Mit den Urteilen vom 26. November 2015 - AZ: I ZR 3/14 und I ZR 174/14 - hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in zwei Verfahren über die Haftung von Unternehmen, die den Zugang zum Internet vermitteln (Access-Provider), für Urheberrechtsverletzungen Dritter entschieden. Access-Provider ermöglichen Nutzern den Zugang zum Internet, etwa in Form eines Festnetzanschlusses mit DSL oder über mobile Telekommunikation. Ein Access-Provider ist nach § 8 Abs.1 TMG (entsprechend Art.12 Abs.1 und 2 der E-Commerce-RL) für fremde Inhalte, die ein Diensteanbieter übermittelt oder zu denen er
den Zugang vermittelt, nicht verantwortlich, wenn er die Übermittlung nicht veranlasst hat, er den Adressaten der übermittelten Botschaft nicht ausgewählt hat und er die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert hat. Über die Haftung der Access - Provider wird seit Jahren zwischen den Rechteverwerten im Musik- und Filmbereich und den Telekommunikationsunternehmen heftig gestritten. Nunmehr hat der BGH hierzu in zwei Verfahren Grundsatzurteile gefällt.
Die Klägerin im Verfahren I ZR 3/14 ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt für Komponisten, Textdichter und Musikverleger urheberrechtliche Nutzungsrechte an Musikwerken wahr. Die Beklagte ist Deutschlands größtes Telekommunikationsunternehmen. Sie war Betreiberin eines zwischenzeitlich von einer konzernverbundenen Gesellschaft unterhaltenen Telefonnetzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhielten. Als sogenannter Access-Provider vermittelte die Beklagte ihren Kunden auch den Zugang zu einer bestimmten Webseite über die nach Darstellung der Klägerin auf eine Sammlung von Links und URLs zugegriffen werden konnte, die das Herunterladen urheberrechtlich geschützter Musikwerke ermöglichten, die zuvor bei Sharehostern wie "RapidShare", "Netload" oder "Uploaded" widerrechtlich hochgeladen worden waren.
Die Klägerin sieht hierin eine Verletzung der von ihr wahrgenommenen Urheberrechte. Sie macht geltend, die Beklagte habe derartige Rechtsverletzungen als Access - Provider zu unterbinden. Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, über von ihr bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitbefangenen Werken über die Webseite "3dl.am" zu ermöglichen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Die Klägerinnen im Verfahren I ZR 174/14 sind Tonträgerhersteller. Die Beklagte ist Betreiberin eines Telekommunikationsnetzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhalten. Als Access-Provider vermittelte die Beklagte ihren Kunden auch den Zugang zu der Webseite "goldesel.to".
Nach Darstellung der Klägerinnen konnte über diese Webseite auf eine Sammlung von zu urheberrechtlich geschützten Musikwerken hinführenden Links und URLs zugegriffen werden, die bei dem Filesharing-Netzwerk "eDonkey" widerrechtlich hochgeladen worden waren. Die Klägerinnen sehen hierin eine Verletzung ihrer urheberrechtlichen Leistungsschutzrechte gemäß § 85 UrhG.
Die Klägerinnen haben die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, über von ihr bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitbefangenen Werken über die Webseite "goldesel.to" zu ermöglichen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter.
Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen in beiden Verfahren zwar zurückgewiesen, aber Hinweise gegeben unter welchen Voraussetzungen eine Haftung von Access - Providern auf Unterlassung in Betracht kommt und zwar mit Netzsperren als letztem Mittel. Damit wird eine Debatte über den Sinn und Unsinn von - sicherlich umgehbaren - Netzsperren wieder belebt, die seit gut 15 Jahren geführt wurde, aber in den letzten Jahren etwas leiser geworden war. Hierzu hat die Süddeutsche Zeitung eine interessante erste Stellungnahme veröffentlicht.
Letztlich kann nur auf der Basis der Urteilsgründe eine Auseinandersetzung darüber geführt werden, ob diese Entscheidungen die gesetzlichen Privilegien der Access - Provider nicht zumindest in bedenklicher Art und Weise einschränken. Jedenfalls lässt sich der Pressemitteilung entnehmen, dass
Telekommunikationsunternehmen, die Dritten den Zugang zum Internet bereitstellen, von einem Rechteinhaber grundsätzlich als Störer darauf in Anspruch genommen werden können, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Damit entfernt sich der BGH erheblich von der Gesetzeslage. Im Ergebnis führt dies dazu, dass dem Zugangsvermittler die Haftung für Inhalte auferlegt wird, auf deren Gestaltung er zu keinem Zeitpunkt je Einfluss nehmen konnte. Im Ergebnis kann dies auf eine proaktive Filterung von Inhalten hinauslaufen, die eine privatrechtlich angeordnete Zensur zur Folge haben. Bereits an der Mitstörereigenschaft der Access - Provider bestehen hinsichtlich einer irgendwie kausalen Mitwirkung an den Gestaltungen deutliche Zweifel. Im Wortlaut:
"Als Störer haftet bei der Verletzung absoluter Rechte (etwa des Urheberrechts oder eines Leistungsschutzrechts) auf Unterlassung, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt, sofern er zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat.
Das deutsche Recht ist vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft richtlinienkonform auszulegen und muss deshalb eine Möglichkeit vorsehen, gegen Vermittler von Internetzugängen Sperranordnungen zu verhängen.
In der Vermittlung des Zugangs zu Internetseiten mit urheberrechtswidrigen Inhalten liegt ein adäquat-kausaler Tatbeitrag der Telekommunikationsunternehmen zu den Rechtsverletzungen der Betreiber der Internetseiten "3dl.am" und "goldesel.to". In die im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung sind die betroffenen unionsrechtlichen und nationalen Grundrechte des Eigentumsschutzes der Urheberrechtsinhaber, der Berufsfreiheit der Telekommunikationsunternehmen sowie der Informationsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Internetnutzer einzubeziehen.
Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechtsverletzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen. Die aufgrund der technischen Struktur des Internet bestehenden Umgehungsmöglichkeiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperranordnung nicht entgegen, sofern die Sperren den Zugriff auf rechtsverletzende Inhalte verhindern oder zumindest erschweren.
Eine Störerhaftung des Unternehmens, das den Zugang zum Internet vermittelt, kommt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit allerdings nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die - wie der Betreiber der Internetseite - die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder - wie der Host-Provider - zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben.
Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar. Betreiber und Host-Provider sind wesentlich näher an der Rechtsverletzung als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang - etwa durch Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt, oder Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden - Nachforschungen vorzunehmen.
An dieser Voraussetzung fehlt es in beiden heute entschiedenen Fällen.
Im Verfahren I ZR 3/14 hat die Klägerin gegen den Betreiber der Webseite "3dl.am" eine einstweilige Verfügung erwirkt, die unter der bei der Domain-Registrierung angegebenen Adresse nicht zugestellt werden konnte. Den gegen den Host-Provider gerichteten Verfügungsantrag hat die Klägerin zurückgenommen, da sich auch seine Adresse als falsch erwies. Mit der Feststellung, dass die Adressen des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers falsch waren, durfte sich die Klägerin nicht zufriedengeben, sondern hätte weitere zumutbare Nachforschungen unternehmen müssen.
Im Verfahren I ZR 174/14 ist die Klage abgewiesen worden, weil die Klägerinnen nicht gegen den Betreiber der Webseiten mit der Bezeichnung "goldesel" vorgegangen sind. Dessen Inanspruchnahme ist unterblieben, weil dem Vortrag der Klägerinnen zufolge dem Webauftritt die Identität des Betreibers nicht entnommen werden konnte. Die Klägerinnen haben nicht vorgetragen, weitere zumutbare Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität des Betreibers der Internetseiten unternommen zu haben".
Die Entscheidungen ermöglichen zwar letztlich einen Unterlassungsanspruch gegen die Access-Provider, bürden den Anspruchstellern aber erhebliche Dokumentationslasten hinsichtlich unternommener Anstrengungen der Täteridentifikation auf, deren Art und Umfang die nächste Entwicklungsstufe dieser Auseinandersetzungen darstellen werden, unbeschadet der Rechtsfrage, ob die Haftung der Access - Provider hier nicht überdehnt wird, wofür gute Gründe sprechen.
LG Hamburg - Urteil vom 12. März 2010 - 308 O 640/08
OLG Hamburg - Urteil vom 21. November 2013 - 5 U 68/10
BGH, I ZR 174/14 - Haftung des Accessproviders
LG Köln - Urteil vom 31. August 2011 - 28 O 362/10
OLG Köln - Urteil vom 18. Juli 2014 - 6 U 192/11
BGH, I ZR 3/14
Quelle: Pressemitteilung des BGH
Karlsruhe, den 26. November 2015