Montag, 21. August 2023

BAG: Keine persönliche Haftung von GmbH - Geschäftsführern bei Verstößen gegen das MiLoG aus Deliktsrecht

Das Mindestlohngesetz führt bei Unterschreitungen des Mindestlohnes zu erheblichen Konsequenzen, bis hin zu Ordnungswidrigkeiten und Straftatbeständen. 

§ 15 dieses Gesetzes eröffnet in striktem Verweis auf das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz erhebliche Prüfkompetenzen der Behörden und ermöglicht Zwangsmaßnahmen des Hauptzollamtes, die idR mit einer unangekündigten Betriebsprüfung einsetzen. Vergleichbar ist dies mit der Beschäftigung von scheinselbständigen Personen. In diesem Bereich kann es schon reichen, wenn das Impressum die Beschäftigung von "freien Mitarbeitern" ausweist. Hinweise sind hinreichend. 

Lange umstritten, war gesellschaftsrechtlich die Frage, ob Verstöße gegen das Mindestlohngesetz bei Vorständen einer AG oder Geschäftsführern einer GmbH insbesondere bei Zahlung von unterschwelligen Stundenlöhnen oder Umgehungen der gesetzlichen Vorschriften zu einer persönlichen Haftung unter dem Gesichtspunkt des Deliktsrechts führen können, wenn das Mindestlohngesetz ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs.2 BGB darstellen sollte (so etwa, T. Lakies, Mindestlohngesetz, 5. Auflage, § 1, Rdnr. 103). .

"Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Schadensersatz wegen von der Schuldnerin für den Monat Juni 2017 nicht geleisteter Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch. Er hat die Auffassung vertreten, die Schuldnerin hätte ihm für 176 auf den Monat Juni entfallende Arbeitsstunden eine Vergütung mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 8,84 Euro brutto je Stunde zahlen müssen. Hierfür hafteten die Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB persönlich. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG sei die fahrlässige oder vorsätzliche Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns bußgeldbewehrt. Die Beklagten seien als gesetzliche Vertreter der Schuldnerin nach § 9 OWiG taugliche Täter der Ordnungswidrigkeit, sie hätten den Bußgeldtatbestand auch zumindest fahrlässig verwirklicht. Danach habe er einen „direkten Zahlungsanspruch“ gegen die Beklagten."

Das BAG sah dies kürzlich anders und verneinte die Schutzgesetzeigenschaft des Mindestlohngesetzes in diesem Bereich. Das BAG hat die Zusammenhänge fast lehrbuchartig aufbereitet und setzt sich mit der Rechtslage zwischen Gesellschaftsrecht nach § 43 GmbHG, MiLoG und Ordnungswidrigkeitengesetz ausführlich auseinander. Die Entscheidung BAG, 8 AZR 120/22, sowie eine Parallelentscheidung verneinten das Vorliegen eines Schutzgesetzes. Bereits die Vorinstanzen hatten den Anspruch verneint. 

Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB, weil § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs.2 BGB darstellt. 

Eine GmbH haftet als Arbeitgeberin aufgrund der gesetzlichen Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG für durch Verstöße gegen gesetzliche Ver- und Gebote entstehende Schäden ausschließlich mit ihrem Gesellschaftsvermögen, wobei es hier gesetzlich normierte Ausnahmen etwa im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes gibt. "Eine persönliche Haftung der Geschäftsführer sieht das Gesetz nicht vor. Dieses gesellschaftsrechtlich normierte Haftungssystem kann zwar durch den Gesetzgeber erweitert werden. Eine solche Erweiterung ist bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen Straftatbestände durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG erfolgt. Auch kann in einer solchen Erweiterung durch eine bußgeldrechtliche Haftung zugleich die Begründung einer Ausnahme von der gesellschaftsrechtlichen Haftungssystematik des GmbHG durch den Gesetzgeber liegen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 41). Voraussetzung für eine solche Ausnahme ist allerdings, dass die eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB begründende Schutznorm hinreichend deutlich erkennen lässt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Geschäftsführer der Gesellschaft – über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehend – persönlich haften sollen. Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Bestimmungen nicht erfüllt."



Aus § 20 MiLoG folgte die Verpflichtung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen. Dafür sind allerdings die Unternehmensleiter persönlich ordnungswidrigkeitenrechtlich verantwortlich, so dass das BAG - Urteil hier letztlich kein Risiko "entschärft", zumal Hinweise auf solche Verstöße zulässig sind und arbeitsrechtlich nicht sanktioniert werden dürfen. 

Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – zwar kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu dem/den Geschäftsführer/n der Gesellschaft dar, bedeutet aber nicht, dass nicht nach § 21 MiLOG erhebliche Bußgelder drohen können, die sich gegen die Geschäftsführer persönlich richten. 



Dienstag, 25. Juli 2023

Die "Kalabrische Küste" von Andreas Achenbach als Rechtsproblem beim BGH

Andreas Achenbach (1815 - 1910) war im 19. Jahrhundert als Spätromantiker einer der "Malerfürsten" von Düsseldorf, gemeinsam mit seinem Bruder. Beide hatten ihre Ateliers auf der Ratinger Straße in einem ehemaligen Kloster und waren Professoren an der hiesigen Kunstakademie, die bis heute sehr einflussreich ist. 

Die Gebrüder Achenbach haben Italien intensiv bereist. Ihre Werke genießen Weltruf im Zusammenhang mit der "Düsseldorfer Malerschule". Ihr Hang zur Renaissance hat sicher auch damit zu tun, dass ca. 50 % der Kunstwerke der Welt in Italien zu finden sind. Es geht um dieses Bild, dass in der "Lost-Art-Datenbank" eingetragen ist: 



In der "Lost - Art - Datenbank" wird dieses Gemälde wie folgt gemeldet: 

"Verlustumstand gemeldet als

NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut"

Das ist angesichts der Geschichte der Verkäufe des Bildes völlig zutreffend. Natürlich hatte Achenbach mit der Nazi - Kultur nichts zu tun. Viele seiner Werke gehören dem Archiv des Kunstpalastes in Düsseldorf. Das Gemälde war Bestandteil der damals gewagten Ausstellung in Düsseldorf: "Gemälde alter und neuer Meister, 22 Juni-31 August 1935, no. 85, plate 24 (als “Sizilianische Landschaft”), Galerie Stern". Max Stern hatte dieses Gemälde etwa 1933 erworben. 

Die führende Galerie Max Stern wurde auf Betreiben der Nazis 1937 geschlossen und die Werke, die in seinem Besitz waren, wurden pseudomäßig versteigert, zu Spotpreisen oder mussten zuvor verkauft werden. Sicher eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Gallerien in Düsseldorf, aber kein Einzelfall. Max Stern wanderte nach Kanada aus und verstarb dort im Alter von 84 Jahren im Jahr 1987. Einige der quasi enteigneten Werke sind nie wieder aufgefunden worden. Die Lebensgeschichte von Max Stern ist ein trauriges Kapitel der Herrschaft der Nazis. 

Es handelte sich um ca. 400 Gemälde, deren Rückführung Max Stern noch zu Lebzeiten in die Wege leitete, überwiegend erfolglos. Stern war allerdings in Kanada sehr erfolgreich. Seine Rechte werden von einer Stiftung verwaltet, die sich Max Stern Art Restitution Project nennt, hinter dem das Max Stern Estate steht, die die Rechte von Max Stern verwalten und auch bis heute effektiv durchsetzen. 

In Düsseldorf konnte man sich hinsichtlich eines Gemäldes von Wilhelm von Schadow, dass seine beiden Kinder zeigt, auf ein Agreement verständigen, dass der Stiftung die Rechte zurückgab, aber gleichzeitig eine Leihgabe an den Kunstpalast vorsieht, sog. Düsseldorfer Agreement. Es könnte zum Zukunftsmodell für solche Fälle werden. Die von Max Stern gesammelte Kunst reicht vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit.

Immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang zu Gerichtsprozessen, von denen kürzlich ein Rechtsstreit vom BGH entschieden wurde (Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 112/22).

Es gibt mehrere Lost - Art - Datenbanken, deren führende in London angesiedelt ist, aber es gibt auch eine solche Datenbank in Deutschland und zwar in Magdeburg. Diese Datenbanken sind staatlich und haben aufgrund der Rechtsgrundlagen infolgedessen eine rechtsverbindliche Wirkung. Ein Werk, dass dort gelistet ist, ist praktisch unverkäuflich und genau diese Frage war Gegenstand des Verfahrens vor dem BGH, der keine Überraschungsentscheidung getroffen hat, sondern die geltende Praxis bestätigt hat. 
 

Nach diesem Urteil kann eine auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank keine Eigentumsbeeinträchtigung darstellen und daher keinen Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung auf Beantragung der Löschung begründen. Für den Eigentümer ist das eine bittere Entscheidung, da er dieses Gemälde kaum je wieder verkaufen können wird. Aber die Entscheidung beruft auf nachvollziehbaren Gründen. Diese Register sind keine Eigentumsregister, sondern legen den Verlust offen, der unter der Nazi- Herrschaft eingetreten ist. Die Nazis haben in Europa geradezu eine Spur hinsichtlich geraubter Kunst hinterlassen. 

Der Kläger in Verfahren vor dem BGH ist ein Kunstsammler, der das Gemälde von Andreas Achenbach völlig unstreitig legal im Jahr 1999 im Rahmen einer Auktion in London erworben hat. Das Gemälde befand sich in der Zeit von 1931 bis 1937 im Eigentum des Inhabers der Galerie Stern in Düsseldorf, die der jüdisch - stämmige Kunsthändler und Mitbürger Dr. Max Stern in dieser Zeit von seinem Vater übernahm. Bereits im Jahre 1935 wurde ihm durch die Reichskammer der bildenden Künste die weitere Berufsausübung untersagt, die Verfügung wurde jedoch zunächst nicht vollzogen. Im März 1937 musste Dr. Stern das Gemälde an eine Privatperson aus Essen verkaufen, was dann eine Kette weiterer Veräußerungen nach sich zog, denen man keine Bösgläubigkeit unterstellen kann (das Thema ist bei NS - Raubkunst ein absolut kritisches Thema). 

Im September 1937 wurde er endgültig gezwungen, seine Galerie aufzugeben, woraufhin er über England nach Kanada emigrierte und mit viel Glück Deutschland unter Aufgabe seines Vermögens verlassen konnte. Sein Nachlass wird von einem kanadischen Trust verwaltet, dessen Treuhänder die Beklagten sind, die diese Rechte weltweit wahrnehmen.

"Im Juni 2016 wurde auf Veranlassung der Beklagten eine Suchmeldung für das Gemälde auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank veröffentlicht. Die von einer Stiftung mit Sitz in Magdeburg betriebene Datenbank dokumentiert Kulturgüter, die insbesondere jüdischen Eigentümern aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entzogen wurden, oder für die ein derartiger Verlust nicht auszuschließen ist. Mithilfe der Veröffentlichung sollen frühere Eigentümer bzw. deren Erben mit heutigen Besitzern zusammengeführt und beim Finden einer gerechten und fairen Lösung über den Verbleib des Kulturgutes unterstützt werden. Im Rahmen einer Ausstellung des Gemäldes in Baden-Baden wurde der Kläger über die Suchmeldung und eine in Kanada veranlasste Fahndung nach dem Gemälde durch Interpol informiert. Er fühlt sich durch den Eintrag in der Lost Art-Datenbank und die Interpol-Fahndung in seinem Eigentum beeinträchtigt.

Der Kläger verlangt von den Beklagten, es zu unterlassen, sich des Eigentums an dem Gemälde zu berühmen. Hilfsweise begehrt er, sie zu verurteilen, die Löschung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank zu beantragen. Die Klage ist bei dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt".

Die Entscheidung des BGH ist kunstrechtlich ungemein interessant, weil sie Fragen des Kunsteigentums im Verhältnis zur Funktion der Lost - Art - Datenbanken löst. 

Der BGH lehnt einen Berühmungsanspruch ab:  

"Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die mit dem Hauptantrag verlangte Unterlassung, weil die Beklagten sich nicht des Eigentums an dem Gemälde des Klägers berühmt haben. Die tatrichterliche Beurteilung des Berufungsgerichts, mit der Suchmeldung des Gemäldes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank und der Fahndung über Interpol werde ohne gegenwärtige Eigentumsanmaßung lediglich an das früher bestehende Eigentum des Dr. Max Stern angeknüpft, ist nicht zu beanstanden. Zweck der Veröffentlichung auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank ist es, die früheren Eigentümer bzw. deren Erben sowie die heutigen Besitzer eines Kulturgutes zusammen zu bringen und diese bei der Erarbeitung einer gerechten und fairen Lösung im Sinne der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 über den Umgang mit während der NS-Zeit abhanden gekommenen Kunstwerken zu unterstützen. 

Hiervon ausgehend nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass mit der Suchmeldung lediglich auf das frühere Eigentum an dem Kunstwerk und die Umstände des Verlustes Bezug genommen wird; eine Aussage über das gegenwärtig bestehende Eigentum oder etwaige daran anknüpfende Ansprüche ist damit weder verbunden noch beabsichtigt.

Das gilt auch für die Eintragung des Gemäldes in der Fahndungsdatenbank von Interpol, weil lediglich das Abhandenkommen des Gemäldes am 13. November 1937 in Düsseldorf gemeldet wurde. Auch mit dieser Meldung ist keine Aussage darüber verbunden, dass sich die Beklagten nach heutiger Rechtslage als Eigentümer des Gemäldes ansehen und darstellen. Dass der Kläger bei einer Verbringung des Gemäldes nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten von Amerika polizeiliche Maßnahmen zu befürchten hätte, die ihn in der Verfügungsgewalt über das Gemälde einschränken würden, ist lediglich Folge des Umstandes, dass die Rechtsordnungen einzelner Staaten an das verfolgungsbedingte Abhandenkommen von Kulturgütern und spätere Erwerbsvorgänge unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen. Selbst wenn sich die Beklagten diesen Umstand bewusst zunutze gemacht hätten, stellte ihre Meldung keine Eigentumsanmaßung dar, weil sie lediglich (wahre) Tatsachen zu Vorgängen aus dem Jahre 1937 enthält und die rechtliche Bewertung dieser Vorgänge den Behörden – bzw. gegebenenfalls den Gerichten – überlassen wird".

In der Tat stellen diese Datenbanken keine Eigentumsregister dar, sondern dokumentieren wie jüdischen Eigentümern Kunst verlustig geraten ist, zu einem Zeitpunkt während der Nazi - Diktatur, mit eventuellen Folgen für eine Restitution. Natürlich hat dies für aktuelle Eigentümer mittelbare Folgen. Sie haben irgendwann ein Gemälde erworben, dass mit dem Makel eines Abhandenseins aufgrund Interventionen der Nazi - Diktatur belastet ist. Hier sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Kunst, die unmittelbar von Nazi-Truppen im Ausland enteignet wurde und Kunst, die von jüdischen Kunsteigentümern im Inland enteignet wurde, durchaus über Zwangsverkäufe. Diese Kunstwerke haben über diverse Kunstveräußerungen eine Geschichte entfaltet, die auch zu Restitutionsansprüchen führen kann. Dieser Fall aber liegt anders. 

Hilfsantrag abgelehnt

"Dem Kläger steht auch der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Beantragung der Löschung der Suchmeldung des Gemäldes in der Lost Art-Datenbank nicht zu. Denn die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art- Datenbank stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift dar und begründet daher keinen auf Beantragung der Löschung gerichteten Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung. Durch die Suchmeldung wird die Eigentumszuordnung – wie bereits ausgeführt – nicht infrage gestellt und die Verfügungsbefugnis des Eigentümers jedenfalls in rechtlicher Hinsicht nicht eingeschränkt. Eine auf wahren Tatsachen beruhende sachliche Information über den Verdacht des NS-verfolgungsbedingten Verlustes eines Kulturgutes beeinträchtigt die Rechte aus dem Eigentum aber auch schon deshalb nicht, weil der Betroffene die Behauptung und Verbreitung wahrer Tatsachen in der Regel hinzunehmen hat, auch wenn dies für ihn nachteilig ist. 

Das berechtigte Interesse früherer Eigentümer von Kulturgut bzw. ihrer Rechtsnachfolger sowie das allgemeine öffentliche Interesse an der Provenienz NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter überwiegen jedenfalls ein in der Regel allein auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhendes Interesse des gegenwärtigen Eigentümers an der Geheimhaltung solcher Tatsachen. 

Ob eine Eigentumsbeeinträchtigung anzunehmen ist, wenn in Bezug auf die Sache unwahre marktrelevante Tatsachen behauptet bzw. wertbildende Faktoren falsch dargestellt werden, ist fraglich, bedurfte aber keiner abschließenden Entscheidung, da es dem Kläger nicht um die Abwehr unzutreffender Tatsachenbehauptungen über das Gemälde geht. Nach § 44 Satz 1 Nr. 1 des Kulturgutschutzgesetzes besteht wegen der Umstände des Verkaufs im Jahr 1937 jedenfalls die Vermutung, dass das Gemälde einem früheren Eigentümer NS-verfolgungsbedingt entzogen worden ist. Die Veröffentlichung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank macht damit lediglich publik, was aufgrund der bekannten Umstände des Verkaufs ohnehin vermutet wird und - jedenfalls im Fall eines gewerblichen Inverkehrbringens - näherer Aufklärung bedarf.

Anders als die Revision meint, kann eine Eigentumsbeeinträchtigung auch nicht mit der Begründung bejaht werden, die Aufrechterhaltung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank führe zu einem rechtswidrigen Zustand. Eintragungen und Meldungen zu Kulturgütern in der Lost Art-Datenbank sind zwar als staatliches Informationshandeln anzusehen, so dass bei Überschreitung des Zwecks der Veröffentlichung entweder ein im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durchzusetzender öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch oder – weil die Datenbank inzwischen durch eine privatrechtliche Stiftung betrieben wird – ein zivilrechtlicher Löschungsanspruch nach den Grundsätzen des sog. Verwaltungsprivatrechts in Betracht kommen könnte. Ein solcher Anspruch könnte sich aber nur gegen die Stiftung als Betreiberin der Datenbank richten, nicht gegen die Beklagten als bloße Veranlasser der Meldung". 

Der BGH macht hier einen interessanten "Schwenk" und deutet eine Klage gegen den falschen Beklagten an. Daran kann man zweifeln, weil der Veranlasser der Eintragung der Verantwortliche und die Datenbank nach den vorhandenen Regelungen zu einer Eintragung rechtlich verpflichtet ist.. Sieht man aber einen Spielraum hinsichtlich der Eintragung in diese Datenbank, hat diese Entscheidung einen sybillinischen Charakter, weil diese Frage weder geklärt wird, noch in diesem Verfahren geklärt werden kann. Das Risiko bleibt letztlich offen. 

Der BGH sieht das anders: 

"Wenn der Staat eine Internetdatenbank einrichtet, in der Such- und Fundmeldungen von Privatpersonen zu Kulturgütern veröffentlicht werden, dann ist er bzw. die von ihm als Betreiberin der Datenbank errichtete Stiftung dafür verantwortlich, dass die veröffentlichte Meldung sich innerhalb der Grenzen hält, die das öffentliche Recht und namentlich die Grundrechte – hier der Eigentümer der betroffenen Gemälde – dem staatlichen Informationshandeln ziehen. Es ist Sache der Betreiberin der Datenbank zu entscheiden, ob sie eine Meldung veröffentlicht und ob bzw. wann sie sie wieder löscht. Es liegt in ihrer Verantwortung, die fortdauernde Einhaltung des Zwecks der Veröffentlichung zu überwachen und sicherzustellen, dass die Aufrechterhaltung der Veröffentlichung gegenüber dem Eigentümer des Kunstwerks weiterhin zu rechtfertigen ist. Wird durch die Aufrechterhaltung einer Meldung das Eigentum an einem Kunstwerk beeinträchtigt, dann trifft die Verantwortung hierfür folglich allein die Stiftung. Ob hier eine solche Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, bedurfte keiner Entscheidung, weil sich die Klage gegen die Beklagten als Veranlasser der Meldung richtet"

Die Entscheidung ändert nichts an der aktuellen Praxis und bestätigt sie. Die betreffenden Registereintragungen haben keinerlei Einfluss auf die Eigentumsposition, die im Einzelfall durchaus prekär sein kann. 

Vorinstanzen:

LG Magdeburg – Urteil vom 27. November 2019 – 2 O 599/18

OLG Naumburg – Urteil vom 24. Mai 2022 – 1 U 292/19



 
 







Mittwoch, 24. Mai 2023

OLG Hamm und Panaromafreiheit bei Drohnen

Das OLG Hamm hat ein bemerkenswertes Urteil zur Panoramafreiheit nach § 59 UrhG gefällt

Urteil vom 27. April 2023 – 4 U 247/21 - https://www.olg-hamm.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilung_archiv/02_aktuelle_mitteilungen/08_23_PE_OLG_Panoramafreiheit/index.php

In einer urheberrechtlichen Streitigkeit zwischen der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst und einem Verlag aus dem Ruhrgebiet hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm entschieden, dass mittels einer Drohne gefertigte Bildaufnahmen nicht von der urheberrechtlichen Panoramafreiheit gedeckt sind. Die Panoramafreiheit beeinhaltet das Recht Fotoaufnahmen oder Zeichnungen von Werken, die sich bleibend an öffentlichen Plätzen befinden, in einer Außenansicht mit Mitteln der Malerei, Grafik oder durch Lichtbilder oder Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wieder zu geben. Das gilt auch für Kunstwerke im öffentlichen Raum, nicht nur für Gebäude. Bei Bauwerken dürfen innen, keine Vervielfältigungen ohne Erlaubnis vorgenommen werden. Offen ist, ob sich dieses Recht auch auf Luftaufnahmen erstreckt. Es gibt zu dieser Norm eine reichhaltige, teilweise recht widersprüchliche Judikatur. 

Die Auffassung des OLG Hamm lässt sich angesichts des Wortlautes des § 59 UrhG durchaus hinterfragen.

"Die klagende Verwertungsgesellschaft nimmt den beklagten Verlag auf Unterlassung, Schadensersatz und Abmahnkosten in Anspruch. In zwei von der Beklagten veröffentlichten Büchern werden Kunstwerke auf Bergehalden im Ruhrgebiet vorgestellt. Dabei hat die Beklagte auch Fotografien der im Streit stehenden Kunstwerke „Sonnenuhr mit Geokreuz“, „Spurwerkturm“, „Nachtzeichen“, „Himmelstreppe“, „Tetraeder“ und „Landmarke Geleucht“ verwendet, die mit einer Drohne aufgenommen wurden. Eine Lizenz von der Klägerin hat die Beklagte vor der Veröffentlichung dieser Bilder nicht erworben. Vielmehr vertritt die Beklagte die Auffassung, die Verwendung der Fotografien sei von der Panoramafreiheit des Urheberrechtsgesetzes gedeckt".

"Das Landgericht Bochum hat der Klage insgesamt stattgegeben. Mit ihrer Berufung hat die Beklagte ihr Ziel auf Klageabweisung vor dem Oberlandesgericht Hamm weiterverfolgt. Abgesehen von einer geringfügigen Reduzierung des Schadensersatzes hat der für das Urheberrecht zuständige 4. Zivilsenat das Urteil des Landgerichts bestätigt und die Berufung zurückgewiesen". Zur Begründung heißt es:  

"Die in § 59 Abs. 1 Satz 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) geregelte Panoramafreiheit gestatte zwar auch die gewerbliche Nutzung von hierunter fallenden Fotografien. Im Rahmen der Panoramafreiheit sei es nämlich zulässig, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, unter anderem mit Mitteln der Fotografie zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Auch befänden sich die hier in Rede stehenden Kunstwerke an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, da die Bergehalden, auf denen die Kunstwerke errichtet wurden, entweder selbst öffentlich zugänglich seien oder jedenfalls von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus wahrgenommen werden könnten. 

Die Einschränkung des Urheberrechts durch die Panoramafreiheit, die eine unentgeltliche Nutzung gestatte, schließe jedoch nur diejenigen Perspektiven ein, die von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus bestehen. Hierzu gehöre nicht der Luftraum. Der Einsatz von Hilfsmitteln zur Erlangung einer anderen Perspektive sei nicht mehr von der Panoramafreiheit gedeckt. Dies habe der Bundesgerichtshof bereits für den Einsatz einer Leiter entschieden. Für den Einsatz einer Drohne könne nichts anderes gelten".

Die Entscheidung des OLG Hamm ist nicht so überraschend, wie sie aussieht. Der BGH ist schon seit Jahrzehnten der Auffassung, dass Luftaufnahmen von Werken (BGH, GRUR 2003, 1035, 1037) zur Aufnahme von Gebäuden nicht von der Panoramafreiheit nach § 59 Abs. 1 UrhG erfasst sind. Dadurch werden nämlich Teile des Gebäudes aufgenommen, die von Wegen, Straßen oder Plätzen – der Allgemeinheit zugänglichen Orten – nicht zu sehen seien. D

Das Landgericht Frankfurt vom 25.11.2020 (Az. 2-06 O 136/20) sah dies anders. Danach können sich Drohnensteuerer auf die sogenannte Panoramafreiheit nach § 59 Urheberrechtsgesetz (UrhG) berufen. Der BGH wird dies voraussichtlich klären, da die Revision zugelassen wurde. 

Es handelte sich vorliegend um eine urheberrechtliche Sache im Verwertungsrecht: Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm muss die Beklagte die Wiedergabe der angegriffenen Drohnenbilder und deren Verbreitung unterlassen und der Klägerin Schadensersatz in Form einer Lizenzgebühr über 1.824 Euro sowie gut 2.000 Euro Abmahnkosten, jeweils zuzüglich Zinsen, zahlen. 

Da noch keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bewertung von Drohnenaufnahmen im Rahmen der Panoramafreiheit vorliegt, hat der Senat die Revision der Beklagten zugelassen. Die Beklagte hat Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt, so dass das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm nicht rechtskräftig ist.

Man wird sehen, ob der BGH seine frühere Sicht der Dinge bereit ist angesichts neuer Technologien zu revidieren. Die Sache ist völlig offen!


Vorinstanz: Landgericht Bochum, Urteil vom 18. November 2021 (Az. 8 O 97/21)


Mittwoch, 17. Mai 2023

Mal was aus Düsseldorf: Die "MS Stadt Düsseldorf" - Sache

Der Fall war nicht gerade schwierig, zog sich aber Jahre hin. Die Beklagte hatte das Fahrgastschiff « MS Stadt Düsseldorf » auf einer Internetplattform - wo wohl? - zum Kauf gegen Höchstgebot angeboten. Dieses gab der Kläger mit 75.050 Euro ab. Man könnte sagen, eine Art "Schnäppchen". Die Beklagte verweigerte jedoch die Herausgabe des Schiffs unter anderem mit der Begründung, die Auktion sei nicht ordnungsgemäß abgelaufen. 

Dieser Auffassung schloss sich die 8. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf nicht an und verurteilte die Beklagte zur Eigentumsübertragung, Bewilligung der Eintragung in das Binnenschifffahrtsregister und Herausgabe des Schiffes Zug-um-Zug gegen Zahlung des Kaufpreises 

Der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat mit Beschluss vom 15.05.2023 (Az.: I-23 U 71/22) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 12.04.2022 (Az.: 8 O 321/20) zurückgewiesen.

Wieder mal eine eBay - "Versteigerung": 

Die Beklagte hatte das Fahrgastschiff « MS Stadt Düsseldorf » auf einer Internetplattform zum Kauf gegen Höchstgebot angeboten. Dieses gab der Kläger mit 75.050 Euro ab. Die Beklagte verweigerte jedoch die Herausgabe des Schiffs unter anderem mit der Begründung, die Auktion sei nicht ordnungsgemäß abgelaufen. MaW es ging darum, ob jenseits der gesetzlich, dispositiven Vorschriften, die AGB von eBay nicht eingehalten wurden. Dies ist bereits vom technischen Ablauf her schwierig, aber in Einzelfällen möglich. 

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts folgte dem Beklagten nicht und verurteilte die Beklagte zur Eigentumsübertragung, Bewilligung der Eintragung in das Binnenschifffahrtsregister und Herausgabe des Schiffes Zug-um-Zug gegen Zahlung des Kaufpreises (Az.: 8 O 321/20, vgl. auch Pressemitteilung des Landgerichts Düsseldorf vom 12.04.2022).

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (8 O 321/20) hatte am 12. April 2022 entschieden, dass das Fahrgastschiff « MS Stadt Düsseldorf » wirksam über die Internetplattform eBay gekauft worden ist. Die Veräußerin hat das Schiff Zug-um-Zug gegen Zahlung von 75.050,-- € an den klagenden Ersteigerer herauszugeben. 

Im August 2020 hatte die Weiße Flotte GmbH das Fahrgastschiff « MS Stadt Düsseldorf », das im Binnenschiffsregister des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort eingetragen ist, bei eBay zum Kauf gegen Höchstgebot bis zum 29.08.2020 angeboten, weil die Vorschriften des Lockdowns einen Geschäftsbetrieb unmöglich machten. Die Käufer hofften indessen auf bessere Zeiten. 

Das Höchstgebot zum Ende der Auktion gab der Kläger mit 75.050,- - € ab. Die beklagte Weiße Flotte aus Düsseldorf verweigerte jedoch die Herausgabe des Schiffs. Sie meint, die eBay-Auktion sei nicht ordnungsgemäß abgelaufen. Wegen einer Sicherheitsfunktion bei eBay, die bei Geboten von über 50.000,-- € zu einer Verifizierung auffordere, hätten potentielle Bieter ihre Gebote nicht abgeben können. Ebenso wie ein Grundstück, dürfe auch ein Schiff, das im Binnenschiffsregister eingetragen sei, nicht über eBay versteigert werden, was rechtsirrig ist. 

Die Versteigerung sei unwirksam, weil die Schiffshypothek über 1,4 Mio EUR bei der Artikelbeschreibung nicht angegeben worden sei. 

Die 8. Zivilkammer hält die Versteigerung bei eBay für wirksam und verurteilt die beklagte Weiße Flotte GmbH zur Herausgabe. Denn der Kaufvertrag eines eingetragenen Binnenschiffes – anders als ein Grundstückskaufvertrag – könne ohne Einhaltung von Formvorschriften geschlossen werden. Der Kaufvertrag sei mit dem Kläger als Höchstbietendem zustande gekommen. Die beklagte Weiße Flotte könne sich nicht nachträglich durch eine Anfechtung wegen Irrtums, nämlich wegen der angeblich vergessenen Angabe der Schiffshypothek, von dem Vertrag lösen. Schließlich sei auch eine Störung der Auktion nicht ersichtlich. Soweit einzelne Bieter kein Gebot über 50.000,-- € abgeben konnten, beruhe dies auf einer von eBay vorgesehenen Verifizierungsfunktion. 

Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der 23. Zivilsenat nun mit Beschluss vom 15.05.2023 einstimmig zurückgewiesen. 

Zur Begründung verwies der Senat auf seine mit Beschluss vom 14.03.2023 erteilten Hinweise (vgl. Pressemitteilung Nr. 11/2023 vom 21.03.2023), denen die Beklagte in der Sache nicht mehr entgegen getreten ist. Sie werden vermutlich gewusst haben, warum!

Die Beklagte kann gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen.

Je nun, es geht hier um einen recht einfachen Fall aus den BGB - AT und Schuldrecht - AT, bei dem es letztlich nur darum geht, ob bestimmte AGB von eBay befolgt worden sind, möglicherweise hätte man hier ein technisches Sachverständigengutachten einholen müssen, aber das lässt sich ohne nähere Kenntnis der Akte nicht sagen. Eigenartigerweise wird über die Schiffshypothek nur am Rande hingewiesen. Darauf hätte der Verkäufer allerdings hinweisen müssen, wie in einem notariellen Kaufvertrag über Grundstücke. In Köln werden sie Lachanfälle bekommen haben, vermute ich!

Montag, 15. Mai 2023

Die bisherige Rechtsprechung des BGH zu Entschädigungsansprüchen wegen Verlusten von Gewerbetreibenden aufgrund der Corona - Pandemie war bislang schon sehr restriktiv: https://duessellegal.blogspot.com/2022/03/der-bgh-und-entschadigungsanspruche.html

Der BGH hat diese Linie nunmehr weiter geführt und in einer neuen Entscheidung erkannt, dass eine sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisörgeschäfte im Frühjahr 2020 ("erster Lockdown") verhältnismäßig war und keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates zur Regelung von Ausgleichsansprüchen besteht. Das war zu erwarten!

Das Urteil vom 11. Mai 2023 – III ZR 41/22 entschied über die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland für Einnahmeausfälle haftet, die durch die vorübergehende landesweite Schließung von Frisörbetrieben im Frühjahr 2020 im Rahmen der Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus entstanden sind ("erster Lockdown"), die auf einem Bundesgesetz beruhte, dem IfSG.

Der Sachverhalt ist rasch dargestellt: Die Klägerin ist selbständig tätig und betreibt einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten. Durch Verordnungen vom 17. und 20. März 2020 untersagte das beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb zahlreicher Einrichtungen. Dazu gehörten auch Frisörgeschäfte. Diese Einstellungsverfügungen waren sehr umstritten und verfassungsrechtllich zweifelhaft. 

Der Betrieb der Klägerin war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin war auch nicht ansteckungsverdächtig. Aus dem Soforthilfeprogramm des beklagten Landes erhielt sie 9.000 €, die sie allerdings zurückzahlen muss.

Die Klägerin hat geltend gemacht, das beklagte Land schulde ihr eine Entschädigung in Höhe von 8.000 € für die mit der Betriebsschließung verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen (Verdienstausfall, Betriebsausgaben). Die Maßnahme sei zum Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen. Sie berief sich insoweit auf einen Verstoß gegen Art. 12 GG, aber der BGH war anderer Auffassung. 

Bereits das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vor dem Oberlandesgericht war erfolglos geblieben.

Der III. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen und folgte dem Instanzenzug.

Der BGH hat seine Rechtsprechung (Urteil vom 17. März 2022- III ZR 79/21, BGHZ 233, 107) bestätigt, wonach Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts Entschädigungsansprüche zustehen. Praktisch gibt es danach keinerlei Entschädigungsansprüche, darüber hatten wir berichtet. 

"Die sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisöre war auch unter Berücksichtigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verhältnismäßig. Die landesrechtlichen Regelungen, die Betriebsschließungen anordneten, verfolgten das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch die der Überlastung des Gesundheitssystems, zu bekämpfen. Damit erfüllte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen legitimen Zweck. Das Gewicht des Eingriffs in die vorgenannten Grundrechtspositionen wurde durch die verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen entscheidend relativiert. Allein die "Soforthilfe Corona", die ab dem 25. März 2020 zur Verfügung stand, und für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 € betragen konnte, führte in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro. Der Verordnungsgeber hatte zudem von Anfang an eine "Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein schrittweises Öffnungskonzept.

Der Umstand, dass die infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§ 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche begründen, ist auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für die Klägerin mit der in den Betriebsuntersagungen liegenden Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln. Eine Betriebsschließung von sechs Wochen war angesichts der gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Auswirkungen der Pandemie und unter Berücksichtigung des grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden Unternehmerrisikos nicht unzumutbar. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates ist begrenzt. Dementsprechend muss der Staat in Pandemiezeiten sich gegebenenfalls auf seine Kardinalpflichten zum Schutz der Bevölkerung beschränken."

Man kann das sicher mit guten Gründen anders sehen, aber diese Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist inzwischen konsolidiert und wird sich kaum mehr ändern. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Risiken der Pandemie findet in der deutschen Justiz praktisch nicht statt. Jeder Betroffene, ist auf sich selbst angewiesen und Subventionen werden massiv zurückgefordert. Wohin treibt die Bundesrepublik fragte Karl Jaspers 1969. Die Frage ist ungebrochen aktuell. 

Landgericht Heilbronn - Urteil vom 17. Dezember 2020 – I 4 O 83/20

Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 9. Februar 2022 – 4 U 28/21


Samstag, 29. April 2023

Roger Waters und seine Deutschland- Tournee

Roger Waters ist einer der Mitbegründer von Pink Floyd und war bis 1983 deren prägender Einfluß (die Streitigkeiten nach diesem Zeitpunkt bis 1987 sollen hier nicht behandelt werden). 

Roger Waters war immer ein ein kritischer "Geist", der oftmals provoziert hat, der aber immer für Menschen - und Bürgerrechte eingetreten ist, so auch - sehr pointiert - für die Freilassung von Julian Assange. Sein Statement vor dem UN - Sicherheitsrat ist sehr beachtlich. 

Unbeschadet dessen finden sich von ihm Äußerungen zu Palästina, die weltweit bei jüdischen Organisationen Bedenken ausgelöst haben, die absolut ernstzunehmen sind. Aber kein Roger Waters wird das komplexe Geflecht zwischen Israel und Palästina lösen können, dazu ist es zu komplex. Zumal sich hier auf der Meta - Ebene auch die Frage stellt, wie Semiten sich zueinander antisemitisch verhalten können. Die Fragen, die sich hier stellen, sind sehr komplex und es mag sein, dass Roger Waters hier manchmal über sein Ziel hinausgeschossen ist. 

Seine politischen Äußerungen und seine Konzerte sind aber zwei verschiedene Dinge. Bei seinen Konzerten geht es nicht um Meinungsäußerungsfreiheit, sondern um den Schutz der Freiheit der Kunst, die grundsätzlich nicht beschränkt ist, außer im Rahmen der praktischen Konkordanz im Abgleich mit anderen Grundrechten. 

Seine aktuelle Tour ist teilweise bei Youtube für einige Konzerte, etwa in Madrid oder Barcelona, in voller Länge abrufbar. Da findet sich viel kritisches gegenüber Kriegsverbrechen etwa, aber nichts antisemitisches. Er hat dazu mehrfach Stellung genommen. Er setzt sich auch pointiert für die Freilassung von Julian Assange ein, was in Deutschland in der Mainstream - Politik keinen positiven Widerhall gefunden hat.

Diese Europa - Tour ist ein riesiger Erfolg. Die Konzerte sind überall ausverkauft und die Resonanz ist sehr positiv. 

Bedenken wurden bislang nur in Deutschland laut. In Köln, München, Frankfurt und Berlin wurden Verbote dieser Konzerte erwogen, die schon veranstaltungsrechtlich schwierig sind, weil die Kommunen oftmals nicht der Träger der Konzerthallen und nicht Veranstalter sind. Massive Schadensersatzforderungen sind hier denkbar. 

Hier stellen sich Probleme etwa bei der "Zwei-Stufen-Theorie" und der Drittwirkung der Grundrechte, neben weiteren Problemen. Hier ist aber die Stadt Frankfurt am Main Mit - Gesellschafterin der Frankfurter Messe GmbH neben dem Land Hessen. 

Am 24.04.2023 hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main über den Auftritt in Frankfurt am Main zu befinden und hat wenig überraschend entschieden, dass dieses Konzert am 28.05.2023 stattfinden darf. Das Gericht hat die Öffentlichkeit darüber mit einer Pressemitteilung Nr. 05/2023 unterichtet. Hier stellt sich auch das Problem, inwieweit die Beteiligungsstruktur auf den Event-Vertrag "durchschlägt". Diese Frage hat das Gericht wegen der Beteiligungsstruktur klar bejaht.

"Nach dem Beschluss der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom heutigen Tag müssen die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen als Gesellschafter der Frankfurter Messe GmbH dem Musiker und Antragsteller die Möglichkeit verschaffen, sein geplantes Konzert am 28.05.2023 in der Festhalle durchzuführen."

"Im Herbst 2022 schloss die Messe GmbH mit der Produktionsfirma des Antragstellers einen Vertrag zur Durchführung der Veranstaltung „Roger Waters 2023 Konzert“ am 28.05.2023 in der Frankfurter Festhalle. Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen sind Gesellschafter der Messe GmbH und halten jeweils 60 bzw. 40 % Geschäftsanteile."

Das Gericht weist sehr zutreffend auf die Nazi - Vergangenheit in dieser Festhalle hin und nimmt die Bedenken hinsichtlich des Vorwurfs eines Antisemitimus absolut ernst: 

"In der Festhalle wurden zu Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur im November 1938 nach der Reichspogromnacht mehr als 3.000 jüdische Männer aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet zusammengetrieben, festgehalten, schwer misshandelt und anschließend der Deportation in die Konzentrationslager zugeführt. Entsprechende Gedenktafeln sind in der Rotunde der Halle und auf dem Vorplatz aufgestellt. 

Mit Magistratsbeschluss vom 24.02.2023 wies die Stadt zusammen mit dem Land die Geschäftsführer der Messe GmbH an, den Veranstaltungsvertrag unverzüglich aus wichtigem Grund zu kündigen und damit die Festhalle nicht für das Konzert zur Verfügung zu stellen. In dem Rücktrittsschreiben der Messe GmbH an die Produktionsfirma des Antragstellers vom 21.03.2023 wurde hierzu ausgeführt, dass man auf mögliche israelfeindliche Äußerungen des Antragstellers und auf mögliche israelkritische Teile seiner Bühnenshow aufmerksam gemacht worden sei.

Nach erfolglosen Verhandlungen über die Nutzung der Festhalle und somit über die Vertragserfüllung hat der Antragsteller am 04.04.2023 einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellt, mit dem er gegenüber dem Land und der Stadt Frankfurt am Main seinen Anspruch auf Nutzung der Festhalle geltend macht.

Mit Beschluss vom heutigen Tag hat die zuständige 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main dem Antrag überwiegend stattgegeben und entschieden, dass das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main dem Antragsteller durch entsprechende Einwirkung auf die Geschäftsführer der Messe GmbH Zutritt zur Festhalle zur Durchführung des Konzertes am 28.05.2023 zu verschaffen haben."

Das ist der kritische Punkt, aber der Rat hat eben Anweisungen an die Gesellschaft gegeben und damit direkten Einfluss als GmbH - Gesellschafter auf die Geschäftsführung ausgeübt: 

"Die Kammer hat zunächst ausgeführt, dass der Antrag gegen das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main zulässig sei. Diese hätten gemeinsam Einwirkungsmöglichkeiten auf die Messe GmbH, weil sie die alleinigen Gesellschafter seien. Dies zeige schon der Magistratsbeschluss vom 24.02.2023, mit dem die Antragsgegner die Geschäftsführer der Messe GmbH angewiesen hätten, den Vertrag mit der Produktionsfirma des Antragstellers zu kündigen. Dem Antrag stehe auch nicht entgegen, dass es keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen dem Antragsteller und der Messe GmbH gebe, da die Zugangsbeschränkung auch die Rechte des Antragstellers selbst betreffe."

Die Kammer wählt insoweit einen innovativen Ansatz, der sich vom Gesellschaftsrecht weg, zur Frage der Wertung einer faktischen Zugangsbeschränkung bewegt, aber dies ist absolut plausibel. Die Kammer führt weiter aus: 

"Inhaltlich habe der Antragsteller einen Anspruch auf Durchführung des Konzerts aus Art. 3 Grundgesetz in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung. Denn die Festhalle sei als Event- und Konzerthalle aufgrund der bisherigen Benutzungspraxis allgemein für Veranstaltungen und Konzerte von internationalen Künstlern sowie für Messen, Ausstellungen und Kongresse von Unternehmen gewidmet. Insoweit habe der Antragsteller einen Verschaffungsanspruch auf Zugang zu der Halle, den die öffentlichen Träger durch Einwirken auf den privatrechtlichen Betreiber zu erfüllen hätten. Das für den 28.05.2023 geplante Konzert sei vom Widmungszweck der Festhalle umfasst. Eine konkludente Widmungsbeschränkung aufgrund der besonderen historischen Bedeutung der Festhalle ergebe sich weder aus der bisherigen Benutzungspraxis noch aus anderen Umständen wie etwa den Gedenktafeln."

Die hier entscheidende Frage war, ob Ausnahmen vom Widmungszweck vorliegend ein Verbot rechtfertigen konnten, was zu verneinen war. 

Die Kammer geht völlig zutreffend davon aus, dass es sich hier nicht um eine Frage der Meinungsfreiheit, sondern um eine Frage der Kunstfreiheit handelt: 

"Durch die Entziehung der Nutzung der Festhalle werde der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. Die Konzertveranstaltung des Antragstellers sei als Kunstwerk zu betrachten. Bei einer Beschränkung der nach dem Grundgesetz schrankenlos gewährten Kunstfreiheit müsse entsprechend den verfassungsrechtlichen Wertungen zur Meinungsfreiheit bei Kunstwerken, die mehrere nachvollziehbare Interpretationsmöglichkeiten zulassen, diejenige Lesart gewählt werden, die nicht als in irgendeiner Form rechtswidrig oder gar sanktionsbedürftig einzustufen sei. Danach verletze das Konzert des Antragstellers nicht die Menschenwürde der in der Festhalle misshandelten jüdischen Männer und es lasse sich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Geltungs- und Achtungsanspruchs der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden nicht zweifelsfrei feststellen. Zwar bediene sich der Antragsteller im Rahmen seiner Bühnenshow offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik."

Dazu sollte man eine der Bühnenshows gesehen haben, um dies zu beurteilen. 

"Gerade vor dem historischen Hintergrund der Festhalle möge die Bühnenshow daher als besonders geschmacklos zu bewerten sein. Eine solche Bewertung entziehe sich jedoch der verwaltungs- bzw. verfassungsrechtlichen Prüfung. Entscheidend sei allein, dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere.

Anhaltspunkte dafür, dass durch die Bühnenshow des Antragstellers oder von ihm selbst strafbare Handlungen, wie das Verwenden von Propagandamaterial und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86 a Strafgesetzbuch) oder Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch), begangen würden, seien nicht ersichtlich."

Ob hier Beschwerde erhoben wird, ist unbekannt. Zutreffend ist aber, dass das Gericht der Kunstfreiheit zum Aktenzeichen: 7 L 1055/23.F den zutreffenden Rang eingeräumt hat. 

Dieser Fall gibt Anlass über die aktuelle deutsche "Verbotskultur" nachzudenken. Mit einem Verbot eines ausverkauften Konzerts wird niemand geschützt, der dort hingehen wird, zumal etliche Konzerte der Tour im Internet angesehen werden können. Sollte es hier Bedenken geben, hilft  nur eine wirklich kritische Auseinandersetzung auf der Basis von Tatsachen. Solche kritischen Auseinandersetzungen sind derzeit leider "dünn gesät", was kritisch anzumerken ist.


Roger Waters hat zu dieser Entscheidung bei Facebook Stellung genommen: 

𝑹𝑬𝑨𝑫 𝑨𝑳𝑳 𝑨𝑩𝑨𝑯𝑻 𝑰𝑻!!!!
FRANKFURT COURT finds Roger Waters cancelled show can proceed because the court finds:
“ROGER WATERS IS NOT AN ANTI-SEMITE!”
And
“His use of costume parodying the German Third Reich during the show” is “an acceptable use of artistic license to warn us all of the dangers of the current resurgence of fascism in the West.”
So, the concert in Frankfurt on the 28th will go ahead. In light of this enlightened decision:
1. Can we please stop conflating criticism of the policies of the government of the apartheid, racist, state of Israel with anti-semitism!
2. Can we please agree to scrap the absurd IHRA definition of anti-semitism, a worthless piece of paper, whose only possible use is to obfuscate the real meaning of the term?
3. Can we congratulate the German people for having laws that protect freedom of artistic expression? And urge them to prevail upon their government to please stop using militarized police to ban, and violently put down, peaceful BDS demonstrations organized in support of our oppressed brothers and sisters in Palestine.
I can’t wait to bring my message of love and peace to Germany in May, there to stand shoulder-to-shoulder, not only with all my brothers and sisters in the BDS movement, but also with the rest of the burgeoning anti-war, anti-racist, anti-capitalist, anti-authoritarian, anti-establishment movement that warms this bleeding heart.
Love
R.



 

Sonntag, 23. April 2023

Makler können Reservierungsgebühren in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vereinbaren

Die Thematik ist nicht ganz so neu, wie sie klingt, angesichts des neuen Urteils des vom 20. April 2023 - I ZR 113/22, mit dem der BGH entschieden hat, dass die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Verpflichtung eines Maklerkunden zur Zahlung einer Reservierungsgebühr unwirksam ist.

Reservierungsvereinbarungen oder Kaufabsichtserklärungen finden sich nahezu bei allen Vermittlungsgeschäften, etwa auch im Kunsthandel, werden dort aber selten in AGB fixiert. In Reservierungsvereinbarungen lassen sich Vermittler von Geschäftsabschlüssen, ein Entgelt dafür versprechen, dass sie sich verpflichten, das betreffende Objekt während eines bestimmten Zeitraumes niemand anderem anzubieten, was grundsätzlich völlig legitim ist. Dies setzt aber bereits ein stattgefundene Vermittlungstätigkeit voraus, etwa nach dem Motto "Würde ich gerne kaufen, kann ich aber erst in drei Monaten". 

Indessen gehört es zum Leitbild eines Vermittlungsvertrages, dass eine Provision von einem Erfolg abhängt, soweit nichts anderes individualvertraglich vereinbart wurde. Verpflichtet sich ein Kunde gegenüber dem Makler nur an einen bestimmten nachgewiesenen Käufer zu verkaufen oder aber ein bestimmtes Grundstück zu kaufen, so kann dies nur individuell vereinbart werden, wobei die Regelungen des AGB - Rechts Einschränkungen enthalten können und bei Grundstücksgeschäften ohnehin § 311 b Abs.1 BGB Restriktionen erzwingen kann. Solche Klauseln dürfen daher nicht einseitig gestellt werden und für zahlreiche Fälle vorformuliert werden. Das ist das Kernproblem dieser Fälle. 

Der Streit um die Kaufabsichtserklärung zieht sich bereits lange dahin (s. etwa OLGR Düsseldorf, 2001, 1031; BGH, VersrR 1992, 958). Indessen kann ein Makler auch bei einem qualifizierten Alleinauftrag nicht garantieren, dass der Eigentümer nicht an einen anderen veräußerst. Solche Klauseln sind daher für Vermittler sehr riskant. Für den Makler können solche Klauseln sogar Schadensersatzansprüche auslösen. Eine solche Klausel kann sogar nichtig sein, wenn sie jemand zum Vertragsbruch verleiten sollte, § 138 BGB. Ganz abgesehen von Fällen der Überhöhung des Entgelts und bei zeitlicher Unbegrenztheit (BGHZ 103, 235). 

Es ist daher nicht so, dass dieses neue Urteil Neuland betritt. Die nächste Frage, die sich hier stellt, ist ein schuldrechliches Veräußerungsverbot. Dass solche Vereinbarungen dem Leitbild des Maklervertrages nicht entsprechen, wird schon lange vertreten (Staudinger/Reuter, §§ 652, 653, Rd. 230). 

Der BGH hat nunmehr klare Verhältnisse geschaffen, die aber nicht jede Kaufabsichtsvereinbarung ausschließt, wenn sie individuell getroffen werden sollte. 

Der BGH ist der Auffassung, dass der Reservierungsvertrag der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt, weil es sich dabei nach dem Inhalt der getroffenen Abreden nicht um eine eigenständige Vereinbarung, sondern um eine den Maklervertrag ergänzende Regelung handelt. Dass der Reservierungsvertrag in Form eines gesonderten Vertragsdokuments geschlossen wurde und später als der Maklervertrag zustande kam, steht dem nicht entgegen.

Der Reservierungsvertrag benachteiligt die Maklerkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen und ist daher unwirksam, weil die Rückzahlung der Reservierungsgebühr ausnahmslos ausgeschlossen ist und sich aus dem Reservierungsvertrag weder für die Kunden nennenswerte Vorteile ergeben noch seitens des Immobilienmaklers eine geldwerte Gegenleistung zu erbringen ist. Außerdem kommt der Reservierungsvertrag der Vereinbarung einer erfolgsunabhängigen Provision zugunsten des Maklers gleich. Das widerspricht dem Leitbild der gesetzlichen Regelung des Maklervertrags, wonach eine Provision nur geschuldet ist, wenn die Maklertätigkeit zum Erfolg geführt hat.

Die Argumentation des BGH, dass eine solche Vereinbarung bereits nicht deshalb überzeugend ist, weil es sich um eine erfolgsunabhängige Provision handeln soll, ist bereits deshalb nicht überzeugend, weil der Kaufvertrag aufgrund der vorausgegangenen Vermittlungsbemühungen überhaupt zustande gekommen ist.  Ein Objekt wird nur reserviert, wenn es zuvor eine Vermittlung gegeben hat. Natürlich gibt es Möglichkeiten dies jenseits der AGB - Problematik zu lösen, wobei aber Vorsicht geboten ist. 


Montag, 17. April 2023

Aspekte zu "Paid Content" und § 5 a Abs.4 UWG

Hinter dem Begriff "Paid Content" verbergen sich durchaus sehr verschiedene "Online - Marketingstragien, die nach dem Gabler Wirtschaftsmagazin dadurch verbunden sind, dass es sich um bezahlte Inhalte handelt. Deren Formen sind sehr unterschiedlich. Abzugrenzen sind reine Gefälligkeitsnennungen (etwa als "Fan"), Influencermarketing besonders bei Instagram, bezahlte Inhalte auf Website, die Werbung darstellen, mitunter ohne Kenntlichmachung oder Contents, die über mobile Dienste gegen Bezahlung kenntlich gemacht werden (mobile Content - Marketing). Davon abzugrenzen sind werbefinanzierte Gratisinhalte, die oftmals mit Daten "bezahlt" werden. Entsprechend haben hier datenschutzrechtliche Vorgaben, eine hohe Bedeutung, die hier aber außen vorbleiben sollen.  

Die Bezahlprinzipien für Paid Content sind nicht weniger unterschiedlich, wie die Vermarktungsformen. Es kann sich um transaktionsunabhängige Abonnement-Modelle handeln, aber auch  transaktionsabhängige Modelle, bei denen der Kunde für jedes einzelne Content-Objekt (Musikstück, Film, Printartikel etc.) einzeln zahlt. Es gibt auch Modelle, bei denen nur für Promotionsleistungen nach Impressions gezahlt wird. Diese Modelle sind im B2B - Bereich sehr verbreitet. In vielen Fällen handelt es sich um Gestaltungsfragen, die aber alle das Ziel haben, Kenntnis und Nachfrage nach bestimmten Wirtschaftsgütern zu vergrößern, was völlig legitim ist.
 
Diese Vorgehensweisen finden vor einem rechtlichen Rahmen statt, der immer enger gezogen wird und eine gewisse Werbeskepsis. Das Werbung auch Kunst sein kann, hatte Charles Wilp eindrucksvoll unter Beweis gestellt ("Kunst im Rausch der Werbung"). Insoweit stellen sich hier unter Umständen auch grundrechtliche Fragestellungen. 

Bereits im analogen Presserecht wurde die Unterscheidung zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten entwickelt, die aber bereits in den 70ger Jahren immer durchlässiger wurde, etwa bei Productplacement in Film und Fernsehen. Diese Anforderungen wurde nahezu 1:1 in die Medien des Internets übertragen, wie aus §§ 22 Abs. 1, § 74 i.V.m. § 8 Abs. 3 MStV folgt.

Mit dem Aufkommen der Instagram - Influencer - Szene verschärfte sich die Situation und etliche Abmahnungen führten dazu, dass zunächst die Rechtsprechung lauterkeitsrechtliche Entscheidungen treffen musste, die man letztlich als zurückhaltend bezeichnen muss. 

Es handelt sich dabei um Produktplacement, Empfehlungsmarketing, Kaufanreize und vergleichbare Phänomene. Das OLG Celle entschied in einem der ersten OLG - Urteile zu diesem Thema, das die Kennzeichnung in einem Instagram - Post mit dem Hashtag #ad nicht hinreichend war (OLG Celle, 08.06.2017, 13 U 53/17). 

Wenig später hatte der BGH Gelegenheit in diesem Bereich einen praktikablen Rechtsrahmen zu entwickeln. In der bahnbrechenden Entscheidung Influencer I stellte der BGH klar, dass bei werblichen Inhalten zwecks Angebot von Waren und Dienstleistungen Kennzeichnungspflichten nach sich ziehen, die nach einer Güter - und Interessenabwägung weit gezogen wurden. Jede Gegenleistung macht einen solchen Post kennzeichnungspflichtig und selbst ohne Gegenleistung kann eine Kennzeichnungspflicht ausgelöst werden, wenn der Gesamteindruckung für einen werblichen Überschuss spricht. Mit der Entscheidung Influencer II wurden Einschränkungen bei reiner Eigenwerbung statuiert. Mit der Entscheidung Influencer III erweiterte der BGH die Kennzeichnungspflichten für den Bereich der Absatzförderung, wenn die betreffenden Waren - und Dienstleistungen von einem Dritten dem Influencer kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden. Die Schwelle zur Absatzförderung ist durchaus schnell erreicht. 

Dann entschied sich der Gesetzgeber vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben aus der UGP - RL zu handeln und diesen Bereich zu regulieren, was durch § 5 a Abs.4 UWG geschah, der reichlich Verwirrung bei den Unternehmen ausgelöst hat. Die Gesetzesfassung beruht auf dem Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vom 10.08.2021 (BGBl. I S. 3504) und trat am 28.05.2022 in Kraft. Die Norm hat folgenden Wortlaut: 

 (4) Unlauter handelt auch, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Ein kommerzieller Zweck liegt bei einer Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens nicht vor, wenn der Handelnde kein Entgelt oder keine ähnliche Gegenleistung für die Handlung von dem fremden Unternehmen erhält oder sich versprechen lässt. Der Erhalt oder das Versprechen einer Gegenleistung wird vermutet, es sei denn der Handelnde macht glaubhaft, dass er eine solche nicht erhalten hat.

Die Norm enthält Restriktionen schafft aber auch Gestaltungsspielräume, die legal genutzt werden können. Zu einem kann sich der kommerzielle Zweck einer geschäftlichen Handlung aus den Umständen ergeben, was mangels näherer Bestimmung, erhebliche Auslegungsprobleme auslöst. 

Zum anderen ergibt sich aber eine Einschränkung der Kennzeichnungspflicht aufgrund eines subjektiven Elements, wenn wenn der Verbraucher oder Marktteilnehmer durch die betreffende Gestaltung nicht zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden soll, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die beiden Ausnahmen werden aber derzeit noch recht restriktiv gesehen, vor dem Hintergrund der UGP - Richtlinie. 

Die Regelung zur Entgeltproblematik entspricht der Rechtsprechung des BGH, die damit teilkodifiziert wurde. Diese Vermutung muss der Werbegestalter im Zweifel widerlegen. Es liegt auf der Hand, dass diese Regelungen teilweise Verzweiflung im Werbebereich ausgelöst haben.
 
Letztlich handelt es sich um eine Modifikation des bereits im Jahr 1909 anerkannten Wahrheitsgrundsatz, der das UWG jahrzehntelang geprägt hat. Es geht darum Verbraucher und Marktteilnehmer davor zu schützen, einen kommerziellen Zusammenhang nicht erkennen zu können, wie die europarechtliche Grundlage in § 7 Abs.2 UPG -RL statuiert. 

Es handelt sich um eine völlig eigenständige Norm, die letztlich mit der zutreffenden Bereitstellung wesentlicher Informationen nichts zu tun hat (so auch Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage, 2023, § 5 a, Rdnr. 4.6). Die deutsche Regulation ist richtlienkonform auszulegen. Etwaige Beschränkungen des Kommunikationsmediums sind daher nicht zu berücksichtigen. 

Die Norm findet keine Anwendung, wenn ein Betroffener nicht zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden. Damit scheiden erhebliche Modelle des Paid Contents aus dem Anwendungsbereich aus, die allenfalls Promotions enthalten, die keine geschäftlichen Entscheidungen nach sich ziehen können. 

Es geht vielmehr eher um Fallgruppen wie der Tarnung einer Verkaufsveranstaltung als Freizeitveranstaltung, die Nichtkenntlichmachung eines kommerziellen Zwecks für eine Kontaktaufnahme, getarnte Meinungsumfragen, die Tarnung einer Werbung als private Äußerung und getarnte Werbung in Medien sowie dem Vortäuschen einer objektiven Berichterstattung. 

Besonders fraglich ist bei allen einschlägigen Gestaltungen, wann sich ein kommerzieller Zweck aus den Umständen ergibt. Die bisherige Kommentarliteratur legt dieses Tatbestandsmerkmal erwartungsgemäß restriktiv aus und will es nur angewendet wissen, bei geschäftlichen Handlungen zugunsten des eigenen Unternehmens, nicht aber bei geschäftlichen Handlungen zugunsten dritter Unternehmen. 

Ähnlich restriktiv wird die subjektive Komponente eingeschätzt, so dass bereits eine Verlinkung auf ein Angebot ausreichen kann. Bislang sind nur wenige Klärungen durch die Rechtsprechung erfolgt. 

Der Rechtsrahmen ist daher mit Vorsicht zu handhaben und hat die Abmahnrisiken ausgeweitet, die aber bislang weitgehend ausgeblieben sind. Grundsätzlich sind werbliche Inhalte daher als Werbung zu kennzeichnen, wenn nicht mit guten Gründen eine Ausnahme angenommen werden kann.