Dienstag, 17. April 2018

EuGH: Ausgleichsanspruch und "Wilder Streik"

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat laut PRESSEMITTEILUNG Nr. 49/18, Luxemburg vom 17. April 2018, in den verbundenen Rechtssachen C-195/17, C-197/17 bis C 203/17, C-226/17, C-228/17, C-254/17, C-274/17, C-275/17, C-278/17 bis C-286/17 und C-290/17 bis C-292/17 insbesondere in der Sache Helga Krüsemann u. a. ./. TUIfly GmbH ein bemerkenswertes Urteil gefällt, das zu einer Änderung der bisherigen Linie der Rechtsprechung führen dürfte. 

Das Urteil betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1.

Der Ausgangsfall: Am 30. September 2016 kündigte das Management der deutschen Fluggesellschaft TUIfly der Belegschaft überraschend Pläne zur Umstrukturierung des Unternehmens an. Diese Ankündigung führte dazu, dass sich das Flugpersonal nach einem von den Arbeitnehmern selbst verbreiteten Aufruf während etwa einer Woche krank meldete. Zwischen dem 1. und dem 10. Oktober 2016 stieg die Quote krankheitsbedingter Abwesenheiten, die normalerweise bei etwa 10 % lag, auf bis zu 89 % des Cockpit-Personals und bis zu 62 % des Kabinenpersonals an. Am Abend des
7. Oktober 2016 teilte das Management von TUIfly der Belegschaft mit, dass eine Einigung mit dem Betriebsrat erzielt worden sei.

Wegen dieses „wilden Streiks“ wurden zahlreiche Flüge von TUIfly annulliert oder hatten eine Ankunftsverspätung von drei Stunden oder mehr. Da TUIfly der Ansicht war, dass es sich um „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Unionsverordnung über Fluggastrechte gehandelt habe, weigerte sie sich jedoch, den betroffenen Fluggästen die darin vorgesehenen Ausgleichszahlungen (je nach Entfernung 250 Euro, 400 Euro oder 600 Euro) zu leisten. Das Amtsgericht Hannover (Deutschland) und das Amtsgericht Düsseldorf (Deutschland), bei denen Klagen auf Leistung dieser Ausgleichszahlungen anhängig sind, fragen den Gerichtshof, ob die spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals in Gestalt eines „wilden Streiks“, wie er hier in Rede steht, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ fällt, so dass die Fluggesellschaft von ihrer Ausgleichsverpflichtung befreit sein könnte. Die Sicht des Touristikrechts und des Arbeitsrecht können hier weit auseinanderfallen, wie die Entscheidung zeigt. 

In der Entscheidung, BGH, Urt. v. 21.08.2012, AZ: X ZR 146/11, hatte der BGH einen Ausgleichsanspruch abgelehnt, weil ein rechtmäßiger Streik einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Dieser Entscheidung lag aber ein gewerkschaftlich organisierter und damit legaler - vom Grundgesetz gedeckter - Streik zugrunde. Nach der Fluggastrechteverordnung sind bei außergewöhnlichen Umständen keine Entschädigungen zu zahlen. Die Fallgruppen des Art. 5 Abs.3 der VO sind aber im Detail und in Grenzbereichen umstritten (s. nur, Staudinger/Keiler (Hrsg.), Fluggastrechte-Verordnung, Erstauflage, 2016, Art. 5, Rdnrn. 6 ff m.w.N., s. insbes. Rn. 26).  

In den vom EuGH nunmehr entschiedenen Fällen geht es um einen gewerkschaftlich nicht organisierten "Wilden Streik", sofern man hier den Streikbegriff überhaupt anwendet. Bislang ist überwiegend die Auffassung vertreten worden, dass ein nicht gewerkschaftlich organisierter „wilder Streik" dieses Ausmaßes einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung darstellt, der für die Fluggesellschaft nicht beherrschbar gewesen sei. Der EuGH hat nunmehr einen neuen Weg beschritten. 

Nach der neuen Auffassung des EuGH stellt ein „wilder Streik“ des Flugpersonals, der auf die überraschende Ankündigung einer Umstrukturierung folgt, keinen „außergewöhnlichen Umstand“ dar, der es der Fluggesellschaft erlaubt, sich von ihrer Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen zu befreien, weil die damit verbundenen Risiken (letztlich im Sinne des Betriebsrisikos) sich aus den mit solchen Maßnahmen einhergehenden sozialen Folgen ergeben und damit im Grundsatz Teil der  normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft sind. 

Der EuGH stellt mit seinem heutigen Urteil klar, dass die spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals (in Gestalt eines „wilden Streiks“ nach deutscher Rechtsauffassung) nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ fällt, wenn sie auf die überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durch ein ausführendes Luftfahrtunternehmen zurückgeht und einem Aufruf folgt, der nicht von den Arbeitnehmervertretern des Unternehmens verbreitet wird, sondern spontan von den Arbeitnehmern selbst, die sich krank meldeten. Ob und welche Folgen dieses Urteils für das kollektive Arbeitsrecht haben könnte, ist völlig offen, da nicht der Streik legalisiert wird, sondern dem Unternehmen die Konsequenzen seiner eigenen Ankündigungspraxis auferlegt werden. 

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Verordnung zwei kumulative Bedingungen für die Einstufung eines Vorkommnisses als „außergewöhnlicher Umstand“ vorsieht, und zwar, dass dieses Vorkommnis (1) seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft ist und (2) von dieser nicht tatsächlich beherrschbar ist. Dass es in einem Erwägungsgrund der Verordnung heißt, dass solche Umstände insbesondere bei Streiks eintreten können, bedeutet noch nicht, dass ein Streik unbedingt und automatisch einen Grund für die Befreiung von der Ausgleichspflicht darstellt. Vielmehr ist von Fall zu Fall zu beurteilen, ob die
beiden oben genannten Bedingungen erfüllt sind.

Für den vorliegenden Fall hat der Gerichtshof festgestellt, dass diese beiden Bedingungen nicht erfüllt sind.  Erstens gehören Umstrukturierungen und betriebliche Umorganisationen zu den normalen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen von Unternehmen. Somit ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Fluggesellschaften bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können. Daher sind in einer Situation wie der, zu der es Ende September/Anfang Oktober 2016 bei TUIfly kam, die Risiken, die sich aus den mit solchen Maßnahmen einhergehenden sozialen Folgen ergeben, als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betreffenden Fluggesellschaft zu betrachten. Der EuGH folgt hier implizit der Betriebsrisikolehre. 

Zweitens kann nicht angenommen werden, dass der hier in Rede stehende „wilde Streik“ von TUIfly nicht tatsächlich beherrschbar war, weil er unmittelbar auf eine Entscheidung von TUIfly zurückzuführen ist. Er endete trotz der hohen Abwesenheitsquote nach einer Einigung zwischen TUIfly und dem Betriebsrat vom 7. Oktober 2016.

Der Gerichtshof weist zudem darauf hin, dass der Umstand, dass diese Vorgehensweise der Belegschaft, weil sie nicht offiziell von einer Gewerkschaft initiiert wurde, als „wilder Streik“ im Sinne des einschlägigen deutschen Arbeits- und Tarifrechts einzustufen sein dürfte, für die Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ keine Rolle spielt, weil dieser Begriff europarechtlich autonom und ohne Rückgriff auf die (umstrittenen) Kategorien des deutschen, kollektiven Arbeitsrechts auszulegen ist. Indirekt stärkt der EuGH aber auch die Arbeitnehmerrechte. 

Der EuGH erteilt insoweit den interessanten Hinweis, dass es für die Annahme „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne der Verordnung über die Fluggastrechte nicht darauf ankommt, ob sie nach dem
einschlägigen nationalen Recht rechtmäßig sind oder nicht, weil dies zur Folge hätte, dass der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats abhinge. Dadurch würden die Ziele dieser Verordnung durch die Anwendung nationalen Rechts beeinträchtigt, dass gerade in diesem Bereich sehr unterschiedlich ist. 

Der EuGH verteidigt damit ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sowie harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in der Europäischen Union. Die Praxis wird sich darauf einzustellen haben. 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH 


Donnerstag, 15. März 2018

EuG: "Marke "La Mafia SE SIENTA A LA MESA" ist nichtig

Das Europäische Gericht erster Instanz hat in der Rechtssache T-1/17 La Mafia Franchises S.L./ EUIPO - Italie (La Mafia SE SIENTA A LA MESA) ein interessantes Urteil zum Markenrecht gefällt. 

Das EuG urteilte, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ nach Art. 52 Abs.1 lit a) i.V.m. Art. 7 Abs.1 lit f) UMV (siehe hier näher, Kur/ v. Bomhard/Albrecht, Markenrecht. Kommentar, München, 2017, Art. 7 UMV, Rdnrn. 125 ff) gegen die öffentliche Ordnung verstößt. 

Die Bezeichnung "La Mafia se sienta en la mesa" ("Die Mafia setzt sich zu Tisch") ist die Firma einer spanischen Restaurantkette mit vornehmlich italienischer Küche und einem Franchisekonzept mit Sitz in der schönen Stadt Zaragoza in Aragon/Spanien, die auch die Domain www.lamafia.es betreibt. Die Kette betreibt in Spanien ca. 40 Restaurants. Die Bezeichnung ist augenscheinlich ein Scherz oder eine Satire, aber im Rahmen des Art. 7 lit f) UMV kommt es auf Scherze oder Satire nicht an.  

Den Firmennamen hat das Unternehmen La Mafia Franchises S.L. versucht bei der EUIPO in Alicante als Bildmarke anzumelden. Ein erster Versuch scheiterte im Jahr 2005 durch Zurückweisung. Im Jahr 2006 stellte die spanische Gesellschaft La Honorable Hermandad (deren Rechtsnachfolgerin La Mafia Franchises ist) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Eintragung der folgenden Unionsmarke, u. a. für Verpflegungsdienstleistungen. Der zweite Versuch führte im Jahr am 25.12.2008 zunächst zur Registrierung u.a. für Verpflegungsdienstleistungen, sozusagen ein Weihnachtsgeschenk auf Widerruf. 

Am 18.01.2013 stellte eine Kanzlei Madrid einen ersten Löschungsantrag, der wie sich später herausstellte im Auftrag der Republik Italien gestellt worden war. Im Jahr 2015 stellte die Republik Italien beim EUIPO einen weiteren Antrag auf Nichtigerklärung dieser Marke, den es damit begründete, dass sie gegen die öffentliche Ordnung und gegen die guten Sitten verstoße.

Am 27.10.2016 erging eine Decision of the First Board of Appeal der EUIPO, die dem Antrag statt gab. Dagegen richtete sich die Klage des Applicants zum Europäischen Gericht erster Instanz.     

Das EUIPO war der Aufassung, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ die unter dem Namen „Mafia“ bekannte kriminelle Organisation offenkundig fördere und dass die Wortbestandteile dieser Marke insgesamt eine Botschaft von Geselligkeit zum Ausdruck brächten und den Wortbestandteil „Mafia“ verharmlosten, womit sie dem hiervon vermittelten Ernst nicht gerecht würden.

La Mafia Franchises klagte gegen diese Entscheidung vor dem Gericht der Europäischen Union. Das EuG hat diese Klage abgewiesen. Die Entscheidung ist für die - insbesondere schon bei einem Markenbranding - wichtige Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Registrierung von Marken von deutlichem Interesse und letztlich bereits bei der Festlegung von Firmenbezeichnungen. 

Das Gericht betont, dass der Wortbestandteil „La Mafia“ in der Marke der spanischen Gesellschaft dominierend ist und weltweit als Hinweis auf eine kriminelle Organisation verstanden wird (die sich eigentlich "Unione Siciliano" oder "Cosa Nostra" nennt, s. nur John Dickie; Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia, S. 86 ff), die zur Ausführung ihrer Tätigkeiten u. a. auf Einschüchterung, auf körperliche Gewalt und auf Mord zurückgreift, wobei zu diesen Tätigkeiten u. a. der illegale Drogenhandel, der illegale Waffenhandel, die Geldwäsche und die Korruption gehören. 

Nach völlig nachvollziehbarer Auffassung des Gerichts verstoßen derartige kriminelle Tätigkeiten gegen die Grundrechte der Union, insbesondere gegen die Werte der Achtung der Menschenwürde und der Freiheit, die unteilbar sind und die das geistig-religiöse und sittliche Erbe der Union bilden. Zudem stellen die kriminellen Tätigkeiten der Mafia angesichts ihrer grenzüberschreitenden Dimension eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit im gesamten Unionsgebiet dar, da derartige Organisationen europa- und weltweit illegal tätig sind. 

Der Wortbestandteil „La Mafia“ wird in Italien als äußerst negativ wahrgenommen, da diese kriminelle Organisation die Sicherheit dieses Mitgliedstaats schwerwiegend beeinträchtigt, andernfalls hätte Italien den Antrag nicht gestellt. Das Gericht bestätigt somit, dass der Wortbestandteil „La Mafia“ die Verkehrskreise offenkundig an den Namen einer kriminellen Organisation denken lässt, die für besonders schwerwiegende Verstöße gegen die öffentliche Ordnung verantwortlich ist.

Das Gericht stellt weiter fest, dass der Umstand, dass La Mafia Franchises mit der Anmeldung der Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ darauf abgezielt haben will, die Kino-Saga „Der Pate“ in Erinnerung zu rufen, nicht aber Anstoß zu erregen oder zu beleidigen, keinen Einfluss auf die negative Wahrnehmung dieser Marke durch die Verkehrskreise hat. Auch sind die von der Marke der spanischen Gesellschaft erworbene Bekanntheit und das thematisch angelegte Konzept der Restaurants, die bzw. das mit den Filmen der Saga „Der Pate“ in Zusammenhang steht, für die Beurteilung, ob die angegriffene Marke gegen die öffentliche Ordnung verstößt, unerheblich. Zudem ist die Tatsache, dass es zahlreiche Bücher und Filme gibt, die sich auf die Mafia beziehen, in keiner Weise geeignet, die Wahrnehmung der von dieser Organisation begangenen Straftaten zu verändern. 

Schließlich pflichtet das Gericht der Würdigung des EUIPO und Italiens bei, wonach die Verknüpfung des Wortbestandteils „La Mafia“ mit dem Satz „se sienta a la mesa“ (was im Spanischen „setzt sich zu Tisch“ bedeutet) einerseits und mit einer roten Rose andererseits geeignet ist, ein insgesamt positives Bild der Tätigkeiten der Mafia zu vermitteln und die kriminellen Tätigkeiten dieser Organisation zu verharmlosen.

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ auf eine kriminelle Organisation verweist, ein insgesamt positives Abbild dieser Organisation gibt und die schwerwiegenden Verstöße dieser Organisation gegen die Grundwerte der Union verharmlost. 

Das Gericht ist infolgedessen der Auffassung, dass diese Marke geeignet ist, nicht nur bei den Opfern dieser kriminellen Organisation und ihren Familien, sondern bei jeder Person im Unionsgebiet, die mit dieser Marke konfrontiert wird und über eine durchschnittliche Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle verfügt, Anstoß zu erregen oder diese zu beleidigen. Sie wurde deshalb für nichtig erklärt. 

Gegen dieses Urteil kann binnen zwei Monaten nach Zustellung noch ein Rechtsmittel zum EuGH eingelegt werden. Die Löschung der Marke kann erst nach Rechtskraft vollzogen werden und zwar dann binnen zehn Tagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH dies anders sieht, dürfte eher gering sein. 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH

Mittwoch, 7. März 2018

EuGH zu Schiedsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen

Das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 6. März 2018 Urteil (Rechtssache C-284/16Slowakische Republik / Achmea BV) zieht vor dem Hintergrund zahlreicher vergleichbarer Investitionsschutzabkommen weite Kreise. 

In diesen Verträgen wird die Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit aufgrund qualifizierter Schiedsklauseln ausgeschlossen. Die Wirksamkeit solcher Klausel ist sehr umstritten. Die Entscheidungen ergehen meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit und werden auch oftmals nicht veröffentlicht. Die Praxis ist zumindest überwiegend eher intransparent.

Der EuGH hat auf Vorlage des deutschen Bundesgerichtshofes in einem Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass die im Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei enthaltene Schiedsklausel nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, weil diese Klausel dem Mechanismus der gerichtlichen Überprüfung des Unionsrechts Rechtsstreitigkeiten entzieht, die sich auf die Anwendung oder Auslegung dieses Rechts beziehen können. Der BGH wird über diese Sache nunmehr abschließend entscheiden. 

Der Sachverhalt ist entsprechend komplex und betrifft die auf Europarecht beruhende Liberalisierung der Versicherungsbranche. Im Jahr 1991 schlossen die ehemalige Tschechoslowakei und die Niederlande ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen (BIT2 ). Dieses Abkommen bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder, falls dies nicht möglich ist, vor einem Schiedsgericht mit ausschließlicher Zuständigkeit beizulegen sind. 

Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein. Im Jahr 2004 öffnete die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Investoren. Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, gründete daraufhin eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen anzubieten. Im Jahr 2006 machte die Slowakei jedoch die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Im Jahr 2008 leitete Achmea auf der Grundlage des BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakei ein, mit der Begründung, dass das genannte Verbot gegen das Abkommen verstoße und ihr dadurch ein Vermögensschaden entstanden sei. Im Jahr 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei gegen das BIT verstoßen habe, und verurteilte sie, Schadensersatz in Höhe von etwa 22,1 Mio. Euro an Achmea zu zahlen. Im Anschluss daran erhob die Slowakei bei den deutschen Gerichten Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs.

Die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ergibt sich aus dem Beschluss des BGH: 

"Ein Schiedsspruch kann gemäß § 1059 Abs. 2 ZPO nur aufgehoben werden, wenn einer der in dieser Vorschrift bezeichneten Aufhebungsgründe vorliegt. Als Aufhebungsgrund kommt im Streitfall in Betracht, dass die Schiedsvereinbarung wegen Verstoßes gegen Unionsrecht ungültig ist.
Die Bestimmung des § 1059 ZPO ist im Streitfall anwendbar, weil es sich bei der Entscheidung des Schiedsgerichts vom 7. Dezember 2012 um einen inländischen Schiedsspruch handelt. Nach § 1025 Abs. 1 ZPO sind die Vorschriften der §§ 1025 bis 1066 ZPO anzuwenden, wenn der Ort des Schiedsverfahrens im Sinne des § 1043 Abs. 1 ZPO in Deutschland liegt. Die Parteien haben gemäß § 1043 Abs. 1 Satz 1 ZPO Frankfurt am Main als Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens festgelegt".

Nach der Auffassung der Slowakei verstößt die Schiedsklausel im BIT gegen mehrere Bestimmungen des AEU-Vertrages. Das interessante an diesem Fall ist, dass hier ein Staat, die Aufhebung eines Schiedsspruches beantragt, weil die Entscheidung des Schiedsgerichts letztlich für "tendenziös" gehalten wurde. 

Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof (Deutschland) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit dem AEU-Vertrag vereinbar ist. Der EuGH holt in solchen Fällen die Rechtsmeinungen der EU - Mitgliedsstaaten ein, die auf eine deutliche Kontroverse deuten. 

Die Tschechische Republik, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Polen, Rumänien und die Europäische Kommission haben Erklärungen zur Unterstützung des Vorbringens der Slowakei eingereicht, während Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich und Finnland die streitige Klausel und – allgemeiner – ähnliche Klauseln in den 196 gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten der EU bestehenden BIT für gültig halten.  

In seinem Urteil zu Art. 18, 267 und 344 AEUV stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach dem BIT das gemäß diesem Abkommen gebildete Schiedsgericht insbesondere auf der Grundlage des geltenden Rechts der von dem fraglichen Rechtsstreit betroffenen Vertragspartei und aller erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu entscheiden hat. 

Angesichts der Merkmale des Unionsrechts – wie seiner Autonomie gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht, seinem Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten sowie der unmittelbaren Wirkung einer ganzen Reihe seiner Bestimmungen für die Unionsbürger und die Mitgliedstaaten – ist es zum einen Teil des in allen Mitgliedstaaten geltenden Rechts und zum anderen aus einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten hervorgegangen. Daher kann das fragliche Schiedsgericht unter diesen beiden Aspekten das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr auszulegen oder sogar anzuwenden haben. 

Der Gerichtshof weist sodann darauf hin, dass die Gerichtsbarkeit des fraglichen Schiedsgerichts im Verhältnis zu der der slowakischen und der niederländischen Gerichte Ausnahmecharakter hat, so dass es nicht Teil des Gerichtssystems der Slowakei oder der Niederlande ist. Dieses Verdikt könnte für die Schiedsklauselpraxis in Europa noch weitreichende Folgen hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahl des Gerichtsstandes haben. 

Das hier gewählte Schiedsgericht konnte vor diesem Hintergrund nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden, so dass es auch nicht befugt ist, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen. 

Zur Frage, ob der Schiedsspruch der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, das dem Gerichtshof unionsrechtliche Fragen in Verbindung mit einem vom Schiedsgericht behandelten Rechtsstreit vorlegen könnte, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem BIT die Entscheidung des Schiedsgerichts endgültig ist und kein weiterer Rechtsweg eröffnet wird. Schiedsgerichte legen überdies ihre eigenen Verfahrensregeln fest. Mit der Wahl eines Schiedsgerichtes wird gleichzeitig die zugrunde liegende Schiedsordnung gewählt und folglich damit das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des von ihm erlassenen Schiedsspruchs jeweils gilt. 

Der letztgenannte wird seitens des Gerichtshofes dahingehend vertieft, dass eine solche gerichtliche Überprüfung von dem betreffenden nationalen Gericht nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie gestattet. Diese Bedingung, ist im vorliegenden Fall nicht vollständig erfüllt, da das deutsche Recht nur eine beschränkte Überprüfung in diesem Bereich vorsieht. 

Zwar stellt der EuGH fest, dass die Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen im Rahmen eines Handelsschiedsverfahrens legitimer Weise beschränkten Charakter aufweisen könnte, doch lassen sich diese Überlegungen nicht auf ein Schiedsverfahren wie das hier vorliegende übertragen. 

Der EuGH unterscheidet insoweit zwischen Schiedsverfahren, die auf der Parteiautonomie beruhen und Gerichtszuständigkeiten, die auf einem Vertrag beruhen, in dem die Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System gerichtlicher Rechtsbehelfe, dessen Schaffung ihnen der EU-Vertrag in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt, Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, in denen dieses Recht anzuwenden oder auszulegen sein kann. 

Vor diesem Hintergrund kommt der EuGH zu dem interessanten Ergebnis, dass die Slowakei und die Niederlande mit dem Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet, wobei nur ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit ("effet utile") des Unionsrechts zu gewährleisten. 

Unter diesen Umständen beeinträchtigt die im BIT enthaltene Schiedsklausel die Autonomie des Unionsrechts und ist daher nicht mit ihm vereinbar. 

Es liegt auf der Hand, dass dieses Urteil die Vertrags- und Schiedsklauselnpraxis für die Zukunft in Europa deutlich beinflussen kann. Der BGH wird hierzu sicherlich ein interessantes Urteil fällen. 

Quelle: PRESSEMITTEILUNG Nr. 26/18 Luxemburg, den 6. März 2018 

Samstag, 3. März 2018

BGH erneut zu Persönlichkeitsrechtverletzungen und Internet - Suchmaschinen

Mit dem (erwartbaren) Urteil vom 27. Februar 2018 - VI ZR 489/16 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Haftung von Suchmaschinen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen weiter ausgebaut (der Volltext des Urteils liegt noch nicht vor). Die bisher ersichtliche Begründung passt sich im Detail in die vom BGH in den letzten Jahren entwickelte Rechtsprechung zur Mitstörerhaftung ein. 

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit diesem Urteil entschieden, dass der Betreiber einer Internet-Suchmaschine nicht verpflichtet ist, sich vor der Anzeige eines Suchergebnisses darüber zu vergewissern, ob die von den Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte Persönlichkeitsrechtsverletzungen beinhalten. Rein praktisch stellt sich auch die Frage, ob die derzeit vorhandene Filtertechnologie in der Lage ist, alle etwaig vorhandenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor einem konkreten Hinweis aufzufinden. Es ist durchaus denkbar das sich der Klageanspruch auf eine letztlich unerfüllbare Verpflichtung gerichtet hat.

Richtigerweise muss ein Suchmaschinenbetreiber erst reagieren, wenn er durch einen konkreten Hinweis - etwa durch eine Unterlassungsaufforderung - von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Kenntnis erlangt. Hierzu hält Google eigene Richtlinien vor. 

Die Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht Köln nehmen die Beklagte in der Hauptsache auf Unterlassung in Anspruch, bestimmte vermeintlich persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte auf Drittseiten über die Suchmaschine auffindbar zu machen. Dieses Verlangen setzt seitens eines Suchmaschinenbetreibers die Installierung von Filtertechnologie voraus, die solche Rechtsverletzungen proaktiv aufspüren kann. 

Die Beklagte mit Hauptsitz in Kalifornien, durchsucht als Betreiberin der Internetsuchmaschine "Google" mit einer Software kontinuierlich und automatisiert das Internet und übernimmt die so ermittelten Internetseiten in einen Suchindex. Die Daten gibt die Suchmaschine an die Nutzer entsprechend dem eingegebenen Suchbegriff nach einem von der Beklagten erstellten Algorithmus als Ergebnisliste aus und verlinkt diese.

Etwa in den USA richten sich gegen Rechtsverletzungen über Google immer wieder Beschwerden, so gegen Urheberrechtsverletzungen, die in der Lumendatabase dokumentiert werden. Die betreffende Haftung stellt sich auch in den USA fast immer ex-post dar. 

Bei Äußerungsdelikten wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet stellt sich die Sachlage noch schwieriger dar, weil deren Vorliegen oder nicht Vorliegen oftmals von schwierigen Güter - und Interessenabwägungen abhängen, die sich selbstredend auch im Prozessrisiko ausdrücken, so dass kaum eine Prognose abgegeben werden kann. Die Urteile fallen mitunter recht unterschiedlich aus, was vom BVerfG hingenommen wird, durchaus mit nachvollziehbaren Gründen. 

Die Kläger, ein Ehepaar, sind IT-Dienstleister. Der Kläger hatte ab Mitte Februar 2011 zumindest beim Aufsetzen eines Internetforums - nachfolgend: F-Internetforum - geholfen. Mitglieder dieses Forums - es werden eher sog. "Trolle" gewesen sein -  führten mittels Beiträgen auf verschiedenen Forenseiten Auseinandersetzungen mit Mitgliedern eines anderen Internetforums. Bekanntlicherweise arten solche Diskussionen oftmals in gegenseitigem "Flaming" und anderen Blüten der Diskussionshochkultur im Internet aus.  

Den Mitgliedern des F-Internetforums wurde u.a. vorgeworfen, Dritte zu stalken und zu drangsalieren. Aufgrund einer von dem Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit für das F-Internetforum eingerichteten E-Mail-Weiterleitung stellten Dritte die IP-Adresse und die Identität des Klägers fest und gaben diese Informationen an Mitglieder des mit dem F-Internetforum verfeindeten Internetforums weiter. 

Teilnehmer dieses Forums verfassten sodann auf den mit der Klage beanstandeten Internetseiten Beiträge, in denen der Kläger für Handlungen von Mitgliedern des F-Internetforums (unter anderem angebliches Stalking) verantwortlich gemacht wurde. 

Die bei zielgerichteter Suche in der Ergebnisliste der Beklagten nachgewiesenen Seiten enthielten deshalb Inhalte, wonach der Kläger das F-Internetforum betreibe, für die dort veröffentlichten Inhalte (mit-)verantwortlich sei oder von den Inhalten des Forums zumindest Kenntnis gehabt habe und die Klägerin von der Rolle ihres Mannes in diesem Forum Kenntnis gehabt haben müsse. Dabei wurden in Bezug auf die Kläger Worte gebraucht wie etwa "Arschkriecher", "Schwerstkriminelle", "kriminelle Schufte", "Terroristen", "Bande", "Stalker", "krimineller Stalkerhaushalt", die für sich genommen Persönlichkeitsrechtverletzungen darstellen, wobei aber im Wege einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 193 StGB sich andere Bewertungen ergeben können.  

Das Landgericht Köln hatte der Unterlassungsklage teilweise stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Dies allein zeigt schon, wie unterschiedlich derartige Sachverhalte von Gerichten bewertet werden können. 

Der Senat hat der Revision der Kläger keine Folge gegeben und alle Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Google mit guten Gründen verneint.

Die von den Klägern beanstandeten Inhalte auf den Internetseiten, welche die Beklagte durch Verlinkung auffindbar macht, sind keine eigenen Inhalte der Beklagten. Google macht sich derartige Inhalte durch die Sichtbarmachung auch nicht "zu eigen" und hält Richtlinien für die Abwehr von Rechtsverletzungen vor. Die hier streitgegenständlichen Rechtsverletzungen von nicht von Mitarbeitern der Suchmaschinenbetreiberin in das Internet eingestellt. 

Wie der BGH treffend ausführt, durchsucht die Beklagte mit Hilfe von Programmen die im Internet vorhandenen Seiten und erstellt hieraus automatisiert einen Such-index, beruhend auf in bestimmten Zeitabständen geänderten Algorithmen. 

Eine Suchmaschinenbetreiberin kann grundsätzlich als sog. mittelbare Störerin haften, wenn sie zu der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts willentlich und mitursächlich beiträgt, da die betreffenden Beiträge im Internet durch die Suchmaschine auffindbar gemacht werden. Eine Haftung des Suchmaschinenbetreibers setzt aber die Verletzung von Prüfpflichten als Mitstörer voraus.

Vom einem Suchmaschinenbetreiber kann vernünftigerweise nicht erwartet werden, dass er sich vergewissert, ob die von den Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte rechtmäßig ins Internet eingestellt worden sind, bevor er diese auffindbar macht, sofern dies bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen aus den bereits genannten Gründen überhaupt vollumfänglich möglich ist. Die Annahme einer - praktisch kaum zu bewerkstelligenden - allgemeinen Kontrollpflicht würde die Existenz von Suchmaschinen als Geschäftsmodell, das von der Rechtsordnung gebilligt worden und gesellschaftlich erwünscht ist, ernstlich in Frage stellen. Im Ergebnis würde dies auf ein Vor-Zensur - Modell hinauslaufen, das mit einer freiheitlichen Demokratie unter Wahrung der Kommunikationsgrundrechte nicht vereinbart wäre, auch nicht bei mittelbarer Grundrechtsgeltung.  

Ohne die Hilfestellung einer solchen Suchmaschine wäre das Internet aufgrund der nicht mehr übersehbaren Flut von Daten für den Einzelnen nicht sinnvoll nutzbar. Bereits seit mehreren Jahren werden die Suchergebnisse ohnehin in erheblichem Maße aufgrund von vermeintlich oder tatsächlich vorliegenden Rechtsverletzungen in erheblichem Maße "gefiltert". 

Den Betreiber einer Suchmaschine treffen daher erst dann spezifische Verhaltenspflichten, wenn er durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt hat, etwa wenn der Urheber der Rechtsverletzungen als Person nicht identifizierbar ist (andernfalls verweist Google weitgehend auf die unmittelbare Inanspruchnahme des Rechtsverletzers durch den Geschädigten).

Diese Voraussetzungen hat der BGH im Streitfall überzeugend verneint. Die beanstandeten Bezeichnungen der Kläger waren zwar ausfallend scharf und beeinträchtigten ihre Ehre. Ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt stand aber nicht von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes. Insoweit ist der Rechtsgedanke des § 193 StGB ggf. analog heranzuziehen. 

Die betreffenden Äußerungen standen - wie aus der Pressemitteilung folgt - ersichtlich im Zusammenhang mit der Rolle, welche der Kläger beim F-Internetforum gespielt haben soll. Nach dem Inhalt der beanstandeten Suchergebnisse werden den Mitgliedern des F-Internetforums u.a. Stalking (Straftat i. S. des § 238 StGB) vorgeworfen. Die Beteiligung des Klägers an der Erstellung des F-Internetforums hatten die Kläger nicht zweifelsfrei klären können. Der Kläger räumte selbst ein, am "Aufsetzen" des F-Internetforums beteiligt gewesen zu sein; auch war eine von ihm eingerichtete E-Mail-Weiterleitung über das F-Internetforum an ihn noch Wochen nach dem Aufsetzen des Forums aktiv. Über die eigene, durch "eidesstattliche Versicherung" bekräftigte, jedoch ziemlich allgemein gehaltene und pauschale Behauptung hinaus, mit dem F-Internetforum nichts zu tun zu haben, hat der Kläger keinerlei belastbaren Indizien für die Haltlosigkeit der ihm - und zumindest mittelbar in Form der Mitwisserschaft seiner Frau, der Klägerin, - gemachten Vorwürfe aufgezeigt. Eine offensichtliche und auf den ersten Blick evidente Rechtsverletzung musste die Beklagte den beanstandeten Äußerungen deshalb nicht entnehmen, so dass Google daher zur Löschung nicht verpflichtet war.


Vorinstanzen:
Landgericht Köln vom 16. August 2015 – 28 O 14/14
Oberlandesgericht Köln vom 13. Oktober 2016 – 15 U 173/15
Karlsruhe, den 27. Februar 2018
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 
PM Nr. 39/2018

Dienstag, 27. Februar 2018

BVerwG: Dieselfahrverbote unter best. Vorausssetzungen möglich

Im Jahr 2013 hatte die Bezirksregierung Düsseldorf einen Luftreinhalteplan für Düsseldorf verabschiedet. Aufgrund der hohen Luftbelastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid hat die Bezirksregierung Düsseldorf einen Luftreinhalteplan aufgestellt. Er wurde im Januar 2013 rechtskräftig. Die Stadt Düsseldorf arbeitet seither an der Umsetzung der Maßnahmen. Jedoch ist die Stickoxid-Belastung nach wie vor gerade an verkehrlich hochbelasteten schluchtartig bebauten Straßen zu hoch. An einem neuen Luftreinhalteplan wird unter Federführung der Bezirksregierung aktuell gearbeitet. Ziel ist es, Maßnahmen zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung festzuschreiben und zu ergreifen. Ähnlich verhielt es sich in Stuttgart, wo ein solcher Plan erstmals 2006 verabschiedet und in den Jahren 2010 und 2014 erneuert wurde. Diese Pläne sollten fortgeschrieben und optimiert werden. 

Die Pläne wurden allerdings von mehreren Umweltverbänden für unzureichend gehalten, die Klagen  gegen die jeweiligen Bundesländer erhoben. 

Mit einem am 13. September 2016 verkündeten Urteil hatte die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf der Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben (Az: 3 K 7695/15). Die Bezirksregierung Düsseldorf wurde mit diesem Urteil verpflichtet den seit Anfang 2013 geltenden Luftreinhalteplan Düsseldorf so ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwertes für das gesundheitsschädliche Stickstoffdioxid in Düsseldorf enthält.

Zur Urteilsbegründung hat das VG Düsseldorf im Wesentlichen ausgeführt: Bereits seit 2010 gelte für Stickstoffdioxid der über ein Jahr gemittelte Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Dieser Wert werde in Düsseldorf insbesondere an dem Messpunkt Corneliusstraße seit Jahren überschritten (um das als Anwohner zu wissen, muss man kein Sachverständiger sein). Trotz zahlreicher Maßnahmen in den Luftreinhalteplänen 2008 und 2013 wie beispielsweise der "Grünen Umweltzone" habe er 2015 immer noch bei 59 Mikrogramm pro Kubikmeter gelegen. Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit fordere jedoch eine schnellstmögliche Einhaltung des Grenzwertes. Dem werde der aktuelle Luftreinhalteplan angesichts des großen Verursachungsanteils von Dieselfahrzeugen nicht mehr gerecht: Er müsse daher binnen eines Jahres fortgeschrieben werden. In diesem Rahmen müssten insbesondere auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ernstlich geprüft und abgewogen werden. Der Einführung der "Blauen Plakette" auf Bundesebene bedürfe es hierfür nicht zwingend. Vielmehr enthalte das geltende Immissionsschutz- und Straßenverkehrsrecht bereits heute schon entsprechende Grundlagen. Die Kammer hat gegen das Urteil sowohl die Berufung zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster als auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. 6

Die 13. Kammer des VG Stuttgart sah dies ähnlich wie das VG Düsseldorf und entschied aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017, dass der Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen das Land Baden-Württemberg stattgegeben wurde, nachdem ein anderer Fall verglichen worden war. Die Deutsche Umwelthilfe hat danach als Umweltschutzverband einen Anspruch auf Fortschreibung des Luftreinhalteplanes Stuttgart um Maßnahmen, die zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte für NO2 in der Umweltzone Stuttgart führen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Gericht die Berufung zum VGH Baden-Württemberg in Mannheim und die Sprungrevision zum BVerwG in Leipzig zugelassen. .

Gegen diese Urteile wandten sich die seinerzeitige rot - grüne Landesregierung in NRW und die seinerzeit ebenfalls bei Klageerhebung grün - rote Landesregierung als Beklagte mit der Sprungrevision, deren Nachfolgeregierungen die Sprungrevisionen übernommen hatten. Das BVerwG hatte in der mündlichen Verhandlung zwar eine Vorlage an den EuGH erwogen, hat dann aber doch in der Sache selbst entschieden. Tatsächlich finden sich hier kommunalrechtliche, landesrechtliche, bundesrechtliche und europarechtliche Vorschriften, die kaum miteinander abgestimmt sind, etwa was die Durchsetzung der europarechtlichen Grenzwerte auf Landes- und Kommunalebene angeht. 

Mit zwei Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen (BVerwG 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (BVerwG 7 C 30.17) gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart überwiegend zurückgewiesen und hatte sich zu einem schwierigen Urteil entschieden, das in der Sache umweltrechtlich zu begrüssen ist. 

Das BVerwG hat angeordnet, dass bei der Prüfung von Verkehrsverboten für Diesel-Kraftfahrzeuge gerichtliche Maßgaben insbesondere zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind, um den Interessen auch der KfZ - Führer Rechnung zu tragen. Die Ergebnisse der ersten Instanzen werden in der Pressemitteilung kurz zusammen gefasst (der Volltext ist noch nicht veröffentlicht). 

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtete das Land Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO2) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen. 

Das Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete das Land Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NO2 von 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen. 

Die verwaltungsgerichtlichen Urteile sind vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht zu beanstanden. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NOso kurz wie möglich zu halten. 

Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lässt das Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Insoweit weicht das BVerwG in seiner Bewertung von den Erstinstanzen deutlich ab. Das Urteil legt die "Disharmonie" der betreffenden Rechtslage schonungslos offen. 

Nach der bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung („Plakettenregelung“) ist der Erlass von Verkehrsverboten, die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen, bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben möglich (rote, gelbe und grüne Plakette). 

Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO2-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben muss, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist. 

Deshalb bleiben die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten. Über das Europarecht wird hier quasi eine bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen, die von Ländern und Kommunen umgesetzt werden muss, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. 

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart hat das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt. Bei Erlass dieser Maßnahme wird jedoch - wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen - sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. 

Insoweit ist hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es hinreichender Ausnahmen, z.B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen. 

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dieser Plan wurde damit für völlig unzureichend gehalten. Dies wird der Beklagte nachzuholen haben. 

Ergibt sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO2-Grenzwerte darstellen, sind diese - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in Betracht zu ziehen. 

Die StVO ermöglicht die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge. Der Vollzug solcher Verbote ist zwar gegenüber einer „Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung. 

Bundes- und Landesgesetzgeber sollten diese Entscheidung zum Anlass, klare und praktikable Regelungen zu schaffen. 

BVerwG 7 C 26.16 - Urteil vom 27. Februar 2018 
Vorinstanz: VG Düsseldorf, 3 K 7695/15 - Urteil vom 13. September 2016  
BVerwG 7 C 30.17 Urteil vom 27. Februar 2018 
Vorinstanz: VG Stuttgart, 13 K 5412/15 - Urteil vom 26. Juli 2017 -
Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/2018 vom 27.02.2018 

Freitag, 23. Februar 2018

BGH: Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei schadensverursachenden Handwerksarbeiten

Mit einer interessanten, immobilien-, nachbarrechtlichen und versicherungsrechtlichen Entscheidung vom 09.02.2018 hat der BGH entschieden, dass ein  Grundstückseigentümer verschuldensunabhängig nach den Grundsätzen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches verantwortlich ist, wenn ein von ihm beauftragter Handwerker einen auf das Nachbarhaus übergreifenden Brand verursacht (Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 311/16). 

Im Ausgangsfall hatte ein Grundstückseigentümer einen Handwerker mit Reparaturarbeiten am Flachdach eines Hauses beauftragt. Infolge der fehlerhaften Vornahme der Arbeiten geriet das Nachbarhaus in Brand und wurde durch diese Arbeiten beschädigt, während das Haus der Auftraggeber völlig zerstört wurde. In solchen Fällen tritt nach den seit Jahrzehnten üblichen Versicherungspolicen die Wohngebäudeversicherung mit der Feuerversicherung ein, da nahezu sämtliche Wohngebäude über Versicherungsschutz gegen Brandschäden verfügen (näher, M.van Bühren, in, H. van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 7. Auflage, S. 348 f m.w.N.). Nach Eintritt der Versicherung und Regulierung des Schadens, steht ihr gegen die Verantwortlichen ein Rückgriffsanspruch aus der Sachversicherung nach § 86 VVG zu und zwar hier gegen den Handwerker und den Grundstücknachbarn, der die Arbeiten in Auftrag gegeben hat.  

Die Beklagten sind die Rechtsnachfolger der ursprünglich beklagten Eheleute R., die im Laufe des Rechtsstreits verstorben sind. Die Eheleute R. waren Eigentümer eines Wohnhauses. Am 8. Dezember 2011 führte ein Dachdecker in ihrem Auftrag am Flachdach des Hauses Reparaturarbeiten durch. Im Verlauf der mit Hilfe eines Brenners durchgeführten Heißklebearbeiten verursachte er schuldhaft die Entstehung eines Glutnestes unter den aufgeschweißten Bahnen. Am Abend bemerkten die Eheleute Flammen in dem Bereich, in dem der Dachdecker gearbeitet hatte. Der alarmierten Feuerwehr gelang es nicht, das Haus zu retten. Es brannte vollständig nieder. Durch den Brand und die Löscharbeiten wurde das an das brennende Haus unmittelbar angebaute Haus der Nachbarin erheblich beschädigt. Das Haus der Nachbarin ist bei der Klägerin als Gläubigerin des Rückgriffsanspruches versichert. 

Die Versicherung hatte den Schaden reguliert und verlangte von den beklagten Grundstückeigentümern aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs. 1 VVG Ersatz,nachdem über das Vermögen des zur Zahlung von 97.801,29 € verurteilten Dachdeckers das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden war und eine etwaige betriebliche Haftpflichtversicherung des Dachdeckers wegen grober Fahrlässigkeit bei der Schadensverursachung nicht eingetreten ist, wenn es eine gab (es besteht keiner gesetzliche Versicherungspflicht für diesen Bereich). 

Interessanterweise hatte das Landgericht die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg und zwar deshalb, weil die Gerichte auf die - teilweise nicht konsistente - Rechtsprechung des BGH zu § 831 BGB hinsichtlich der Auswahl von unternehmerisch tätigen Verrichtungsgehilfen abgestellt hatte (st. Rechtspr. seit BGH, VersR 1953, 358, mit Ausnahmen, die hier aber dahinstehen können) und die Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches aufgrund Ablehnung einer Störerhaftung verneinten. 

Nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Naumburg waren die Beklagten nicht zum Ersatz verpflichtet, weil eine Haftung aus unerlaubter Handlung wegen der vorstehend genannten Grundsätze ausscheide, weil keine Anhaltspunkte bestünden, dass ihre Rechtsvorgänger den Dachdecker nicht sorgfältig ausgewählt hätten. Der vom BGH dann bejahte Anspruch  aus § 906 Abs.2 S.2 BGB analog wurde ebenfalls verneint, weil auch kein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch vorliegen würde. Voraussetzung dafür wäre, dass die damaligen Grundstückseigentümer Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB seien. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Eheleute R. hätten mit der sorgfältigen Auswahl des Dachdeckers alles Erforderliche getan, um das Risiko eines Brandschadens im Zuge der Dachdeckerarbeiten auszuschließen. 

Der BGH sah dies anders und hat mit dieser Entscheidung eine deutliche Änderung der einschlägigen Rechtsprechung herbeigeführt, da die Revision der Klägerin erfolgreich war und die Haftung dem Grunde nach mit diesem Urteil feststeht. 

Der BGH hat vorliegend das Bestehen eines verschuldensunabhängigen, nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches in analoger Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG bejaht. 

Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (s. etwa BGHZ 155, 103 und öfter). Diese Grundsätze hat der BGH auf den vorliegenden Fall übertragen.  

Hiervon ist auszugehen, wenn ein Brand auf ein fremdes Grundstück übergreift, da der Nachbar die Gefahr in aller Regel nicht erkennen und die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann.  

Weitere Voraussetzung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist, dass der Anspruchsgegner als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist. Hierfür ist erforderlich, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung im Wege einer Gesamtbetrachtung und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen für ein Geschehen aufzuerlegen. 

Der Senat hatte dies in früheren Entscheidungen beispielsweise bejaht, wenn ein Haus infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte oder Leitungen in Brand gerät oder Wasser infolge eines Rohrbruchs auf das Nachbargrundstück gelangt. Hierdurch verursachte Störungen stellen kein allgemeines Risiko dar, das sich wie etwa ein Blitzschlag - ebenso gut bei dem Haus des Nachbarn hätte verwirklichen können und dessen Auswirkungen von dem jeweils Betroffenen selbst zu tragen sind. Auch wenn konkret kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben mag, beruhen sie auf Umständen, auf die grundsätzlich der Grundstückseigentümer bzw. -besitzer, und nur dieser, Einfluss nehmen konnte, insbesondere weil er die Arbeiten in Auftrag gegeben hat. Infolgede. Diese Störereigenschaft hat der BGH im vorliegenden Falle bejaht und damit den Weg zur Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches eröffnet. 

Nach der interessanten Auffassung des BGH steht es der Annahme einer Verantwortlichkeit der Rechtsvorgänger der Beklagten entgegen den beiden Vorinstanzen nicht entgegen, dass der Brand auf die Handlung eines Dritten, nämlich auf die Arbeiten des von ihnen mit der Vornahme einer Dachreparatur beauftragten Handwerkers zurückzuführen ist, der selbst nach § 823 Abs.1 BGB gehaftet hat, auch wenn der Anspruch wirtschaftlich nicht realisiert werden konnte.  

Der BGH stellt hier auf die Rechtsfigur des mittelbaren Handlungsstörers ab. Darunter ist derjenige zu verstehen, der die Beeinträchtigung des Nachbarn durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Rechtsfigur auch für andere Bereiche weiter entwickelt ist. Sie sollte auf Ausnahmefälle wie diesen beschränkt werden. 

Für die Zurechnung des durch den Handwerker herbeigeführten gefahrträchtigen Zustands des Grundstücks kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten bei der Auswahl des Handwerkers Sorgfaltspflichten - etwa im Rahmen des § 831 BGB - verletzt haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob es Sachgründe gibt, die aufgetretene Störung ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen. Der BGH nimmt insoweit eine interessante Distinktion vor, die diesen Fall von vergleichbaren Fällen "abschichtet".  

Die Rechtsvorgänger der Beklagten waren nach diesem Urteil diejenigen, die die Vornahme von Dacharbeiten veranlasst haben und die aus den beauftragten Arbeiten Nutzen ziehen wollten. Dass sie den Handwerker sorgfältig ausgesucht und ihm die konkrete Ausführungsart nicht vorgeschrieben haben, ändert nichts daran, dass sie mit der Beauftragung von Dacharbeiten eine Gefahrenquelle geschaffen haben und damit der bei der Auftragsausführung verursachte Brand auf Umständen beruhte, die ihrem Einflussbereich zuzurechnen sind, was vorliegend auch sachgerecht ist und Restriktionen des Anwendung des § 831 BGB bei eingeschalteten selbständigen Unternehmen vermeidet. Der BGH hat aber nicht in der Sache selbst entschieden. 

Die Sache wurde an das Oberlandesgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dieses hat zu klären, ob der geltend gemachte Anspruch der Höhe nach berechtigt ist. 

In der Folge sollte sich ein Auftraggeber solcher Arbeiten versichern, ob der beauftragte Handwerker hinreichend haftpflichtversichert ist und sich die Police ggf. vorlegen lassen. Das billigste Angebot, muss nicht das Beste sein. 

Vorinstanzen: LG Magdeburg - Urteil vom 3. Juli 2015 – 10 O 1082/13 
OLG Naumburg - Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 U 52/15 

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs Mitteilung der Pressestelle, PM Nr. 028/2018

Dienstag, 20. Februar 2018

BGH: die nächste JAMEDA - Entscheidung (Ärzte - Bewertungsportal III)

Der BGH hatte mit einem Urteil vom 20.02.2018 (AZ: VI ZR 30/17) erneut Gelegenheit sich zum Thema der Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten im Rahmen eines Arztsuche- und Arztbewertungsportals im Internet zu äußern (www.jameda.de). Grundsätzlich muss es nach der bisherigen Rechtsprechung jeder ärztliche Berufsträger in freier Praxis dulden, bei Jameda gelistet und damit letztlich vergleichen und bewertet zu werden. Dagegen wandte sich die klagende Ärztin in diesem Rechtsstreit. 

Als eigene Informationen der Beklagten werden auf dieser Plattform die sogenannten "Basisdaten" eines Arztes angeboten. Zu ihnen gehören - soweit der Beklagten bekannt - akademischer Grad, Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, weitere Kontaktdaten sowie Sprechzeiten und ähnliche praxisbezogene Informationen, die nicht immer zutreffend wieder gegeben sind. Daneben sind Bewertungen abrufbar, die Nutzer in Form eines Notenschemas, aber auch von Freitextkommentaren, abgegeben haben. Diese Bewertungen werden angeblich mit Hilfe einer Software auf ihre Plausibilität geprüft. 

Zusätzlich zu diesem Basiseintrag bietet die Beklagte den Ärzten den kostenpflichtigen Abschluss von Verträgen an, bei denen ihr Profil - anders als das Basisprofil der nichtzahlenden Ärzte - mit einem Foto und zusätzlichen Informationen versehen wird. Daneben werden beim Aufruf des Profils eines nichtzahlenden Arztes als "Anzeige" gekennzeichnet die Profilbilder unmittelbarer Konkurrenten gleicher Fachrichtung im örtlichen Umfeld mit Entfernungsangaben und Noten eingeblendet, so dass ein direkter Vergleich möglich ist. Demgegenüber blendet die Beklagte bei Ärzten, die sich bei ihr kostenpflichtig registriert und ein "Premium-Paket" gebucht haben, keine Konkurrenten auf deren Profil ein. M.a.W.: Zahlende Ärzte werden bevorzugt.  

Die Klägerin ist niedergelassene Dermatologin und Allergologin. Im Portal der Beklagten wird sie als Nichtzahlerin gegen ihren Willen ohne Bild mit ihrem akademischen Grad, ihrem Namen, ihrer Fachrichtung und ihrer Praxisanschrift geführt. Bei Abruf ihres Profils auf dem Portal der Beklagten erscheinen unter der Rubrik "Hautärzte (Dermatologen) (mit Bild) in der Umgebung" weitere (zahlende) Ärzte mit demselben Fachbereich und mit einer Praxis in der Umgebung der Praxis der Klägerin. Dargestellt wird neben der Note des jeweiligen anderen Arztes die jeweilige Distanz zwischen dessen Praxis und der Praxis der Klägerin. Die Klägerin erhielt in der Vergangenheit mehrfach Bewertungen. Sie beanstandete durch ihre früheren Prozessbevollmächtigten im Jahr 2015 insgesamt 17 abrufbare Bewertungen auf dem Portal der Beklagten. Nach deren Löschung stieg die Gesamtnote der Klägerin von 4,7 auf 1,5. Dies entspricht gängiger Praxis und in der Tat werden viele Bewertungen auf Hinweis auch wieder gelöscht. Unzufriedene Patienten hat jeder Arzt.  

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die vollständige Löschung ihres Eintrags in www.jameda.de, die Löschung ihrer auf der Internetseite www.jameda.de veröffentlichten Daten, auf Unterlassung der Veröffentlichung eines sie betreffenden Profils auf der genannten Internetseite sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und zwar mit einer interessanten Begründung, die sich im Wesentlichen auf die Ungleichbehandlung stützt. 

Das Landgericht hat die  Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. 

Die Entscheidung des Senats ist sehr interessant: 

Die Revision hatte Erfolg. Der Senat hat der Klage - eher überraschend - stattgegeben. 

Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDSG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Dies war vorliegend der Fall. 

Der Senat hat mit Urteil vom 23. September 2014 – VI ZR 358/13 (BGHZ 202, 242) für das von der Beklagten betriebene Bewertungsportal bereits im Grundsatz entschieden, dass eine Speicherung der personenbezogenen Daten mit eine Bewertung der Ärzte durch Patienten  zulässig ist.  

Der vorliegende Fall unterscheidet sich vom damaligen in einem entscheidenden Punkt, der den BGH zur Korrektur seiner bisherigen Rechtsprechung veranlasst hat. 

Mit der vorbeschriebenen, mit dem Bewertungsportal verbundenen Praxis verlässt die Beklagte ihre Stellung als "neutraler" Informationsmittler, sondern macht sich zum Interessenwahrer der zahlenden Kunden. Während sie bei den nichtzahlenden Ärzten dem ein Arztprofil aufsuchenden Internetnutzer die "Basisdaten" nebst Bewertung des betreffenden Arztes anzeigt und ihm mittels des eingeblendeten Querbalkens "Anzeige" Informationen zu örtlich konkurrierenden Ärzten bietet, lässt sie auf dem Profil ihres "Premium"-Kunden – ohne dies dort dem Internetnutzer hinreichend offenzulegen – solche über die örtliche Konkurrenz unterrichtenden werbenden Hinweise nicht zu. Man muss länger suchen, um diese Informationen zu finden.  

Nimmt sich die Beklagte aber in dieser Weise zugunsten ihres Werbeangebots in ihrer Rolle als "neutraler" Informationsmittler zurück, dann kann sie ihre auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 10 EMRK) gestützte Rechtsposition gegenüber dem Recht der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten (Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) auch nur mit geringerem Gewicht geltend machen. Das führt hier zu einem Überwiegen der Grundrechtsposition der Klägerin, so dass ihr ein "schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Speicherung" ihrer Daten (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG) zuzubilligen ist. Der BGH hat damit den Unterlassungsanspruch bejaht. 

Vollstreckungsrechtliche Folgen sind nicht auszuschließen. Wie der "Süddeutschen Zeitung" zu entnehmen ist, will Jameda den Unterlassungsanspruch nicht vollständig erfüllen, sondern nur die Darstellungspraxis ändern: 

"Trotz des Urteils wird Jameda nach eigenen Angaben kein Arzt-Profil löschen: Anzeigen auf Arztprofilen, die Grund für das Urteil gewesen waren, seien nach Vorgaben der Bundesrichter mit sofortiger Wirkung entfernt worden. Damit entfalle auch der Löschgrund, sagte eine Sprecherin des Unternehmens".

Mutmaßlich wird es weitere BGH - Entscheidungen zu diesem Thema geben. 

Vorinstanzen: 
Landgericht Köln vom 13. Juli 2016 - 28 O 7/16 - 
Oberlandesgerichts Köln vom 5. Januar 2017 – 15 U 198/15 - AfP 2017, 164 
Karlsruhe, den 20. Februar 2018 
Quelle: Pressestelle des BundesgerichtshofsNr. 034/2018 vom 20.02.2018



Freitag, 19. Januar 2018

ÖKO - Test - wieder einmal

Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 014/2018 vom 18.01.2018 folgt, dass die aktuellen Verfahren betreffend die Werbung mit einem ÖKO-TEST-Siegel durch die Beschlüsse vom 18. Januar 2018 – I ZR 173/16 und I ZR 174/16 von Amts wegen ausgesetzt wurden, weil die Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens beim EuGH besteht. 

Die beiden Verfahren betreffen die Frage, ob die Verwendung des ÖKO-TEST-Labels in der Werbung ohne Zustimmung der Markeninhaberin mangels Lizenzvertrag eine Markenverletzung darstellt. Bekanntlicherweise ist die Markeninhaberin der EUIPO - Marke "Öko - Test" recht streitbar (es ist die Rede von mindestens 1000 Abmahnungen in den letzten Jahren). Immer wieder werden Unternehmen wegen der Verwendung dieses Siegels oder eines ähnlichen Siegel abgemahnt. 

Das erste Verfahren richtet sich gegen den Online - und Versandhändler Otto. Im zweiten Fall ist der Baur - Versand Beklagter, der zum Otto - Konzern gehört. Beide Unternehmen setzten das Siegel ohne Lizenzvertrag ein und verwendeten eine andere Frage und Größe und wenden reines Informkationsverhalten zugunsten der Verbraucher ein ohne die Marke markenmäßig benutzt haben zu wollen. 

Infolgedessen klagte die Markeninhaberin auf Unterlassung und die Erstattung der Kosten der außergerichtlichen Interessenvertretung wegen der Unterlassungsaufforderungen. Das Landgericht Berlin hatte der ersten Klage stattgegeben und die zweite Klage abgewiesen. Das Kammergericht hatte die Unterlassungsansprüche in beiden Fällen in der Berufung bestätigt und ging von einer Markenausnutzung aus. 

Das Kammergericht hat angenommen, bei der Unionsmarke der Klägerin handele es sich um eine bekannte Marke. Die Beklagten hätten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 Buchst. c GMV und Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchst. c UMV die Wertschätzung dieser Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausgenutzt, indem sie ein ähnliches Zeichen in der Werbung benutzt hätten. Dadurch hätten sie signalisiert, die Klägerin habe diese Werbung mit ihrem Logo für die konkret angebotenen Produkte kontrolliert und für gerechtfertigt gehalten. Der Klägerin müsse aus Gründen des Markenrechts die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob im konkreten Fall die beworbenen Produkte als von ihr getestet dargestellt werden dürfen. Dagegen richten sich die Revisionen der Beklagten. 

Die Klägerin gibt seit dem Jahr 1985 das Magazin "ÖKO-TEST" heraus, in dem Waren- und Dienstleistungstests veröffentlicht werden. Sie ist Inhaberin einer im Jahr 2012 registrierten Unionsmarke, die das ÖKO-TEST-Label wiedergibt und für die Dienstleistungen "Verbraucherberatung und Verbraucherinformation bei der Auswahl von Waren und Dienstleistungen" eingetragen ist. Die Klägerin gestattet den Herstellern und Vertreibern der von ihr getesteten Produkte die Werbung mit dem ÖKO-TEST-Label, wenn diese mit ihr einen entgeltlichen Lizenzvertrag schließen, in dem die Bedingungen für die Nutzung des Labels geregelt sind. 

Die Beklagte in dem Verfahren I ZR 173/16 bot in ihrem Internetportal eine blaue Baby-Trinkflasche und einen grünen Baby-Beißring an, die von der Klägerin in einer anderen Farbgestaltung getestet worden waren. Neben den Produktpräsentationen fand sich jeweils eine Abbildung des ÖKO-TEST-Labels, das mit der Bezeichnung des getesteten Produkts, dem Testergebnis "sehr gut" und der Fundstelle des Tests versehen war. Die Beklagte in dem Verfahren I ZR 174/16 bot in ihrem Internetportal einen Lattenrost in verschiedenen Größen und Ausführungsformen sowie einen in Schwarz, Weiß und Rot gehaltenen Fahrradhelm an. Neben den Angeboten war das mit der Bezeichnung des getesteten Produkts, dem Testergebnis "gut" bzw. "sehr gut" und der Fundstelle des Tests versehene ÖKO-TEST-Label abgebildet. Die Klägerin hatte den Lattenrost in einer bestimmten Größe mit verstellbarem Kopf- und Fußteil getestet. Den Fahrradhelm hatte sie in einer anderen Farbgestaltung als den von der Beklagten angebotenen Helm getestet. Die Klägerin sieht in der Anbringung des ÖKO-TEST-Labels eine Verletzung ihrer Rechte an der Unionsmarke. 

Mit ihren vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgen die Beklagten ihre Klageabweisungsanträge weiter. 

In Streit steht hier im Wesentlichen eine missbräuchliche Markenausnutzung. Dagegen wenden die Beklagten ein, dass man mit dem Hinweis auf das Testergebnis lediglich den Verbraucher habe informieren wollen, so dass eine Unredlichkeit verneint wurde.

Der Bundesgerichtshof hat die Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH im Verfahren C-690/17 ausgesetzt. 

In jenem Verfahren hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 30. November 2017 (Az. 20 U 152/16) Rechtsfragen zur rechtsverletzenden Benutzung einer bekannten Marke vorgelegt, die auch für die Entscheidung des Streitfalls erheblich sind. Der Bundesgerichtshof hat das bei ihm anhängige Verfahren deshalb wegen Vorgreiflichkeit des beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzt. 

In diesem Verfahren beim EuGH geht es maßgeblich um die Auslegung und die Reichweite des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 Buchst. c GMV.  Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat dem EuGH mit Beschluss vom 30.11.2017 (AZ: 20 U 152/16) Fragen zur rechtsverletzenden Benutzung einer bekannten Marke in einem vergleichbaren Fall vorgelegt. Dabei geht es um eine aus Sicht von "Öko-Test" missbräuchliche Nutzung des Labels für Zahnpasta, weil die Rezeptur im Vergleich zur getesteten Paste verändert wurde. 


Vorinstanzen: 
I ZR 173/16 LG Berlin - Urteil vom 8. September 2015 - 102 O 13/15 KG Berlin - Urteil vom 21. Juni 2016 - 5 U 136/15 
und I ZR 174/16 LG Berlin - Urteil vom 28. Juli 2015 - 103 O 5/15 KG Berlin - Urteil vom 21. Juni 2016 - 5 U 108/16 Karlsruhe, den 18. Januar 2017

Quelle: Pressemitteilung des BGH

BGH zur Unzumutbarkeit der Änderung einer Reiseleistung

Wie aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 010/2018 vom 17.01.2018 folgt, hat der Bundesgerichtshof dazu Stellung genommen, wann die Änderung des Inhaltes einer Pauschalreise nicht mehr zumutbar ist und zur Erstattung des Reisepreises nach Änderung der Reiseleistung durch den Reiseveranstalter führt. 

Das Urteil vom 16. Januar 2018 – X ZR 44/17 hat folgenden Sachverhalt: 

Die Kläger verlangen von dem beklagten Reiseveranstalter Erstattung des Reisepreises nach erklärtem Rücktritt. Die Kläger buchten bei der Beklagten für den Zeitraum vom 30. August bis 13. September 2015 eine China-Rundreise. 

Nach dem Reiseverlauf waren für die dreitägige Dauer des Aufenthalts in Peking verschiedene Besichtigungen vorgesehen. Eine Woche vor der geplanten Abreise teilte die Beklagte den Klägern per Email mit, dass aufgrund einer Militärparade im September 2015 die Verbotene Stadt und der Platz des Himmlischen Friedens in Peking nicht besichtigt werden könnten. Stattdessen wurde ein Besuch des Yonghe-Tempels angeboten. 

Die Kläger erklärten daraufhin den Rücktritt vom Reisevertrag und forderten die Rückzahlung des Reisepreises in Höhe von 3.298 €, den Ersatz nutzloser Aufwendungen für Impfungen und Visa  sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. 

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Verurteilung zur Erstattung des Reisepreises bestätigt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. 

Der BGH hat die Entscheidung des Landgerichtes Düsseldorf im Wesentlichen bestätigt. Die Revision der Beklagten ist nach dem Urteil des für das Reiserecht zuständigen X. Zivilsenats unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht ein Rücktrittsrecht der Kläger bejaht. 

Ein Reisender kann nach § 651a Abs. 5 Satz 2 BGB bei einer Erhöhung des Reisepreises um mehr als 5 % oder bei einer – im Streitfall zu bejahenden – erheblichen Änderung einer wesentlichen Reiseleistung vom Reisevertrag zurücktreten. 

§ 651 a Abs.5 BGB lässt eine Änderung des Reiseinhaltes nur in engen Grenzen zu. Zunächst ist erforderlichl, dass die AGB einen entsprechenden Vorbehalt enthalten, was standardmäßig der Fall ist. Diese Klauseln sind aber an § 308 Nr.4 BGB im Rahmen der Inhaltskontrolle zu messen. Zulässig sind nur zumutbare Reiseänderungen (s. nur LG Koblenz, RRA 2003, 260). Die Änderung muss nach § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis erfolgen. Der Reisende muss seine Rechte aber ebenfalls unverzüglich ab Änderung dieser Erklärung geltend machen, § 651 a Abs.5 S.4 BGB. 

Infolgedessen ist abgesehen von geringfügigen und vom Reisenden hinzunehmenden Abweichungen  eine nachträgliche Leistungsänderung daher nur dann zulässig, wenn der Reiseveranstalter sich diese im Reisevertrag rechtswirksam vorbehalten hat, was vorliegend der Fall war. 

Der BGH hat diese Klausel aber an § 308 Nr. 4 BGB scheitern lassen und für unwirksam erklärt, so dass dieses Urteil für die AGB -Klauselpraxis bedeutsam ist. Die Änderungsklausel in den allgemeinen Reisebedingungen des beklagten Reiseveranstalters hat der BGH für unwirksam erklärt. 

Zumutbar sind nur Änderungen aufgrund von Umständen, die nach Vertragsschluss eintreten und für den Reiseveranstalter bei Vertragsschluss auch nicht vorhersehbar sind. Außerdem dürfen sie den Charakter der Reise nicht verändern. Beide Schranken kommen in der Klausel nicht zum Ausdruck, die den Ersatz nicht mehr möglicher Reiseleistungen durch vergleichbare andere zulassen (wahrscheinlich in Anlehnung an AG Ffm RRA 2001, 310). 

Der BGH sah jedenfalls unter Berücksichtigung der fehlenden vertraglichen Grundlage für Leistungsänderungen im Streitfall eine erhebliche Änderung einer wesentlichen Reiseleistung für die es an einer rechtlichen Grundlage fehlt. Mangels vertraglicher Grundlage stellt sie sich zugleich als Mangel der Reise dar. Die Änderung einer wesentlichen Reiseleistung ist schon dann als erheblich anzusehen, wenn sie das Interesse des Reisenden daran, dass die Reise wie vereinbart erbracht wird, mehr als geringfügig beeinträchtigt. Damit wird das Kriterium der Zumutbarkeit in § 651 a Abs.5 BGB deutlich präzisiert. 

Der Besuch der Verbotenen Stadt und des Platzes des Himmlischen Friedens als einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Pekings und Chinas stellte bereits für sich genommen eine wesentliche Reiseleistung dar. Mutmaßlich war dieser Besuch sogar ein entscheidender Grund für die Buchung des Reise. Durch den Wegfall dieser Programmpunkte und ihren Ersatz durch den Besuch eines wenn auch bekannten Tempels wurde die Grenze der Zumutbarkeit mehr als nur geringfügig beeinträchtigt. Das Urteil klärt einen wichtigen Aspekt der Anwendung des § 651 a Abs.5 S.2 BGB. 


Vorinstanzen: AG Düsseldorf – Urteil vom 17. August 2016 – 22 C 89/16 
LG Düsseldorf – Urteil vom 21. April 2017 – 22 S 254/16 

Quelle: Pressemitteilung des BGH