägerinnen gehörenden Musiktitel bezieht, ermöglicht es dem mit einem Vollstreckungsverfahren befassten Gericht nicht, im Falle eines Streits der Parteien zu beurteilen, ob es sich bei dem Musiktitel, wegen dessen Verbreitung durch die Beklagte die Klägerinnen die Verurteilung zu einem Ordnungsgeld begehren, um einen zum Repertoire der Klägerinnen gehörenden Musiktitel handelt (vgl. BGH, GRUR 2008, 357 Tz. 23 - Planfreigabesystem). Steht nicht eindeutig fest, welche Musiktitel im Einzelnen gemeint sind, ist der auf die Verpflichtung zur Unterlassung der Verbreitung gerichtete Antrag nur dann hinreichend bestimmt, wenn diese individualisierend beschrieben werden, was durch eine Bezugnahme auf einen Ausdruck oder einen Datenträger erfolgen kann (vgl. BGH, GRUR 2008, 357 Tz. 24 - Planfreigabesystem).

Der Gläubiger eines Unterlassungsanspruchs kann vom Schuldner als Unterlassungserklärung nicht mehr verlangen, als was er durch eine Titulierung erreichen könnte. Eine Unterlassungserklärung, die auf das gesamte, nicht durch eine beigefügte Liste konkretisierte Musikrepertoire des Gläubigers gerichtet ist, verlagert das Risiko, ob ein unbekanntes Musikstück zum Repertoire des Gläubigers gehört, vollständig auf den Schuldner und benachteiligt ihn daher gegenüber einer titulierten Unterlassungsverpflichtung unverhältnismäßig. Im Falle einer vom Gläubiger für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten Unterlassungserklärung ist eine gleichwohl abgegebene Verpflichtung daher nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Vom Unterlassungsgläubiger vorformulierte Unterlassungs- und Vertragsstrafeverpflichtungserklärungen unterfallen den Regelungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (BGH, NJW 1993, 721, 722).

Von daher kann eine Erstattung der Abmahnkosten auch nicht auf einen eventuellen Schadensersatzanspruch gestützt werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Abmahnkosten als ein Schaden verstanden werden, der auf der in der Vergangenheit liegenden Verletzungshandlung beruht. Mit der Abmahnung wird nicht eine bereits geschehene Gesetzesverletzung außergerichtlich verfolgt; die Abmahnung richtet sich vielmehr gegen die Gefahren, die aus zukünftiger Handlung des Abgemahnten drohen. Solche zukünftigen Handlungen sollen verhindert werden (Ahrens/Scharen, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap 11 Rn. 13). Die Abmahnung dient folglich der Verhinderung zukünftiger Verstöße, während der Schutzzweck des Schadensersatzanspruchs darauf gerichtet ist, Vermögenseinbußen auszugleichen, die aus der abgeschlossenen Verletzungshandlung herrühren. Allein die adäquate Verursachung der Abmahnkosten durch die Verletzungshandlung reicht für Schadenszurechnung nicht aus. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm erschöpft sich nicht in einer Anwendung der Adäquanzlehre; sie begründet vielmehr ungeachtet der Kausalität eine normative Begrenzung der Schadenszurechnung (Bornkamm in Köhler/Born-kamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.88).

Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen, da eine Abmahnung, die den Verstoß nicht erkennen lässt und auch den bereitwilligsten Schuldner nicht in die Lage versetzt, eine wirksame Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, eine völlig unbrauchbare anwaltliche Dienstleistung darstellt. Zwar befreien Mängel der Leistung den Dienstberechtigten noch nicht vom Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten. Dies gilt jedoch nicht für eine Leistung, die für den Dienstberechtigten völlig unbrauchbar ist. Eine derartige Leistung steht der Nichtleistung gleich. In einem solchen Fall kann der Dienstberechtigte die Zahlung des Honorars verweigern oder die Rückerstattung des bereits gezahlten Honorars verlangen (KG, NJOZ 2011, 905 m. w. Nw.). Ein Grund, warum dieser im Bereich ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen seit langem anerkannte Grundsatz auf anwaltliche Dienstleistungen keine Anwendung finden sollte, ist nicht ersichtlich. Von daher fehlt jedenfalls insoweit an einem endgültigen Schaden der Klägerinnen.

Oberlandesgericht Düsseldorf: Quelle

Mittwoch, 11. Januar 2012

VG Düsseldorf zur Rechtswidrigkeit von Sperrungsverfügungen


Sperrungsanordnung Access-Provider: 

Verwaltungsgericht Düsseldorf, AZ: 27 K 5887/10, Urt. v. 08.11.2011

Leitsätze:

1. Der Access-Provider überschreitet auch bei Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Angebots, zu dem er den Zugang vermittelt, ausgehend von den Haftungsprivilegien nach dem TMG, grundsätzlich nicht die nicht Gefahrengrenze und ist deshalb nicht als Störer im ordnungsrechtlichen Sinn anzusehen.

2. Zur Ermessensfehlerhaftigkeit einer Sperrungsanordnung wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG bei Inanspruchnahme von lediglich zwei Acces-Providern als Nichtstörer.

3. Zu den bei einer Sperrungsanordnung gegen einen Acces-Provider in die Ermessensentscheidung einzustellenden maßgeblichen Aspekten.
 
Die Entscheidung ist ungemein interessant. Sie betrifft einen Sachverhalt aus dem Bereich des Glücksspiels im Internet mit Auslandsberührung, der zur einer Sperrungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf führte, deren Rechtsauffassung das VG nicht geteilt hat, weil es § 8 TMG so anwendet, wie es den europarechtlichen Vorgaben entspricht der E-Commerce-Richtlinie der EU entspricht, die den Access - Provider als einem reinen Durchleiter von einer Haftung für die durchgeleiteten Informationen freigestellt, wenn nicht bestimmte Ausnahmetatbestände erfüllt sind. Vorliegend konnte von diesen Ausnahmen nicht ausgegangen werden, da der Provider weder die Übermittlung der Glücksspielinhalte veranlasst hat, noch diese oder den Adressaten ausgewählt hat. Zudem kann offenkundig ein Zusammenwirken der Klägerin mit einem Nutzer im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG  ausgeschlossen werden. Auch eine Inanspruchnahme als Nichtstörer nach ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten wurden überzeugend verneint. Die Begründung ist derartig ausführlich, dass sie für sich selbst spricht und als Vorbild für künftige Beurteilungen dienen sollte. In der Folge zeigt die Argumentation auch, dass mit Sperrungsanforderungen in der Sache selbst nicht viel erreicht werden kann, wenn man die gegenwärtige Rechtslage entsprechend zur Kenntnis nimmt. 

Sachverhalt: 

 "Die Klägerin bietet Privat- und Geschäftskunden verschiedene Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Mobilfunk, Festnetz, Datendienste und Breitband-Internet an, darunter auch Internetzugang. Die Beigeladene bietet auf der Internetseite www.U.com die Vermittlung von Wetten auf den Ausgang verschiedener staatlicher europäischer Lotterien an, unter anderem das von den Mitgliedern des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) veranstaltete Lotto "6 aus 49" und die europäische Lotterie "Euro Millones". Sie vermittelt die Tipps der Spielteilnehmer an die Veranstalterin der Zweitlotterien, die N Ltd., die ursprünglich 100%-ige Mutter der Beigeladenen, deren Geschäftsanteile ursprünglich vollständig von der U AG (heute X) in I, der früheren Marktführerin auf dem Gebiet der Lottovermittlung im Internet, gehalten wurden. Sowohl die Beigeladene als auch die N Ltd. verfügen über eine entsprechende Genehmigung der britischen Glücksspielaufsichtsbehörde.