Oberlandesgericht Köln, AZ: 6 W 82/11
Beschluss v. 07.09.2011
Vorinstanz: Landgericht Köln, 214 O 3/11
Die sehr lesenswerte Entscheidung ist in einem Verfahren nach § 101 UrhG ergangen und nicht in einem Streitverfahren. Die Begründung lässt sich aber sehr wohl in Auseinandersetzungen über die Zuordnung von Verkehrsdaten zu personenbezogenen Daten verwerten, weil jede dieser Auseinandersetzungen mit dem Beweis der Nutzung eines bestimmtene Telekommunikationsanschlusses zu Zwecken eines illegalen "Filesharings" steht und fällt. Es gab und gibt insoweit erhebliche Zweifel an der technischen Zuverlässigkeit der Zuordnung, die aber von bestimmten Gerichten geradezu ignoriert werden. Umso erfreulicher ist es, dass das LG Köln und ihm folgend nunmehr auch das OLG Köln die Beweisanforderungen auf ein adäquates technisches Maß bringen. Ungeachtet dessen dass sich das den einschlägigen Rechtsstreitigkeiten zugrundeliegende urheberrechtspolitische Problem mit massenhaft geführten Rechtsstreitigkeiten auf Dauer nicht lösen lassen wird, muss aber zumindest der Beweis der Täterschaft eines Anschlussinhabers klar nach den Anforderungen des § 286 ZPO geführt werden. Jedenfalls hält das OLG Köln die Software "Seeder Seek" und deren Handhabung für nich hinreichend validiert, um einen Beschluss nach § 101 UrhG zu erlassen, womit eine interessante Grenze auch für zukünftige Verfahren aufgezeigt wird.
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Die Beschwerde der
Antragstellerin gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts
Köln – 214 O 3/11 – vom 16.3.2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
G r ü n d e :
Die gemäß § 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG, §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde
gegen die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer richterlichen
Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten hat
keinen Erfolg, weil nicht festgestellt werden kann, dass von den in der
Anlage ASt. 1 aufgelisteten IP-Adressen aus Rechtsverletzungen begangen
worden sind.
Eine Anordnung
nach § 101 Abs. 9 UrhG setzt voraus, dass eine offensichtliche
Rechtsverletzung im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG vorliegt.
Dabei bezieht
sich das Erfordernis der Offensichtlichkeit in § 101 Abs. 2 UrhG neben
der Rechtsverletzung auch auf die Zuordnung dieser Verletzung zu den
begehrten Verkehrsdaten. Nach der Gesetzesbegründung soll durch dieses
Tatbestandsmerkmal gewährleistet werden, dass ein Auskunftsanspruch nur
dann zuerkannt wird, wenn eine ungerechtfertigte Belastung des
Auskunftsschuldners ausgeschlossen erscheint; zugleich sei unter diesen
Voraussetzungen auch der Verletzer nicht mehr schutzwürdig (BT-Drucks.
16/5048, S. 39).
Der Schutz des unbekannten Dritten, dem das gesamte
Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG dient, erfordert es daher, dass auch
die Zuordnung der Rechtsverletzung zu den verfahrensgegenständlichen
Verkehrsdaten dem Maßstab der Offensichtlichkeit gerecht wird (Senat,
GRUR-RR 2009, 9, 11).
Diese
Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Landgericht hat auf der
Grundlage des damaligen Verfahrensstandes sehr nachvollziehbare Bedenken
im Hinblick auf den Umgang der Antragstellerin mit der Erstellung und
Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen aufgezeigt. Ob diese
Bedenken auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens
durchgreifend sind, oder ob das Verhalten der Antragstellerin auf der
uneinheitlichen Praxis der verschiedenen zuständigen Kammern des
Landgerichts Köln beruht und daher keine Rückschlüsse auf eine generelle
Unzuverlässigkeit bei der Ermittlung und Darlegung der
Rechtsverletzungen durch die Antragstellerin zulässt, kann indes
dahinstehen, weil bereits grundsätzlich nicht festgestellt werden kann,
dass das von der Antragstellerin eingesetzte Verfahren, insbesondere die
Software, hinreichend zuverlässig Rechtsverletzungen ermittelt.
Die
Antragstellerin setzt zur Erfassung der IP-Adressen das von ihr selbst
entwickelte Such- und Überwachungsprogramm „Seeder Seek“ ein. Dieses
Programm ermittelt – nach Eingabe der zu suchenden Hashwerte –
weitgehend selbständig IP-Adressen, von denen aus Dateien mit
entsprechenden Hashwerten aus angeboten werden. Auf Anfrage des Senats
hat die Antragstellerin das Gutachten eines Unternehmens, das
ausweislich seiner Firma EDV-Lösungen anbietet, vorgelegt.
In dem
Gutachten, das von der „Geschäftsleitung/CEO“ unterschrieben ist, ist
dokumentiert, dass zwei Dateien, die in jeweils zwei verschiedenen
Tauschbörsen angeboten worden sind, durch das Programm zutreffend
aufgefunden worden seien. Auf den Hinweis des Senats, aus dem Gutachten
ergebe sich weder die fachliche Qualifikation des Gutachters noch, ob
Fehler ausgeschlossen sind, hat die Antragstellerin ein neues Gutachten
angeboten.
Danach kann
nicht mehr ermittelt werden, ob von den angegebenen IP-Adressen aus
offensichtlich Rechtsverletzungen begangen worden sind:
Der bisherige
Sachvortrag der Antragstellerin genügt nicht, um von der Zuverlässigkeit
der Ermittlung der IP-Adressen auszugehen. Die eingesetzte Software ist
nicht hinreichend validiert. Der Vortrag der Antragstellerin, die von
ihr entwickelte Software arbeite zuverlässig, ist letztlich nur eine
Behauptung. Auch die hierzu vorgelegte eidesstattliche Versicherung des
Geschäftsführers der von der Antragstellerin beauftragten
Ermittlungsfirma beschränkt sich auf diese Wertung, die jedoch durch den
Senat nicht nachvollzogen werden kann.
Das vorgelegte Gutachten ist aus
den bereits im Hinweis des Senats dargelegten Gründen unzureichend. Um
die Zuverlässigkeit der Software festzustellen, genügt nicht der
Nachweis, dass sie Rechtsverletzungen zutreffend ermittelt. Vielmehr ist
eine Untersuchung erforderlich, ob es ausgeschlossen ist, dass
IP-Adressen fehlerhaft ermittelt werden. Hierfür besteht vorliegend
besonderer Anlass, weil es in der Vergangenheit bereits zu einer
fehlerhaften Ermittlung von Rechtsverletzungen durch die eingesetzte
Ermittlungsfirma gekommen ist, wie dies die 24. Zivilkammer in dem
Beschluss vom 15.8.2011 (Az.: 224 O 212/11), der Gegenstand des
Verfahrens vor dem Senat 6 W 178/11 war, dargelegt hat.
Die Einholung
eines neuen Gutachtens (durch einen fachkundigen und unabhängigen
Sachverständigen) ist nicht angezeigt, weil dadurch nicht festgestellt
werden kann, ob die eingesetzte Software im Februar 2011 zuverlässig
gearbeitet hat. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Software selbst
unverändert geblieben ist (und die frühere Fehlermittlung nicht auf der
Software, sondern menschlichem Versagen beruhte), ist doch nicht
ersichtlich, dass auch alle weiteren technischen Parameter, von denen
die korrekte Arbeitsweise der Software abhängen kann
(Arbeitsweise/Version der Programme der aufgesuchten Tauschbörsen;
sonstige Veränderungen der Systeme) unverändert geblieben sind und dies
zudem beweissicher dokumentiert ist.
Aus diesem Grund erfordert auch
§ 45g TKG eine zu dokumentierende fortlaufende Qualitätssicherung und
eine regelmäßige (jährliche) Kontrolle der zur Ermittlung der dort in
Rede stehenden Verbindungsdaten eingesetzten Systeme. Es ist daher
ausgeschlossen, entsprechende Feststellungen nach Ablauf von mehr als
sechs Monaten nach der angeblichen Rechtsverletzung mit einer dem
Offensichtlichkeitserfordernis genügenden Verlässlichkeit nachzuholen.
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