BGH, Mitteilung der Pressestelle Nr. 34/2012
Beschluss vom 13.März 2012 – X ZR 127/11
Der Aussetzungsbeschluss betrifft die interessante Streitfrage zu Art. 7 der EU - Fluggastrechteverordnung, ob ein Zubringerflug und ein Anschlussflug tatsächlich getrennt zu beurteilen sind, obwohl diese von diversen deutschen Amts- und Landgerichten vertretene Auffassung in der FluggastrechteVO keine wirkliche Stütze findet. Ungeachtet dessen stellt sich hier auch die Frage nach der Reichweite der Beförderungsverweigerung, wenn Fluggästen nach einem verspäteten Zubringerflug nicht hinreichend Zeit bleibt, den nächsten Anschlussflug zu erreichen. Der BGH sieht hier entgegen der Instanrechtsprechung die Möglichkeit eines Ausgleichsanspruches wegen einer ausgleichspflichtigen Verspätung. Da diese Rechtsfrage ohnehin bereits dem EuGH zur Entscheidung vorliegend, hat der BGH das Klügste getan, was in dieser Situation getan werden konnte und die Sache bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt, die möglicherweise wieder einmal die deutsche Rechtsprechung zu einer fluggastfreundlicheren Rechtsprechung bewegen wird.
Pressemitteilung:
Die Klägerin verlangt von dem beklagten
Luftfahrtunternehmen aus eigenem und abgetretenem Recht eines
Mitreisenden eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600 Euro nach
der EU-Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des
Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für
Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der
Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von
Flügen).
Die Reisenden buchten bei der Beklagten für den
20. Januar 2010 einen Flug von Berlin-Tegel über Madrid nach San José
(Costa Rica). Sie erhielten bereits bei der Abfertigung in Berlin die
Bordkarten für den Anschlussflug. Der Abflug von Berlin verzögerte sich
um eineinhalb Stunden. Das Flugzeug landete in Madrid um 11.28 Uhr und
erreichte die Standposition um 11.39 Uhr. Der Weiterflug nach San José
sollte um 12.05 Uhr von einem anderen Flugsteig erfolgen. Als die
Reisenden dort am Ausgang eintrafen, war der Einsteigevorgang bereits
beendet. Sie wurden daher nicht mit dem ursprünglich gebuchten Flug,
sondern erst am folgenden Tag mit dem Flug um 12.05 Uhr nach San José
befördert.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die
Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht
hat die Auffassung vertreten, dass einem Fluggast, der einen Flug wegen
eines verspäteten Zubringerflugs nicht erreiche, kein Anspruch auf eine
Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3*, Art. 7** der
Fluggastrechteverordnung zustehe; Zubringerflug und Anschlussflug seien
nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich isoliert zu betrachten. Es
liege auch keine zur Ausgleichszahlung verpflichtende
Beförderungsverweigerung vor, da sich die Reisenden in Madrid erst nach
Abschluss des Einsteigevorgangs und damit nicht mehr rechtzeitig am
Flugsteig des Weiterflugs eingefunden hätten. Hiergegen richtet sich die
vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
Der Bundesgerichtshof hat die Verhandlung bis zu
einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einem von
drei bereits dort anhängigen Vorlageverfahren ausgesetzt. Es kommt in
Betracht, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch unter dem
Gesichtspunkt einer ausgleichspflichtigen Verspätung zusteht. Ob die
Voraussetzungen hierfür auch dann gegeben sind, wenn sich der Abflug wie
hier um eine Zeitspanne verzögert hat, die unterhalb der von der
Verordnung definierten Grenze von mindestens zwei Stunden liegt, die
Ankunft am letzten Zielort aber mindestens drei Stunden nach der
planmäßigen Ankunftszeit erfolgt, ist Gegenstand der beim Gerichtshof
der Europäischen Union anhängigen Rechtssache C11/11 sowie der
verbundenen Rechtssachen C-436/11 und C-437/11.
AG Wedding - Urteil vom 31.März 2011 – 8a C 10/10
LG Berlin - Urteil vom 20.September 2011 – 85 S 113/11
Karlsruhe, den 13. März 2012
Art.4 Abs.3 Fluggastrechteverordnung.
Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung
verweigert, so erbringt das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen
unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 und die
Unterstützungsleistungen gemäß den Artikeln 8 und 9.
Art. 7 Fluggastrechteverordnung
Ausgleichsanspruch
(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger,
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen
über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen
über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte
Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der
Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen
Ankunftszeit ankommt.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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