Freitag, 27. März 2015

Flugzeugkatastrophen - die Perspektive der Opfer

Im Zusammenhang mit dem Verlust des Fluges Air France AF Paris über dem Atlantik 2010 hatte sich die  "Süddeutsche Zeitung" mit Entschädigungsansprüchen der Opfer und ihrer Hinterbliebenen befasst. Im Jahr 2000 kam es in Paris zu einem Unglück mit der "Concorde", bei der 113 Menschen starben und dessen strafrechtliches Nachspiel erst 2012 mit einem Freispruch endete. Heute befasst sich die "Süddeutsche" aus gegebenem Anlass mit den "Unterschieden zwischen Tod und Tod" nach der Übereinkunft von Montreal aus dem Jahr 1999, die das "Warschauer Abkommen" von 1929 ersetzt hat. 

Bei der größten Tragödie der deutschen Luftfahrt in der Nachkriegszeit stürzte ein Germanwings-Airbus A 320 über den südfranzösischen Alpen in der Region Haute - Provence ab. Die 150 Opfer sind sehr zu bedauern, zumal das Unglück vermeidbar gewesen wäre. Alle Geschädigten sind über das Montrealer Übereinkommen abgesichert, wobei die Details noch von dem Ausgang der Ermittlungen abhängen. Diesen Ermittlungen vorzugreifen, besteht kein Anlass. 

Auf einem völlig anderen Blatt steht der Charakter bestimmter Medienberichterstattungen im In - und Ausland, die jeden Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen, den ermittelnden Polizeibeamten und den schwer belasteten Helfern vermissen lassen. Einige Formen dieser Berichterstattung sind presserechtlich im deutschem Verbreitungsraum durchaus grenzwertig, ohne auf Details eingehen zu wollen. 

Damit wird das Thema der Haftung von Fluggesellschaften für Flugunfälle mit Personenschäden angeschnitten, obwohl es für eine rechtliche Bewertung des Sachverhaltes aus haftungsrechtlicher Sicht noch viel zu früh ist. Gerade Juristen sollten gelernt haben, nicht vorschnell rechtliche Schlüsse zu ziehen, wenn ein Sachverhalt noch nicht ausermittelt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass sich dieses Thema für die Fluggesellschaft und/oder ihre Kaskoversicherung früher oder später stellen wird und zwar aus den Perspektiven der jeweiligen Rechtskultur der Opfer dieses "Flugunfalles". Die Fluggesellschaften sind gegen Flugunfälle kaskoversichert. Allerdings enthalten die nicht Allgemeinen Versicherungsbedingungen beruhenden Policen Ausschlusstatbestände, etwa für den Suized eines Flugzeugführers. Diese Policen werden üblicherweise nicht offen gelegt, zumal solche Fälle i.d.R. außergerichtlich geklärt werden. 

Die Übereinkunft von Monteal sieht bei Inlands- und Auslandsflügen nach Art. 17 ff MÜ i.V.m. VO (EG) Nr. 889/2002 (EG Nr. 2027/97) mittelbar auch  auf innerstaatliche Flüge) für bestimmte Schadenskonstellationen Schadensersatzansprüche vor. Personenschäden bei Tod/Körperverletzung richten sich nach Art. 17 I MÜ, der enge Voraussetzungen aufweist. Ersetzt werden nur luftfahrttypische Unfallschäden, nicht Schäden des allgemeinen Lebensrisikos. Ein Flugzeugabsturz ist indessen kein allgemeines Lebensrisiko, sondern stellt einen Flugunfall dar. Die hier einschlägigen Art. 17, 20 und 21 MÜ versuchen einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem betroffenen Luftfrachtführer und den betroffenen Passagieren und deren Angehörigen herzustellen. Die Bewertung erfolgt in Sonderziehungsrechten. Ein Sonderziehungsrecht ist eine Recheneinheit des Internationalen Währungsfonds und enthält feste Beträge zu den vier wichtigsten Weltwährungen (Yen, BP, US - Dollar und Euro). Die Übereinkunft von Montreal hat zu einer Reihe von Urteilen geführt, die aber den Verlust eines Flugzeuges mit erheblichen Opfern in Europa kaum betroffen haben. Sie werden fortlaufend dokumentiert. Die US - Rechtspraxis weist eine wesentlich höhere Erfahrung mit derartigen Sachverhalten auf, wie sie mit Stand von 2008 dokumentiert sind.  Das Montrealer Überenommen findet unter anderem dann Anwendung, wenn der Abflugort und der Bestimmungsort in je einem Vertragsstaat liegen (z.B. Flug Barcelona – Düsseldorf - Spanien und Deutschland sind Vertragsstaaten, unter Einbeziehung des EU - Rechts). 

Die Übereinkunft von Montreal enthält keine ausdrücklich autonome Qualifikation des Schadensbegriffes. Die Begriffsbestimmung des Schadens im Rahmen des Art. 19 MÜ bzw. nach §§ 280, 281 BGB hat nach einer weit verbreitetenden Auffassung jeweils nach den Regeln des nach dem internationalen Privatrechts anwendbaren nationalen Recht zu erfolgen. Unter Schaden ist jedes unfreiwillige Vermögensopfer zu verstehen. Allerdings ist eine Grundsatzentscheidung des EuGH v. aus dem Jahr 2010 so zu verstehen, dass der Schadensbegriff des MÜ völkerrechtlich autonom auszulegen ist und zwar unter Heranziehung .  des Art. 31 des am 23. Mai 1969 in Wien unterzeichneten Übereinkommens über das Recht der Verträge. Der EuGH führt in dieser sehr lesenswerten Entscheidung sehr pointiert aus, dass es einen nicht einem Übereinkommen entstammenden völkerrechtlichen Schadensbegriff gibt, der allen völkerrechtlichen Subsystemen gemeinsam ist. In Art. 31 Abs. 2 heisst es: "Der Schaden umfasst jeden materiellen oder immateriellen Schaden …" Aus diesem Grund kann mit dem EuGH davon ausgegangen werden, "dass die beiden Aspekte des Schadensbegriffs, die aus der vorstehend genannten Bestimmung hervorgehen, mit der insoweit gerade der gegenwärtige Stand des allgemeinen Völkerrechts kodifiziert werden soll, zusammen die gewöhnliche Bedeutung, die diesem Begriff im Völkerrecht zukommt, zum Ausdruck bringen. Außerdem findet sich im Übereinkommen von Montreal kein Anhaltspunkt dafür, dass die Vertragsstaaten dem Schadensbegriff im Rahmen einer harmonisierten Regelung über die Haftung im internationalen Luftprivatrecht eine besondere Bedeutung hätten beimessen und von seiner gewöhnlichen Bedeutung hätten abweichen wollen. Der Schadensbegriff, der sich aus dem allgemeinen Völkerrecht ergibt, ist daher nach Art. 31 Abs. 3 Buchst. c des oben angeführten Übereinkommens über das Recht der Verträge in den Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten des Übereinkommens von Montreal anwendbar Folglich sind die Begriffe "préjudice" und "dommage" in Kapitel III des Übereinkommens von Montreal dahin gehend zu verstehen, dass sie sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfassen". 

Der EuGH hat sich in diesem Zusammenhang nicht zu Personenschäden geäußert. Insbesondere für hinterbliebene Kinder von Getöteten wird es aber jedenfalls dabei bleiben, dass insoweit Schadensersatz zu leisten ist, wie der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet gewesen wäre. Auch Schmerzensgeldansprüche sind bei einem solchen Unglück mit wahrscheinlich mindestens grob fahrlässiger Verursachung keineswegs ausgeschlossen, zumal hier noch etwaige Anforderungen an die Personalauswahl hinzutreten könnten. Die unter dem Warschauer Abkommen viel diskutierte Frage, ob auch seelische Schäden umfasst sind, hat Art. 17 MÜ dahingehend gelöst, dass ein Ersatz von Schäden, die nicht wenigstens körperliche Auswirkungen haben ausgeschlossen sind. Medizinisch ist das eine dünne rote Linie. In Frankreich ist dies nach nationalem Recht ohnehin anders. In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass ein Vorgehen nach dem MÜ eine Anspruchsgeltendmachung nach nationalem Recht zusätzlich nicht ausschließt. Sämtliche Ansprüche unterliegen einer zweijährigen Anschlussfrist nach Art. 35 MÜ zur Klageerhebung, beginnend mit dem Tag, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist oder an dem es hätte ankommen sollen, sofern nicht auf den Abbruch der Beförderung abgestellt werden soll. Nach Art. 33 Abs.1 MÜ kann ein Fluggast nach seiner Wahl an einem von vier (ausschließlichen) Gerichtsständen Klage erheben: Wohnsitz des Luftfrachtführers, Sitz der Hauptbetriebsleitung des Luftfrachtführers, am Sitz der Geschäftsstelle, durch die der Vertrag geschlossen wurde, am Bestimmungsort, sowie unter recht engen Voraussetzungen ausnahmesweise am Wohnsitz des Reisenden. 

Das Montrealer Übereinkommen statuiert eine summenmäßig begrenzte Haftung für Sachschäden, bei der denen aber nach der VO EU 889/2002 innerhalb der EU die dort geschaffenen Regelungen anzuwenden sind. Bei Passagierschäden gibt es keine Haftungsbegrenzung. Grundsätzlich haftet ein Luchtfrachtführer bei Passagierrschäden unbegrenzt in Höhe des nachweisbaren Schadens. Eine verschuldensunabhängige Haftung findet bis zu einem Betrag von 113.000 SZR statt. Bei darüber hinausgehenden Schäden, kann ein Luftfahrtunternehmen versuchen, sich zu entlasten, was bei Flugzeugverlusten, die auf menschlichem Versagen beruhen, kaum möglich sein wird. Für europäische Luftfahrtunternehmen in Abgrenzung zu reinen Luftfrachtführern wurden die Regelungen des Montreraler Übereinkommens hinsichtlich der Personenschäden erheblich angepasst. Ein solches Luftfahrtunternehmen muss unverzüglich, jedenfalls aber binnen 15 Tagen nach der Feststellung der Identität der Anspruchsberechtigten als natürlichen Personen einen Vorschuss zahlen, um die unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse des Geschädigten zu befriedigen. Dieser Vorschuss beträgt im Todesfall mindestens 15.000 Sonderziehungsrechte (SZR). 

Die Haftungshöchstgrenzen des Montrealer Übereinkommens sind dann nicht einschlägig, wenn die Airline leichtfertig gehandelt hat. In diesem Fall muss die Airline alle Schäden ersetzen, gleichgültig wie hoch sie sind (Urteil des OLG Köln vom 15.02.2005, 22 U 145/04). Das juristische Nachspiel dieser fürchterlichen Katastrophe wird früher oder später kaum auf sich warten lassen. 

Mittwoch, 25. März 2015

Angemessene Vergütungen für freie Journalisten

Freie Journalisten werden oftmals schlecht bezahlt. Ihre Dienste werden aber in Zeiten der personellen "Ausdünnung" ganzer Redaktionsstäbe gerne in Anspruch genommen. Oftmals fehlen schriftliche Vereinbarungen, weil sie seitens des schwächeren Vertragspartner kaum durchsetzbar sind. Infolgedessen fehlt es auch an vertraglichen Lizenzbestimmungen über eine etwaige Zweit - und Drittauswertung entsprechender Inhalte. 

Der unter anderem für Urheberrechtsstreitsachen zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe war der Klage eines Journalisten auf ergänzende Vergütung für Wort- und Bildbeiträge befasst. Aufgrund der mündlich getroffenen Vereinbarungen waren zwar Zahlungen seitens des Verlages erbracht worden, die nach Auffassung des Journalisten und Klägers indessen nicht dem marktüblichen Niveau entsprachen. Nach § 32 Abs.2 UrhG ist eine Vergütungsregel angemessen, wenn sie einer gemeinsamen Vergütungsregel nach § 36 UrhG entspricht.    

Im vorliegenden Fall war der Kläger zwischen 2001 und Oktober 2011 als freier Mitarbeiter für die Redaktion einer von der Beklagten herausgegebenen Tageszeitung tätig gewesen. Er verfasste Wort- und Bildbeiträge für die Ressorts Lokales, Wirtschaft, Kultur, Sport und Geschäftliches. Ein schriftlicher Vertrag über den Umfang der Einräumung von Nutzungsrechten und das Honorar bestand zwischen den Parteien nicht. 

Der Journalist machte geltend, die ihm für Wort- und Bildbeiträge gezahlten Honorare seien unangemessen im Sinne des § 32 UrhG und klagte auf Zahlung weiterer Honorare. Die ihm gezahlte Entlohnung sei am Maßstab gemeinsamer Vergütungsregeln (§ 36 UrhG) zu messen, die seit 2013 nach einem durchgeführten Schlichtungsverfahren existieren. 

Gemeinsame Vergütungsregelungen hatten der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger e.V., der Deutsche Journalisten-Verband e.V. sowie die Gewerkschaft ver.di am 17. Dezember 2009 mit Wirkung zum 1. Februar 2010 für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen aufgestellt. Diese Vergütungsregelungen wurden vielfach kritisiert und werden teilweise für unzureichend gehalten. Für Fotohonorare traten nach einem Schlichtungsverfahren gemeinsamen Vergütungsregeln mit Wirkung vom 1. Mai 2013 in Kraft. 

Das OLG Karlsruhe hat diese Regelungswerke zugrunde gelegt und der Klage für Honorare aus den Jahren 2009 bis 2011 teilweise auch rückwirkend stattgegeben. Der 6. Zivilsenat hat die Auffassung des Landgerichts Mannheim bestätigt, dass Ansprüche nicht nur für die Zeit nach dem Inkrafttreten der gemeinsamen Vergütungsregelungen, sondern auch für davor liegende Zeiträume in Betracht kommen. Die getroffenen Vergütungsregelungen begründeten Indizwirkung für die Höhe einer angemessenen Vergütung auch für solche Zeiträume, die nicht allzu weit vor dem Inkrafttreten der Regelungen liegen. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde allerdings zugelassen, so dass mit einer BGH - Entscheidung zu diesem Streitkomplex mit grundsätzlicher Bedeutung zu rechnen ist.

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichtes Karlsruhe v. 13.03.2015, Urteil vom 12.02.2015, AZ: 6 U 115/13 -

Donnerstag, 19. März 2015

Zur Haftung eines Hotelbewertungsportals für unwahre Tatsachenbehauptungen eines Nutzers

Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr zur Haftung eines Hotelbewertungsportals für unwahre Tatsachenbehauptungen eines Nutzers geäußert. 

Hotelbewertungsportale im Internet sind regelmäßiger Gegenstand von Urteilen, nicht nur in Deutschland. In Deutschland begann die Entwicklung im Jahr 2000 mit holidaycheck.de und natürlich tripadvisor.de, denen weitere Anbieter folgten. Üblicherweise setzt die Abgabe einer Bewertung eine Registrierung voraus und erfolgt durch Kommentare, "Likes" und Punktvergaben in diversen Spielarten. Überdies können teilweise auch Fotos hochgeladen werden. Die Manipulationsmöglichkeiten sind diesem System immanent. 

Die Funktionen der Portale sind unterschiedlich. Insoweit lassen sich reine Bewertungsportale von Portalen unterscheiden, die primär Reisevermittlung betreiben oder entsprechende Verlinkungen auf Reisevermittler vornehmen. Jedenfalls handelt es sich bei diesen Portalen im Kern um produktbezogene Portale (zum Ganzen die sehr lesenswerte Dissertattion von Anja Wilkat, Bewertungsportale im Internet, Nomos, 2013).  Nicht selten treiben sich dort aber auch "Internet-Trolle" herum, die unwahre Tatsachenbehauptungen verbreiten - aus ganz unterschiedlichen Gründen -, so dass sich die Frage der Haftung der Portalbetreiber für solche Äußerungen stellt. Einen solchen Fall hatte der BGH zu entscheiden. 

Der I. Zivilsenat des BGH hat nunmehr völlig überzeugend entschieden, dass die Betreiberin eines Hotelbewertungsportals nicht wegen Verstoßes gegen § 4 Nr. 8 UWG oder § 3 Abs. 1 UWG** auf Unterlassung unwahrer Tatsachenbehauptungen eines Nutzers auf ihrem Portal haftet. Die einschlägigen Sachverhalte ähneln sich oftmals.  

Im vorliegenden Fall war die Klägerin Inhaberin eines Hotels und verlangte von der Beklagten, die im Internet ein Online-Reisebüro sowie ein damit verknüpftes Hotelbewertungsportal betreibt, Unterlassung einer unwahren, von der Klägerin als geschäftsschädigend eingestuften Tatsachenbehauptung.

Unter der Überschrift "Für 37,50 € pro Nacht und Kopf im DZ gabs Bettwanzen" erschien im Hotelbewertungsportal der Beklagten eine Bewertung des Hotels der Klägerin. Nutzer können in diesem Portal der Beklagten Hotels auf einer Skala zwischen eins (sehr schlecht) und sechs (sehr gut) bewerten. Hieraus berechnet die Beklagte bestimmte Durchschnittswerte und eine Weiterempfehlungsrate. Bevor die Beklagte Nutzerbewertungen in ihr Portal aufnimmt, durchlaufen diese eine Wortfiltersoftware, die u.a. Beleidigungen, Schmähkritik und Eigenbewertungen von Hotelinhabern auffinden soll. Ob diese Filter einwandfrei funktionieren steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls werden unauffällige Bewertungen automatisch veröffentlicht. Ausgefilterte Bewertungen werden von Mitarbeitern der Beklagten geprüft und dann ggf. manuell freigegeben. 

Die Klägerin mahnte die Beklagte ab, die daraufhin die beanstandete Bewertung von ihrem Portal entfernte, jedoch die von der Klägerin verlangte strafbewehrte Unterwerfungserklärung vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung in diesem Bereich nicht abgab. 

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der Bundesgerichtshof hat die Revision gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. 

Der BGH ist wenig überraschend der Auffassung, dass die beanstandete Nutzerbewertung keine eigene "Behauptung" der Beklagten ist, weil sie sich diese weder durch die Prüfung der Bewertungen noch durch deren statistische Auswertung inhaltlich zu Eigen gemacht hat.  Die Beklagte hat die Behauptung nach dieser Entscheidung auch nicht "verbreitet". Die Haftung eines Diensteanbieters im Sinne des § 2 Nr. 1 TMG, der - wie die Beklagte - eine neutrale Rolle einnimmt, ist nach § 7 Abs. 2, § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG eingeschränkt.

Nach der europarechtlichen Konzeption der E.-Commerce-RL, die im TMG umgesetzt ist, haftet nur dann für die unwahren Tatsachenbehauptungen des Dritten, wenn er spezifische Prüfungspflichten verletzt hat, deren Intensität sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Dazu zählen im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Haftung von Tätern und Teilnehmer (BGH,. WRP 2014, 1050 - Geschäftsführerhaftung) die Zumutbarkeit der Prüfungspflichten und die Erkennbarkeit der Rechtsverletzung. 

In diesem Rechtsrahmen darf einem Diensteanbieter keine Prüfungspflicht auferlegt werden, die sein Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährdet oder seine Tätigkeit unverhältnismäßig erschwert. Die Beklagte hat danach keine spezifische Prüfungspflicht verletzt, vergleichbar zur Haftung eines Ärztebewertungsportals

Eine inhaltliche Vorabprüfung der Nutzerbewertungen war der Beklagten hier nicht zumutbar. Nach der neueren, inzwischen sehr gefestigten Rechtsprechung besteht in derartigen Fällen eine Haftung auf Unterlassung in einem solchen Fall erst, wenn der Betreiber eines Internetportals Kenntnis von einer klaren Rechtsverletzung erlangt und sie gleichwohl trotz HInweis nicht beseitigt. Dieser Pflicht hat die Beklagte durch die Löschung genügt und deshalb auch keine wettbewerblichen Verkehrspflichten im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG verletzt. Im Streitfall bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ein hochgradig gefährliches Geschäftsmodell betreibt, das besondere Prüfungspflichten auslöst. 

Die Entscheidung bewegt sich vollständig auf der Linie der neueren Rechtsprechungspraxis des BGH. Es ist allerdings nachvollziehbar, dass sich betroffene Hotels durch derartige Äußerungen in ihren wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt sehen, aber an den eigentlichen Täter aus datenschutzrechtlichen grds. nicht herankommen. 

Urteil vom 19. März 2015 - I ZR 94/13 - Hotelbewertungsportal 
LG Berlin - Urteil vom 16. Februar 2012 - 52 O 159/11 
Kammergericht - Urteil vom 16. April 2013 - 5 U 63/12 
Karlsruhe, den 19. März 2015 
Quelle: Mitteilung der Pressestelle Nr. 041/2015 vom 19.03.2015 

BGH: Drohung mit der Schufa in Mahnschreiben von Inkassounternehmen

Der Bundesgerichtshof hat sich jetzt erstmals zur Ankündigung von Inkassounternehmen mit einer bevorstehenden Meldung an die SCHUFA in Mahnschreiben geäußert. 

Eintragungen bei der SCHUFA können in Deutschland sehr negative Auswirkungen haben. Negative Einträge führen kurzgesagt zum Ausschluss vom Scoring - Verfahren zur Bewertung der Kreditwürdigkeit und führen unter anderem dazu, dass bestimmte Verträge - etwa mit Mobilfuinkanbietern in Deutschland - nicht mehr abgeschlossen werden können. Der BGH hat dieses Verfahren entgegen durchaus ernstzunehmender Gegenauffassung im Wesentlichen für rechtmäßig befunden. Dies besagt aber nichts darüber, dass die Bewertung falsch sein kann und auch Eintragungen unrichtig sein können. Es ist daher empfehlenswert sein "Schufa-Konto" in regelmäßigen Abständen zu prüfen, unabhängig davon wie man die Berechtigung dieser Organisation in datenschutzrechtlicher Hinsicht einschätzt. Unabhängig davon ist auch die Praxis diverser Inkassounternehmer kritisch zu würdigen. Oftmals finden sich Textbausteine, die datenschutzrechtlich allenfalls grenzwertig, wenn nicht sogar rechtswidrig sind, wie im vorliegenden Fall.  

Der I. Zivilsenat des BGH hat nunmehr darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Hinweis von Unternehmen in Mahnschreiben an ihre Kunden auf eine bevorstehende Mitteilung von Schuldnerdaten an die SCHUFA überhaupt zulässig. Dem Urteil liegt ein wettbewerbsrechtliches Verfahren nach dem UWG zugrunde. Klägerin ist die Verbraucherzentrale Hamburg e.V. Die Beklagte ist ein Mobilfunkunternehmen. 

Zum Einzug von nicht fristgerecht bezahlten Entgeltforderungen bedient sich dieses Mobilfunkunternehmen eines Inkassoinstituts. Das Inkassoinstitut übersandte an Kunden der Beklagten Mahnschreiben, in denen es unter anderem hieß: 

"Als Partner der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (SCHUFA) ist die V. GmbH verpflichtet, die unbestrittene Forderung der SCHUFA mitzuteilen, sofern nicht eine noch durchzuführende Interessenabwägung in Ihrem Fall etwas anderes ergibt. Ein SCHUFA-Eintrag kann Sie bei Ihren finanziellen Angelegenheiten, z.B. der Aufnahme eines Kredits, erheblich behindern. Auch Dienstleistungen anderer Unternehmen können Sie dann unter Umständen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt in Anspruch nehmen." 

Die Klägerin hat den Hinweis auf die Pflicht zur Meldung der Forderung an die SCHUFA als unangemessene Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher (§ 4 Nr. 1 UWG) beanstandet und die die Beklagte auf Unterlassung und auf Erstattung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte auf die Berufung der Klägerin antragsgemäß verurteilt. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat einen Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG bejaht. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. 

Der BGH hat sich dem OLG Hamburg angeschlossen, dass zutreffend angenommen hatte, dass das beanstandete Mahnschreiben beim Adressaten den Eindruck erweckt, er müsse mit einer Übermittlung seiner Daten an die SCHUFA in jedem Fall rechnen, wenn er die geltend gemachte Forderung nicht innerhalb der gesetzten Frist befriedige. Dies ist allein deswegen fragwürdig, weil nicht jede Forderung eines Inkassounternehmens nach Grund und Höhe auch berechtigt sein muss. 

Wegen der einschneidenden Folgen eines SCHUFA-Eintrags besteht nach der überzeugenden Auffassung des BGH die Gefahr, dass Verbraucher dem Zahlungsverlangen der Beklagten auch dann nachkommen werden, wenn sie die Rechnung wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Einwendungen eigentlich nicht bezahlen wollten. Wettbewerbsrechtlich ist das unter anderem eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise. Es besteht daher die konkrete Gefahr einer nicht informationsgeleiteten Entscheidung der Verbraucher, die die Zahlung nur aus Furcht vor der SCHUFA-Eintragung vornehmen. Der BGH unternimmt im folgenden eine sehr interessante datenschutzrechtliche Klärung hinsichtlich der unterschiedlichen Funktionen bestrittener und unbestrittener Forderungen: 

"Die beanstandete Ankündigung der Übermittlung der Daten an die SCHUFA ist auch nicht durch die gesetzliche Hinweispflicht nach § 28a Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c Bundesdatenschutzgesetz gedeckt. Zu den Voraussetzungen der Übermittlung personenbezogener Daten nach dieser Vorschrift gehört, dass der Betroffene die Forderung nicht bestritten hat. Ein Hinweis auf die bevorstehende Datenübermittlung steht nur dann im Einklang mit der Bestimmung, wenn nicht verschleiert wird, dass ein Bestreiten der Forderung durch den Schuldner selbst ausreicht, um eine Übermittlung der Schuldnerdaten an die SCHUFA zu verhindern. Diesen Anforderungen wird der beanstandete Hinweis der Beklagten nicht gerecht."

Anders lässt sich dieses Praxis nicht beurteilen, so dass diese Entscheidung sehr zu begrüßen ist. 

Urteil vom 19. März 2015 - I ZR 157/13 - Schufa-Hinweis 
LG Düsseldorf – Urteil vom 27. April 2012 – 38 O 134/11 
OLG Düsseldorf – Urteil vom 9. Juli 2013 – I-20 U 102/12 
Karlsruhe, den 19. März 2015 
Quelle: Mitteilung der Pressestelle des BGH Nr. 040/2015 vom 19.03.2015 


Freitag, 6. März 2015

EUGH: Dänische Privatkopie-Abgabe auf Speicherkarten von Mobiltelefonen grds. rechtmäßig

Der EuGH hat nunmehr die Speicherkartenabgabe nach dänischem Recht für grds. rechtmäßig befunden, aber Schranken gezogen, die der Festplattenabgabe auf Dauer die Grundlage entziehen könnten. Eine vergleichbare Regelung findet sich für Deutschland in § 54 UrhG. Der Rechtsstreit zwischen der dänischen Verwertungsgesellschaft Copydan und Nokia ist mit diesem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EUGH) am 4. März 2015 nicht ganz wie erwartet ausgegangen (Az.: C-463/12). 

Zwischen der Verwertungsgesellschaft und Nokia waren im Wesentlichen zwei Punkte streitig, die durchaus auch Relevanz für die Urheberrechte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben. Zum einen geht es um die Frage, ob eine solche Abgabe für Speicherkarten bei Mobiltelefonen überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist. Zum anderen um die Frage, wie solche Regelungen europarechtskonform zu gestalten sind. Die sehr komplizierte Entscheidung macht dazu entsprechende Vorgaben, die Änderungsbedarf hinsichtlich der deutschen Regelung auslösen dürften.  

In der Entwicklungstendenz seit Mitte der neunziger Jahre zahlen die Nutzer für die Speicherung privater Kopien von Jahr zu Jahr mehr, bei gleichzeitigem Rückgang der individuellen Speicherrechte im Ausgleich zu den Rechten der Verwerter. Den Urhebern fließen diese Einnahmen nebenbei bemerkt nur sehr spärlich zu. Ob dieser Ausgleich allerdings angemessen ist, kann durchaus hinterfragt werden, was durchaus bis zur rechtspolitischen Forderung einer Abschaffung der Festplattenabgabe geführt hat. 

Das Recht der Privatkopie ist europarechtlich nicht vereinheitlicht. Vielmehr können die Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs.2 der RL 2001/29/EG ihre je unterschiedlichen nationalen Systeme beibehalten, müssen dann aber angemessene Ausgleichsysteme vorsehen, was die Hersteller, Importeure und Händler entsprechend belastet, die diese Belastung auf die Nutzer über den Preis umlegen (s. EuGH, Rs C-462/09 - Padawan, zur Rechtslage in Spanien, die eine Vergütung allein für die private Vervielfältigung vorsah). Letztlich zeigt sich hier eine Tendenz, die dem EU - Recht in weiten Teilen eigen ist: die Tendenz zur Schaffung hyperkomplexer Systeme.  

Letztlich dürfen heute - in gewissen Grenzen - nur noch Musik-CDs und TV-Sendungen legal privat kopiert werden. Seit 1993 dürfen Computerprogramme dürfen nicht mehr privat kopiert werden. 1996 folgte ein Kopierverbot für komplette Bücher, Zeitschriften und eBooks. Weiter ging es 2002 über ein  Kopierverbot für Musiknoten sowie von Medien mit Kopierschutz (z. B. DVD, Blue-ray) unter anderem im Zusammenhang mit DRM - Techniken. Schließlich hat der EuGH 2014 entschieden, dass eine illegale Kopiervorlage nicht legal kopiert werden kann, so dass dies auch keine Abgabe auslösen kann. Hinzugetreten sind überdies Abgaben auf Speichermedien, deren rechtspolitische Berechtigung bis hin zur Höhe umstritten ist. Davon unbeschadet stellt sich die Frage nach der Effektivität eines solchen Systems für alle Beteiligten. 

Wenig überraschend ist der EUGH der Auffassung ist, dass eine Abgabepflicht für eine Speicherkarte für Mobiltelefone grundsätzlich mit EU-Recht vereinbar ist. Die Entscheidung betrifft Speichermedien insgesamt. Bei diesen Speicherkarten für Mobiltelefone handelt es sich um externe Speicher, nicht um die internen Speicher der Smartphones, die meist in das Gerät eingeschoben werden können, was nicht bei allen Marken möglich ist. Nach der Rechtsauffassung des EuGH ist dies auch dann der Fall, wenn solche Speicherkarten nicht primär zur Speicherung urheberrechtlich geschützter Werke genutzt werden, was kaum nachprüfbar ist. Letztlich ist es für die Speichertechnolgie fast irrelevant, welche Inhalte gespeichert werden, da dies nicht formatabhängig ist. Die Thematik verschiebt sich damit letzlich auf die Frage des legalen Erwerbs der Contents und der Bewertung des Preises für den Erwerb entsprechender Nutzungslizenzen, an denen auch die Urheber mit durchaus geringen Margen beteiligt werden. 

Der interessante Kern der Entscheidung besteht darin, dass der EuGH jetzt der Auffassung ist, dass für Kopien eines rechtmäßig erworbenen Musikstücks - das wird man auf andere Contents erweitern müssen - keine weiteren Gebühren erhoben werden dürfen, sofern nicht gewisse DRM geschützte Titel betroffen sind, da DRM-Sperren rechtlich wirksam sind, die zudem ohnehin nur von technisch versierten Nutzern umgangen werden können. Nimmt man dies beim Wort, bestehen für Festplattenabgaben kaum noch Legitimationen und das Ganze endet in kaum mehr übersehbaren Anrechnungstatbeständen. 

In seinem schwierigsten Teil geht die Entscheidung auf die Fragen ein, wie sich die Nutzungsmöglichkeit auf die Höhe der Abgabe auswirken können, weil die Abgabe grds. zu den Lizenzkosten hinzutritt, die beispielsweise bei der Speicherung aufgrund des Erwerbs von Mobile Contents bereits mit dem Kaufpreis oder dem Preis des Abonnements bereits entrichtet worden sind. Hier besteht das Problem, dass die Abgabe bereits in den Preis einkalkuliert ist, wie dies etwa auch bei Druckern der Fall ist (BGH, GRUR 2008, 245 - Drucker und Plotter), wie immer die konkrete Nutzung auch aussieht. 

Nach dem Urteil des EuGH kann die Abgabe unter Umständen nach dem nationalen Recht jetzt auch ganz entfallen, wenn dem Rechtsinhaber oder Verwerter dadurch nur ein geringfügiger Nachteil entstehen würde. Dazu sind die Kosten der Abgabe und die Lizenzkosten in ein Verhältnis zu setzen  Diese Grenzziehung wird in das Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates gestellt, unter Einschluss der Erwägungen zu Ungleichbehandlungen, die sachlich gerechtigt sind. Für Deutschland ist die Bestimmung zur Höhe in § 54 a UrHG eher vage und verweist die Problematik der Referenzvergütungen letztlich in das Urheberwahrnehmungsrecht (s. insbesondere § 13 UrhWG). Entsprechend steht hier auch auf Klägerseite eine Verwertungsgesellschaft. Die Entscheidung kann dieses "System" durchaus erschüttern. 

Hinsichtlich der Höhe lässt der Einsatz von Kopierschutz die Abgabepflicht zwar nicht entfallen, allerdings kann dies Einfluss auf die Höhe haben, was letztlich der deutschen Regelung in § 54 a Abs.1 S.2 UrhG entspricht.

Der EuGH vertieft zudem seine Rechtsprechung zum Verbot der Herstellung rechtswidriger Privatkopien von illegalen Quellen und geht insoweit auf die einschlägigen Normen der bereits oben genannten Info-Richtlinie ein, die einer nationalen Regelung entgegensteht, wenn ein gerechter Ausgleich für Vervielfältigungen auf der Grundlage von unrechtmäßigen Quellen, d.h. von geschützten Werken, die der Öffentlichkeit ohne Erlaubnis der Rechtsinhaber zur Verfügung gestellt worden sind, nicht erfolgt. 

Der EuGH verweist insoweit auf die Entscheidung in der Rechtssache ACI Adam (Rs. 573 - AC I Adam u.a./Thuiskopie und SONT) stellt fest, dass die Abgabe nicht für Kopien von rechtswidrigen Quellen erhoben werden kann. Letztlich führt dies nicht weit, weil die Angabe zum Zeitpunkt der Vervielfältigungshandlungen mit dem Kaufpreis bereits erhoben ist, was immer der Nutzer auf diesen Speichermedien auch speichert. Infolgedessen läge die Aufgabe dieser Abgabe näher als die Errichtuing eines bürokratischen Systems für etwaige Rückerstattungsansprüche des Nutzers, auch wenn der EuGH diese Möglichkeiten vorsieht. Das deutsche Recht enthält hierzu keine konkreten Vorschriften. 

Der EuGH geht auf diese Problematik vertieft ein, weil nach der Info - RL zu klären war, ob es mit europäischen Sekundärrecht vereinbar ist, wenn Hersteller und/oder Importeure zur Zahlung verpflichtet werden (§ 54 b dt. UrhG), wenn Speicherkarten für Mobiltelefone mit der Kenntnis an Gewerbetreibende verkauft werden, die eine Weiterveräußerung im Vertriebsnetz vornehmen, ohne konkrete Kenntnis davon zu haben, ob es sich bei den Endabnehmern der Speicherkarten um private oder gewerbliche Endabnehmer handelt. Auch insoweit ist der EuGH der Auffassung, dass dies grds. nicht der Fall ist, weil dem bereits praktische Schwierigkeiten bei der Nachprüfbarkeit entgegenstehen und die Abgabepflicht für den Vertreiber entfällt, wenn er nachweisen kann, dass die Speicherkarten von Mobiltelefonen an andere als natürliche Personen zu eindeutig anderen Zwecken als zur Vervielfältigung zum privaten Gebrauch veräußert wurden, was letztlich kaum nachzuweisen ist. Insoweit wird eine Unterausnahme gemacht, wenn diese Befreiung sich nicht auf die Lieferung allein an Gewerbetreibende beschränkt, die bei der Einrichtung, die mit der Verwaltung der Vergütungen beauftragt ist, angemeldet ist. Überdies muss diese Regelung einen Anspruch auf Erstattung der Privatkopievergütung vorsehen, der allein dem Endabnehmer zusteht, der bei der betreffenden Einrichtung einen entsprechenden Antrag stellt.

Im Ergebnis stellt diese Entscheidung das System der Festplattenabgabe in Frage und nähert sich der Argumentation der Gegner einer solchen Abgabe.

English Review by the IPKat




EuGH: E-Books und Umsatzsteuer

Der EuGH hat sich in den Urteilen zu den Rechtssachen C-479/13 und C-502/13 Kommission / Frankreich und Kommission / Luxemburg erneut zur umsatzsteuerrechtlichen Einordnung von E-Books geäußert. 

Die rechtliche Einordnung von E-Books ist schwierig, auch hinsichtlich der Buchpreisbindung, die aber überwiegend bejaht wird. Unsicherheiten bestehen auch hinsichtlich der Anwendungs des Verlagsgesetzes und der rechtlichen Einordung der Verlagsverträge, die hier nicht näher angesprochen werden können. 

In Deutschland werden E-Books nicht nach dem ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs2. Nr.1 UStG besteuert, sondern zu 19 % nach § 12 Abs.1 UStG (Spanien: sogar 21 %). Unter rechtspolitischen Aspekten wird die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes europaweit seit langem diskutiert, wofür sich etwa der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit Jahren einsetzt. Für Hörbücher ist der Steuersatz zum Jahreswechsel gesenkt worden. Das EuGH - Urteil wäre für Europa interessanter geworden, wenn es einen gegenteiligten Inhalt gehabt hätte.

In Frankreich und Luxemburg hingegen gelten seit 2012 für E-Books wie für gedruckte Bücher Mehrsteuersätze von sieben beziehungsweise drei Prozent. Die EU-Kommission befürchtete aufgrund dieser den Buchhandel begünstigenden Regelung "massive Wettbewerbsverzerrungen", nicht zuletzt weil die Konzerne Apple und Amazon ihr E-Book-Geschäft von Luxemburg aus betreiben. Aufgrund der Änderungen bei der Besteuerung im Vertrieb digitaler Güter greift allerdings ab 1. Januar 2015 das "Bestimmungslandprinzip", so dass derjenige Steuersatz fällig wird, der im Land des Bestellers gilt. Die Entscheidungen betreffen daher die frühere Rechtslage. 

Bereits mit dem EuGH-Urteil vom 11. September 2014 in der Rechtssache C‑219/13 hatte der EuGH definiert, was er unter E-Books versteht: 

"Ein E-Buch gibt im Wesentlichen den Inhalt eines ursprünglich in gedruckter Form vorliegenden Buchs, dem es in der äußeren Gestaltung und Struktur überwiegend gleicht, auf einem physischen Träger wie einer CD oder einem USB-Stick wieder und kann auf einen Computer oder ein geeignetes Lesegerät geladen werden. Die elektronischen Versionen können jedoch in ihrem Inhalt und ihrer Struktur von gedruckten Büchern abweichen." 

Dem vorstehend genannten Urteil in der Tendenz folgend urteilte der EuGH wenig überraschend, dass Frankreich und Luxemburg auf die Lieferung elektronischer Bücher, anders als bei Büchern aus Papier, keinen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden dürfen. 

Frankreich und Luxemburg wenden auf die Lieferung elektronischer Bücher einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz an. In Frankreich liegt der Satz seit dem 1. Januar 2012 bei 5,5 %, in Luxemburg bei 3 %. Bei den in Rede stehenden elektronischen (oder digitalen) Büchern handelt es sich um Bücher in elektronischem Format, die mit einem Computer, einem Smartphone, einem E Book-Lesegerät oder einem anderen Lesegerät entgeltlich über Herunterladen oder Streaming von einer Website abgerufen werden können. 

Die Kommission hat die Feststellung beantragt, dass Frankreich und Luxemburg dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Mehrwertsteuerrichtlinie1 verstoßen haben, dass sie auf die Lieferung elektronischer Bücher einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz angewandt haben. 

In seinen heutigen Urteilen gibt der Gerichtshof den Vertragsverletzungsklagen der Kommission statt. Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz nur auf die in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen angewandt werden darf. Dieser Anhang nennt u. a. die „Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern“. Der Gerichtshof schließt daraus, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf einen Umsatz anwendbar ist, der in der Lieferung eines Buches besteht, das sich auf einem physischen Träger befindet. 

Zwar benötigt ein elektronisches Buch, um gelesen zu werden, einen solchen physischen Träger (wie einen Computer), jedoch wird ein solcher Träger nicht zusammen mit dem elektronischen Buch geliefert, so dass die Lieferung solcher Bücher nicht in den Anwendungsbereich des genannten Anhangs III fällt. Ferner stellt der Gerichtshof fest, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie die Möglichkeit ausschließt, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf „elektronisch erbrachte Dienstleistungen“ anzuwenden. 

Nach Ansicht des Gerichtshofs stellt die Lieferung elektronischer Bücher eine solche Dienstleistung dar. E-Books werden daher umsatzsteuerrechtlich nicht als Kulturgut, sondern als Dienstleistung qualifiziert, was zumindest rechtspolitisch in Zweifel gezogen werden kann, was natürlich die Steuereinnahmen verringern würde. 

Der Gerichtshof verwirft das Argument, wonach die Lieferung elektronischer Bücher eine Lieferung von Gegenständen (und nicht eine Dienstleistung) darstelle, obwohl insoweit gute Gründe bestehen, die sich letztlich aus der Vergleichbarkeit der Inhalte ergeben. Nach Auffassung des EuGH ist allein der physische Träger, der das Lesen elektronischer Bücher erlaubt, als ein „körperlicher Gegenstand“ einzuordnen. Die Lieferung elektronischer Bücher schließt jedoch einen solchen Träger überwiegend nicht ein. 

Die Kommission beanstandete außerdem, dass Luxemburg einen stark ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 3 % anwandte, obwohl die Mehrwertsteuerrichtlinie Mehrwertsteuersätze von unter 5 % grundsätzlich verbiete. Insoweit erinnert der Gerichtshof daran, dass ein Mitgliedstaat gemäß der Mehrwertsteuerrichtlinie auch ermäßigte Mehrwertsteuersätze von 5 % nach der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) anwenden kann, sofern die ermäßigten Mehrwertsteuersätze insbesondere mit den Rechtsvorschriften der Union im Einklang stehen. 

Da der Gerichtshof aber zuvor bereits festgestellt hat, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung elektronischer Bücher nicht mit der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang steht, ist diese Voraussetzung der Vereinbarkeit mit den Rechtsvorschriften der Union nicht erfüllt, so dass Luxemburg auf die Lieferung elektronischer Bücher nicht den stark ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 3 % anwenden darf. 

Die Urteile vom heutigen Tag hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Bücher auf physischen Trägern, wie insbesondere Bücher aus Papier, vorzusehen, so dass rechtspolitisch eine Absenkung weiter diskutiert werden kann. 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH zu den Urteile C-479/13 und C-502/13