Mittwoch, 7. März 2018

EuGH zu Schiedsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen

Das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 6. März 2018 Urteil (Rechtssache C-284/16Slowakische Republik / Achmea BV) zieht vor dem Hintergrund zahlreicher vergleichbarer Investitionsschutzabkommen weite Kreise. 

In diesen Verträgen wird die Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit aufgrund qualifizierter Schiedsklauseln ausgeschlossen. Die Wirksamkeit solcher Klausel ist sehr umstritten. Die Entscheidungen ergehen meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit und werden auch oftmals nicht veröffentlicht. Die Praxis ist zumindest überwiegend eher intransparent.

Der EuGH hat auf Vorlage des deutschen Bundesgerichtshofes in einem Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass die im Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei enthaltene Schiedsklausel nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, weil diese Klausel dem Mechanismus der gerichtlichen Überprüfung des Unionsrechts Rechtsstreitigkeiten entzieht, die sich auf die Anwendung oder Auslegung dieses Rechts beziehen können. Der BGH wird über diese Sache nunmehr abschließend entscheiden. 

Der Sachverhalt ist entsprechend komplex und betrifft die auf Europarecht beruhende Liberalisierung der Versicherungsbranche. Im Jahr 1991 schlossen die ehemalige Tschechoslowakei und die Niederlande ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen (BIT2 ). Dieses Abkommen bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder, falls dies nicht möglich ist, vor einem Schiedsgericht mit ausschließlicher Zuständigkeit beizulegen sind. 

Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein. Im Jahr 2004 öffnete die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Investoren. Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, gründete daraufhin eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen anzubieten. Im Jahr 2006 machte die Slowakei jedoch die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Im Jahr 2008 leitete Achmea auf der Grundlage des BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakei ein, mit der Begründung, dass das genannte Verbot gegen das Abkommen verstoße und ihr dadurch ein Vermögensschaden entstanden sei. Im Jahr 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei gegen das BIT verstoßen habe, und verurteilte sie, Schadensersatz in Höhe von etwa 22,1 Mio. Euro an Achmea zu zahlen. Im Anschluss daran erhob die Slowakei bei den deutschen Gerichten Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs.

Die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ergibt sich aus dem Beschluss des BGH: 

"Ein Schiedsspruch kann gemäß § 1059 Abs. 2 ZPO nur aufgehoben werden, wenn einer der in dieser Vorschrift bezeichneten Aufhebungsgründe vorliegt. Als Aufhebungsgrund kommt im Streitfall in Betracht, dass die Schiedsvereinbarung wegen Verstoßes gegen Unionsrecht ungültig ist.
Die Bestimmung des § 1059 ZPO ist im Streitfall anwendbar, weil es sich bei der Entscheidung des Schiedsgerichts vom 7. Dezember 2012 um einen inländischen Schiedsspruch handelt. Nach § 1025 Abs. 1 ZPO sind die Vorschriften der §§ 1025 bis 1066 ZPO anzuwenden, wenn der Ort des Schiedsverfahrens im Sinne des § 1043 Abs. 1 ZPO in Deutschland liegt. Die Parteien haben gemäß § 1043 Abs. 1 Satz 1 ZPO Frankfurt am Main als Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens festgelegt".

Nach der Auffassung der Slowakei verstößt die Schiedsklausel im BIT gegen mehrere Bestimmungen des AEU-Vertrages. Das interessante an diesem Fall ist, dass hier ein Staat, die Aufhebung eines Schiedsspruches beantragt, weil die Entscheidung des Schiedsgerichts letztlich für "tendenziös" gehalten wurde. 

Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof (Deutschland) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit dem AEU-Vertrag vereinbar ist. Der EuGH holt in solchen Fällen die Rechtsmeinungen der EU - Mitgliedsstaaten ein, die auf eine deutliche Kontroverse deuten. 

Die Tschechische Republik, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Polen, Rumänien und die Europäische Kommission haben Erklärungen zur Unterstützung des Vorbringens der Slowakei eingereicht, während Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich und Finnland die streitige Klausel und – allgemeiner – ähnliche Klauseln in den 196 gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten der EU bestehenden BIT für gültig halten.  

In seinem Urteil zu Art. 18, 267 und 344 AEUV stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach dem BIT das gemäß diesem Abkommen gebildete Schiedsgericht insbesondere auf der Grundlage des geltenden Rechts der von dem fraglichen Rechtsstreit betroffenen Vertragspartei und aller erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu entscheiden hat. 

Angesichts der Merkmale des Unionsrechts – wie seiner Autonomie gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht, seinem Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten sowie der unmittelbaren Wirkung einer ganzen Reihe seiner Bestimmungen für die Unionsbürger und die Mitgliedstaaten – ist es zum einen Teil des in allen Mitgliedstaaten geltenden Rechts und zum anderen aus einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten hervorgegangen. Daher kann das fragliche Schiedsgericht unter diesen beiden Aspekten das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr auszulegen oder sogar anzuwenden haben. 

Der Gerichtshof weist sodann darauf hin, dass die Gerichtsbarkeit des fraglichen Schiedsgerichts im Verhältnis zu der der slowakischen und der niederländischen Gerichte Ausnahmecharakter hat, so dass es nicht Teil des Gerichtssystems der Slowakei oder der Niederlande ist. Dieses Verdikt könnte für die Schiedsklauselpraxis in Europa noch weitreichende Folgen hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahl des Gerichtsstandes haben. 

Das hier gewählte Schiedsgericht konnte vor diesem Hintergrund nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden, so dass es auch nicht befugt ist, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen. 

Zur Frage, ob der Schiedsspruch der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, das dem Gerichtshof unionsrechtliche Fragen in Verbindung mit einem vom Schiedsgericht behandelten Rechtsstreit vorlegen könnte, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem BIT die Entscheidung des Schiedsgerichts endgültig ist und kein weiterer Rechtsweg eröffnet wird. Schiedsgerichte legen überdies ihre eigenen Verfahrensregeln fest. Mit der Wahl eines Schiedsgerichtes wird gleichzeitig die zugrunde liegende Schiedsordnung gewählt und folglich damit das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des von ihm erlassenen Schiedsspruchs jeweils gilt. 

Der letztgenannte wird seitens des Gerichtshofes dahingehend vertieft, dass eine solche gerichtliche Überprüfung von dem betreffenden nationalen Gericht nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie gestattet. Diese Bedingung, ist im vorliegenden Fall nicht vollständig erfüllt, da das deutsche Recht nur eine beschränkte Überprüfung in diesem Bereich vorsieht. 

Zwar stellt der EuGH fest, dass die Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen im Rahmen eines Handelsschiedsverfahrens legitimer Weise beschränkten Charakter aufweisen könnte, doch lassen sich diese Überlegungen nicht auf ein Schiedsverfahren wie das hier vorliegende übertragen. 

Der EuGH unterscheidet insoweit zwischen Schiedsverfahren, die auf der Parteiautonomie beruhen und Gerichtszuständigkeiten, die auf einem Vertrag beruhen, in dem die Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System gerichtlicher Rechtsbehelfe, dessen Schaffung ihnen der EU-Vertrag in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt, Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, in denen dieses Recht anzuwenden oder auszulegen sein kann. 

Vor diesem Hintergrund kommt der EuGH zu dem interessanten Ergebnis, dass die Slowakei und die Niederlande mit dem Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet, wobei nur ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit ("effet utile") des Unionsrechts zu gewährleisten. 

Unter diesen Umständen beeinträchtigt die im BIT enthaltene Schiedsklausel die Autonomie des Unionsrechts und ist daher nicht mit ihm vereinbar. 

Es liegt auf der Hand, dass dieses Urteil die Vertrags- und Schiedsklauselnpraxis für die Zukunft in Europa deutlich beinflussen kann. Der BGH wird hierzu sicherlich ein interessantes Urteil fällen. 

Quelle: PRESSEMITTEILUNG Nr. 26/18 Luxemburg, den 6. März 2018 

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