BGH, Pressemitteilung Nr. 22/2013
BGH zum
Merkmal der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis als Voraussetzung
für die Zulässigkeit einer Heilmittelwerbung
Die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse als Voraussetzung einer rechtskonformen Werbung für Heilmittel sind seit einigen Jahren immer wieder kehrender Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten, die mit diesem Urteil erneut den BGH beschäftigt haben.
Sachverhalt:
Die Parteien vertreiben Arzneimittel zur Behandlung
von Diabetes mellitus, die auf unterschiedlichen Wirkstoffen beruhen.
Das Präparat der Klägerin enthält den Wirkstoff Insulinglargin, das
Präparat der Beklagten den Wirkstoff Insulindetemir. Die Klägerin wendet
sich im Kern gegen die in einem Faltblatt der Beklagten enthaltene
Werbeaussage, wonach das von der Beklagten vertriebene Mittel gegenüber
dem Mittel, das den von der Klägerin verwandten Wirkstoff enthält, zu
einer geringeren Gewichtszunahme führe. Dabei wendet sich ein Teil der
Klageanträge dagegen, dass sich die Beklagte zum Beleg ihrer
Werbeaussage konkret auf eine Studie gestützt hat. Ein anderer Teil der
Anträge richtet sich gegen die Werbeaussage ohne Bezugnahme auf eine
Studie.
Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, die
Studienergebnisse, auf die sich die Beklagte stützt, seien
wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert. Die Werbung sei daher
irreführend. Das Landgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Die
dagegen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Die Werbung, so das
Kammergericht, verstoße nicht gegen das Wettbewerbsrecht, weil die
Studienergebnisse, auf die sich die Werbeaussagen der Beklagten
stützten, Eingang in die beim Zulassungsverfahren geprüfte
Fachinformation gefunden hätten. Deshalb sei zu vermuten, dass der
Gewichtsvorteil, mit dem die Beklagte geworben hatte, dem
wissenschaftlich gesicherten Stand entspreche. Diese Vermutung habe die
Klägerin nicht widerlegt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision will
die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen.
Entscheidungsgründe:
Entscheidungsgründe:
Auf die Revision des Klägers hat der
Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die
Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Kammergericht zurückverwiesen, soweit diejenigen Anträge betroffen sind, die sich gegen die durch Bezugnahme auf eine Studie
belegte Werbung mit einem Gewichtsvorteil richten.
Der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, dass insoweit
eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen den
Grundsatz der "Zitatwahrheit" grundsätzlich in Betracht kommt. Dieser Grundsatz besagt, dass Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer
gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, grundsätzlich nur dann
hinreichend aussagekräftig sind, wenn sie nach den anerkannten Regeln und
Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet
wurden. Diese Anforderungen für den vorliegenden Bereich wie folgt präzisiert:
Für die Einhaltung der genannten Anforderungen ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Ob auch - wie im Streitfall - nachträglich anhand vorliegender Studiendaten im Rahmen einer sogenannten Subgruppenanalyse oder im Wege der Zusammenfassung mehrerer wissenschaftlichen Untersuchungen (Metaanalyse) erstellten Studien eine Werbeaussage tragen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es für die Frage der Irreführung neben der Einhaltung der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln vor allem darauf an, ob der Verkehr in der Werbung hinreichend deutlich auf die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung dieser Studie und gegebenenfalls die in der Studie selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf die Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse hingewiesen und ihm damit die nur eingeschränkte wissenschaftliche Aussagekraft der Studie vor Augen geführt wird. Solche aufklärenden Hinweise enthält die beanstandete Werbung nicht, obwohl die in Bezug genommene Studie Anlass dazu gegeben hat. Dies lässt sich nur in einer Tatsacheninstanz klären, so dass insoweit eine Rückverweisung an das Kammergericht erfolgte.
Für die Einhaltung der genannten Anforderungen ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Ob auch - wie im Streitfall - nachträglich anhand vorliegender Studiendaten im Rahmen einer sogenannten Subgruppenanalyse oder im Wege der Zusammenfassung mehrerer wissenschaftlichen Untersuchungen (Metaanalyse) erstellten Studien eine Werbeaussage tragen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es für die Frage der Irreführung neben der Einhaltung der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln vor allem darauf an, ob der Verkehr in der Werbung hinreichend deutlich auf die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung dieser Studie und gegebenenfalls die in der Studie selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf die Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse hingewiesen und ihm damit die nur eingeschränkte wissenschaftliche Aussagekraft der Studie vor Augen geführt wird. Solche aufklärenden Hinweise enthält die beanstandete Werbung nicht, obwohl die in Bezug genommene Studie Anlass dazu gegeben hat. Dies lässt sich nur in einer Tatsacheninstanz klären, so dass insoweit eine Rückverweisung an das Kammergericht erfolgte.
Dagegen ist die ohne konkreten Bezug zu der Studie
aufgestellte Behauptung eines Gewichtsvorteils im Streitfall rechtlich
nicht zu beanstanden, weil sich ein solcher Vorteil - genauer: eine
geringere Gewichtszunahme - nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen
des Kammergerichts im Streitfall aus der arzneimittelrechtlichen
Zulassung und der Fachinformation entnehmen lässt. Zwar gilt für Angaben
mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung
nach dem im Heilmittelwerberecht maßgebenden Strengeprinzip generell,
dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter
wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht.
Grundsätzlich kann sich aber ein Werbender nach diesem Urteil zum wissenschaftlichen Nachweis der Richtigkeit seiner Werbebehauptung auf den Inhalt der Zulassung und der Fachinformation berufen, weil diese Unterlagen Gegenstand der Überprüfung durch die Zulassungsbehörde sind. Dies wird der Praxis zahlreiche Erleichterungen bringen, weil Heilmittelwerbung, die sich an diese Vorgaben hält, kaum mehr zu beanstanden sein wird, sofern der Zeitpunkt der Zulassung nicht zeitlich länger zurück liegt.
Eine Irreführung kommt aber nach Auffassung des BGH dann in Betracht, wenn der Kläger darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt bekanntgewordene oder der Zulassungsbehörde bei der Zulassungsentscheidung sonst nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen. Da die Klägerin nichts zu solchen Erkenntnissen vorgetragen hatte, war die Klageabweisung insofern zu Recht erfolgt.
Dieses Urteil trägt erheblich zur Präsizierung der Anforderungen an die Annahme von Irreführungen im Bereich des Heilmittelwerberechts bei.
Grundsätzlich kann sich aber ein Werbender nach diesem Urteil zum wissenschaftlichen Nachweis der Richtigkeit seiner Werbebehauptung auf den Inhalt der Zulassung und der Fachinformation berufen, weil diese Unterlagen Gegenstand der Überprüfung durch die Zulassungsbehörde sind. Dies wird der Praxis zahlreiche Erleichterungen bringen, weil Heilmittelwerbung, die sich an diese Vorgaben hält, kaum mehr zu beanstanden sein wird, sofern der Zeitpunkt der Zulassung nicht zeitlich länger zurück liegt.
Eine Irreführung kommt aber nach Auffassung des BGH dann in Betracht, wenn der Kläger darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt bekanntgewordene oder der Zulassungsbehörde bei der Zulassungsentscheidung sonst nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen. Da die Klägerin nichts zu solchen Erkenntnissen vorgetragen hatte, war die Klageabweisung insofern zu Recht erfolgt.
Dieses Urteil trägt erheblich zur Präsizierung der Anforderungen an die Annahme von Irreführungen im Bereich des Heilmittelwerberechts bei.
Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 62/11 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil
LG Berlin - Urteil vom 9. Juni 2009 - 15 O 704/07
KG Berlin - Urteil vom 22. Februar 2011 - 5 U 87/09
Karlsruhe, den 6. Februar 2013
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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