Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 13/2012 vom 24. Februar 2012
1 BvR 1299/05
Das BVerfG hat mit einem Urteil vom 24.02.1023 bestimmte Regelungen des Telekommunikationsgesetzes zur Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsdaten teilweise für verfassungswidrig erklärt, gibt dem Gesetzgeber aber entscheidende Hinweise zur fachgesetzlichen "Reparatur", so dass diese Entscheidung nur eine Momentaufnahme darstellt. Die Reichweite dieser Entscheidung ist begrenzt und sie sollte nicht überschätzt werden. Der Bundesgesetzgeber ist scheinbar kaum noch in der Lage im Bereich der sog. "Inneren Sicherheit" Gesetze zu verabschieden, die den - dankenswerterweise - kritischen Blicken des BVerfG vollständig standhalten. Diesmal waren die §§ 111 - § 113 TKG betroffen, dessen Verfassungsmäßigkeit jedenfalls in Teilbereichen indessen seit Jahren in Streit steht. Allerdings wird der "Reparaturversuch" mutmaßlich bis zum 30.06.2013 erfolgen, da die bürgerrechtlich orientierte Sichtweise nicht unbedingt die Sichtweise der herrschenden politischen Leitlinien wiederspiegelt.
§ 113 Abs. 1 Satz 2 TKG regelt in diesem Zusammenhang eine spezielle Auskunftspflicht hinsichtlich Zugangssicherungscodes wie Passworten oder Persönlichen Identifikationsnummern (PIN), die sehr weitgehend ist und einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, deren Rechtfertigung kritisch ist. In diesem Rahmen wird auch Auskunft über dynamische IP - Adressen erteilt, soweit sie noch zum fraglichen Zeitpunkt gespeichert sind.
Die Entscheidung betrifft im Kern die Weitergabe bestimmer Daten nach § 113 Abs.1 S.1 und 2 TKG im manuellen Auskunftsverfahren, da das BVerfG das automatisierte Auskunftsverfahren nicht in Frage gestellt hat, was nach Presseberichten zu einem Verfahren vor dem EGMR führen wird. Die Praxis der Registrierung neuer und gebrauchter Prepaid - Karten für den Mobilfunk wird sich nicht ändern. Auch das manuelle Auskunftsverfahren wird nicht grundsätzlich unter verfassungsrechtlichen Aspekten in Frage gestellt, aber zumindest teilweise kritisch hinterfragt, was im Rahmen des § 113 Abs.1 S.1 TKG zur Vornahme einer verfassungskonformen Auslegung führt.
Zunächst verstößt § 113 TKG gegen das Zitiergebot des Art. 19 GG, wonach das verletzte Grundrecht - hier Art. 10 GG - in der Norm genannt werden muss. Dieser formelle Verstoß lässt sich aber bei einer Novelle leicht ausräumen. Gerügt wird auch unter dem Aspekt der Normenklarheit die Unbestimmtheit insbesonderer landesrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen, um auf diese Daten zuzugreifen. Die Ministerialbürokratien werden sich Mühe geben, diese Bedenken zu beseitigen. Es bleiben insbesondere Bedenken hinsichtlich der Grenzen des verfassungsrechlichen Schutzes des Telekommunikationsgeheimnisses unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit und in diesem Bereich ist die Entscheidung nicht in jeder Hinsicht klar formuliert und lässt Fragen offen, die insbesondere Schutzbereich und Grenzen des Telekommunikationsgeheimnisses betreffen.
Zunächst verstößt § 113 TKG gegen das Zitiergebot des Art. 19 GG, wonach das verletzte Grundrecht - hier Art. 10 GG - in der Norm genannt werden muss. Dieser formelle Verstoß lässt sich aber bei einer Novelle leicht ausräumen. Gerügt wird auch unter dem Aspekt der Normenklarheit die Unbestimmtheit insbesonderer landesrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen, um auf diese Daten zuzugreifen. Die Ministerialbürokratien werden sich Mühe geben, diese Bedenken zu beseitigen. Es bleiben insbesondere Bedenken hinsichtlich der Grenzen des verfassungsrechlichen Schutzes des Telekommunikationsgeheimnisses unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit und in diesem Bereich ist die Entscheidung nicht in jeder Hinsicht klar formuliert und lässt Fragen offen, die insbesondere Schutzbereich und Grenzen des Telekommunikationsgeheimnisses betreffen.
Im Rahmen des § 113 Abs.1 S.1 TKG kommt das BVerfG hinsichtlich der Nutzung dynamischer IP - Adressen zu einem interessanten und bürgerrechtlich begrüßenswerten Ergebnis, dessen Reichweite aber im Bereich des materiellen Verfassungsrechts wenig deutlich wird:
"Demgegenüber begründet die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis. Denn für die Identifizierung einer dynamischen IP-Adresse müssen die Telekommunikationsunternehmen die entsprechenden Verbindungsdaten ihrer Kunden sichten und somit auf konkrete Telekommunikationsvorgänge zugreifen, die vom Schutzbereich des Art. 10 GG umfasst sind."
Damit ist die Identifikation dynamischer IP - Adressen wegen eines schwerwiegenden Verfassungsverstoßes derzeit nicht mehr ohne weiteres zulässig, auch wenn eine großzügige Handhabung für eine Übergangszeit gewährt wird, wobei die Anforderungen erschwert wurden. Indessen wird ein Recht auf Anonymität im Netz nicht eingeräumt, wie es kürzlich der EuGH vorgenommen hat. Inwieweit und ob dieses Urteil Auswirkungen auf § 101 Abs.9 UrhG haben wird, ist offen, da dem Zitiergebot dort in § 101 Abs.10 UrhG Genüge getan ist und diese Norm daher nur an materiellen Kriterien gemessen werden kann. Wie das BVerfG dies konkret verstanden wissen will, wird letztlich nicht völlig klar. Jedenfalls bleiben hinsichtlich der Grenzen des Telekommunikationsgeheimnisses und der Zulässigkeit der Identifikation dynamischer IP - Adressen als personenbezogenen Daten noch viele Fragen offen. So gesehen ist diese Entscheidung leider eine verpasste Chance einer grundsätzlichen Klärung.
Allerdings darf die Regelung unter Beachtung der Rechtsaufassung des BVerfG bis zum 30.06.2013 weiter angewendet werden.
§ 113 Abs.1 S.2 TKG ist verfassungswidrig, so dass Sicherungscodes nur noch in schwerwiegenden Fällen in der Übergangsfrist erhoben werden dürfen. Insofern deutet das BVerfG an, dass ein neues Gesetz den Zugriffszweck schärfer fassen müsste, dann aber nicht mehr verfassungswidrig wäre. Die Gesetzesentwürfe sind dann wiederum an den hier gestellten Anforderungen zu messen. Sie werden mutmaßlich versuchen, den Vorschlägen des BVerfG gerecht zu werden, um das Ziel einer weitreichenden Überwachung der Kommunikation in elektronischen Netzwerken zu erreichen.
§ 113 Abs.1 S.2 TKG ist verfassungswidrig, so dass Sicherungscodes nur noch in schwerwiegenden Fällen in der Übergangsfrist erhoben werden dürfen. Insofern deutet das BVerfG an, dass ein neues Gesetz den Zugriffszweck schärfer fassen müsste, dann aber nicht mehr verfassungswidrig wäre. Die Gesetzesentwürfe sind dann wiederum an den hier gestellten Anforderungen zu messen. Sie werden mutmaßlich versuchen, den Vorschlägen des BVerfG gerecht zu werden, um das Ziel einer weitreichenden Überwachung der Kommunikation in elektronischen Netzwerken zu erreichen.
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