BVerfG: Zivilgerichtliche Untersagung der Wortberichterstattung über Prominente
– hier im Hinblick auf ihr junges Alter - verfassungswidrig
Pressemitteilung Nr. 16/2012 vom 1. März 2012
Beschluss vom 8. Februar, AZ: 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09
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Dieser Fall schlug wohl nur deshalb so hohe Wellen, weil der Vater der beiden Betroffenen ein über die Grenzen Deutschlands hinweg völlig zu Recht anerkannter Schauspieler ist. Seine Söhne hatten in Bayern in der "Freinacht" (das ist die Nacht auf den 1. Mai) einigen Unsinn getrieben, wie dies dort in dieser Nacht nicht unüblich ist, was aber Schäden grundsätzlich nicht entschuldigt, zumal über gewisse Vorfälle bereits zuvor in der Presse berichtet worden war. Die Folge war eine Verhaftung, die aber keine Folgen hatte, nur wenige Stunden dauerte und nicht zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führte. Die Berichterstattung folgte nicht anonym, sondern unter voller Nennung der Namen.
Darüber hatte eine Zeitung auch in ihrer Internetausgabe berichtet und handelte sich damit von beiden Betroffenen eine Unterlassungsklage ein, der in zwei Instanzen stattgegeben wurde, weil die Gerichte die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen höher gewichteten als das Interesse der Öffentlichkeit an einer Presseberichterstattung. Da es sich um Jugendliche handelte, gingen die Gerichte von einem generellen Vorrang der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen aus, was das BVerfG auf die Verfassungsbeschwerde des Presseorgans hin mit durchaus guten Gründen vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklungen der Persönlichkeiten nicht geteilt hat.
Das BVerfG geht davon aus, dass diese Presseberichterstattung nicht den absolut geschützten Bereich der Persönlichkeitsentfaltung berührt, sondern nur die sog. Sozialsphäre. Sofern nur die Sozialsphäre betroffen ist, geht das BVerfG grds. von einem Vorrang der Meinungs - und Medienfreiheit aus. Unter dieser Voraussetzung "berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als „Junge Wilde“ pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzten." In einem solchen Fall hält das BVerfG die Namensnennung für presserechtlich akzeptabel, hat aber eine Zurückverweisung vorgenommen.
Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz der Sozialsphäre ist diese Entscheidung weder überraschend, noch erhöht sie das Schutzniveau der Sozialsphäre. Bemerkenswert ist weit eher, das die Instanzgerichte es immer wieder versäumen, den Grundrechtsschutz und die Reichweite der Rspr. des BVerfG zu Art. 5 GG im Rahmen der Güter - und Interessenabwägung angemessen zu berücksichtigen.
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Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der Verlegerin der
Tageszeitung „Sächsische Zeitung“ und verbreitet Berichte auch über ihre
Internetseite. Ihren beiden Verfassungsbeschwerden liegt eine
Berichterstattung über einen Vorfall aus dem Jahre 2008 zugrunde, in den
die beiden Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht, die Kläger des
Ausgangsverfahrens, verwickelt waren.
Sie wurden in der sog. „Freinacht“
dabei beobachtet, wie sie zusammen mit einer Gruppe von Freunden
Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie
den Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Nach Feststellung ihrer
Personalien auf der Polizeiwache wurden die Kläger entlassen.
Gegen
keinen von beiden wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die Beschwerdeführerin verbreitete auf ihrer Internetseite über diesen
Vorfall einen Beitrag unter der Überschrift „Polizei schnappt
Ochsenknecht-Söhne“, in dem darüber berichtet wird, dass „die beiden
Nachwuchsschauspieler und sänger nach wüster Randale in der Münchener
Innenstadt von der Polizei verhört“ worden seien.
Mit ihren Klagen auf Unterlassung der Berichterstattung über den Vorfall
als Sachbeschädigung sowie einzelner den Hergang betreffender Äußerungen
hatten die Kläger jeweils in beiden Instanzen Erfolg.
Die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffenen
Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführerin in ihrem
Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzen, und die Sachen an das
Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Der beanstandete Bericht über
den in der Sache unstreitigen Vorfall fällt in den Schutzbereich der
Meinungsfreiheit. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern
findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Bei
Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Zivilrechts haben die
Fachgerichte jedoch Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit
verkannt, indem sie sich nicht hinreichend mit den besonderen Umständen
zur Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger
auseinandergesetzt und ihm dadurch im Rahmen der gebotenen Abwägung den
Vorrang eingeräumt haben.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt insbesondere vor einer
Beeinträchtigung der Privat- und Intimsphäre. Im Bereich der
Wortberichterstattung bietet es nicht schon davor Schutz, überhaupt in
einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in
spezifischen Hinsichten, wobei es vor allem auf den Inhalt der
Berichterstattung ankommt. Zwar ist für die Berichterstattung über
Strafverfahren anerkannt, dass im Hinblick auf die Unschuldsvermutung
die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer
zulässig sind. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten kann die
Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten
erhöht sein.
Hiervon unterscheidet sich jedoch die vorliegende
Berichterstattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger
Leute auf offener Straße, über das unabhängig von einem Strafverfahren
berichtet wird, und das allenfalls von geringfügiger strafrechtlicher
Relevanz ist. Zudem berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger,
die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben,
wobei sie ein Image als „Junge Wilde“ pflegten und ihre Idolfunktion
kommerziell ausnutzten.
Diese Umstände haben die Fachgerichte nicht
ausreichend in ihre Erwägungen eingestellt.
Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur
Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte
Berichterstattung verwiesen werden kann.
Bei Tatsachenberichten müssen
wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig
für den Betroffenen sind. Andererseits ist zweifelsohne das junge Alter
der Kläger in die Erwägungen einzubeziehen. Die von den Fachgerichten
angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald
schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise
Jugendlichen in Rede stehen, ist jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht
zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer
einzelfallbezogenen Abwägung und berücksichtigt vorliegend zu wenig,
dass die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung sowohl durch das
„Öffentlichkeitsimage“ der Kläger als auch durch die Einordnung ihres
Verhaltens als Bagatelldelikt gemindert ist.
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