Freitag, 27. März 2015

Flugzeugkatastrophen - die Perspektive der Opfer

Im Zusammenhang mit dem Verlust des Fluges Air France AF Paris über dem Atlantik 2010 hatte sich die  "Süddeutsche Zeitung" mit Entschädigungsansprüchen der Opfer und ihrer Hinterbliebenen befasst. Im Jahr 2000 kam es in Paris zu einem Unglück mit der "Concorde", bei der 113 Menschen starben und dessen strafrechtliches Nachspiel erst 2012 mit einem Freispruch endete. Heute befasst sich die "Süddeutsche" aus gegebenem Anlass mit den "Unterschieden zwischen Tod und Tod" nach der Übereinkunft von Montreal aus dem Jahr 1999, die das "Warschauer Abkommen" von 1929 ersetzt hat. 

Bei der größten Tragödie der deutschen Luftfahrt in der Nachkriegszeit stürzte ein Germanwings-Airbus A 320 über den südfranzösischen Alpen in der Region Haute - Provence ab. Die 150 Opfer sind sehr zu bedauern, zumal das Unglück vermeidbar gewesen wäre. Alle Geschädigten sind über das Montrealer Übereinkommen abgesichert, wobei die Details noch von dem Ausgang der Ermittlungen abhängen. Diesen Ermittlungen vorzugreifen, besteht kein Anlass. 

Auf einem völlig anderen Blatt steht der Charakter bestimmter Medienberichterstattungen im In - und Ausland, die jeden Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen, den ermittelnden Polizeibeamten und den schwer belasteten Helfern vermissen lassen. Einige Formen dieser Berichterstattung sind presserechtlich im deutschem Verbreitungsraum durchaus grenzwertig, ohne auf Details eingehen zu wollen. 

Damit wird das Thema der Haftung von Fluggesellschaften für Flugunfälle mit Personenschäden angeschnitten, obwohl es für eine rechtliche Bewertung des Sachverhaltes aus haftungsrechtlicher Sicht noch viel zu früh ist. Gerade Juristen sollten gelernt haben, nicht vorschnell rechtliche Schlüsse zu ziehen, wenn ein Sachverhalt noch nicht ausermittelt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass sich dieses Thema für die Fluggesellschaft und/oder ihre Kaskoversicherung früher oder später stellen wird und zwar aus den Perspektiven der jeweiligen Rechtskultur der Opfer dieses "Flugunfalles". Die Fluggesellschaften sind gegen Flugunfälle kaskoversichert. Allerdings enthalten die nicht Allgemeinen Versicherungsbedingungen beruhenden Policen Ausschlusstatbestände, etwa für den Suized eines Flugzeugführers. Diese Policen werden üblicherweise nicht offen gelegt, zumal solche Fälle i.d.R. außergerichtlich geklärt werden. 

Die Übereinkunft von Monteal sieht bei Inlands- und Auslandsflügen nach Art. 17 ff MÜ i.V.m. VO (EG) Nr. 889/2002 (EG Nr. 2027/97) mittelbar auch  auf innerstaatliche Flüge) für bestimmte Schadenskonstellationen Schadensersatzansprüche vor. Personenschäden bei Tod/Körperverletzung richten sich nach Art. 17 I MÜ, der enge Voraussetzungen aufweist. Ersetzt werden nur luftfahrttypische Unfallschäden, nicht Schäden des allgemeinen Lebensrisikos. Ein Flugzeugabsturz ist indessen kein allgemeines Lebensrisiko, sondern stellt einen Flugunfall dar. Die hier einschlägigen Art. 17, 20 und 21 MÜ versuchen einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem betroffenen Luftfrachtführer und den betroffenen Passagieren und deren Angehörigen herzustellen. Die Bewertung erfolgt in Sonderziehungsrechten. Ein Sonderziehungsrecht ist eine Recheneinheit des Internationalen Währungsfonds und enthält feste Beträge zu den vier wichtigsten Weltwährungen (Yen, BP, US - Dollar und Euro). Die Übereinkunft von Montreal hat zu einer Reihe von Urteilen geführt, die aber den Verlust eines Flugzeuges mit erheblichen Opfern in Europa kaum betroffen haben. Sie werden fortlaufend dokumentiert. Die US - Rechtspraxis weist eine wesentlich höhere Erfahrung mit derartigen Sachverhalten auf, wie sie mit Stand von 2008 dokumentiert sind.  Das Montrealer Überenommen findet unter anderem dann Anwendung, wenn der Abflugort und der Bestimmungsort in je einem Vertragsstaat liegen (z.B. Flug Barcelona – Düsseldorf - Spanien und Deutschland sind Vertragsstaaten, unter Einbeziehung des EU - Rechts). 

Die Übereinkunft von Montreal enthält keine ausdrücklich autonome Qualifikation des Schadensbegriffes. Die Begriffsbestimmung des Schadens im Rahmen des Art. 19 MÜ bzw. nach §§ 280, 281 BGB hat nach einer weit verbreitetenden Auffassung jeweils nach den Regeln des nach dem internationalen Privatrechts anwendbaren nationalen Recht zu erfolgen. Unter Schaden ist jedes unfreiwillige Vermögensopfer zu verstehen. Allerdings ist eine Grundsatzentscheidung des EuGH v. aus dem Jahr 2010 so zu verstehen, dass der Schadensbegriff des MÜ völkerrechtlich autonom auszulegen ist und zwar unter Heranziehung .  des Art. 31 des am 23. Mai 1969 in Wien unterzeichneten Übereinkommens über das Recht der Verträge. Der EuGH führt in dieser sehr lesenswerten Entscheidung sehr pointiert aus, dass es einen nicht einem Übereinkommen entstammenden völkerrechtlichen Schadensbegriff gibt, der allen völkerrechtlichen Subsystemen gemeinsam ist. In Art. 31 Abs. 2 heisst es: "Der Schaden umfasst jeden materiellen oder immateriellen Schaden …" Aus diesem Grund kann mit dem EuGH davon ausgegangen werden, "dass die beiden Aspekte des Schadensbegriffs, die aus der vorstehend genannten Bestimmung hervorgehen, mit der insoweit gerade der gegenwärtige Stand des allgemeinen Völkerrechts kodifiziert werden soll, zusammen die gewöhnliche Bedeutung, die diesem Begriff im Völkerrecht zukommt, zum Ausdruck bringen. Außerdem findet sich im Übereinkommen von Montreal kein Anhaltspunkt dafür, dass die Vertragsstaaten dem Schadensbegriff im Rahmen einer harmonisierten Regelung über die Haftung im internationalen Luftprivatrecht eine besondere Bedeutung hätten beimessen und von seiner gewöhnlichen Bedeutung hätten abweichen wollen. Der Schadensbegriff, der sich aus dem allgemeinen Völkerrecht ergibt, ist daher nach Art. 31 Abs. 3 Buchst. c des oben angeführten Übereinkommens über das Recht der Verträge in den Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten des Übereinkommens von Montreal anwendbar Folglich sind die Begriffe "préjudice" und "dommage" in Kapitel III des Übereinkommens von Montreal dahin gehend zu verstehen, dass sie sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfassen". 

Der EuGH hat sich in diesem Zusammenhang nicht zu Personenschäden geäußert. Insbesondere für hinterbliebene Kinder von Getöteten wird es aber jedenfalls dabei bleiben, dass insoweit Schadensersatz zu leisten ist, wie der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet gewesen wäre. Auch Schmerzensgeldansprüche sind bei einem solchen Unglück mit wahrscheinlich mindestens grob fahrlässiger Verursachung keineswegs ausgeschlossen, zumal hier noch etwaige Anforderungen an die Personalauswahl hinzutreten könnten. Die unter dem Warschauer Abkommen viel diskutierte Frage, ob auch seelische Schäden umfasst sind, hat Art. 17 MÜ dahingehend gelöst, dass ein Ersatz von Schäden, die nicht wenigstens körperliche Auswirkungen haben ausgeschlossen sind. Medizinisch ist das eine dünne rote Linie. In Frankreich ist dies nach nationalem Recht ohnehin anders. In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass ein Vorgehen nach dem MÜ eine Anspruchsgeltendmachung nach nationalem Recht zusätzlich nicht ausschließt. Sämtliche Ansprüche unterliegen einer zweijährigen Anschlussfrist nach Art. 35 MÜ zur Klageerhebung, beginnend mit dem Tag, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist oder an dem es hätte ankommen sollen, sofern nicht auf den Abbruch der Beförderung abgestellt werden soll. Nach Art. 33 Abs.1 MÜ kann ein Fluggast nach seiner Wahl an einem von vier (ausschließlichen) Gerichtsständen Klage erheben: Wohnsitz des Luftfrachtführers, Sitz der Hauptbetriebsleitung des Luftfrachtführers, am Sitz der Geschäftsstelle, durch die der Vertrag geschlossen wurde, am Bestimmungsort, sowie unter recht engen Voraussetzungen ausnahmesweise am Wohnsitz des Reisenden. 

Das Montrealer Übereinkommen statuiert eine summenmäßig begrenzte Haftung für Sachschäden, bei der denen aber nach der VO EU 889/2002 innerhalb der EU die dort geschaffenen Regelungen anzuwenden sind. Bei Passagierschäden gibt es keine Haftungsbegrenzung. Grundsätzlich haftet ein Luchtfrachtführer bei Passagierrschäden unbegrenzt in Höhe des nachweisbaren Schadens. Eine verschuldensunabhängige Haftung findet bis zu einem Betrag von 113.000 SZR statt. Bei darüber hinausgehenden Schäden, kann ein Luftfahrtunternehmen versuchen, sich zu entlasten, was bei Flugzeugverlusten, die auf menschlichem Versagen beruhen, kaum möglich sein wird. Für europäische Luftfahrtunternehmen in Abgrenzung zu reinen Luftfrachtführern wurden die Regelungen des Montreraler Übereinkommens hinsichtlich der Personenschäden erheblich angepasst. Ein solches Luftfahrtunternehmen muss unverzüglich, jedenfalls aber binnen 15 Tagen nach der Feststellung der Identität der Anspruchsberechtigten als natürlichen Personen einen Vorschuss zahlen, um die unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse des Geschädigten zu befriedigen. Dieser Vorschuss beträgt im Todesfall mindestens 15.000 Sonderziehungsrechte (SZR). 

Die Haftungshöchstgrenzen des Montrealer Übereinkommens sind dann nicht einschlägig, wenn die Airline leichtfertig gehandelt hat. In diesem Fall muss die Airline alle Schäden ersetzen, gleichgültig wie hoch sie sind (Urteil des OLG Köln vom 15.02.2005, 22 U 145/04). Das juristische Nachspiel dieser fürchterlichen Katastrophe wird früher oder später kaum auf sich warten lassen. 

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