Der BGH hat diese Linie nunmehr weiter geführt und in einer neuen Entscheidung erkannt, dass eine sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisörgeschäfte im Frühjahr 2020 ("erster Lockdown") verhältnismäßig war und keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates zur Regelung von Ausgleichsansprüchen besteht. Das war zu erwarten!
Der Sachverhalt ist rasch dargestellt: Die Klägerin ist selbständig tätig und betreibt einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten. Durch Verordnungen vom 17. und 20. März 2020 untersagte das beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb zahlreicher Einrichtungen. Dazu gehörten auch Frisörgeschäfte. Diese Einstellungsverfügungen waren sehr umstritten und verfassungsrechtllich zweifelhaft.
Der Betrieb der Klägerin war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin war auch nicht ansteckungsverdächtig. Aus dem Soforthilfeprogramm des beklagten Landes erhielt sie 9.000 €, die sie allerdings zurückzahlen muss.
Die Klägerin hat geltend gemacht, das beklagte Land schulde ihr eine Entschädigung in Höhe von 8.000 € für die mit der Betriebsschließung verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen (Verdienstausfall, Betriebsausgaben). Die Maßnahme sei zum Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen. Sie berief sich insoweit auf einen Verstoß gegen Art. 12 GG, aber der BGH war anderer Auffassung.
Bereits das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vor dem Oberlandesgericht war erfolglos geblieben.
Der III. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen und folgte dem Instanzenzug.
Der BGH hat seine Rechtsprechung (Urteil vom 17. März 2022- III ZR 79/21, BGHZ 233, 107) bestätigt, wonach Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts Entschädigungsansprüche zustehen. Praktisch gibt es danach keinerlei Entschädigungsansprüche, darüber hatten wir berichtet.
"Die sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisöre war auch unter Berücksichtigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verhältnismäßig. Die landesrechtlichen Regelungen, die Betriebsschließungen anordneten, verfolgten das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch die der Überlastung des Gesundheitssystems, zu bekämpfen. Damit erfüllte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen legitimen Zweck. Das Gewicht des Eingriffs in die vorgenannten Grundrechtspositionen wurde durch die verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen entscheidend relativiert. Allein die "Soforthilfe Corona", die ab dem 25. März 2020 zur Verfügung stand, und für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 € betragen konnte, führte in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro. Der Verordnungsgeber hatte zudem von Anfang an eine "Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein schrittweises Öffnungskonzept.
Der Umstand, dass die infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§ 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche begründen, ist auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für die Klägerin mit der in den Betriebsuntersagungen liegenden Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln. Eine Betriebsschließung von sechs Wochen war angesichts der gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Auswirkungen der Pandemie und unter Berücksichtigung des grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden Unternehmerrisikos nicht unzumutbar. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates ist begrenzt. Dementsprechend muss der Staat in Pandemiezeiten sich gegebenenfalls auf seine Kardinalpflichten zum Schutz der Bevölkerung beschränken."
Man kann das sicher mit guten Gründen anders sehen, aber diese Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist inzwischen konsolidiert und wird sich kaum mehr ändern. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Risiken der Pandemie findet in der deutschen Justiz praktisch nicht statt. Jeder Betroffene, ist auf sich selbst angewiesen und Subventionen werden massiv zurückgefordert. Wohin treibt die Bundesrepublik fragte Karl Jaspers 1969. Die Frage ist ungebrochen aktuell.
Landgericht Heilbronn - Urteil vom 17. Dezember 2020 – I 4 O 83/20
Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 9. Februar 2022 – 4 U 28/21
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