Mittwoch, 25. November 2015

BGH zum wettbewerbsrechtlichen Schutz einer Romanfigur

Die Romanfigur "Pippi Langstrumpf" hat die deutschen Gerichte bereits öfter beschäftigt. Bereits mit Urteil vom 17.03.2013 hatte der BGH in der Entscheidung "Pippi - Langstrumpf - Kostüm I" einen auf eine Urheberrechtsverletzung gestützten Schadensersatzanspruch aus § 97 UrhG wegen einer Verwendung einer der Romanfigur möglicherweise ähnlichen Figur zu Werbezwecken in einer bekannten Supermarktkette aus Köln am Rhein für Karnevalskostüme abgelehnt. 

Die Entscheidung ist bereits deshalb interessant, weil der BGH in dieser Entscheidung dezidiert zu den internationalprivatrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Nutzungsrechtsüberlassungsvertrag Stellung nimmt, dessen Voraussetzungen hier nach schwedischem Recht bejaht worden war, so dass die Klägerin aktivlegitimiert ist. Darüber hinaus nimmt der BGH einen grundsätzlichen isolierten Schutz dieser Romanfigur in urheberrechtlicher Hinsicht an, wobei die Reichweite aber problematisch werden könnte: 

"Dieser Schutz einer fiktiven Person kann auch unabhängig vom konkreten Beziehungsgeflecht und dem Handlungsrahmen bestehen, wie sie in der Fabel des Romans ihren Ausdruck gefunden haben. Zwar gewinnen die in einer Erzählung handelnden Personen ihr charakteristisches Gepräge zumeist erst durch ihre Handlungen und Interaktion mit anderen dargestellten Personen. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass sich die darin zum Ausdruck gelangende Persönlichkeit verselbständigt, wenn ihre typischen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen in variierenden Handlungs- und Beziehungszusammenhängen – insbesondere bei Fortsetzungsgeschichten – regelmäßig wiederkehren.Voraussetzung für den isolierten Schutz eines fiktiven Charakters ist es demnach, dass der Autor dieser Figur durch die Kombination von ausgeprägten Charaktereigenschaften und besonderen äußeren Merkmalen eine unverwechselbare Persönlichkeit verleiht. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Allein die Beschreibung der äußeren Gestalt einer handelnden Figur oder ihres Erscheinungsbildes wird dafür in aller Regel nicht genügen".

In der ersten Entscheidung lehnte der BGH aber einen Schadensersatzanspruch wegen einer - im Ergebnis - freien Bearbeitung ab, weil der Abstand zwischen der Romanfigur und der Werbefigur letztlich zu groß war und die Übereinstimmungen zu gering waren. 

Nachdem dieser Versuch gescheitert war, versuchte es die Klägerin unter dem Aspekt des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes vor dem OLG Köln erneut, nachdem der BGH den revionsrechtlichen Hinweis erteil hatte, dass das OLG Köln den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutz nicht geprüft hatte und die Sache daher an das OLG zurückverwiesen hatte. 

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte in der Entscheidung "Pippi-Langstrump-Kostüm II" über die interessante Frage zu entscheiden, ob eine bekannte literarische Figur wettbewerbsrechtlich gegen eine Benutzung als Karnevalskostüm nach §§ 4 Nr.9, 3 UWG geschützt ist. Es handelt sich um den gleichen Rechtsstreit wie in dem erstgenannten revisionsrechtlichen Verfahren, da gegen das zweite Urteil des OLG Köln wiederum Revision eingelegt worden war. 

Es handelte sich um die gleiche Beklagte wie im erstgenannten Rechtsstreit. Diese Beklagte hatte um für ihre Karnevalskostüme zu werben in Verkaufsprospekten im Januar 2010 die Abbildungen eines Mädchens und einer jungen Frau, die mit dem Karnevalskostüm verkleidet waren, verwendet. Sowohl das Mädchen als auch die junge Frau trugen eine rote Perücke mit abstehenden Zöpfen und ein T-Shirt sowie Strümpfe mit rotem und grünem Ringelmuster. Die Fotografien waren bundesweit in Verkaufsprospekten, auf Vorankündigungsplakaten in den Filialmärkten sowie in Zeitungsanzeigen abgedruckt und über die Internetseite der Beklagten abrufbar. Darüber hinaus waren die Abbildungen den jeweiligen Kostümsets beigefügt, von denen die Beklagte insgesamt mehr als 15.000 Stück verkaufte.

Die Klägerin, die nach dem ersten Urteil des BGH in dieser Sache berechtigt für sich in Anspruch nimmt, über Rechte am künstlerischen Schaffen von Astrid Lindgren zu verfügen, ist der Auffassung, die Beklagte habe mit ihrer Werbung die urheberrechtlichen Nutzungsrechte an der literarischen Figur Pippi Langstrumpf verletzt sowie gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstoßen, weil die Beklagte sich in den verwendeten Abbildungen an diese Figur angelehnt habe. Aus diesem Grund stehe ihr Schadensersatz in Höhe einer fiktiven Lizenzgebühr von 50.000 € zu.

Das Landgericht hat die Beklagte zwar antragsgemäß verurteilt, jedoch blieb die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten erfolglos. Das Oberlandesgericht hat in seinem ersten Berufungsurteil angenommen, der Klägerin stehe der geltend gemachte urheberrechtliche Anspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG zu. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit sie auf Ansprüche aus dem Urheberrecht gestützt ist. Im Hinblick auf die hilfsweise geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (vgl. Pressemitteilung Nr. 127/2013).

Das Oberlandesgericht hat die Klage mit seinem zweiten Berufungsurteil im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Ansprüche abgewiesen. Es hat angenommen, dass sich der Zahlungsanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt eines wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutzes nach § 4 Nr. 9 Buchst. a und b UWG ergebe.

Zwar geht der BGH nunmehr auch lauterkeitsrechtlich davon aus, dass die Abbildung eines Mädchens und einer jungen Frau in einem Pippi-Langstrumpf-Kostüm zwar eine nachschaffende Nachahmung der Romanfigur von Astrid Lindgren darstellt. Hierzu müssen allerdings besondere Umstände hinzutreten, die ein solches Verhalten unlauter erscheinen lassen. Das Vorliegen dieser Einschränkung hat der BGH verneint. Eine unlautere Herkunftstäuschung scheide ebenso aus wie eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung der Romanfigur Pippi Langstrumpf, so dass ein Anspruch aus 4 Nr. 9 UWG ausscheidet. 

Zwar geht der BGH jetzt davon aus, dass auch eine literarische Figur dem Schutz dieser Bestimmung unterfallen kann. Er verneint indessen eine Nachahmung, an die strenge Anforderungen gestellt werden: "An eine Nachahmung einer Romanfigur durch Übernahme von Merkmalen, die wettbewerblich eigenartig sind, in eine andere Produktart, wie sie bei einem Karnevalskostüm gegeben ist, sind keine geringen Anforderungen zu stellen. Im Streitfall bestehen zwischen den Merkmalen, die die Romanfigur der Pippi Langstrumpf ausmachen, und der Gestaltung des Kostüms nur so geringe Übereinstimmungen, dass keine Nachahmung vorliegt".

Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel gemäß § 3 Abs. 1 UWG zu. Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass eine durch die Anwendung der Generalklausel zu schließende Schutzlücke besteht. Die von der Klägerin oder ihren Lizenznehmern vertriebenen konkreten Merchandisingartikel sind gegen Nachahmungen unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 9 UWG geschützt.

Sodann gibt der BGH der Klägerin noch einige interessante Hinweise auf Weg, wobei die Situation im Markenregister allerdings etwas kompliziert erscheint: "Der Klägerin steht es zudem frei, das Erscheinungsbild solcher Produkte als Marke und Design schützen zu lassen. Darüber hinausgehend ist es wettbewerbsrechtlich nicht geboten, denjenigen, der eine Leistung erbringt, grundsätzlich auch an allen späteren Auswertungsarten seiner Leistung zu beteiligen".

Beide Urteile sind insbesondere für Gestaltungen in der Werbebranche von Interesse, da insoweit Spielräume eröffnet werden, die aber jeweils eine Art "Gratwanderung" darstellen.


Vorinstanzen:
LG Köln - Urteil vom 10. August 2011 - 28 O 117/11
OLG Köln - Urteil vom 24. Februar 2012 - 6 U 176/11
BGH - Urteil vom 17. Juli 2013 - I ZR 52/12 - Pippi-Langstrumpf-Kostüm I
OLG Köln - Urteil vom 20. Juni 2014 - 6 U 176/11
Urteil vom 19.November 2015 - I ZR 149/14 - Pippi-Langstrumpf-Kostüm II 

Quelle: Pressemitteilung des BGH
Karlsruhe, den 19. November 2015

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