Samstag, 29. April 2023

Roger Waters und seine Deutschland- Tournee

Roger Waters ist einer der Mitbegründer von Pink Floyd und war bis 1983 deren prägender Einfluß (die Streitigkeiten nach diesem Zeitpunkt bis 1987 sollen hier nicht behandelt werden). 

Roger Waters war immer ein ein kritischer "Geist", der oftmals provoziert hat, der aber immer für Menschen - und Bürgerrechte eingetreten ist, so auch - sehr pointiert - für die Freilassung von Julian Assange. Sein Statement vor dem UN - Sicherheitsrat ist sehr beachtlich. 

Unbeschadet dessen finden sich von ihm Äußerungen zu Palästina, die weltweit bei jüdischen Organisationen Bedenken ausgelöst haben, die absolut ernstzunehmen sind. Aber kein Roger Waters wird das komplexe Geflecht zwischen Israel und Palästina lösen können, dazu ist es zu komplex. Zumal sich hier auf der Meta - Ebene auch die Frage stellt, wie Semiten sich zueinander antisemitisch verhalten können. Die Fragen, die sich hier stellen, sind sehr komplex und es mag sein, dass Roger Waters hier manchmal über sein Ziel hinausgeschossen ist. 

Seine politischen Äußerungen und seine Konzerte sind aber zwei verschiedene Dinge. Bei seinen Konzerten geht es nicht um Meinungsäußerungsfreiheit, sondern um den Schutz der Freiheit der Kunst, die grundsätzlich nicht beschränkt ist, außer im Rahmen der praktischen Konkordanz im Abgleich mit anderen Grundrechten. 

Seine aktuelle Tour ist teilweise bei Youtube für einige Konzerte, etwa in Madrid oder Barcelona, in voller Länge abrufbar. Da findet sich viel kritisches gegenüber Kriegsverbrechen etwa, aber nichts antisemitisches. Er hat dazu mehrfach Stellung genommen. Er setzt sich auch pointiert für die Freilassung von Julian Assange ein, was in Deutschland in der Mainstream - Politik keinen positiven Widerhall gefunden hat.

Diese Europa - Tour ist ein riesiger Erfolg. Die Konzerte sind überall ausverkauft und die Resonanz ist sehr positiv. 

Bedenken wurden bislang nur in Deutschland laut. In Köln, München, Frankfurt und Berlin wurden Verbote dieser Konzerte erwogen, die schon veranstaltungsrechtlich schwierig sind, weil die Kommunen oftmals nicht der Träger der Konzerthallen und nicht Veranstalter sind. Massive Schadensersatzforderungen sind hier denkbar. 

Hier stellen sich Probleme etwa bei der "Zwei-Stufen-Theorie" und der Drittwirkung der Grundrechte, neben weiteren Problemen. Hier ist aber die Stadt Frankfurt am Main Mit - Gesellschafterin der Frankfurter Messe GmbH neben dem Land Hessen. 

Am 24.04.2023 hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main über den Auftritt in Frankfurt am Main zu befinden und hat wenig überraschend entschieden, dass dieses Konzert am 28.05.2023 stattfinden darf. Das Gericht hat die Öffentlichkeit darüber mit einer Pressemitteilung Nr. 05/2023 unterichtet. Hier stellt sich auch das Problem, inwieweit die Beteiligungsstruktur auf den Event-Vertrag "durchschlägt". Diese Frage hat das Gericht wegen der Beteiligungsstruktur klar bejaht.

"Nach dem Beschluss der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom heutigen Tag müssen die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen als Gesellschafter der Frankfurter Messe GmbH dem Musiker und Antragsteller die Möglichkeit verschaffen, sein geplantes Konzert am 28.05.2023 in der Festhalle durchzuführen."

"Im Herbst 2022 schloss die Messe GmbH mit der Produktionsfirma des Antragstellers einen Vertrag zur Durchführung der Veranstaltung „Roger Waters 2023 Konzert“ am 28.05.2023 in der Frankfurter Festhalle. Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen sind Gesellschafter der Messe GmbH und halten jeweils 60 bzw. 40 % Geschäftsanteile."

Das Gericht weist sehr zutreffend auf die Nazi - Vergangenheit in dieser Festhalle hin und nimmt die Bedenken hinsichtlich des Vorwurfs eines Antisemitimus absolut ernst: 

"In der Festhalle wurden zu Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur im November 1938 nach der Reichspogromnacht mehr als 3.000 jüdische Männer aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet zusammengetrieben, festgehalten, schwer misshandelt und anschließend der Deportation in die Konzentrationslager zugeführt. Entsprechende Gedenktafeln sind in der Rotunde der Halle und auf dem Vorplatz aufgestellt. 

Mit Magistratsbeschluss vom 24.02.2023 wies die Stadt zusammen mit dem Land die Geschäftsführer der Messe GmbH an, den Veranstaltungsvertrag unverzüglich aus wichtigem Grund zu kündigen und damit die Festhalle nicht für das Konzert zur Verfügung zu stellen. In dem Rücktrittsschreiben der Messe GmbH an die Produktionsfirma des Antragstellers vom 21.03.2023 wurde hierzu ausgeführt, dass man auf mögliche israelfeindliche Äußerungen des Antragstellers und auf mögliche israelkritische Teile seiner Bühnenshow aufmerksam gemacht worden sei.

Nach erfolglosen Verhandlungen über die Nutzung der Festhalle und somit über die Vertragserfüllung hat der Antragsteller am 04.04.2023 einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellt, mit dem er gegenüber dem Land und der Stadt Frankfurt am Main seinen Anspruch auf Nutzung der Festhalle geltend macht.

Mit Beschluss vom heutigen Tag hat die zuständige 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main dem Antrag überwiegend stattgegeben und entschieden, dass das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main dem Antragsteller durch entsprechende Einwirkung auf die Geschäftsführer der Messe GmbH Zutritt zur Festhalle zur Durchführung des Konzertes am 28.05.2023 zu verschaffen haben."

Das ist der kritische Punkt, aber der Rat hat eben Anweisungen an die Gesellschaft gegeben und damit direkten Einfluss als GmbH - Gesellschafter auf die Geschäftsführung ausgeübt: 

"Die Kammer hat zunächst ausgeführt, dass der Antrag gegen das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main zulässig sei. Diese hätten gemeinsam Einwirkungsmöglichkeiten auf die Messe GmbH, weil sie die alleinigen Gesellschafter seien. Dies zeige schon der Magistratsbeschluss vom 24.02.2023, mit dem die Antragsgegner die Geschäftsführer der Messe GmbH angewiesen hätten, den Vertrag mit der Produktionsfirma des Antragstellers zu kündigen. Dem Antrag stehe auch nicht entgegen, dass es keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen dem Antragsteller und der Messe GmbH gebe, da die Zugangsbeschränkung auch die Rechte des Antragstellers selbst betreffe."

Die Kammer wählt insoweit einen innovativen Ansatz, der sich vom Gesellschaftsrecht weg, zur Frage der Wertung einer faktischen Zugangsbeschränkung bewegt, aber dies ist absolut plausibel. Die Kammer führt weiter aus: 

"Inhaltlich habe der Antragsteller einen Anspruch auf Durchführung des Konzerts aus Art. 3 Grundgesetz in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung. Denn die Festhalle sei als Event- und Konzerthalle aufgrund der bisherigen Benutzungspraxis allgemein für Veranstaltungen und Konzerte von internationalen Künstlern sowie für Messen, Ausstellungen und Kongresse von Unternehmen gewidmet. Insoweit habe der Antragsteller einen Verschaffungsanspruch auf Zugang zu der Halle, den die öffentlichen Träger durch Einwirken auf den privatrechtlichen Betreiber zu erfüllen hätten. Das für den 28.05.2023 geplante Konzert sei vom Widmungszweck der Festhalle umfasst. Eine konkludente Widmungsbeschränkung aufgrund der besonderen historischen Bedeutung der Festhalle ergebe sich weder aus der bisherigen Benutzungspraxis noch aus anderen Umständen wie etwa den Gedenktafeln."

Die hier entscheidende Frage war, ob Ausnahmen vom Widmungszweck vorliegend ein Verbot rechtfertigen konnten, was zu verneinen war. 

Die Kammer geht völlig zutreffend davon aus, dass es sich hier nicht um eine Frage der Meinungsfreiheit, sondern um eine Frage der Kunstfreiheit handelt: 

"Durch die Entziehung der Nutzung der Festhalle werde der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. Die Konzertveranstaltung des Antragstellers sei als Kunstwerk zu betrachten. Bei einer Beschränkung der nach dem Grundgesetz schrankenlos gewährten Kunstfreiheit müsse entsprechend den verfassungsrechtlichen Wertungen zur Meinungsfreiheit bei Kunstwerken, die mehrere nachvollziehbare Interpretationsmöglichkeiten zulassen, diejenige Lesart gewählt werden, die nicht als in irgendeiner Form rechtswidrig oder gar sanktionsbedürftig einzustufen sei. Danach verletze das Konzert des Antragstellers nicht die Menschenwürde der in der Festhalle misshandelten jüdischen Männer und es lasse sich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Geltungs- und Achtungsanspruchs der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden nicht zweifelsfrei feststellen. Zwar bediene sich der Antragsteller im Rahmen seiner Bühnenshow offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik."

Dazu sollte man eine der Bühnenshows gesehen haben, um dies zu beurteilen. 

"Gerade vor dem historischen Hintergrund der Festhalle möge die Bühnenshow daher als besonders geschmacklos zu bewerten sein. Eine solche Bewertung entziehe sich jedoch der verwaltungs- bzw. verfassungsrechtlichen Prüfung. Entscheidend sei allein, dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere.

Anhaltspunkte dafür, dass durch die Bühnenshow des Antragstellers oder von ihm selbst strafbare Handlungen, wie das Verwenden von Propagandamaterial und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86 a Strafgesetzbuch) oder Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch), begangen würden, seien nicht ersichtlich."

Ob hier Beschwerde erhoben wird, ist unbekannt. Zutreffend ist aber, dass das Gericht der Kunstfreiheit zum Aktenzeichen: 7 L 1055/23.F den zutreffenden Rang eingeräumt hat. 

Dieser Fall gibt Anlass über die aktuelle deutsche "Verbotskultur" nachzudenken. Mit einem Verbot eines ausverkauften Konzerts wird niemand geschützt, der dort hingehen wird, zumal etliche Konzerte der Tour im Internet angesehen werden können. Sollte es hier Bedenken geben, hilft  nur eine wirklich kritische Auseinandersetzung auf der Basis von Tatsachen. Solche kritischen Auseinandersetzungen sind derzeit leider "dünn gesät", was kritisch anzumerken ist.


Roger Waters hat zu dieser Entscheidung bei Facebook Stellung genommen: 

𝑹𝑬𝑨𝑫 𝑨𝑳𝑳 𝑨𝑩𝑨𝑯𝑻 𝑰𝑻!!!!
FRANKFURT COURT finds Roger Waters cancelled show can proceed because the court finds:
“ROGER WATERS IS NOT AN ANTI-SEMITE!”
And
“His use of costume parodying the German Third Reich during the show” is “an acceptable use of artistic license to warn us all of the dangers of the current resurgence of fascism in the West.”
So, the concert in Frankfurt on the 28th will go ahead. In light of this enlightened decision:
1. Can we please stop conflating criticism of the policies of the government of the apartheid, racist, state of Israel with anti-semitism!
2. Can we please agree to scrap the absurd IHRA definition of anti-semitism, a worthless piece of paper, whose only possible use is to obfuscate the real meaning of the term?
3. Can we congratulate the German people for having laws that protect freedom of artistic expression? And urge them to prevail upon their government to please stop using militarized police to ban, and violently put down, peaceful BDS demonstrations organized in support of our oppressed brothers and sisters in Palestine.
I can’t wait to bring my message of love and peace to Germany in May, there to stand shoulder-to-shoulder, not only with all my brothers and sisters in the BDS movement, but also with the rest of the burgeoning anti-war, anti-racist, anti-capitalist, anti-authoritarian, anti-establishment movement that warms this bleeding heart.
Love
R.



 

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