Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle
Nr. 059/2012 vom 08.05.2012 u. Nr. 58/2012
Die Fälle sind hinreichend bekannt und bieten eigentlich nichts mehr neues. Eine Vielzahl von Gerichten war bereits mit den Versuchen der Kläger in beiden Ausgangsverfahren befasst, die Medien des Internets nach Möglichkeiten von Verweisen zum Verbrechensgeschehen unter ausdrücklicher Namensnennung zu reinigen, durchaus mit Erfolg vor einigen Gerichten, weil eine volle Namensnennung presserechtlich weitgehend auch nach Verurteilung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BVerfG bedenklich sein kann. Imm Ergebnis ist der BGH aber erneut der Rechtsprechung des LG Hamburg und des Hanseatischen Oberlandesgerichts nicht gefolgt und statuiert einen überzeugenden Vorrang für die Medienfreiheit in beiden entschiedenen Fällen. Es handelt sich erneut um dem "Mordfall Walter Sedlmayr", einem zu Lebzeiten sehr bekannten bayerischen Schauspieler, der nach den Urteilen der Strafgerichte von den beiden Klägern ermordet worden war (1993).
Der Kläger verlangt von einem in der Republik Österreich geschäftsansässigen Medienunternehmen, es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter voller Namensnennung zu berichten:
"Das beklagte Unternehmen hielt auf seiner Internetseite bis zum 18. Juni 2007 eine auf den 23. August 1999 datierte, von einem anderen Anbieter übernommene Meldung zum freien Abruf durch die Öffentlichkeit bereit. Darin hieß es unter Nennung des Vor- und Zunamens des Klägers wie seines Bruders wahrheitsgemäß u. a., beide wendeten sich nunmehr, neun Jahre nach dem Mord, mit einer Verfassungsbeschwerde gegen ihre Verurteilung wegen der Tat."
Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg.
Der BGH allerdings hatte erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit, weil die Handlung von einem österreichischen Medienunternehmen ausging. Der BGH hatte die Sache daher mit Beschluss vom 10. November 2009 dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Fragen vorgelegt, unter welchen Voraussetzungen die internationale Zuständigkeit der Gerichte für Unterlassungsklagen gegen Internetveröffentlichungen von in einem anderen EU-Mitgliedstaat niedergelassenen Anbietern anzunehmen ist und ob sich der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach deutschem Recht oder gemäß dem Herkunftslandprinzip der e-commerce-Richtlinie nach österreichischem Recht richtet. Der Gerichtshof hat hierüber durch Urteil vom 25. Oktober 2011 entschieden, dass international zuständig das Gericht
ist, an dessen Ort das Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat, also regelmäßig das Gericht am Ort des Domicile. Allerdings sah der EuGH unter
Berufung auf Art. 5 Nr. 3 der EuGVVO
(Nr. 44/2001) eine alternative Zuständigkeit des Gerichts als gegeben an, in dem der Verbreiter der im Internet veröffentlichten Inhalte seine Niederlassung hat. Allerdings beschränkt sich die sachliche Zuständigkeit für die Entscheidung über Schadensersatzansprüche dann auf den Schaden, der im Gebiet des betreffenden Mitgliedsstaates nach dessen anwendbaren Rechtsregeln nachweisbar entstanden ist.
Der BGH hat diese Entscheidung des EuGH nunmehr auf die beiden Ausgangsfälle angewendet und bejaht nunmehr die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, da sich der Mittelpunkt der Interessen beider Kläger in Deutschland befindet. Allerdings sieht der BGH nach wie vor den Erfolgsort in Deutschland, da die österreichischen Internetseiten bestimmungsemäß und ohne sprachliche Schwierigkeiten auch in Deutschland abgerufen werden können, so dass auf den geltend gemachten Anspruch materielles deutsches Recht anwendbar ist. Dies könnte man für Internetseiten in anderen Sprachen durchaus enger sehen und hier zu einer Verweisung auf die Rechtsordnung des Verbreiters nach den Regelungen des internationalen Deliktsrechts gelangen. Auf diese Problematik einzugehen, boten beide Fälle indessen keinen Anlass.
Der BGH betont, dass beide Kläger in Deutschland in der Achtung, die sie in Deutschland geniessen, gestört werden. Der BGH entschied aber nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Beachtung der Medienfreiheit des Art. 5 GG für einen Vorrang der Pressefreiheit und kommt zu folgendem - in der Sache nach hiesiger Auffassung auch überzeugendem - Ergebnis und hat beide Klagen abgewiesen:
"Die - jeweils im Einzelfall vorzunehmende - Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit führte wie in den Parallelverfahren (vgl. Pressemitteilungen 255/2009 und 30/2010) zum Vorrang des Rechts der Beklagten auf freie Meinungsäußerung".
Urteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR 217/08
LG Hamburg - Entscheidung vom 18. Januar 2008 - 324 O 548/07
OLG Hamburg - Entscheidung vom 29. Juli 2008 - 7 U 22/08
Karlsruhe, den 8. Mai 2012
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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