BGH, Urteil vom 23. Mai 2012 – IV ZR 250/11:
BGH erkennt Pflichtteilsergänzungsanspruch auch für Schenkungen des Erblassers vor der Geburt
Im deutschen Erbrecht war zu § 2325 BGB bislang umstritten, ob der Pflichtteilsergänzungsanspruch von Abkömmlingen voraussetzt, dass diese nicht nur im Zeitpunkt des Erbfalls, sondern schon im Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt waren.
Es geht hier um die Streitfrage, ob ein solcher Pflichteilsergänzungsanspruch wegen vor dem Erbfall vorgenommener Schenkungen voraussetzt, das die Pflichtteilsberechtigten nicht nur schon vor dem Erbfall geboren waren, sondern auch schon zum Zeitpunkt der Schenkung geboren sein mussten oder nicht.
Mit den Vorinstanzen ist der BGH nunmehr unter Aufgabe von BGH, NJW 1973, 40; 1997, 2676 der Auffassung, dass es insoweit einer Doppelberechtigung - mit Ausnahme der Fälle des § 1594 BGB - nicht bedarf, sondern es hinreichend ist, wenn der Pflichtteilsberechtigte jedenfalls imk Zeitpunkt des Erbfalles geboren war. Der BGH stellt jetzt entsprechend dem Zweck des deutschen Pflichtteilsrechts darauf ab, dass eine Mindestteilhabe eine Doppelberechtigung nicht erfordert, da es nur auf den Erbfall und insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Schenkung ankommt.
Die Entscheidung führt bei unverjährten, § 2332 BGB, und insoweit noch bestehenden Pflichteilsergänzungsansprüchen unter Umständen zu Nachforderungen und löst insoweit einen Prtüfbedarf aus.
Sachverhalt:
Die 1976 und 1978 geborenen Kläger machen gegen die Beklagte, ihre Großmutter, im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach ihrem 2006 verstorbenen Großvater geltend. Sie begehren Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und Zahlung. Die Großeltern hatten vier Kinder, unter anderem die 1984 verstorbene Mutter der Kläger. Im Jahr 2002 errichteten die Beklagte und der Erblasser ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, in dem sie sich u.a. gegenseitig zu Erben einsetzten.
Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob den Klägern ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB zusteht, wenn sie zwar im Zeitpunkt des Todes des Erblassers, nicht aber im Zeitpunkt der jeweiligen Schenkungen pflichtteilsberechtigt waren. Im Wesentlichen geht es darum, ob der Auskunftsanspruch auch Schenkungen erfasst, die der Erblasser vor der Geburt der Kläger zugunsten der Beklagten vorgenommen hatte. Die Vorinstanzen haben der Auskunftsklage überwiegend stattgegeben.
Entscheidung des BGH:
Mit dem heutigen Urteil hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil bestätigt und entschieden, der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB setze nicht voraus, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand. Seine dem entgegenstehende frühere Rechtsprechung, die eine Pflichtteilsberechtigung sowohl im Zeitpunkt des Erbfalls als auch der Schenkung forderte (Urteile vom 21. Juni 1972 – IV ZR 69/71, BGHZ 59, 212, und vom 25. Juni 1997 – IV ZR 233/06, ZEV 1997, 373), sog. Theorie der Doppelberechtigung, hat der Senat insoweit aufgegeben.
Hierbei hat er neben dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift auf den Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts abgestellt, eine Mindestteilhabe naher Angehöriger am Vermögen des Erblassers sicherzustellen. Hierfür ist es unerheblich, ob der im Erbfall Pflichtteilsberechtigte schon im Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt war oder nicht.
Die bisherige Auffassung führte demgegenüber zu einer mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Absatz 1 Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Ungleichbehandlung von Abkömmlingen des Erblassers und machte das Bestehen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs von dem zufälligen Umstand abhängig, ob die Abkömmlinge vor oder erst nach der Schenkung geboren waren.
Quelle: Pressemitteilung des BGH
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