BVerwG, Urteil v. 25.01.2012, AZ: 6 C 9.11
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 25.01.2012 entschieden, dass
die offene Videoüberwachung der Reeperbahn in Hamburg auf der Grundlage
des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei
zulässig ist. Ähnliche Gesetzesgrundlagen finden sich inzwischen in allen präventivpolizeilichen Regelungen, s. etwa im Vergleich § 29 Abs.3 Bremisches Polizeigesetz (Rolf Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, § 29, Rdnrn. 13 ff mit Hinweisen zur Rechtslage auch der anderen Bundesländer).
Verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch sind derartige offenen Überwachungen nach wie vor umstritten, zumal sie nicht notwendig an eine Gefahr anknüpfen. Aber auch Gefahren für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wurden zumindest angesichts der Gefahren einer flächendeckenden Überwachung immer wieder geäußert. Kritik wurde aber auch an den diesbezüglichen Gesetzgebungskompetenzen der Länder geäußert, da für die Aufklärung von Straftaten der Bund zuständig ist. Da eine allgemeine Lebensüberwachung unzulässig ist, durften die Fenster der Klägerin schon nach den Vorinstanzen nicht mehr durch Videotechnik aufgezeichnet werden, was nicht mehr Gegenstand dieses Revisionsverfahrens war. Die Pressemitteilung ist in rechtlicher Hinsicht etwas karg, so dass insoweit der Volltext der Entscheidung abzuwarten ist.
Das BVerwG hat hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen von Hamburg keine Probleme gesehen, weil es sich nach seiner Auffassung nicht um eine Maßnahme der Strafverfolgung im Schwerpunkt handelt, sondern um eine präventivpolizeiliche Maßnahme bei abstrakter Gefahrenlage aufgrund bereits geschehener Straftaten. Letzteres ist für die Reeperbahn letztlich ebenso selbstverständlich wie für die Düsseldorfer Altstadt, will aber für derartige Vergnügungsviertel letztlich nicht viel besagen.
Viel schwerer wiegt indessen der Umstand, dass ein Grundrechtseingriff eher en passant verneint wird, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob die Videoaufzeichnung vor Ort tatsächlich die effektivste polizeiliche Maßnahme der polizeilichen Aufgabenerfüllung bei gleichzeitiger Schonung der Grundrechte ist. Sind Videoaufzeichnungen und Augenschein gleich effezient, wird bei entsprechender Dauer und Intensität des Augenscheins nicht in Grundrechte eingegriffen (s. Schmidt, a.a.O., Rn. 28). Das Problem stellt sich aber unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit, weil die betreffenden Vorschriften offen lassen, in welcher räumlichen Weite eine Überwachung erfolgt und man darf gespannt sein, ob der Volltext hierzu Ausführungen enthält. Grundsätzlich ist für eine dauerhafte und intensive Observation nach hiesiger Auffassung nur dann Raum, wenn konkrete Gefahrenlagen bestehen, so dass über eine teleologische Reduktion solcher Normen zumindest nachzudenken wäre. So wie es klingt, hat das Gericht sich die bürgerrechtliche Auseinandersetzung mit diesem Thema einfach gemacht.
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Nach diesem Landesgesetz darf die Polizei unter anderem öffentlich
zugängliche Orte mittels Bildübertragung und -aufzeichnung offen
beobachten, soweit an diesen Orten wiederholt Straftaten begangen worden
sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig
mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist. Die Bildaufzeichnungen
sind spätestens nach einem Monat zu löschen, es sei denn, sie werden zur
Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder von
Straftaten benötigt oder Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass eine
aufgenommene Person künftig Straftaten begehen wird, und die
Aufbewahrung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher
Bedeutung erforderlich ist.
Auf dieser Grundlage installierte die Polizei auf der Reeperbahn
zwölf Videokameras. Sie können um 360° geschwenkt und variabel geneigt
werden. Die Kameras verfügen über eine Zoomfunktion. Sie werden in der
Polizeieinsatzzentrale gesteuert. Dorthin werden die Bilder auf eine
Monitorwand übertragen, die aus zwölf Bildschirmen für die einzelnen
Kamerastandorte und einem größeren Bildschirm besteht, auf den jeweils
ein Kamerabild als Großbild aufgeschaltet werden kann. Die Videobilder
werden durch Mitarbeiter der Polizeieinsatzzentrale täglich 24 Stunden
lang überwacht.
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in einem Haus an der
Reeperbahn. Gegenüber diesem Haus ist eine der Kameras an einem Pfahl
auf dem Mittelstreifen der Reeperbahn in etwa vier Meter Höhe befestigt.
Sie erfasst in ihrem Schwenkbereich das Wohnhaus und den davor
liegenden Straßenraum.
Auf die gegen diese Videoüberwachung gerichtete
Klage der Klägerin haben das Verwaltungsgericht und das
Oberverwaltungsgericht Hamburg der Polizei untersagt, mit der
Videoüberwachung auch die Wohnräume der Klägerin und den Eingangsbereich
des Hauses zu erfassen.
Im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es
deshalb nur noch um die Videoüberwachung des öffentlichen Straßenraums
durch die gegenüber dem Wohnhaus der Klägerin installierte Kamera.
Insoweit sah das Bundesverwaltungsgericht die Videowachung als
rechtmäßig an.
Insbesondere besaß der Landesgesetzgeber die
Gesetzgebungskompetenz zum Erlass der hier einschlägigen Vorschrift. Die
Videoüberwachung nach dem Hamburgischen Gesetz über die
Datenverarbeitung der Polizei dient der Gefahrenabwehr und der
Strafverfolgungsvorsorge. Soweit die Strafverfolgungsvorsorge betroffen
ist, unterfällt diese zwar der konkurrierenden
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Strafverfahren. Der Bund
hat aber in der Strafprozessordnung keine Vorschriften erlassen, die den
hier inmitten stehenden Sachverhalt abschließend regeln und deshalb
einen Zugriff der Länder verhindern. Namentlich die Vorschriften der
Strafprozessordnung über die Anfertigung und Aufbewahrung von
Lichtbildern zu erkennungsdienstlichen Zwecken sowie über die
Observation Tatverdächtiger weisen nach Einsatzzweck und Voraussetzungen
bedeutsame Unterschiede zur offenen Videoüberwachung auf. Dass die
aufgezeichneten Bilder, soweit nötig, im Strafverfahren verwendet werden
können und sollen, macht die offene Videoüberwachung nicht zu einer
Maßnahme der Strafverfolgung.
In der Sache verfolgt der Gesetzgeber mit
der offenen Videoüberwachung von Brennpunkten der Straßenkriminalität
legitime Ziele, nämlich derartige Delikte zu verhüten und Vorsorge für
ihre strafrechtliche Verfolgung zu treffen. Diese Ziele rechtfertigen
einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in dem
hier allein noch streitigen Umfang.
BVerwG 6 C 9.11 - Urteil vom 25. Januar 2012
Vorinstanzen:
OVG Hamburg, 4 Bf 276/07 - Urteil vom 22. Juni 2010 -
VG Hamburg, 4 K 2800/06 - Urteil vom 24. Mai 2007 -
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