Sonntag, 8. November 2015

Werbung für den Erwerb von Werken ohne urheberrechtliche Zustimmung

Mit den drei Urteilen vom 5. November 2015 zu den Aktenzeichen I ZR 91/11, I ZR 76/11, I ZR 88/13 hat I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof erneut entschieden, dass das urheberrechtliche Verbreitungsrecht das Recht umfasst, das Original oder Vervielfältigungsstücke eines Werkes der Öffentlichkeit zum Erwerb anzubieten. 

Der Senat setzt damit seine langjährige Rechtsprechung zu einem weiten Verständnis des "Anbietens" im Rahmen des Verbreitungsrechts nach § 17 UrhG fort. Bereits nach der bisherigen Rechtsprechung beginnt die Verbreitung mit den Vorbereitungshandlungen, mit welchen das Werkoriginal in Prospekten, Rundschreibe und Werbeanzeigen oder sonstigen Werbemittel angeboten wird (BGH, GRUR 1981, 360, 362 - Erscheinen von Tonträgern; BGH, GRUR 1991, 316 - Einzelangebot; KG, GRUR 1983, 174 - Videoraubkassetten), wobei das bloße Angebot hinreichend ist (Übersicht bei Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., 2015, § 17 Rn. 11).. 

Das Anbieten ist eine eigenständige Verbreitungshandlung, die im Inland auch dann realisiert wird, wenn dort das Angebot nur beworben wird, um den Gegenstand im Ausland erwerben zu können. Der BGH hatte bereits in der Entscheidung BGH, GRUR 2007, 871 - Wagenfeld - Leuchte I entschieden, das die Werbung für eine nach § 2 Abs.1 Nr.4 UrhG in Deutschland geschützte Wagenfeld - Lampe rechtswidrig ist, wenn diese Lampe als Nachbau ohne Autorisierung der Rechteinhaber in Italien nach dortigem Recht zulässigerweise hergestellt wird. Danach ist jedes Angebot im Inland nach dem dortigen Recht zu beurteilen (OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2006, 43,45). 

Sofern ein solcher Vertrieb im Ausland rechtmäßig erfolgen kann, müsste daher die Werbung entsprechend auf dieses Territorium beschränkt werden, was in Zeiten des weltweiten Werbeabrufes durch Internetmedien nicht ganz einfach ist. Infolgedessen waren solche Werbeaktion bereits zuvor kritisch zu beurteilen. Die beiden ersten der entschiedenen Fälle betrafen eine solche Konstellation. Das Verlangen nach Unterlassung in derartigen Fällen hat selbstverständlich eine faktische Vertriebsbeschränkung, wenn nicht gar ein faktisches Vertriebsverbot wirtschaftlich zum Ziel. 

Die Klägerin im Verfahren I ZR 91/11 ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Möbeln nach Entwürfen von Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe. Die Beklagte ist eine in Italien ansässige Gesellschaft, die europaweit Designmöbel im Direktvertrieb vermarktet. Sie wirbt auf ihrer in deutscher Sprache abrufbaren Internetseite und in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen, Zeitschriften und Werbeprospekten für den Kauf ihrer Möbel mit dem Hinweis: Sie erwerben Ihre Möbel bereits in Italien, bezahlen aber erst bei Abholung oder Anlieferung durch eine inkassoberechtigte Spedition (wird auf Wunsch von uns vermittelt). Zu den Möbeln gehören auch Nachbildungen der von Marcel Breuer entworfenen Möbel. 

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verletze mit ihrer Werbung das Recht des Urhebers nach § 17 Abs. 1 Fall 1 UrhG, Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. 

Die Klägerin im Verfahren I ZR 76/11 ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Leuchten nach Entwürfen von Prof. Wilhelm Wagenfeld. Sie produziert und vertreibt die sogenannte Wagenfeld-Leuchte. Bei der Beklagten handelt es sich um das auch im Verfahren I ZR 91/11 beklagte Unternehmen. Sie bringt Nachbildungen der Wagenfeld-Leuchte auf den Markt. Sie wirbt deutschsprachig im Internet und in Printmedien unter wörtlicher oder bildlicher Bezugnahme auf die Wagenfeld-Leuchte mit der Möglichkeit des Bezugs einer derartigen Leuchte in Italien. Die Werbung enthält den Hinweis, dass deutsche Kunden die Leuchte unmittelbar oder zu Händen eines Spediteurs zur Mitnahme nach Deutschland übereignet erhalten können. 

Die Klägerin ist der Ansicht, die Werbung der Beklagten greife in das Recht des Urhebers zum öffentlichen Anbieten im Sinne von § 17 Abs. 1 Fall 1 UrhG ein. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. 

Etwas anders gelagert ist der dritte Fall, der das Musikvertriebsrecht für "Bootlegs" - insbesondere nach § 96 UrhG - betrifft und zeigt, wie ein ausübender Künstler in diesem Bereich selbst aktiv werden kann. Die Beklagte im Verfahren I ZR 88/13 betreibt im Internet einen Tonträgerhandel. Am 30. November 2011 war auf der Internetverkaufsseite der Beklagten die DVD "Al Di Meola - In Tokio (Live)" eingestellt. Die auf der DVD befindliche Aufnahme war von dem ausführenden Künstler Al Di Meola - einem weltweit bekannten Jazzvirtuosen -  nicht autorisiert worden (sog. Schwarzpressung). Die Klägerin, eine Rechtsanwaltskanzlei, mahnte die Beklagte im Auftrag des Künstlers aus abgetretenem Recht wegen Verletzung der Rechte aus §§ 73 ff UrhG ab. Sie ist der Ansicht, das Anbieten der DVD verletze das Verbreitungsrecht des ausübenden Künstlers aus § 77 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 UrhG. Die Beklagte entfernte zwar das Angebot von ihrer Internetseite und gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab; sie weigerte sich jedoch, die Kosten der Abmahnung zu erstatten. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung der Abmahnkosten in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. 

Der Bundesgerichtshof hat - wenig erstaunlich - die Revision in allen drei Verfahren zurückgewiesen. Da es sich bei dem Verbreitungsrecht des Urhebers um nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG harmonisiertes Recht handelt, ist die Bestimmungen der § 17 Abs. 1 UrhG richtlinienkonform auszulegen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Rechtssache EuGH, Urteil vom 13. Mai 2015 - C-516/13 - Dimensione und Labianca/Knoll auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG sei dahin auszulegen, dass der Inhaber des ausschließlichen Verbreitungsrechts an einem geschützten Werk Angebote zum Erwerb oder gezielte Werbung in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke des Werkes auch dann verbieten könne, wenn nicht erwiesen sein sollte, dass es aufgrund dieser Werbung zu einem Erwerb des Schutzgegenstands durch einen Käufer aus der Union gekommen sei, sofern die Werbung die Verbraucher des Mitgliedstaats, in dem das Werk urheberrechtlich geschützt sei, zu dessen Erwerb anrege. Entsprechendes gilt für den Inhaber des ausschließlichen Rechts des ausübenden Künstlers nach § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 2006/115/EG), den Bild- oder Tonträger, auf den die Darbietung des ausübenden Künstlers aufgenommen worden ist, zu verbreiten. 

Danach verletzt die beanstandete Werbung in den Verfahren I ZR 91/11 und I ZR 76/11 das ausschließliche Recht zur Verbreitung von Vervielfältigungsstücken der in Deutschland als Werke der angewandten Kunst geschützten Modelle der Möbel von Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe und der Wagenfeld-Leuchte. Bei der Werbung handelt es sich um eine gezielte Werbung in Bezug auf Vervielfältigungsstücke der Möbelmodelle und des Leuchtenmodells, die die Verbraucher in Deutschland zu deren Erwerb anregt. Sie kann daher auch dann verboten werden, wenn es aufgrund dieser Werbung nicht zu einem Erwerb solcher Möbel durch Käufer aus der Union gekommen sein sollte.

Desgleichen stellt im Verfahren I ZR 88/13 das Einstellen der DVD auf einer Internetverkaufsplattform, durch das zum Erwerb des Vervielfältigungsstücks eines Bildtonträgers aufgefordert wird, auf den die Darbietung des ausübenden Künstlers Al Di Meola aufgenommen worden ist, ein das Verbreitungsrecht des ausübenden Künstlers verletzendes Angebot an die Öffentlichkeit dar. 

Sämtliche drei Urteile bestätigen die bisherigen Entwicklungslinien in diesem Bereich.

Entscheidungen:

BGH, Urteil vom 5. November 2015 - I ZR 91/11 - Marcel-Breuer-Möbel II 
EuGH, Urteil vom 13. Mai 2015 - C-516/13 - Dimensione und Labianca/Knoll 
BGH, Beschluss vom 1. April 2013 - I ZR 91/11 - Marcel-Breuer-Möbel I 
OLG Hamburg - Urteil vom 27. April 2011 - 5 U 26/09 
LG Hamburg - Urteil vom 2. Januar 2009 - 308 O 255/07 I ZR 76/11 
BGH, Urteil vom 5. November 2015 - I ZR 76/11 - Wagenfeld-Leuchte II 
OLG Hamburg, Urteil vom 30. März 2011 - 5 U 207/08 
LG Hamburg, Urteil vom 12. September 2008 - 308 O 506/05 I ZR 88/13 
BGH, Urteil vom 5. November 2015 - I ZR 88/13 - Al Di Meola 
LG Hamburg, Urteil vom 26. April 2013 - 308 S 11/12 
AG Hamburg, Urteil vom 13. September 2012 - 35a C 159/12 
Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 05. November 2015

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