Freitag, 16. März 2012

NS-Raubkunst: Deutsches Historisches Museum muss die Plakatsammlung Sachs an den Erben herausgeben

BGH, Pressemitteilung Nr. 39/2012 

BGH, Urteil vom 16. März 2012 – V ZR 279/10


Die Entscheidung wird im Kunstrecht und im Erbrecht auf erhebliches Interesse stoßen, zumal sie auch kunsthistorisch Interesse weckt. 

Die Brisanz des Falles steckt in folgender Begründung: 

"Der u.a. für Ansprüche aus Eigentum an beweglichen Sachen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Eigentümer eines durch nationalsozialistisches Unrecht entzogenen Kunstwerks, dieses nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften (§ 985 BGB) von dem heutigen Besitzer herausverlangen kann, wenn das Kunstwerk nach dem Krieg verschollen war und deshalb nicht nach den Vorschriften des alliierten Rückerstattungsrechts zurückverlangt werden konnte."

Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:  

"Die Entscheidung betrifft die kulturhistorisch wertvolle Plakatsammlung des jüdischen Zahnarztes Dr. Hans Sachs, die sich heute im Besitz des Deutschen Historischen Museums, einer Stiftung Öffentlichen Rechts, befindet. Das Reichspropagandaministerium ließ die Sammlung 1938 aus der Wohnung von Dr. Sachs in Berlin-Schöneberg wegnehmen. Dr. Sachs emigrierte Ende 1938 in die USA. Nach dem Krieg war die Sammlung verschollen. Für ihren Verlust bekam Dr. Sachs 1961 im Vergleichsweg eine Wiedergutmachungszahlung von 225.000 DM nach dem Bundesrückerstattungsgesetz. Erst später erfuhr er, dass Teile der Sammlung in einem Museum der DDR aufgetaucht waren. Dr. Sachs starb 1974 und wurde von seiner Frau beerbt. Sie starb 1998, ohne nach der Wiedervereinigung irgendwelche Ansprüche wegen der Sammlung erhoben zu haben. Sie wurde von dem Kläger, dem Sohn Dr. Sachs", beerbt."

Der Kläger macht gegenüber dem Deutschen Historischen Museum (Beklagte) als Erbe zunächst im Wege einer Teilklage die Herausgabe von zwei Plakaten ("Dogge" und "Die blonde Venus") geltend. Daraufhin wollte die Beklagte im Wege der Widerklage festgestellt wissen, dass der Kläger nicht Eigentümer der Plakatsammlung sei, hilfsweise, dass er nicht berechtigt sei, die in ihrem Besitz befindlichen Plakate heraus zu verlangen. Das Landgericht Berlin hat die Beklagte zur Herausgabe des Plakats "Dogge" verurteilt und weitergehende Klage sowie die Widerklage abgewiesen. Dieses Urteil war eher eine Überraschung, weil bislang meist so entschieden wurde, wie später das Kammergericht als Berufungsinstanz entschied, das unter Abweisung aller übrigen Anträge gemäß dem Hilfswiderklageantrag der Beklagten festgestellte, dass der Kläger nicht berechtigt ist, die sich im Besitz der Beklagten befindlichen Plakate aus der Sammlung seines Vaters heraus zu verlangen. Es ist vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung in diesem Bereich nicht ganz selbstverständlich, dass der BGH dem Kammergericht nicht gefolgt ist und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt hat. Da der Herausgabeanspruch bezüglich des Filmplakats "Die blonde Venus" nicht zweifelsfrei unter Beweis gestellt werden konnte, hatte der Kläger diesen Anspruch zuletzt fallengelassen.  

Mit dieser Entscheidung wird festgestellt, dass der Kläger Eigentümer der Plakatsammlung ist und diese von der Beklagten herausverlangen kann. Die Begründung ist überaus interessant, weil der BGH davon ausgeht, dass der Kläger das Eigentum an der Plakatsammlung zu keinem Zeitpunkt verloren hat: 

"Der Zugriff des Reichspropagandaministeriums änderte die Eigentumsverhältnisse nicht, denn es handelte sich um eine Wegnahme ohne förmlichen Enteignungsakt. Dass die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941, in welcher der Verfall jüdischen Vermögens angeordnet wurde, wegen ihres Unrechtsgehalts keine Rechtswirkungen zu erzeugen vermochte, hat der Bundesgerichtshof bereits 1955 entschieden. Die besonderen Regelungen über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts verdrängen nicht den zivilrechtlichen Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) des Klägers. Das Vermögensgesetz findet hier keine Anwendung, weil die Wegnahme der Plakatsammlung nicht im (späteren) Beitrittsgebiet, sondern im Westteil Berlins stattfand. Die Vorschrift des Art. 51 Satz 1 der Rückerstattungsanordnung für das Land Berlin (REAO*) und das Bundesrückerstattungsgesetz schließen den Anspruch ebenfalls nicht aus."

Der BGH grenzt sich in diesem Zusammenhang klar von seiner früheren Rechtsprechung ab, die zu anderen Ergebnissen führen konnte: Der Bundesgerichtshof entschied in den 1950er Jahren, dass Ansprüche, die sich aus der Unrechtmäßigkeit einer nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahme ergeben, grundsätzlich nur nach Maßgabe der zur Wiedergutmachung erlassenen Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze und in dem dort vorgesehenen Verfahren verfolgt werden können. Diese Grundsätze werden zwar weiterhin für zutreffend angesehen, werden aber nunmehr auf Kunstwerke nicht mehr angewendet, wenn die betreffenden Kunstwerke nach dem Zweiten Weltkrieg verschollen waren und seitens der Nazi - Diktatur dem Eigentümer während deren Regierungszeit (aus heutiger Sicht: rechtswidrig) entzogen worden waren, wenn sie erst nach Ablauf der Anmeldefrist für Rückerstattungsansprüche (hier gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 REAO am 30. Juni 1950) wieder aufgetaucht sind. Dies schließt eine Anwendung dieser Grundsätze auf nicht verschollene Kunstwerke aus: 

"War der Verbleib des entzogenen Gegenstands bis zum Ablauf dieser Frist unbekannt, konnte der Geschädigte im Rahmen des Rückerstattungsverfahrens nicht dessen Rückgabe erreichen, sondern nur eine Entschädigung in Geld verlangen. Bliebe es auch nach Wiederauftauchen des entzogenen Gegenstands dabei, wäre dem Geschädigten - trotz fortbestehenden Eigentums - durch die alliierten Rückerstattungsvorschriften jede Möglichkeit genommen, die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen. Auf diese Weise würde das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert. Das ist jedoch mit dem Zweck der alliierten Rückerstattungsvorschriften, die Interessen der Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren. Der Herausgabeanspruch ist entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht verwirkt. Dass er in den ersten 16 Jahren nach der Wiedervereinigung nicht geltend gemacht worden ist, genügt nicht hierfür nicht."

Die Entscheidung mag für die kunstinteressierte Öffentlichkeit schwer verständlich sein, weil sie dazu führen kann, dass derartige Kunstwerke der Öffentlichkeit möglicherweise nicht mehr auf Dauer zur Verfügung stehen, wenn mit dem Eigentümer keine vertragliche Regelung getroffen werden kann, was in solchen Fällen nahe liegt. Ungeachtet dessen ist die Entscheidung juristisch zutreffend, da ein Staat sich nicht widerrechtlich fremdes Eigentum aneignen kann, dass ihm von Rechts wegen nicht zusteht. Die Entscheidung wird voraussichtlich zu Verhandlungen mit dem Eigentümer über die Bedingungen eines Lizenzvertrages führen. Immer öfter führt der Weg aber unmittelbar zur Kunstversteigerung.  

Kammergericht Berlin – Entscheidung vom 28. Januar 2010 – 8 U 56/09
Landgericht Berlin – Entscheidung vom 10. Februar 2009 – 19 O 116/08
Karlsruhe, den 16. März 2012

* Rückerstattungsanordnung für das Land Berlin der Alliierten Kommandantur Berlin – REAO - (BK/O (49) 180 vom 26. Juli 1949)
Art. 1 Grundsätze

(1) Zweck dieser Anordnung ist es, in möglichst großem Umfange beschleunigt die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände (Sachen und Rechte) an natürliche oder juristische Personen zu bewirken, denen sie in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 … aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der politischen Auffassung oder der politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus ungerechtfertigt entzogen worden sind…….

(2) Feststellbare Vermögensgegenstände, die aus den Gründen des Abs. 1 ungerechtfertigt entzogen worden sind, können nach den Vorschriften dieser Anordnung zurückverlangt werden.

Art. 51 REAO Verhältnis zum ordentlichen Rechtsweg

Ansprüche, die unter diese Anordnung fallen, können, soweit in ihr nichts anderes bestimmt ist, nur in dem Verfahren nach dieser Anordnung und unter Einhaltung ihrer Fristen geltend gemacht werden. Ansprüche aus anderen Gründen, die nicht unter diese Anordnung fallen, können im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

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