Bundesverfassungsgericht
Pressemitteilung Nr. 1/2012 vom 12. Januar 2012
Beschluss vom 8. Dezember 2011
Der Streit über die Terminierungsentgelte zwischen den Anbietern mobiler Telekommunikation
beschäftigt immer wieder die Verwaltungsgerichte. Es geht dabei grob gesagt, um die Kosten der Gewährung
des Zugangs zu anderen Mobilfunknetzen zwischen den Netzbetreibern, die für die Wirtschaftlichkeit der Produkte wesentliche Funktionen haben. Etwaige Entgelte sind reguliert und unterliegen
der Festsetzung durch die Bundesnetzagentur nach §§ 10, 11 TKG, der das BVerwG insoweit einen weiten
Beurteilungsrahmen zubilligt, so dass deren Entscheidungen nur eingeschränkt kontrolliert werden können.
Dies hat das BVerfG nunmehr für die Rechtslage des Jahres 2005 bestätigt (inzwischen haben sich
insoweit erhebliche Veränderungen ergeben, da die betreffenden Entgelte immer geringer werden, derzeit ca. 3,4 ct/min, bei Abrechnung im Sekundentakt, was seitens der TK - Anbieter als zu gering angesehen wird). Sie sind eine Grundlage für die Preiskalkulation im Bereich des Endkundenpreises, die angesichts des Smartphonemarktes wieder erheblich in Bewegung geraten ist. Im Verlauf des Jahres 2012 wird ein neues Konsulationsverfahren stattfinden, da die derzeitigen Preise auf den 30.11.2012 befristet sind.
Die Entscheidung des BVerfG ist auch so zu verstehen, dass sich künftige Verfassungsbeschwerden gegen künftige Urteile des BVerwG in diesem Bereich kaum mehr lohnen werden. Der Inhalt der Entscheidung ist wenig überraschend.
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Das Telekommunikationsgesetz (TKG) weist der Bundesnetzagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen die Aufgabe
der Regulierung des Wettbewerbs im Bereich der Telekommunikation zu. Bei
der sogenannten Marktregulierung hat sie anhand bestimmter gesetzlicher
Kriterien die Telekommunikationsmärkte festzulegen, die für eine
Regulierung in Betracht kommen (Marktdefinition, § 10 TKG). Ihr obliegt
ferner die Prüfung, ob auf dem betreffenden Markt wirksamer Wettbewerb
besteht, was dann nicht der Fall ist, wenn ein oder mehrere Unternehmen
auf dem Markt über beträchtliche Markmacht verfügen (Marktanalyse, § 11
TKG).
Ende 2005 legte die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur fest,
dass mehrere Mobilfunknetzbetreiber, darunter auch die
Beschwerdeführerin, auf dem Markt für Anrufzustellung in ihr jeweiliges
Mobilfunknetz über eine solche beträchtliche Marktmacht verfügen. Auf
dieser Grundlage erließ die Bundesnetzagentur 2006 eine
Regulierungsverfügung, mit der sie der Beschwerdeführerin unter anderem
Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG, insbesondere die Terminierung von
Anrufen in ihr Mobilfunknetz, aufgab und anordnete, dass die von der
Beschwerdeführerin für die Zugangsleistungen erhobenen Entgelte vorab
genehmigt werden müssen. Die damit auch der behördlichen Genehmigung
unterworfenen Terminierungsentgelte, die zunächst der Netzbetreiber des
Anrufenden zu entrichten hat, haben für die Mobilfunknetzbetreiber
erhebliche wirtschaftliche Bedeutung.
Mit ihrer gegen die Regulierungsverfügung erhobenen Klage hatte die
Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Erfolg (vgl.
dessen Pressemitteilung Nr. 22/2008 vom 3. April 2008). Das Gericht
vertritt die Auffassung, dass die Regulierungsverfügung gerichtlich nur
eingeschränkt überprüfbar sei, weil der Bundesnetzagentur hinsichtlich
der von ihr vorzunehmenden Marktdefinition und Marktanalyse ein
Beurteilungsspielraum zustehe. Die Bundesnetzagentur habe zudem bei der
Auferlegung der Regulierungsverpflichtungen die Grenzen des ihr insoweit
eingeräumten Regulierungsermessens nicht überschritten.
Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine
Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz und sieht sich
zudem in ihrer Berufsausübungsfreiheit verletzt.
Die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die
Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Die Beschwerdeführerin ist nicht
in ihren Grundrechten verletzt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt die
Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz
(Art. 19 Abs. 4 GG). Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt
zwar grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen
Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig
nachzuprüfen. Sie schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber der
Verwaltung Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume eröffnet,
welche die Rechtskontrolle von Exekutivakten durch die Gerichte
einschränken. Ein Gericht verletzt das Gebot wirksamen Rechtsschutzes,
wenn es ein behördliches Letztentscheidungsrecht annimmt, das mangels
gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und deshalb die vollständige
Prüfung der Behördenentscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit unterlässt.
Auch der Gesetzgeber ist nicht frei in der Einräumung behördlicher
Letztentscheidungsbefugnisse. Die Freistellung der Rechtsanwendung von
gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am
Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrunds.
Bei Anwendung dieser Vorgaben ist die Annahme des
Bundesverwaltungsgerichts, dass der Bundesnetzagentur bei der
Marktdefinition und der Marktanalyse ein Beurteilungsspielraum zusteht,
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht
verwendet bei seiner Auslegung der §§ 10, 11 TKG anerkannte
Auslegungsmethoden. Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik, des
Normzwecks und des unionsrechtlichen Hintergrunds der Bestimmungen ist
es vertretbar, diesen Regelungen die Einräumung eines weitreichenden
Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde bei
der Marktdefinition und der Marktanalyse beizumessen.
Des Weiteren bestehen für die Reduzierung der gerichtlichen
Kontrolldichte durch den Gesetzgeber tragfähige Sachgründe. Die in § 10
TKG genannten Kriterien zur Bestimmung der für eine Regulierung in
Betracht kommenden Märkte hängen wesentlich von ökonomischen
Einschätzungen ab. Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, ob auf
dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 TKG).
Die erkennbaren Schwierigkeiten einer gerichtlichen Vollkontrolle dieser
Tatbestandsmerkmale durfte der Gesetzgeber zum Anlass nehmen, der
Bundesnetzagentur einen entsprechenden Beurteilungsspielraum
einzuräumen.
Zudem begrenzt das Bundesverwaltungsgericht durch seine Interpretation
der gesetzlichen Regelung den grundsätzlich auch für den Bereich der
Marktregulierung vorausgesetzten wirksamen Rechtsschutz durch die
Gerichte nicht insgesamt, sondern belässt den Fachgerichten genügend
Möglichkeiten, aber auch die Pflicht zu einer substantiellen Kontrolle
des behördlichen Handelns.
2. Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die zugrunde liegende
Rechtslage verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer
Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, da der
Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Die Regulierung der
Telekommunikationsmärkte nach dem Telekommunikationsgesetz verfolgt mit
dem Schutz der Verbraucherinteressen und der Sicherstellung
chancengleichen Wettbewerbs gewichtige Gemeinwohlziele. Dem Gesetz liegt
die Vorstellung zugrunde, dass im Telekommunikationssektor insgesamt und
nicht nur in ehemaligen Monopolbereichen die Gefahr unzureichender
Marktverhältnisse besteht, der nicht allein mit den Mitteln des
allgemeinen Wettbewerbsrechts begegnet werden kann. Auch trifft die
Regulierungsverfügung die Beschwerdeführerin nicht unverhältnismäßig in
ihrer Berufsausübungsfreiheit. Ihr Interesse an freier unternehmerischer
Betätigung wird durch die Zugangsverpflichtung nicht übermäßig
eingeschränkt, zumal auch sie selbst ein Interesse an der umfassenden
Erreichbarkeit ihrer eigenen Mobilfunkkunden haben wird. Die
finanziellen Folgen der Verfügung insbesondere der Genehmigungspflicht
für die Entgelte der Zugangsgewährung erscheinen ebenfalls nicht
unangemessen. Der Beschwerdeführerin wird kein finanzielles Sonderopfer
zugunsten der Allgemeinheit auferlegt, sondern lediglich eine
möglicherweise lukrative Preisgestaltung zulasten der Kunden der anderen
Mobilfunknetz- sowie der Festnetzbetreiber unmöglich gemacht.
Mit Beschlüssen vom 21. Dezember 2011 hat die Kammer unter Verweisung
auf den Beschluss vom 8. Dezember 2011 gleichgelagerte
Verfassungsbeschwerden von drei weiteren Mobilfunkunternehmen nicht zur
Entscheidung angenommen (1 BvR 1933/08, 1 BvR 1934/08 und 1 BvR
1935/08).
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