Mit einem Urteil vom 9. Juli 2015 - AZ: I ZR 46/12 - Die Realität II, hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof entschieden, dass der Betreiber einer Internetseite keine Urheberrechtsverletzung begeht, wenn er urheberrechtlich geschützte Inhalte, die auf einer anderen Internetseite mit Zustimmung des Rechtsinhabers für alle Internetnutzer zugänglich sind, im Wege des "Framing" in seine eigene Internetseite einbindet. Das Urteil betrifft allerdings eher den Fall, dass eine solche Einbindung ohne eine Zustimmung des Rechteinhabers erfolgt, soweit sich die Rechtekette für den Handelnden überhaupt klären lässt.
Die Bedeutung dieser Entscheidung geht weit über das Framing/Embedding bei Internetseiten hinaus, da von dieser Problematik auch das Einbinden etwa von Youtube - Videos in Blogs oder Social - Networks betroffen ist, wobei die Kernfragen aber noch offen sind. Das etwa bei Facebook so beliebte Teilen von Videos fällt auch darunter. Letztlich beruhen alle diese Techniken auf speziellen Modifikationen des Hyperlinking. Unter Frame wird ein Teilbereich einer HTML-Seite verstanden, der in eine andere
HTML-Seite eingebunden werden kann, so dass im Browser seit dem Netscape Navigator 2.0 der Eindruck simuliert wird, es handele sich um diesselbe Internetseite, sofern auf die Adressierung nicht geachtet wird. Das W3C hat Framesets
in den Versionen HTML 4.0 und XHTML 1.0 zwar standardisiert, allerdings hat HTML5 die Frame-Technik nicht übernommen. so dass Framing immer seltener wird. Es kann überdies via Java - Code unterbunden werden. Wesentlich relevanter sind die damit verbundenen Fragen heute für das Embedding, dass auf einer technisch ähnlichen Struktur beruht. Die Unterschiede treten in der Pressemitteilung aber nicht hervor.
Die Klägerin, die Wasserfiltersysteme herstellt und vertreibt, ließ zu Werbezwecken einen etwa zwei Minuten langen Film mit dem Titel "Die Realität" herstellen, der sich mit der Wasserverschmutzung befasst. Sie ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an diesem Film. Der Film war – nach dem Vorbringen der Klägerin ohne ihre Zustimmung – auf der Videoplattform "YouTube" abrufbar.
Die beiden Beklagten sind als selbständige Handelsvertreter für ein mit der Klägerin im Wettbewerb stehendes Unternehmen tätig. Sie unterhalten jeweils eigene Internetseiten, auf denen sie für die von ihnen vertriebenen Produkte werben. Im Sommer 2010 ermöglichten sie den Besuchern ihrer Internetseiten, das von der Klägerin in Auftrag gegebene Video im Wege des "Framing" abzurufen. Bei einem Klick auf einen Link wurde der Film vom Server der Videoplattform "YouTube" abgerufen und in einem auf den Webseiten der Beklagten erscheinenden Rahmen ("Frame") abgespielt. Bei dieser Sacvhverhaltsgestaltung ist kaum anzunehmen, dass die Beklagten die Frage der Zustimmung näher geprüft haben.
Die entscheidende Frage des Falles kreist um die Auffassung der Klägerin, dass die Beklagten das Video unberechtigt öffentlich zugänglich gemacht hätten, obwohl es aus einer Quelle (Youtube) stammte, auf die sie selbst keinen Einfluss hatten. Wegen dieser vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsverletzung hat die Klägerin die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen. Zunächst hatte das Landgericht die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von je 1.000 € an die Klägerin verurteilt, sodann hat aber das Berufungsgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen, so dass es zum gleichen Sachverhalt zwei völlig verschiedene rechtliche Beurteilungen gab.
Jetzt ha der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, nachdem der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren zu wesentlichen Rechtsfragen Stellung genommen hatte.
Der BGH ist der überzeugenden Auffassung, dass die bloße Verknüpfung eines auf einer fremden Internetseite bereitgehaltenen Werkes mit der eigenen Internetseite im Wege des "Framing" kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG darstellt, weil allein der Inhaber der fremden Internetseite darüber entscheidet, ob das auf seiner Internetseite bereitgehaltene Werk der Öffentlichkeit zugänglich bleibt. Letztlich hätte er dies technisch unterbinden können.
Eine solche Verknüpfung verletzt auch bei einer im Blick auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 2 UrhG grundsätzlich kein unbenanntes Verwertungsrecht der öffentlichen Wiedergabe.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das im vorliegenden Rechtsstreit eingereichte Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs ausgeführt, es liege keine öffentliche Wiedergabe vor, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu Werken bereitgestellt würden, die auf einer anderen Internetseite mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber für alle Internetnutzer frei zugänglich seien. Das gelte auch dann, wenn das Werk bei Anklicken des bereitgestellten Links in einer Art und Weise erscheine, die den Eindruck vermittele, dass es auf der Seite erscheine, auf der sich dieser Link befinde, obwohl es in Wirklichkeit einer anderen Seite entstamme. Letztlich enthält diese Auffassung bereits eine teleologische Reduktion des zu weit geratenen Art. 3 Abs.1, 2 der genannten Richtlinie, da bestimmte Nutzungshandlungen aus der Wiedergabe bei Annahme einer Nutzungshandlung "herausgenommen" werden.
Der interessenteste Aspekt dieser neuen Entscheidung betrifft aber die vom BGH aufgeworfene und offen gelassene Rechtsfrage, ob in solchen Fällen eine öffentliche Wiedergabe erfolgt, wenn keine Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers vorliegt. Wird dies angenommen, hätten die Beklagten das Urheberrecht am Film verletzt, wenn dieser ohne Zustimmung des Rechtsinhabers bei "YouTube" von einem - oftmals unbekannten - Dritten eingestellt worden war.
Hier stellt sich schon die Frage, wie eine solche Zustimmung geprüft werden soll, wenn sie nicht aufgrund der Umstände evident oder nichtevident ist. Letztlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die Zustimmung wird aufgrund unzumutbarer Prüfpflichten auch angesichts der Filtertechnologie von Youtube unterstellt oder aber bei fehlender Zustimmung darf ein solcher Content generelll nicht verwendet werden. Im letzteren Fall geraten eine größere Anzahl von Praktiken in Social Networks in Gefahr. Für einen Nutzer lässt sich aber im Regelfall ohne unzumutbaren Prüfwand kaum klären, ob ein Content bei Youtube mit oder ohne Zustimmung vorgehalten wird. Die sich hier stellenden Fragen zeigen, dass das geltende Recht die aktuellen Handlungsprozesse nicht vollständig erfasst.
Der BGH zieht sich darauf zurück, dass das Berufungsgericht dazu keine Feststellungen getroffen hat, so dass eine Zurückverweisung erfolgt ist. Der Bundesgerichtshof hatte zwar in diesem Zusammenhang erwogen, das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH in dem vom Hoge Raad der Niederlande am 7. April 2015 eingereichten Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-160/15 - GS Media BV/Sanoma Media Netherlands BV u.a. auszusetzen. Der Hoge Raad hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob von einer öffentlichen Wiedergabe auszugehen ist, wenn das Werk auf der anderen Internetseite ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zugänglich gemacht worden ist. Die betreffende Rechtsfrage wird daher voraussichtlich bald geklärt werden.
Allerdings hat der BGH von einer Aussetzung bedauerlicherweise abgesehen, weil mit einer Entscheidung des EuGH in dem ihm vom Hoge Raad vorgelegten Verfahren ist frühestens in einem Jahr zu rechnen ist.
Wie der BGH ausführt, kommt es auf die zu erwartende rechtliche Klärung dieser Frage durch den EuGH im vorliegenden Verfahren nur an, wenn der Film ohne Zustimmung des Rechtsinhabers bei "YouTube" eingestellt war. Eine Tatsachenfeststellung, die in diesem Rechtsstreit noch nicht getroffen war. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es in diesem Rechtsstreit zu einem erneuten Vorabentscheidungsverfahten kommt.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 114/2015 vom 09.07.2015
Bundesgerichtshof
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