Oberlandesgericht Düsseldorf, AZ: I-20 W 132/11, Beschluss vom 14.11.2011
Der interessante und sehr lesenswerte Beschluss änderte auf eine sofortige Beschwerde der Beklagten gegen einen ablehnenden Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2011 zwecks Gewährung von Prozesskostenhilfe diese Entscheidung ab, so dass nach dieser Entscheidung Prozesskostenhilfe gewährt wurde, weil die zugrundeliegende Abmahnung den Anforderungen des OLG Düsseldorf nicht genügte.
Ungeachtet des Umstandes, dass diese strengen Kriterien richtig sind, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsprechung - möge sie Nachahmer finden! - in anderen Oberlandesgerichtsbezirken in dieser Form derzeit nicht ohne weiteres geteilt wird, auch wenn vielerorts Gerichts zunehmend erkennen lassen, dass derartige Verfahren die Justiz extrem belasten und letztlich wenig begrüsst werden.
Nimmt man diesen Beschluss beim Wort stellt er - durchaus erfüllbare - Anforderungen an anwaltliche Abmahnschreiben auf, die den Vorwurf konkret bezeichnen müssen, was auch einschließt den Verletzungstatbestand einem konkreten Verletzten zuzuordnen. Der Beschluss geht aber darüber hinaus - und setzt sich insoweit in Widerspruch zu diversen Entscheidungen des LG Köln und des OLG Köln - und fordert eine klare Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast für durch den Verletzten, der sich nicht darauf zurückziehen kann, Unterlassung für sein ganzes Repertoire zu fordern, wenn es nur um bestimmte Musiktitel geht, die dann auch genau unter Darlegung der Rechtekette zu bezeichnen ist. Völlig zutreffend ist überdies der Hinweis, das P2P auch völlig legal genutzt werden kann, etwa wenn Künstler oder Rechteinhaber bestimmte Titel zum Download zur Verfügung stellen (Beispiel: http://www.devi-rock.com).
Natürlich ist kein Betroffener an einem wahrheitsgemäßen Bestreiten des Sachverhaltes gehindert, der ihm vorgeworfen wird. Viele Gerichte machen es sich hier auch technisch viel zu einfach. Auch die Ausführungen zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Unterlassungsbegehrens sind zutreffend. Schließlich unternimmt der Senat hier eine "Anwaltschelte", die darin gipfelt, dass es sich bei einer solchen Abmahnung um eine völlig unbrauchbare anwaltliche Leistung handelt.
Im Einzelnen:
G r ü n d e :
Die
sofortige Beschwerde der Beklagten vom 8. Juni 2011, mit der sie sich
gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für ihre Rechtsverteidigung
in erster Instanz wendet, ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Das Landgericht hat eine hinreichende Erfolgsaussicht der
Rechtsverteidigung zu Unrecht verneint.
Gemäß
§ 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur
zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag
Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint.
Die
beabsichtigte Rechtsverteidigung der Beklagten bietet eine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Es steht nicht fest, dass die Beklagte die ihr
vorgeworfenen Urheberrechtsverletzungen begangen oder zu vertreten hat.
Das Landgericht hat die die Beklagte treffende Substantiierungslast
verkannt. Die Beklagte ist nicht gehindert, die Aktivlegitimation der
Klägerinnen, das Anbieten der streitgegenständlichen Musikdateien über
die IP-Adresse … und die Zuordnung dieser IP-Adresse zu ihrem Anschluss
mit Nichtwissen zu bestreiten. Die Beklagte hat keinen Einblick in den
Geschäftsbetrieb der Klägerinnen, des "Onlineermittlers" und des
Internetproviders. Die weitere Substantiierung des Klägervortrags ist
für die Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissen irrelevant.
Soweit
sich die Beklagte gegen die Verpflichtung zur Erstattung der
Abmahnkosten wendet, hat ihre Rechtsverteidigung unabhängig vom Ausgang
der Beweisaufnahme hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Abmahnung der
Klägerinnen genügte den an eine Abmahnung zu stellenden
Mindestanforderungen nicht. Zur Abmahnung gehört, dass der Abmahnende
seine Sachbefugnis darlegt, also kundtut, weshalb er sich für berechtigt
hält, den zu beanstanden-den Verstoß zu verfolgen (Köhler/Bornkamm,
UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.13; Ahrens/Deutsch, Der Wettbewerbsprozess,
6. Aufl. Kap. 1 Rn. 35). Die Abmahnung muss mit hinreichender
Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, welches konkrete Verhalten
beanstandet wird. Auch wenn der Gläubiger Unterlassung nicht nur der
konkreten Verletzungsform begehrt, muss er doch den Anlass der
Beanstandung ganz konkret bezeichnen, damit der Schuldner weiß, was
genau für den Gläubiger den Stein des Anstoßes bildet (Köhler/Bornkamm,
UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.15; OLG Stuttgart, WRP 1996, 1229, 1230). Um
ihren Zweck zu erfüllen, muss in der Abmahnung der Sachverhalt, der den
Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, also die begangene
Handlung, genau angegeben und der darin erblickte Verstoß so klar und
eindeutig bezeichnet sein, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen
ziehen kann (OLG Köln WRP 1988, 56; Ahrens/Deutsch, a.a.O. Rn. 45).
Vorliegend
sind weder die Aktivlegitimation noch der Verstoß hinreichend
dargelegt. Das Anbieten von 304 Audiodateien zum Herunterladen stellt
alleine noch keinen Urheberrechtsverstoß da. Nicht jedes Angebot einer
Audiodatei zum Herunterladen verletzt fremde Urheberrechte. Die Dateien
können gemeinfrei oder mit einer allgemeinen Lizenz versehen sein. So
ist es inzwischen nicht mehr ungewöhnlich, dass Interpreten ihre Stücke
zur freien Verbreitung in das Internet einstellen. Zudem ist das
Urheberrecht ein Ausschließlichkeitsrecht. Es ist jedem Inhaber von
Urheberrechten selbst überlassen, ob er seine Rechte im konkreten Fall
ausübt oder ob den Verletzer gewähren lässt. Ein Dritter kann diese
Rechte nicht geltend machen. Von daher verfängt auch das Argument, eine
Berechtigung der Beklagten an den Titeln sei jedenfalls nicht
ersichtlich, nicht. Entscheidend ist allein, ob und an welchen Titeln
den Klägerinnen Rechte zustehen. Ohne die Angabe der Titel, durch deren
Angebot die Rechte gerade der Klägerinnen verletzt worden sind, konnte
die Beklagte der Abmahnung daher nicht entnehmen, welches Verhalten sie
in Zukunft unterlassen soll. Zur generellen Unterlassung des Anbietens
von Audiodateien zum Herunterladen ist sie eben nicht verpflichtet,
sondern nur zur Unterlassung des Angebots der Titel der Klägerinnen. Der
zur Unterlassung verpflichtende Verstoß war folglich nicht das Anbieten
von 304 Audiodateien zum Herunterladen, sondern - die Aktivlegitimation
der Klägerinnen unterstellt - das Angebot der vier im Klageantrag
genannten Musiktitel der Klägerinnen. Dieser Verstoß hätte in der
Abmahnung dargelegt werden müssen, wobei zum notwendigen Vertrag der
Aktivlegitimation zumindest auch die Zuordnung der Titel zu einzelnen
Klägerinnen gehört hätte.
Ohne
eine solche Darlegung war der Beklagten die Abgabe einer wirksamen
Unterlassungserklärung gar nicht möglich. Die Liste der zum
Herunterladen angebotenen 304 Audiodateien besteht vorwiegend aus
Stücken anderer Berechtigter und kann schon von daher nicht Gegenstand
einer gegenüber den Klägerinnen erklärten Verpflichtung sein. Eine auf
die darin enthaltenen Musiktitel der Klägerinnen oder gar - wie von
ihnen in ihrer Abmahnung verlangt - auf ihr gesamtes Repertoire
gerichtete Unterlassungserklärung konnten die Klägerinnen in Ermangelung
einer Individualisierung dieser Stücke nicht verlangen. Es kann
dahinstehen, ob die Verletzung der Rechte an einzelnen Musiktiteln einen
Anspruch auf eine das ganze Repertoire der Gläubigerin umfassende
Unterlassungsverpflichtung vermittelt. Die Klägerinnen selbst machen
vorliegend mit ihrer Klage nur noch eine Unterlassungsverpflichtung
bezüglich der vier nach ihrem Vortrag tatsächlich zum Herunterladen
bereitgestellten Musiktitel geltend. Eine auf das gesamte Repertoire
erstreckte Unterlassungsverpflichtung setzt jedenfalls die Beifügung
einer Repertoireauflistung voraus.
Ein
entsprechender Unterlassungsantrag wäre ohne eine solche
Repertoireliste nicht hinreichend bestimmt. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
muss die Klageschrift einen bestimmten Antrag enthalten. Ein
Verbotsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sich der
Beklagte nicht erschöpfend verteidigen kann und es in der
Zwangsvollstreckung, wenn dem im Erkenntnisverfahren gestellten Antrag
Rechnung getragen würde, die Entscheidung darüber, was dem Beklagten
verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre (BGH, GRUR 1998,
489, 491 - Unbestimmter Unterlassungsantrag III). Allein die
Klarstellung, dass der Antrag und die Verurteilung sich nur auf die zum
Repertoire der Klägerinnen gehörenden Musiktitel bezieht, ermöglicht es
dem mit einem Vollstreckungsverfahren befassten Gericht nicht, im Falle
eines Streits der Parteien zu beurteilen, ob es sich bei dem Musiktitel,
wegen dessen Verbreitung durch die Beklagte die Klägerinnen die
Verurteilung zu einem Ordnungsgeld begehren, um einen zum Repertoire der
Klägerinnen gehörenden Musiktitel handelt (vgl. BGH, GRUR 2008, 357
Tz. 23 - Planfreigabesystem). Steht nicht eindeutig fest, welche
Musiktitel im Einzelnen gemeint sind, ist der auf die Verpflichtung zur
Unterlassung der Verbreitung gerichtete Antrag nur dann hinreichend
bestimmt, wenn diese individualisierend beschrieben werden, was durch
eine Bezugnahme auf einen Ausdruck oder einen Datenträger erfolgen kann
(vgl. BGH, GRUR 2008, 357 Tz. 24 - Planfreigabesystem).
Der
Gläubiger eines Unterlassungsanspruchs kann vom Schuldner als
Unterlassungserklärung nicht mehr verlangen, als was er durch eine
Titulierung erreichen könnte. Eine Unterlassungserklärung, die auf das
gesamte, nicht durch eine beigefügte Liste konkretisierte
Musikrepertoire des Gläubigers gerichtet ist, verlagert das Risiko, ob
ein unbekanntes Musikstück zum Repertoire des Gläubigers gehört,
vollständig auf den Schuldner und benachteiligt ihn daher gegenüber
einer titulierten Unterlassungsverpflichtung unverhältnismäßig. Im Falle
einer vom Gläubiger für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten
Unterlassungserklärung ist eine gleichwohl abgegebene Verpflichtung
daher nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Vom
Unterlassungsgläubiger vorformulierte Unterlassungs- und
Vertragsstrafeverpflichtungserklärungen unterfallen den Regelungen des
Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (BGH, NJW 1993, 721, 722).
Von
daher kann eine Erstattung der Abmahnkosten auch nicht auf einen
eventuellen Schadensersatzanspruch gestützt werden. Es ist bereits
zweifelhaft, ob die Abmahnkosten als ein Schaden verstanden werden, der
auf der in der Vergangenheit liegenden Verletzungshandlung beruht. Mit
der Abmahnung wird nicht eine bereits geschehene Gesetzesverletzung
außergerichtlich verfolgt; die Abmahnung richtet sich vielmehr gegen die
Gefahren, die aus zukünftiger Handlung des Abgemahnten drohen. Solche
zukünftigen Handlungen sollen verhindert werden (Ahrens/Scharen, Der
Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap 11 Rn. 13). Die Abmahnung dient
folglich der Verhinderung zukünftiger Verstöße, während der Schutzzweck
des Schadensersatzanspruchs darauf gerichtet ist, Vermögenseinbußen
auszugleichen, die aus der abgeschlossenen Verletzungshandlung
herrühren. Allein die adäquate Verursachung der Abmahnkosten durch die
Verletzungshandlung reicht für Schadenszurechnung nicht aus. Die Lehre
vom Schutzzweck der Norm erschöpft sich nicht in einer Anwendung der
Adäquanzlehre; sie begründet vielmehr ungeachtet der Kausalität eine
normative Begrenzung der Schadenszurechnung (Bornkamm in
Köhler/Born-kamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.88).
Dies
kann jedoch vorliegend dahinstehen, da eine Abmahnung, die den Verstoß
nicht erkennen lässt und auch den bereitwilligsten Schuldner nicht in
die Lage versetzt, eine wirksame Unterlassungsverpflichtungserklärung
abzugeben, eine völlig unbrauchbare anwaltliche Dienstleistung
darstellt. Zwar befreien Mängel der Leistung den Dienstberechtigten noch
nicht vom Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten. Dies gilt jedoch
nicht für eine Leistung, die für den Dienstberechtigten völlig
unbrauchbar ist. Eine derartige Leistung steht der Nichtleistung gleich.
In einem solchen Fall kann der Dienstberechtigte die Zahlung des
Honorars verweigern oder die Rückerstattung des bereits gezahlten
Honorars verlangen (KG, NJOZ 2011, 905 m. w. Nw.). Ein Grund, warum
dieser im Bereich ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen seit langem
anerkannte Grundsatz auf anwaltliche Dienstleistungen keine Anwendung
finden sollte, ist nicht ersichtlich. Von daher fehlt jedenfalls
insoweit an einem endgültigen Schaden der Klägerinnen.
Oberlandesgericht Düsseldorf: Quelle
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