BGH, Pressemitteilung Nr. 39/2012
BGH, Urteil vom 16. März 2012 – V ZR 279/10
Die Entscheidung wird im Kunstrecht und im Erbrecht auf erhebliches Interesse stoßen, zumal sie auch kunsthistorisch Interesse weckt.
Die Brisanz des Falles steckt in folgender Begründung:
"Der u.a. für Ansprüche aus Eigentum an beweglichen
Sachen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden,
dass der Eigentümer eines durch nationalsozialistisches Unrecht
entzogenen Kunstwerks, dieses nach allgemeinen zivilrechtlichen
Vorschriften (§ 985 BGB) von dem heutigen Besitzer herausverlangen kann,
wenn das Kunstwerk nach dem Krieg verschollen war und deshalb nicht
nach den Vorschriften des alliierten Rückerstattungsrechts
zurückverlangt werden konnte."
Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
"Die Entscheidung betrifft die kulturhistorisch
wertvolle Plakatsammlung des jüdischen Zahnarztes Dr. Hans Sachs, die
sich heute im Besitz des Deutschen Historischen Museums, einer Stiftung
Öffentlichen Rechts, befindet. Das Reichspropagandaministerium ließ die
Sammlung 1938 aus der Wohnung von Dr. Sachs in Berlin-Schöneberg
wegnehmen. Dr. Sachs emigrierte Ende 1938 in die USA. Nach dem Krieg war
die Sammlung verschollen. Für ihren Verlust bekam Dr. Sachs 1961 im
Vergleichsweg eine Wiedergutmachungszahlung von 225.000 DM nach dem
Bundesrückerstattungsgesetz. Erst später erfuhr er, dass Teile der
Sammlung in einem Museum der DDR aufgetaucht waren. Dr. Sachs starb 1974
und wurde von seiner Frau beerbt. Sie starb 1998, ohne nach der
Wiedervereinigung irgendwelche Ansprüche wegen der Sammlung erhoben zu
haben. Sie wurde von dem Kläger, dem Sohn Dr. Sachs", beerbt."
Der Kläger macht gegenüber dem Deutschen Historischen Museum
(Beklagte) als Erbe zunächst im Wege einer Teilklage die Herausgabe von zwei Plakaten ("Dogge" und "Die
blonde Venus") geltend. Daraufhin wollte die Beklagte im Wege der Widerklage
festgestellt wissen, dass der Kläger nicht Eigentümer der Plakatsammlung
sei, hilfsweise, dass er nicht berechtigt sei, die in ihrem Besitz
befindlichen Plakate heraus zu verlangen. Das Landgericht Berlin hat die
Beklagte zur Herausgabe des Plakats "Dogge" verurteilt und
weitergehende Klage sowie die Widerklage abgewiesen. Dieses Urteil war eher eine Überraschung, weil bislang meist so entschieden wurde, wie später das Kammergericht als Berufungsinstanz entschied, das unter Abweisung aller übrigen
Anträge gemäß dem Hilfswiderklageantrag der Beklagten festgestellte,
dass der Kläger nicht berechtigt ist, die sich im Besitz der Beklagten
befindlichen Plakate aus der Sammlung seines Vaters heraus zu verlangen. Es ist vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung in diesem Bereich nicht ganz selbstverständlich, dass der BGH dem Kammergericht nicht gefolgt ist und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt hat. Da der Herausgabeanspruch bezüglich des Filmplakats "Die blonde Venus" nicht zweifelsfrei unter Beweis gestellt werden konnte, hatte der Kläger diesen Anspruch zuletzt fallengelassen.
Mit dieser Entscheidung wird festgestellt, dass der
Kläger Eigentümer der Plakatsammlung ist und diese von der Beklagten
herausverlangen kann. Die Begründung ist überaus interessant, weil der BGH davon ausgeht, dass der Kläger das Eigentum an der Plakatsammlung zu keinem Zeitpunkt verloren hat:
"Der Zugriff des Reichspropagandaministeriums änderte
die Eigentumsverhältnisse nicht, denn es handelte sich um eine Wegnahme
ohne förmlichen Enteignungsakt. Dass die 11. Verordnung zum
Reichsbürgergesetz von 1941, in welcher der Verfall jüdischen Vermögens
angeordnet wurde, wegen ihres Unrechtsgehalts keine Rechtswirkungen zu
erzeugen vermochte, hat der Bundesgerichtshof bereits 1955 entschieden.
Die besonderen Regelungen über die Wiedergutmachung
nationalsozialistischen Unrechts verdrängen nicht den zivilrechtlichen
Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) des Klägers. Das Vermögensgesetz
findet hier keine Anwendung, weil die Wegnahme der Plakatsammlung nicht
im (späteren) Beitrittsgebiet, sondern im Westteil Berlins stattfand.
Die Vorschrift des Art. 51 Satz 1 der Rückerstattungsanordnung für das
Land Berlin (REAO*) und das Bundesrückerstattungsgesetz schließen den
Anspruch ebenfalls nicht aus."
Der BGH grenzt sich in diesem Zusammenhang klar von seiner früheren Rechtsprechung ab, die zu anderen Ergebnissen führen konnte: Der Bundesgerichtshof entschied in den
1950er Jahren, dass Ansprüche, die sich aus der
Unrechtmäßigkeit einer nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahme
ergeben, grundsätzlich nur nach Maßgabe der zur Wiedergutmachung
erlassenen Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze und in dem dort
vorgesehenen Verfahren verfolgt werden können. Diese Grundsätze werden zwar weiterhin für zutreffend angesehen, werden aber nunmehr auf Kunstwerke nicht mehr angewendet, wenn die betreffenden Kunstwerke nach dem Zweiten Weltkrieg verschollen waren und seitens der Nazi - Diktatur dem Eigentümer während deren Regierungszeit (aus heutiger Sicht: rechtswidrig) entzogen worden waren, wenn sie erst nach
Ablauf der Anmeldefrist für Rückerstattungsansprüche (hier gemäß Art. 50
Abs. 2 Satz 1 REAO am 30. Juni 1950) wieder aufgetaucht sind. Dies schließt eine Anwendung dieser Grundsätze auf nicht verschollene Kunstwerke aus:
"War der
Verbleib des entzogenen Gegenstands bis zum Ablauf dieser Frist
unbekannt, konnte der Geschädigte im Rahmen des
Rückerstattungsverfahrens nicht dessen Rückgabe erreichen, sondern nur
eine Entschädigung in Geld verlangen. Bliebe es auch nach
Wiederauftauchen des entzogenen Gegenstands dabei, wäre dem Geschädigten
- trotz fortbestehenden Eigentums - durch die alliierten
Rückerstattungsvorschriften jede Möglichkeit genommen, die
Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen. Auf diese
Weise würde das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert. Das ist
jedoch mit dem Zweck der alliierten Rückerstattungsvorschriften, die
Interessen der Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren. Der Herausgabeanspruch ist entgegen der Auffassung
des Kammergerichts nicht verwirkt. Dass er in den ersten 16 Jahren nach
der Wiedervereinigung nicht geltend gemacht worden ist, genügt nicht
hierfür nicht."
Die Entscheidung mag für die kunstinteressierte Öffentlichkeit schwer verständlich sein, weil sie dazu führen kann, dass derartige Kunstwerke der Öffentlichkeit möglicherweise nicht mehr auf Dauer zur Verfügung stehen, wenn mit dem Eigentümer keine vertragliche Regelung getroffen werden kann, was in solchen Fällen nahe liegt. Ungeachtet dessen ist die Entscheidung juristisch zutreffend, da ein Staat sich nicht widerrechtlich fremdes Eigentum aneignen kann, dass ihm von Rechts wegen nicht zusteht. Die Entscheidung wird voraussichtlich zu Verhandlungen mit dem Eigentümer über die Bedingungen eines Lizenzvertrages führen. Immer öfter führt der Weg aber unmittelbar zur Kunstversteigerung.
Kammergericht Berlin – Entscheidung vom 28. Januar 2010 – 8 U 56/09
Landgericht Berlin – Entscheidung vom 10. Februar 2009 – 19 O 116/08
Karlsruhe, den 16. März 2012
* Rückerstattungsanordnung für das Land Berlin der Alliierten Kommandantur Berlin – REAO - (BK/O (49) 180 vom 26. Juli 1949)
Art. 1 Grundsätze
(1) Zweck dieser Anordnung ist es, in möglichst
großem Umfange beschleunigt die Rückerstattung feststellbarer
Vermögensgegenstände (Sachen und Rechte) an natürliche oder juristische
Personen zu bewirken, denen sie in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum
8. Mai 1945 … aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der
politischen Auffassung oder der politischen Gegnerschaft gegen den
Nationalsozialismus ungerechtfertigt entzogen worden sind…….
(2) Feststellbare Vermögensgegenstände, die aus den
Gründen des Abs. 1 ungerechtfertigt entzogen worden sind, können nach
den Vorschriften dieser Anordnung zurückverlangt werden.
Art. 51 REAO Verhältnis zum ordentlichen Rechtsweg
Ansprüche, die unter diese Anordnung fallen, können,
soweit in ihr nichts anderes bestimmt ist, nur in dem Verfahren nach
dieser Anordnung und unter Einhaltung ihrer Fristen geltend gemacht
werden. Ansprüche aus anderen Gründen, die nicht unter diese Anordnung
fallen, können im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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