BGH, Urteil v. 06.03.2012, Az. II ZR 56/10
Das interessante Urteil zum GmbH - Recht betrifft Fälle der sog. "wirtschaftlichen Neugründung". Grundsätzlich ist eine wegen Vermögenslosigkeit nach § 60 Abs.1 Nr.7 GmbHG aufgelöste GmbH nach § 394 FamFG im Handelsregister zu löschen, um Fälle der sog. "Geister - GmbH" zu vermeiden. Anders liegen die Fälle, wenn sich im Nachhinein noch verwertbares Vermögen mit der Notwendigkeit einer Nachtragsliquidation nach einem Beendigungsbeschluss ergibt. In vielen Fällen werden solche Gesellschaften aber nicht beendet und zur Löschung gebracht, sondern faktisch ohne verbleibenden Unternehmensgegenstand ersteinmal "stillgelegt", um dann anderen Unternehmenszwecken zugeführt zu werden.
Die wohl herrschende Meinung lehnt für Fälle nach Beendigungsbeschluss und Löschungsantrag die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Neugründung ab, weil es von der Löschung kein Zurück mehr geben soll und dies ein Hinweis auf eine mangelhafte Organisation ist. Durch dass Auftauchen verwertbaren Vermögens kann sich eine solche Situation indessen ändern. Die Gegenauffassung will solchen Gesellschaften die Fortsetzung entweder analog § 274 AktG ermöglichen oder aber eine sog. "wirtscchaftliche Neugründung" zulassen, die denselben Kriterien unterliegt, wie eine normale Neugründung. Eine wirtschaftliche Neugründung setzt indessen keinen Auflösungsbeschluss voraus. Jedenfalls aber darf eine solche GmbH bei Vornahme einer wirtschaftlichen Neugründung weder überschuldet sein, noch noch das Vermögen weniger als das - ggf. im Form der Unterbilanzhaftung - aufzufüllende Stammkapital aufweisen. Im vom BGH entschiedenen Fall ging es um eine - später insolvent gewordene - GmbH, die keine Aktiva mehr aufwies, aber nach einer Sitzverlegung unter anderer Firma und mit anderem Unternehmensgegenstand nebst neuem Geschäftsführer ihre Tätigkeit fortsetzte, ohne die wirtschaftliche Neugründung dem Registergericht offen zu legen. Der BGH lässt in solchen Fällen eine "wirtschaftlichen Neugründung" im Kern zu, bindet diese aber nunmehr an strenge, registerrechtliche Anforderungen.
Im zu entscheidenden Fall hatte der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs über die Haftung von Gesellschaftern einer GmbH zu entscheiden, wenn diese eine still gelegte Gesellschaft wirtschaftlich neu gründen, ohne diese Neugründung gegenüber dem Registergericht offenzulegen, was erhebliche Haftungsrisiken für neue Gesellschafter birgt, die sich im konkreten Fall auch realisiert haben. Im vorliegenden Fall hatte ein neuer Gesellschafter den alleinigen GmbH - Gesellschaftsanteil übernommen und wurde aus einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung in Anspruch genommen.
"Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer im Dezember 1993 gegründeten GmbH mit dem Unternehmensgegenstand des Vertriebs von medizinischen Heil-, Hilfs- und Pflegemitteln sowie des Handels mit Waren aller Art. Die GmbH verfügte Ende des Jahres 2003 über keinerlei Aktiva und tätigte keine Umsätze mehr. Am 21. Juli 2004 beschloss die Gesellschafterversammlung eine Änderung der Firma und des Unternehmensgegenstands, verlegte den Gesellschaftssitz und bestellte eine neue Geschäftsführerin. Diese meldete die Änderungen zur Eintragung in das Handelsregister an, ohne die wirtschaftliche Neugründung offenzulegen, und nahm die Geschäfte entsprechend dem neuen Unternehmensgegenstand auf.
Die Beklagte erwarb am 30. Dezember 2005 den einzigen Geschäftsanteil an der GmbH mit einem Nennbetrag von 50.000 DM zum Preis von 7.500 €. Am 8. Februar 2007 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger stellte Forderungen in Höhe von 36.926,53 € zur Insolvenztabelle fest und beansprucht diesen Betrag von der Beklagten als Erwerberin sämtlicher Geschäftsanteile der GmbH.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in vollem Umfang stattgegeben. Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen."
Zunächst hat der BGH mit dem OLG angemommen, dass es sich beim vorliegenden Fall bei der Aufnahme der Geschäfte mit geändertem Unternehmensgegenstand am 21. Juli 2004 um eine wirtschaftliche Neugründung handelte. Darunter wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Gründung verstanden, bei der die in einer GmbH verkörperte juristische Person als unternehmensloser Rechtsträger besteht und später mit einem neuen Unternehmensgegenstand ausgestattet wird. In diesem Zusammenhang werden keine Unterschiede zwischen "Vorratsgesellschaften" und leer gewordenen Gesellschaftsmänteln gemacht:
"Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haften im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung die Gesellschafter für die Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des in der Satzung ausgewiesenen Stammkapitals (Unterbilanzhaftung). Außerdem ist die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Registergericht offenzulegen."
Der BGH spricht die entscheidende Streitfrage unmittelbar an: "In Rechtsprechung und Literatur war bisher umstritten, wie die Haftung ausgestaltet ist, wenn die erforderliche Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung unterbleibt. Der Bundesgerichtshof ist der vom Oberlandesgericht vertretenen Auffassung, dass die Gesellschafter in diesem Fall einer zeitlich unbegrenzten Verlustdeckungshaftung unterliegen, nicht gefolgt. Er hat vielmehr entschieden, dass es im vorliegenden Fall für eine etwaige Unterbilanzhaftung der Beklagten, die gegebenenfalls als Erwerberin des Geschäftsanteils haftet, darauf ankommt, ob im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung im Juli 2004 eine Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen Stammkapital bestanden hat."
Daraus folgt, dass der BGH für Fälle der Nichtoffenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung, die gegenüber dem Registergericht nicht offengelegt werden, zwar eine Unterbilanzhaftung bejaht, diese aber darauf beschränkt, ob im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung eine Deckungslücke in Höhe einer Differenz zwischen dem satzungsmäßigen Stammkapital und dem tatsächlichen Vermögen der Gesellschaft bestanden hat, die von den Gesellschaftern im Rahmen der Innenhaftung auszugleichen ist. Mangels Aufklärung dieses Sachverhalts wurde der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.
Urteil vom 6. März 2012 – II ZR 56/10
LG Traunstein – Urteil vom 20. März 2009 – 1 HKO 1743/07
OLG München – Urteil vom 11. März 2010 – 23 U 2814/09
Karlsruhe, den 6. März 2012
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs
Volltext: BGH
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