Donnerstag, 24. Januar 2013

Schadensersatz für den Ausfall eines privat genutzten Internetanschlusses

BGH, Pressemitteilung Nr. 14/2013 

Urteil vom 24. Januar 2013 – III ZR 98/12 
Bundesgerichtshof erkennt Schadensersatz für den Ausfall eines Internetanschlusses 

Entscheidungen zur Schadensersatzpflicht der Telekommunikationsprovider wegen Ausfalls der Telekommunikationseinrichtungen - etwa nach verspäteter Portierung - sind rar und die Provider ziehen sich gerne auf die Konstruktion "Schädigung ohne Schaden" zurück. Die Haftung dem Grunde nach ist oftmals gegeben. 

In der Tat ist die Berechnung des Schadensersatzes nicht unproblematisch und in Kenntnis dessen bieten viele TK - Provider den Kunden allenfalls geringe Pauschalen an, zumal die Kunden in Kenntnis der betreffenden Schwierigkeiten oftmals von einem Rechtsstreit absehen, der durchaus zu Kostennachteilen führen kann, wenn man die Sache realistisch betrachtet und der Schadensersatz weder konkret noch abstrakt schlüssig begründet werden kann. 


Nunmehr hat einer diese Fälle den BGH erreicht, der damit Gelegenheit hatte ein Grundsatzurteil zu fällen, dass aber hinsichtlich der Höhe in einer Rückverweisung an das Berufungsgericht endete. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Kunden eines Telekommunikationsunternehmens mit Sitz in Montabaur Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses zuerkannt, weil infolge eines Fehlers des beklagten Telekommunikationsunternehmens bei einer Tarifumstellung der Kläger seinen DSL-Internetanschluss in der Zeit vom 15. Dezember 2008 bis zum 16. Februar 2009 nicht nutzen konnte. Der Kläger wickelte über diesen Anschluss auch seinen Telefon- und Telefaxverkehr ab (Voice und Fax over IP, VoIP). Neben Mehrkosten, die infolge des Wechsels zu einem anderen Anbieter und für die Nutzung eines Mobiltelefons anfielen, verlangt der Kläger Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit, seinen DSL-Anschluss während des genannten Zeitraums für die Festnetztelefonie sowie für den Telefax- und Internetverkehr zu nutzen, in Höhe von pauschal 50 € täglich, was einer abstrakten Berechnung des Schadensersatzes entspricht. Es handelt sich hier um einen rein privat genutzten TL - Anschluss, nicht etwa um unternehmerische oder freiberufliche Nutzung, was sich auch in der Schadenshöhe ausdrückt.

In den Vorinstanzen sind dem Kläger 457,50 € für das höhere, bei dem anderen Anbieter anfallende Entgelt sowie für die Kosten der Mobilfunknutzung zuerkannt worden. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger seinen Schadensersatzanspruch für die entgangenen Nutzungsmöglichkeiten seines DSL-Anschlusses weiter verfolgt. 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. In Anwendung dieses Maßstabs hat der III. Zivilsenat einen Schadensersatzanspruch wegen des Ausfalls des Telefaxes verneint. Dabei kommt es allerdings auf den Einzelfall an. Eine solche Verneinung wäre nach hiesiger Auffassung bei Unternehmen, die in erheblichem Umfang auf Faxverkehr angewiesen sind - etwa Rechtsanwaltskanzleien - kaum vernünftig zu argumentieren. 

Nach Auffassung des BGH vermittelt der Telefaxverkehr lediglich die Möglichkeit, Texte oder Abbildungen bequemer und schneller als auf dem herkömmlichen Postweg zu versenden. Der Fortfall des Telefaxes wirkt sich zumindest in dem hier in Rede stehenden privaten Bereich nicht signifikant aus, zumal diese Art der Telekommunikation zunehmend durch die Versendung von Text- und Bilddateien mit elektronischer Post verdrängt wird (Bsp. E-Mail mit pdf - Anhang). 

 Im Ergebnis hat der Senat einen Schadensersatzanspruch auch für den Ausfall des Festnetztelefons abgelehnt, was in der Pressemitteilung nicht näher begründet wird. Allerdings stellt die Nutzungsmöglichkeit des Telefons ein Wirtschaftsgut dar, dessen ständige Verfügbarkeit für die Lebensgestaltung von zentraler Wichtigkeit ist. 

Die Ersatzpflicht des Schädigers für die entgangene Möglichkeit, Nutzungsvorteile aus einem Wirtschaftsgut zu ziehen, entfällt jedoch, wenn dem Geschädigten ein gleichwertiger Ersatz zur Verfügung steht und ihm der hierfür anfallende Mehraufwand ersetzt wird. Dies war vorliegend der Fall, weil der Kläger im maßgeblichen Zeitraum ein Mobiltelefon nutzte und er die dafür angefallenen zusätzlichen Kosten ersetzt verlangen konnte. Ob dies immer und stets so sein muss, lässt sich durchaus in Zweifel ziehen, weil ein funktionierender und im Geschäftsleben eingeführter Telefonanschluss mit einem Mobilfunkanschluss nicht völlig substituieren lässt. Bei privater Nutzung mag dies noch angehen. 

 Demgegenüber hat der Senat dem Kläger dem Grunde nach Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit zuerkannt, seinen Internetzugang für weitere Zwecke als für den Telefon- und Telefaxverkehr zu nutzen und äußert sich detailliert zu den Funktionen der Medien des Internets: 

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. 

Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. 

Zur Höhe des Schadensersatzes hat der Senat ausgeführt, dass der Kläger in Übertragung der insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf die vorliegende Fallgestaltung einen Betrag verlangen kann, der sich nach den marktüblichen, durchschnittlichen Kosten richtet, die in dem betreffenden Zeitraum für die Bereitstellung eines DSL-Anschlusses mit der vereinbarten Kapazität ohne Telefon- und Faxnutzung angefallen wären, bereinigt um die auf Gewinnerzielung gerichteten und sonstigen, eine erwerbwirtschaftliche Nutzung betreffenden Wertfaktoren. Es liegt auf der Hand, dass dieser Schadensersatzanspruch angesichts der derzeitigen Kostensituation am DSL - Markt nicht allzu hoch sein wird. 

 Zur näheren Sachaufklärung hierzu hat der Senat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das über die konkrete Höhe des Schadensersatzes nach der präzisen "Segelanweisung" des BGH zu befinden haben wird. 

AG Montabaur - Urteil vom 7. Dezember 2010 – 5 C 442/10 
LG Koblenz - Urteil vom 7. März 2012 – 12 S 13/11 
Karlsruhe, den 24. Januar 2013 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

BGH legt EuGH Fragen zur Neuregelung des Glücksspielrechts vor

BGH, Pressemitteilung Nr. 12/2013 
BGH legt EuGH Fragen zur Neuregelung des Glücksspielrechts vor 

Das Glücksspiel - und Gewinnspielrecht ist seit geraumer Zeit in deutlicher Bewegung. Es hatte erst letzten Herbst aufgrund einer Vorlage aus Wales den EuGH beschäftigt. Die zentrale Regelung in Deutschland ist der Glücksspielstaatsvertrag der deutschen Bundesländer nebst Ausführungsgesetzen, der in unterschiedlichen Fassung Anwendung findet. Hier geht es noch um die Fassung des Glücksspielstaatsvertrages 2008, der inzwischen durch den Glücksspielstaatsvertrag 2012 ersetzt worden ist. Dieser Wechsel der Regimes führt zu zahlreichen Problemen hinsichtlich des Verdikts der Wettbewerbswidrigkeit vor und nach Inkrafttreten der jeweiligen Rechtsänderungen und zwar jeweils vor dem Hintergrund einer Konformität mit europäischem Recht, da es sich um Anbieter aus dem EU -Ausland handelt, die sich auf die Grundfreiheiten berufen können, hier auf die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV.   

In diesem Zusammenhang ist erheblich, dass Schleswig - Holstein diesem Glückspielsstaatvertrag nicht beigetreten ist und unter der Vorgängerregierung das Glücksspielrecht erheblich liberalisiert hat. Im Fokus dieses Rechtsstreits zwischen der staatlichen Lottogesellschaft von Nordrhein - Westfalen als Klägerin und digibet als international operierendem Sportwettenanbieter - der auch zahlreiche Gewinnspiele anbietet - stehen lauterkeitsrechtliche Fragestellungen, die aber Bedeutung für den gesamten Bereich des Glücksspielrechts haben. 


Seit 1.Januar 2012 gilt in Schleswig-Holstein ein liberalisiertes Glücksspielrecht. Danach sind Vertrieb und Werbung für Glücksspiele im Internet grundsätzlich zulässig; unter bestimmten objektiven Voraussetzungen ist die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten jedem Antragsteller aus der EU zu erteilen. In den übrigen Bundesländer gilt dagegen inzwischen ein neuer Glücksspielstaatsvertrag (1.Glücksspieländerungsstaatsvertrag GlüStV 2012). 


Die Beklagte bietet im Internet Glücksspiele, Gewinnspiele und Sportwetten an. Die Klägerin, die staatliche Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen, hält dieses Angebot für wettbewerbswidrig. Ihre Unterlassungsklage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. 

Nach der Rechtsprechung des BGH handelte die Beklagte bis zum 31. Dezember 2011 wettbewerbswidrig, weil sie gegen die Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiele im Internet gemäß § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 3 Glücksspielstaatsvertrag 2008 (GlüStV 2008) verstieß (vgl. BGH, Urt. v. 28.9.2011 - I ZR 92/09, GRUR 2012, 193 - Sportwetten im Internet II). 

Nach Rechtsänderungen stellt sich aber die Frage, ob das deutsche Glücksspielrecht noch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren deshalb ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vorgelegt. 

Der GlüStV 2012 enthält weiterhin Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiel im Internet. Zwar kann die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr erlaubt werden. Auf die Erlaubniserteilung besteht aber kein Rechtsanspruch. Damit unterscheidet sich die Rechtslage im übrigen Bundesgebiet wesentlich von der Schleswig-Holsteins, wobei allerdings die amtierende Landesregierung Änderungen in Aussicht gestellt hat und einen Beitritt zum Glücksspielstaatsvertrag 2012 angekündigt hat. Nach Vollzug dieser Ankündigung wird es in der Bundesrepublik Deutschland ein einheitliches Glücksspielrechtsregime geben, so dass diese einschlägigen Entscheidungen in absehbarer Zeit "overrult" sein könnten. Der BGH berücksichtigt dies bereits in seinem Beschluss und Hinweis auf Übergangsfristen für in der Zwischenzeit rechtswirksam erteilte Lizenzen. 

 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Beschränkungen der Glücksspieltätigkeit nur dann mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn ihre Eignung, legitime Allgemeininteressen zu verfolgen, nicht durch Ausnahmen und Einschränkungen beseitigt wird (Kohärenzgebot). Die Liberalisierung von Internetvertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein könnte die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen Allgemeininteressen erheblich beeinträchtigen. Das könnte möglicherweise dazu führen, dass die Vertriebs- und Werbebeschränkungen im Internet für Glücksspiele in den anderen Bundesländern wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unanwendbar sind. 

Mit der ersten Frage des Vorabentscheidungsersuchens möchte der Bundesgerichtshof wissen, ob eine Verletzung des unionsrechtlichen Kohärenzgebots wegen der unterschiedlichen Rechtslage in Schleswig-Holstein gegenüber dem übrigen Bundesgebiet schon deshalb ausscheidet, weil die Regelung des Glücksspielwesens in die Gesetzeskompetenz der Länder fällt und die Möglichkeit unterschiedlicher Regelungen in den Bundesländern daher eine Folge der bundesstaatlichen Verfassung Deutschlands ist. 

In der zweiten Frage geht es darum, ob die Antwort auf die erste Frage davon abhängt, in welchem Maß die unterschiedliche Rechtslage die Wirksamkeit der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels beeinträchtigt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshof sprechen insbesondere die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie der Verhältnismäßigkeit dafür, in der bundesstaatlichen Ordnung begründete unterschiedliche Regelungen innerhalb eines Mitgliedstaats nicht als inkohärente Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anzusehen, soweit sie in der EU nicht harmonisierte Sektoren wie das Glücksspiel betreffen. Jedenfalls sollte es aber nicht zu einer Inkohärenz der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen führen, wenn ihre Eignung durch eine liberalere Regelung in einem einzelnen kleineren Bundesland nur unerheblich beeinträchtigt wird. 

 Da die neue Landesregierung in Schleswig-Holstein beabsichtigt, dem GlüStV 2012 beizutreten, hat der Bundesgerichtshof den EuGH für den Fall, dass ein solcher Beitritt bis zur Entscheidung des EuGH erfolgt ist, um die Beantwortung der dritten Vorlagefrage gebeten: Mit ihr soll geklärt werden, ob eine möglicherweise bestehende unionsrechtliche Inkohärenz dadurch beseitigt wird, dass Schleswig-Holstein die im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die großzügigeren Regelungen in diesem Bundesland für dort bereits erteilte Konzessionen noch während einer mehrjährigen Übergangszeit fortgelten, weil sie nicht oder nur gegen hohe Entschädigungen widerrufen werden können. 

Auch hier möchte der Bundesgerichtshof - dies ist die vierte Frage - wissen, ob es für die Antwort darauf ankommt, ob während der Übergangszeit die Wirksamkeit der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird. 

 Nach Ansicht des Bundesgerichtshof sollte es mit dem Unionsrecht vereinbar sein, wenn zulässige Regelungen für den Glücksspielbereich, auf die sich die Länder eines Bundesstaates geeinigt haben, in einem Bundesland erst nach einer mehrjährigen Übergangszeit in Kraft gesetzt werden, auch wenn die Wirksamkeit dieser Regelungen im übrigen Bundesgebiet in der Zwischenzeit beeinträchtigt wird. Jedenfalls sollte dies gelten, wenn die Beeinträchtigung nur unerheblich ist. 

Die Entscheidung des EuGH wird erheblichen Einschluss auf die Zukunft der Sportwetten im Anwendungsbereich der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland haben 

 Folgender Beschluss wurde verkündet: 

 I. Das Verfahren wird ausgesetzt. 

 II.Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 56 AEUV folgende Fragen vorgelegt: 

 1.Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors dar, -wenn einerseits in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat die Veranstaltung und die Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet nach dem in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer geltenden Recht grundsätzlich verboten ist und - ohne Rechtsanspruch - nur für Lotterien und Sportwetten ausnahmsweise erlaubt werden kann, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken, -wenn andererseits in einem Bundesland dieses Mitgliedstaats nach dem dort geltenden Recht unter näher bestimmten objektiven Voraussetzungen jedem Unionsbürger und jeder diesem gleichgestellten juristischen Person eine Genehmigung für den Vertrieb von Sportwetten im Internet erteilt werden muss und dadurch die Eignung der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkung des Glücksspielvertriebs im Internet zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigt werden kann? 

 2.Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an, ob die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls aufhebt oder erheblich beeinträchtigt? Falls die erste Frage bejaht wird: 

 3.Wird die Inkohärenz dadurch beseitigt, dass das Bundesland mit der abweichenden Regelung die in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die bisherigen großzügigeren Regelungen des Internetglücksspiels in diesem Bundesland hinsichtlich der dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten, weil diese Genehmigungen nicht oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschädigungszahlungen widerrufen werden könnten? 

4. Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an, ob während der mehrjährigen Übergangszeit die Eignung der in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird? 

 Beschluss vom 24. Januar 2013 - I ZR 171/10 - digibet 
OLG Köln - Urteil vom 3. September 2010 - 6 U 196/09 
LG Köln - Urteil vom 22. Oktober 2009 - 31 O 552/08 
Karlsruhe, den 24. Januar 2013 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Streit der Familienunternehmen "Peek & Cloppenburg KG" über bundesweite Werbung

BGH - Pressemitteilung Nr. 13/2013
Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 58/11
Streit der Familienunternehmen "Peek & Cloppenburg KG" über bundesweite Werbung

 Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in fünf Verfahren über die Frage entschieden, wie eine bundesweite Werbung von Unternehmen mit identischer Unternehmensbezeichnung gestaltet sein muss, um eine hinreichende Abgrenzung zwischen unterschiedlichen, aber gleichnamigen Unternehmen vornehmen zu können. Der Streit zieht sich seit Jahren, ohne das eine einvernehmliche Lösung möglich war. Die Gründe für die heftigen Auseinandersetzungen hängen eng mit der Unternehmensgeschichte der beiden konkurrierenden Modeunternehmen zusammen. Das Düsseldorfer Unternehmen ist mit ca. 50 Filialen deutlich größer als die Hamburger Konkurrenz mit ca. 25 Filialen und im Internetvertrieb wesentlich aktiver.

Die seit 1911 praktizierte friedliche Koexistenz endete vor ca. zehn Jahren in einem hart umkämpften Markt. Das Unternehmen in Düsseldorf ist länger am Markt (gegr. 1900) und das Unternehmen in Hamburg beruht auf einer Gestattung innerhalb der Familie aus dem Jahre 1911. Den Markt wollte man sich teilen zwischen Norden, Süden und Westen. Vor etwa zehn Jahren befand das Hamburger Unternehmen erstmals, dass die Abgrenzung der Unternehmen in der Werbung des Unternehmensaus Düsseldorf nicht hinreichend zum Ausdruck kommen würde. Die Folge war eine Kette von Rechtsstreitigkeiten im Werberecht. Das die Abgrenzung besonders deutlich wird, lässt sich bei identischen Logos, ähnlichen Internetadressen und ähnlichen Werbestrategien auch kaum behaupten. Der BGH hat diesen "gordischen Knoten" jetzt weitgehend entwirrt.

Sachverhalt

Die Parteien sind rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Unternehmen, die seit Jahrzehnten unter der Bezeichnung "Peek & Cloppenburg KG" zahlreiche Bekleidungshäuser im Bundesgebiet betreiben. Die Klägerin hat ihren Sitz in Hamburg und ist im norddeutschen Raum tätig. Die Beklagte, die ihren Sitz in Düsseldorf hat, betreibt Bekleidungshäuser im Westen, Süden und in der Mitte Deutschlands. In den Verfahren hat die Klägerin die Beklagte wegen bundesweiter Werbung auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie hat sich darauf berufen, im norddeutschen Raum werde ihr aufgrund der gleichlautenden Unternehmensbezeichnungen die Werbung der Beklagten zugerechnet. 

 Das Berufungsgericht hat der Beklagten die beanstandete Werbung verboten. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidungen des Berufungsgerichts (Hanseatisches Oberlandesgericht) in den fünf Verfahren aufgehoben und wendet hier völlig konsequent das Recht der Gleichnamigen an und kommt zu einer pragmatischen Lösung, die sich fast wie ein Vergleich ließt, auf den man schon länger hätte kommen können. Die Entscheidungen sind auch hinsichtlich klarstellender Hinweise in Werbeanzeigen von höchster Relevanz, gerade aufgrund der pragmatischen Lösungsansätze. 

Entscheidungsgründe
 Zwischen den Parteien besteht aufgrund der seit Jahrzehnten unbeanstandet nebeneinander benutzten identischen Unternehmensbezeichnungen eine kennzeichenrechtliche Gleichgewichtslage, auf die die Grundsätze des Rechts der Gleichnamigen anwendbar sind. 
Diese Gleichgewichtslage hat die Beklagte durch die Ausdehnung ihrer Werbemaßnahmen auf den norddeutschen Raum gestört, in dem nur die Klägerin tätig ist. Da die Beklagte an einer Werbung in bundesweit vertriebenen Medien aber ein anzuerkennendes Interesse hat, kann ihr die Werbung nicht generell verboten werden. 
Die Beklagte muss vielmehr in der Werbung die Leser der Anzeigen in geeigneter Weise darüber aufklären, dass es zwei Gesellschaften mit der identischen Bezeichnung "Peek & Cloppenburg KG" gibt und von welchem der beiden Unternehmen die Werbung stammt. Dies ist in den beanstandeten Anzeigen auch geschehen. 
Anders als das Oberlandesgericht hat der Bundesgerichtshof diese Hinweise als ausreichend erachtet. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass unter dem Firmennamen "Peek & Cloppenburg" in etwas kleinerer Schrift der Zusatz "Düsseldorf" und darunter ein dreizeiliger Text steht, der darüber aufklärt, dass es zwei unabhängige Unternehmen "Peek & Cloppenburg" mit Sitzen in Düsseldorf und Hamburg gebe und dass es sich bei dieser Anzeige ausschließlich um eine Information des Düsseldorfer Unternehmens handele. 
Der Bundesgerichtshof hat es ausreichen lassen, dass dieser Hinweis dem Unternehmensnamen zugeordnet sei. Keinesfalls müsse der Zusatz in seiner Größe und Gestaltung der Werbebotschaft - etwa den dort abgebildeten Modellen - entsprechen. 
Der Bundesgerichtshof hat deshalb eine Verletzung des Unternehmenskennzeichens der Klägerin durch die bundesweite Werbung der Beklagten und einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot verneint und insoweit die Klagen abgewiesen. 
 Die Klägerin hatte sich allerdings auch auf eine vertragliche Vereinbarung mit der Beklagten berufen, wonach die Parteien keine Werbung im Tätigkeitsbereich der jeweils anderen Partei betreiben dürfen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache insoweit unter Hinweis auf die kartellrechtlichen Grenzen, denen solche Abgrenzungsvereinbarungen unterliegen, an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die hierzu erforderlichen Feststellungen getroffen werden. 

  LG Hamburg - Urteil vom 9. April 2009 - 327 O 533/08 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 69/09 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 59/11 
 LG Hamburg - Urteil vom 13. November 2008 - 327 O 265/08 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 255/08 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 60/11 
LG Hamburg - Urteil vom 29. Juli 2010 - 327 O 686/09 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 142/10 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 61/11 
LG Hamburg - Urteil vom 29. Juli 2010 - 327 O 676/09 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 139/10 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 65/11 
LG Hamburg - Urteil vom 29. Juli 2010 - 327 O 569/09 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 140/10 
Karlsruhe, den 24. Januar 2013 
Siehe auch: Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 65/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 60/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 58/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 61/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 59/11 - 
Quelle:  Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Montag, 21. Januar 2013

Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel

Bundesgerichtshof -  Pressemitteilung Nr. 7/2013 
Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel 

Immer öfter stellen sich im Steuerstrafrecht Probleme im Bereich der organisierten Umsatzsteuerhinterziehung, meist unter Einsatz sog. "rechtswidriger Zwischengesellschaften", jedenfalls aus der Sicht des deutschen, internationalen Steuerrechts. 

Die Fälle haben in der Regel internationale Organisationsformen zum Gegenstand, die auf hochriskanten Konstrukten beruhen, die es nahe gelegt hätten, bereits bei ihrer Installierung die steuerrechtlichen Risiken angemessen in die Bewertung der Konstruktionen einzuziehen. 

Im vorliegenden Fall ging es um Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe von 260 Millionen Euro im Bereich des Emissionszertifikatehandels vor Einführung des "Reverse - Charge - Modells" unter dem gefährlichen Einsatz eines "Missing Traders" als Ersterwerber ohne Umsatzsteuerzahlung, der aber dem "Buffer" die nicht gezahlte Umsatzsteuer in Rechnung stellt, der die Zertifikate dann weiter vertrieb. Distributor war eine deutsche Großbank. Das Modell wird in der Pressemitteilung ausführlich hinsichtlich der bestehenden Risiken und Gefahren geschildert.

Das Landgericht Frankfurt am Main hatte in der ersten Instanz sechs Angeklagte (zwei Deutsche, drei Briten und einen Franzosen) wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil haben vier der Angeklagten erfolglos Revision eingelegt; die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen zurückgenommen. Damit ist das Urteil rechtskräftig. 

Gegenstand der Verurteilung ist ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissionszertifikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio € hinterzogen wurden. Hierzu hat das Landgericht Folgendes festgestellt: 

Nach dem europäischen Emissionshandelssystem werden den Betreibern genehmigungspflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissionsberechtigungen (sog. Emissionszertifikate) zugeteilt. Dieses System basiert auf einer europäischen Richtlinie (Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003), die in Deutschland am 15. Juli 2004 umgesetzt wurde. Die bei nationalen Registrierstellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissionshandelsstelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagenbetreiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase. Diese Zertifikate können auch verkauft werden. Der Handel kann u.a. online über bei den nationalen Registrierstellen bestehende elektronische Emissionshandelskonten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekundenschnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zertifikatemengen im Wert von mehreren Millionen € möglich. 

Bis zur Einführung des – weniger betrugsanfälligen – sog. Reverse-Charge-Verfahrens für Emissionszertifikate zum 1.Juli 2010 auch in Deutschland (andere Mitgliedstaaten der EU hatten dies bereits im Jahr 2009 eingeführt) konnte ein Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuervergütungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatzsteueranmeldungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte. 

Die Betrugsanfälligkeit dieses (früheren) Systems haben sich die Angeklagten zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handelsbereichen bereits bekanntes Umsatzsteuerhinterziehungssystem: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird das Emissionszertifikat aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den sog. "Missing Trader") verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (sog. "Buffer") weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischengeschaltet sein. Der (letzte) Buffer verkauft das Zertifikat – wiederum mit einem geringen Preisaufschlag – schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette, den sog. "Distributor". 

Das Hinterziehungssystem der Angeklagten war für diese deshalb lukrativ, weil der "Missing Trader" keine Umsatzsteuer abführt und so dem Buffer einen Gewinn in Höhe seines Preisaufschlags ermöglicht. Es ging wie folgt vonstatten: 

Der "Missing Trader" stellt dem "Buffer" eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung "Missing Trader"). Der "Buffer" nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend. 

 Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten teils als "Missing Trader", teils als "Buffer". Die "Buffer" gaben zwar Umsatzsteueranmeldungen ab, "neutralisierten" aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Scheinrechnungen (von Firmen mit denen tatsächlich eine Leistungsbeziehung nicht bestand) gegenrechneten. 

Die "Buffer" machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom "Missing Trader" gestellten Rechnungen mit Umsatzssteuerausweis geltend. Distributor war nach den Feststellungen des Landgerichts in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissionszertifikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zertifikatmengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Erst dann fragte dieser "Buffer" bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer – insofern völlig risikolos – erst, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte. 

 Das Landgericht hat hinsichtlich der für die jeweiligen Firmen abgegebenen Umsatzsteueranmeldungen den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bejaht. Es sah in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 1 StR 24/10) die aus Rechnungen der vermeintlichen "Lieferanten" geltend gemachte Vorsteuer in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. € als hinterzogen an, weil eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht bestand: Soweit es sich nicht ohnehin um Scheinrechnungen nicht existierender Firmen handelte, war eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unternehmerischen Tätigkeit von Rechnungssteller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten erkannten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinterziehungskette, handelten aber wegen persönlicher Vorteile gleichwohl. 

 Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen der Angeklagten, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, als unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. 

Insbesondere steht es einer vollendeten Steuerhinterziehung nicht entgegen, dass Finanzbehörden – wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde – zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermittlungstaktischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems nicht zu gefährden) Steuervergütungen gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt haben. Denn Straftäter haben keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird. Die Staatsanwaltschaft hat ihre gegen das Urteil gerichteten Revisionen, mit der sie u.a. die nach ihrer Ansicht zu geringe Höhe der verhängten Strafen angreift, zurückgenommen. 

Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 391/12 
Landgericht Frankfurt am Main – Urteil vom 15. August 2011 – 5/2 KLs 4/11 7510 Js 258673/09 Wl Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

BGH: Ordentliches Kündigungsrecht der privaten Banken

BGH, Urteil vom 15.01.2013, AZ: XI ZR 22/12


undesgerichtshof entschiedt über das ordentliche Kündigungsrecht der privaten Banken gegenüber Unternehmen. Der XI. Zivilsenat hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass die ordentliche Kündigung eines Girovertrags nach Nr.19 Abs.1 AGB-Banken 2002 nicht voraussetzt, dass eine private Bank eine Abwägung ihrer Interessen an einer Beendigung des Vertragsverhältnisses mit den Interessen des Kunden an dessen Fortbestand vornimmt, sondern das insoweit der Grundsatz der Privatautonomie Anwendung findet. Ungeachtet des Umstandes, dass sich Banken durchaus auch wechseln lassen, wollte die Kundin hier an einer Bank festhalten, die sie als Kundin nicht mehr haben wollte, wobei es nach der Rechtslage auf die Motive nicht ankommt.  

In Streit standen hier die ABG Banken für das Jahr 2002. Im Bereich des Zahlungsverkehrs müssen private Banken seit dem 31. Oktober 2009 umfangreichen gesetzlichen Vorgaben zur Information ihrer Kunden Rechnung tragen, wie dies etwa aus § 675d Abs. 1 BGB und Art. 248 § 3 und § 4 EGBGB hervorgeht, die im Jahr 2002 noch nicht in Kraft waren. Die aktuelle Fassung ist aber insoweit ganz ähnlich, wenn auch mit längeren Fristen: 


19. Kündigungsrechte der Bank

(1) Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist
Die Bank kann die gesamte Geschäftsverbindung oder einzelne Geschäftsbeziehungen, für die weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart ist, jederzeit unter Einhaltung einer 
angemessenen Kündigungsfrist kündigen (zum Beispiel den Scheckvertrag, der zur Nutzung von Scheckvordrucken berechtigt). Bei der Bemessung der Kündigungsfrist wird die Bank auf die berechtigten 
Belange des Kunden Rücksicht nehmen. Für die Kündigung eines 
Zahlungsdiensterahmenvertrages (zum Beispiel laufendes Konto oder 
Kartenvertrag) und eines Depots beträgt die Kündigungsfrist mindestens zwei Monate. (...)


Im seitens des BGH entschiedenen Fall unterhielt die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Bücher und Zeitschriften vertreibt, bei der beklagten privaten Bank seit September 2006 ein Girokonto, das sie für ihren Geschäftsverkehr nutzte. Ihrer Vertragsbeziehung zur Beklagten lagen deren Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB-Banken 2002) zugrunde, die unter anderem folgende Klausel enthielten:

 "19.Kündigungsrechte der Bank (1) Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist Die Bank kann die gesamte Geschäftsverbindung oder einzelne Geschäftsbeziehungen, für die weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart ist, jederzeit unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist kündigen (zum Beispiel den Scheckvertrag, der zur Nutzung von Scheckvordrucken berechtigt). Bei der Bemessung der Kündigungsfrist wird die Bank auf die berechtigten Belange des Kunden Rücksicht nehmen. Für die Kündigung der Führung von laufenden Konten und Depots beträgt die Kündigungsfrist mindestens sechs Wochen". 

Die Beklagte teilte der Klägerin unter dem 22. Juli 2009 mit, sie sehe sich "aus grundsätzlichen Erwägungen" nicht mehr in der Lage, die Kontoverbindung mit der Klägerin aufrecht zu erhalten, und kündigte mit einer sechswöchigen Kündigungsfrist (die Frist wäre heute länger). Mit ihrer in beiden Vorinstanzen erfolglosen Klage begehrt die Klägerin festzustellen, der Girovertrag bestehe fort. 

Der XI. Zivilsenat hat auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen für seine Entscheidung maßgeblich: 

Im Ergebnis richtig hat das Berufungsgericht angenommen, mittels Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken 2002 sei ein ordentliches Kündigungsrecht wirksam vereinbart, auch wenn die Bestimmung der Beklagten nicht abverlangt, ihr Interesse an einer Vertragsbeendigung mit dem Interesse der Klägerin an der Fortführung des Vertrages abzuwägen. Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken 2002 hält einer Inhaltskontrolle stand. Auch ist die Ausübung des Kündigungsrechts auf der Grundlage der Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken 2002 im konkreten Fall nicht verbots- oder treuwidrig gewesen. 

Insbesondere statuiert das vom Grundsatz der Privatautonomie beherrschte bürgerliche Recht keine über eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes begründbare allgemeine Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung, hier bei der Ausübung eines vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündigungsrechts. Entsprechend oblag es der Beklagten nicht, eine Ungleichbehandlung der Klägerin im Verhältnis zu anderen Kunden mittels einer Angemessenheits- oder Verhältnismäßigkeitsprüfung sachlich zu rechtfertigen. Der konkrete Fall bietet auch keine Besonderheiten, die eine Kündigung als rechtsmissbräuchlich bzw. als schikanös oder eine Kündigungsfrist von sechs Wochen als zu kurz bemessen erscheinen lassen. 

Die Sache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht, anstatt aufzuklären, ob die Beklagte - wie von der Klägerin bestritten - bei Erklärung der Kündigung mit Schreiben vom 22. Juli 2009 wirksam vertreten war, die Klageerwiderung als erneute Kündigung interpretiert hat. Dabei hat es deren Wortlaut überdehnt. Der XI. Zivilsenat hat die Sache deshalb zur Prüfung der Vertretungsverhältnisse an das Berufungsgericht zurückgegeben. 

Vorinstanzen: 
LG Bremen - Urteil vom 6. Januar 2011 - 2 O 2150/09 
Hanseatisches OLG Bremen - Urteil vom 9. Dezember 2011 - 2 U 20/11 
(veröffentlicht: WM 2012, 1239 ff.) 
Quelle: Pressestelle des BGH

Warenhaus darf nicht mit irreführenden Aussagen für Fitnesssandalen werben

Oberlandesgericht Koblenz
(Urteil vom 10. Januar 2013, Az.: 9 U 922/12
"- Cellulite-Vorbeugung" und "Kräftigung der Muskulatur" nicht wissenschaftlich belegt - 


Die Werbung für Produkte mit vermeintlich oder tatsächlicher gesundheitsfördernder Wirkung sind seit einigen Jahren in Bewegung und sind unter dem Regime insbesondere des Heilmittelwerbegesetzes als Sondergesetz zum UWG einer restriktiven Handhabung ausgesetzt, wie die Beispiele "Heilsteine", "Heilpilze" und andere Phämomene zeigen. Die Rechtsprechung orientiert sich bei der Bewertung an wissenschaftlichen Standards ohne jede "Esoterik", um vernünftige Parameter für die Bewertung anwenden zu können. Das Oberlandesgericht Koblenz liegt ganz in dieser Tendenz, wenn es urteilt: 

"Wer für ein Produkt mit einer gesundheitsfördernden Wirkung wirbt, muss diese hinreichend wissenschaftlich belegen können. Kann der Werbende diese Nachweise nicht erbringen, ist eine entsprechende Werbung zur Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher geeignet und damit irreführend." 


Die entscheidenden Fragen liegen hier eher im Tatsächlichen als im Rechtlichen, da es auf die Anforderungen und den Gehalt des wissenschaftlichen Nachweises ankommt.


 Das OLG Koblenz hat einem Warenhaus die Werbung für Fitnesssandalen untersagt, weil werbende Formulierungen wie „kann helfen, Cellulite vorzubeugen“ und „kann helfen, die Muskulatur zu kräftigen“ nicht wissenschaftlich belegt sind, wie der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz entschieden hat. Die vorausgegangene Entscheidung des Landgerichts Mainz hat der Senat damit bestätigt. 


Im konkreten Fall hatte das beklagte Warenhaus in einem Prospekt für Fitnesssandalen geworben. Darin hatte sie u.a. formuliert, die Sandale „kann helfen, Cellulite vorzubeugen“, „kann helfen, die Muskulatur zu kräftigen“, „unterstützt eine gute Haltung“ und die „runde Sohlenform unterstützt die natürliche Rollbewegung des Fußes“. Zudem wurde in einer Abbildung eine erhöhte Muskelaktivität der Beine um bis zu 20% im unteren Bereich, bis zu 13% im mittleren Bereich und bis zu 30% im oberen Bereich behauptet. 



Ein klagender Verein, zu dessen Aufgabe die Wahrung der Wettbewerbsregeln im Interesse seiner Mitglieder gehört, hat die Unterlassung dieser Werbung mit der Begründung beantragt, die werbenden Aussagen seien unrichtig und hat hierzu Bezug auf die aktuelle wissenschaftliche Diskussion in der Orthopädie genommen.  

Die Klage hatte bereits vor dem Landgericht Mainz in erster Instanz Erfolg gehabt, nachdem das Gutachten eines Sachverständigen ergeben hatte, dass die in der Werbung aufgeführten Effekte wissenschaftlich nicht belegt seien. Die Beklagte wurde daher vom Landgericht verpflichtet, die entsprechende Werbung zu zukünftig unterlassen. 

Die Berufung des Warenhauses gegen dieses Urteil hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts nun zurückgewiesen. Der Senat legte in seiner Entscheidung dar, die Werbung der Beklagten sei irreführend. Es sei nicht wissenschaftlich erwiesen, dass das Tragen der Sandalen die behaupteten Effekte zeige. Wer mit gesundheitlichen Wirkungen von Produkten werbe, müsse besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen erfüllen. Wenn aber eine gesundheitsfördernde Wirkung nicht hinreichend wissenschaftlich belegt werden könne, sei die Werbung zur Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher geeignet und damit irreführend. Aufgrund dieser Irreführung wurde der Beklagten untersagt, mit diesen Aussagen für die Fitnesssandalen zu werben. Dies bedeutet indessen kein "Vertriebsverbot", da der Vertrieb unter Änderung der Werbung durchaus möglich ist, wenn auch mit einer weniger Erfolg versprechenden Marketingstrategie. Auf derartige Restriktionen muss sich die Werbebranche zunehmen einstellen. 


Quelle: Pressestelle des OLG Koblenz