Freitag, 24. Februar 2012

BVerfG: § 113 TKG teilweise verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 13/2012 vom 24. Februar 2012

1 BvR 1299/05

Das BVerfG hat mit einem Urteil vom 24.02.1023 bestimmte Regelungen des Telekommunikationsgesetzes zur Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsdaten teilweise für verfassungswidrig erklärt, gibt dem Gesetzgeber aber entscheidende Hinweise zur fachgesetzlichen "Reparatur", so dass diese Entscheidung nur eine Momentaufnahme darstellt. Die Reichweite dieser Entscheidung ist begrenzt und sie sollte nicht überschätzt werden. Der Bundesgesetzgeber ist scheinbar kaum noch in der Lage im Bereich der sog. "Inneren Sicherheit" Gesetze zu verabschieden, die den - dankenswerterweise - kritischen Blicken des BVerfG vollständig standhalten. Diesmal waren die §§ 111 - § 113 TKG betroffen, dessen Verfassungsmäßigkeit jedenfalls in Teilbereichen indessen seit Jahren in Streit steht. Allerdings wird der "Reparaturversuch" mutmaßlich bis zum 30.06.2013 erfolgen, da die bürgerrechtlich orientierte Sichtweise nicht unbedingt die Sichtweise der herrschenden politischen Leitlinien wiederspiegelt.  

§ 113 Abs. 1 Satz 2 TKG regelt in diesem Zusammenhang eine spezielle Auskunftspflicht hinsichtlich Zugangssicherungscodes wie Passworten oder Persönlichen Identifikationsnummern (PIN), die sehr weitgehend ist und einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, deren Rechtfertigung kritisch ist. In diesem Rahmen wird auch Auskunft über dynamische IP - Adressen erteilt, soweit sie noch zum fraglichen Zeitpunkt gespeichert sind.

Die Entscheidung betrifft im Kern die Weitergabe bestimmer Daten nach § 113 Abs.1 S.1 und 2 TKG im manuellen Auskunftsverfahren, da das BVerfG das automatisierte Auskunftsverfahren nicht in Frage gestellt hat, was nach Presseberichten zu einem Verfahren vor dem EGMR führen wird. Die Praxis der Registrierung neuer und gebrauchter Prepaid - Karten für den Mobilfunk wird sich nicht ändern. Auch das manuelle Auskunftsverfahren wird nicht grundsätzlich unter verfassungsrechtlichen Aspekten in Frage gestellt, aber zumindest teilweise kritisch hinterfragt, was im Rahmen des § 113 Abs.1 S.1 TKG zur Vornahme einer verfassungskonformen Auslegung führt.

Zunächst verstößt § 113 TKG gegen das Zitiergebot des Art. 19 GG, wonach das verletzte Grundrecht - hier Art. 10 GG - in der Norm genannt werden muss. Dieser formelle Verstoß lässt sich aber bei einer Novelle leicht ausräumen. Gerügt wird auch unter dem Aspekt der Normenklarheit die Unbestimmtheit insbesonderer landesrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen, um auf diese Daten zuzugreifen. Die Ministerialbürokratien werden sich Mühe geben, diese Bedenken zu beseitigen. Es bleiben insbesondere Bedenken hinsichtlich der Grenzen des verfassungsrechlichen Schutzes des Telekommunikationsgeheimnisses unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit und in diesem Bereich ist die Entscheidung nicht in jeder Hinsicht klar formuliert und lässt Fragen offen, die insbesondere Schutzbereich und Grenzen des Telekommunikationsgeheimnisses betreffen.

Im Rahmen des § 113 Abs.1 S.1 TKG kommt das BVerfG hinsichtlich der Nutzung dynamischer IP - Adressen zu einem interessanten und bürgerrechtlich begrüßenswerten Ergebnis, dessen Reichweite aber im Bereich des materiellen Verfassungsrechts wenig deutlich wird: 

"Demgegenüber begründet die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis. Denn für die Identifizierung einer dynamischen IP-Adresse müssen die Telekommunikationsunternehmen die entsprechenden Verbindungsdaten ihrer Kunden sichten und somit auf konkrete Telekommunikationsvorgänge zugreifen, die vom Schutzbereich des Art. 10 GG umfasst sind." 

Damit ist die Identifikation dynamischer IP - Adressen wegen eines schwerwiegenden Verfassungsverstoßes derzeit nicht mehr ohne weiteres zulässig, auch wenn eine großzügige Handhabung für eine Übergangszeit gewährt wird, wobei die Anforderungen erschwert wurden. Indessen wird ein Recht auf Anonymität im Netz nicht eingeräumt, wie es kürzlich der EuGH vorgenommen hat. Inwieweit und ob dieses Urteil Auswirkungen auf § 101 Abs.9 UrhG haben wird, ist offen, da dem Zitiergebot dort in § 101 Abs.10 UrhG Genüge getan ist und diese Norm daher nur an materiellen Kriterien gemessen werden kann. Wie das BVerfG dies konkret verstanden wissen will, wird letztlich nicht völlig klar. Jedenfalls bleiben hinsichtlich der Grenzen des Telekommunikationsgeheimnisses und der Zulässigkeit der Identifikation dynamischer IP - Adressen als personenbezogenen Daten noch viele Fragen offen. So gesehen ist diese Entscheidung leider eine verpasste Chance einer grundsätzlichen Klärung. 

Allerdings darf die Regelung unter Beachtung der Rechtsaufassung des BVerfG bis zum 30.06.2013 weiter angewendet werden.

§ 113 Abs.1 S.2 TKG ist verfassungswidrig, so dass Sicherungscodes nur noch in schwerwiegenden Fällen in der Übergangsfrist erhoben werden dürfen. Insofern deutet das BVerfG an, dass ein neues Gesetz den Zugriffszweck schärfer fassen müsste, dann aber nicht mehr verfassungswidrig wäre. Die Gesetzesentwürfe sind dann wiederum an den hier gestellten Anforderungen zu messen. Sie werden mutmaßlich versuchen, den  Vorschlägen des BVerfG gerecht zu werden, um das Ziel einer weitreichenden Überwachung der Kommunikation in elektronischen Netzwerken zu erreichen. 


---

Pressemitteilung des BVerfG
Quelle: Pressestelle des BVerfG

Donnerstag, 16. Februar 2012

ECJ: NETLOG cannot be obliged to install general filtering systems


Court of Justice of the European Union - PRESS RELEASE No 11/12
Luxembourg, 16 February 2012 - Judgment in Case C-360/10

SABAM wanted the owner of the Social Network called "Netlog", based in Belgium, to handle them out user datas because of several cases of Copyright Infringement. With this very interesting decision the ECJ stated finally that the owner of an online social network cannot be obliged to install a general filtering system, covering all its users, in order to prevent the unlawful use of musical and audio-visual work. 

I think this decision will be very helpful for all owners of Social Networks under European Law and - of course - their Users too, but there is still a risk for users.  Sure, it is impossible to overview all postings of more than 10 million users, even with the use of Filtering - Technology. This decision is not a great surprise, but it makes the using of Social Networks in Europe more secure on the legal base. On the other hand one thing is very remarkable: The Court sentenced that all informations about a users profile are stated under full data protection and that media industry has right to get a hand on these dates. This means in fact, that there is a right of Anonymity regarding to the use of social networks, which allow such a kind of use like Netlog. 

But take care: an identified user can be for sure held responsibel for any copyright infringement which is evident. This useful decision doesn't sets all users free from the responsibility of Copyright Infringements of all kind. So one should take care of his own postings, even on Netlog or elsewhere.

---


Belgische Vereniging van Auteurs, Componisten en Uitgevers (SABAM) v Netlog NV


Der Betreiber eines sozialen Netzwerks im Internet kann nicht gezwungen werden, ein generelles, alle Nutzer dieses Netzwerks erfassendes Filtersystem einzurichten, um die unzulässige Nutzung musikalischer und audiovisueller Werke zu verhindern

Press Communique ECJ: 

The owner of an online social network cannot be obliged to install a general filtering system, covering all its users, in order to prevent the unlawful use of musical and audio-visual work

Such an obligation would not be respecting the prohibition to impose on that provider a general obligation to monitor nor the requirement that a fair balance be struck between the protection of copyright, on the one hand, and the freedom to conduct business, the right to protection of personal data and the freedom to receive or impart information, on the other SABAM is a Belgian management company which represents authors, composers and publishers of musical works. On that basis, it is responsible for, inter alia, authorising the use by third parties of copyright-protected works of those authors, composers and publishers. 

SABAM has an objection to Netlog NV, which runs an online social networking platform where every person who registers acquires a personal space known as a ‘profile’ which the user can complete himself in the knowledge that that profile becomes available globally. The most important function of that platform, which is used by tens of millions of individuals on a daily basis, is to build virtual communities enabling those individuals to communicate with each other and thereby develop friendships. On their profile, users can, inter alia, keep a diary, indicate their hobbies and interests, show who their friends are, display personal photos or publish video clips.

According to SABAM, Netlog’s social network also enables all users to make use, by means of their profile, of the musical and audio-visual works in SABAM’s repertoire, making those works available to the public in such a way that other users of that network can have access to them without SABAM’s consent and without Netlog paying it any fee.

On 23 June 2009, SABAM had Netlog summoned before the President of the Court of First Instance of Brussels (Belgium), requesting inter alia that Netlog be ordered immediately to cease unlawfully making available musical or audio-visual works from SABAM’s repertoire and to pay a penalty of €1000 for each day of delay in complying with that order. In that regard, Netlog submitted that granting SABAM’s injunction would be tantamount to imposing on Netlog a general obligation to monitor, which is prohibited by the E-Commerce Directive1.

In those circumstances, the Court of First Instance of Brussels made a reference for a preliminary ruling to the Court of Justice. It asks, in essence, whether European Union law precludes a national court from issuing an injunction against a hosting service provider, such as an owner of an online social network, which requires it to install a system for filtering information stored on its servers by its service users, which applies indiscriminately to all of those users, as a preventative measure, exclusively at its expense and for an unlimited period.

According to the Court of Justice, it is not in dispute that Netlog stores information provided by the users of that platform, relating to their profile, on its servers, and that it is thus a hosting service provider within the meaning of EU law.

It is also common ground that implementation of that filtering system would require the hosting service provider to identify, within all of the files stored on its servers by all its service users, the files which are likely to contain works in respect of which holders of intellectual-property rights claim to hold rights. Next, the hosting service provider would have to determine which of those files are being stored and made available to the public unlawfully, and, lastly, it would have to prevent files that it considers to be unlawful from being made available.

Such preventive monitoring would therefore require active observation of the files stored by users with the owner of the social network. Accordingly, the filtering system would require that owner to carry out general monitoring of the information stored on its servers, something which is prohibited by the E-Commerce Directive.

The Court next recalls that, in the context of measures adopted to protect copyright holders, national authorities and courts must strike a fair balance between the protection of copyright and the protection of the fundamental rights of individuals who are affected by such measures.

In the main proceedings, the injunction requiring the installation of a filtering system would involve monitoring all or most of the information stored by the hosting service provider concerned, in the interests of the copyright holders. Moreover, that monitoring would have to have no limitation in time, be directed at all future infringements and be intended to protect not only existing works, but also works that have not yet been created at the time when the system is introduced. Accordingly, such an injunction would result in a serious infringement of Netlog’s freedom to conduct its business since it would require Netlog to install a complicated, costly, permanent computer system at its own expense.

Moreover, the effects of that injunction would not be limited to Netlog, as the filtering system may also infringe the fundamental rights of its service users - namely their right to protection of their personal data and their freedom to receive or impart information - which are rights safeguarded by the Charter of Fundamental Rights of the European Union. First, the injunction would involve the identification, systematic analysis and processing of information connected with the profiles created on the social network, that information being protected personal data because, in principle, it allows those users to be identified. Second, that injunction could potentially undermine freedom of information, since that system might not distinguish adequately between unlawful content and lawful content, with the result that its introduction could lead to the blocking of lawful communications.

Consequently, the Court’s answer is that, in adopting an injunction requiring the hosting service provider to install such a filtering system, the national court would not be respecting the requirement that a fair balance be struck between the right to intellectual property, on the one hand, and the freedom to conduct business, the right to protection of personal data and the freedom to receive or impart information, on the other.

NOTE: A reference for a preliminary ruling allows the courts and tribunals of the Member States, in disputes which have been brought before them, to refer questions to the Court of Justice about the interpretation of European Union law or the validity of a European Union act. The Court of Justice does not decide the dispute itself. It is for the national court or tribunal to dispose of the case in accordance with the Court’s decision, which is similarly binding on other national courts or tribunals before which a similar issue is raised.
Unofficial document for media use, not binding on the Court of Justice.

The full text of the judgment is published on the CURIA website on the day of delivery.
www.curia.europa.eu


1 Article 15 of Directive 2000/31/EC of the European Parliament and of the Council of 8 June 2000 on certain legal aspects of information society services, in particular electronic commerce, in the Internal Market (OJ 2000 L 178, p. 1)


Mittwoch, 15. Februar 2012

BGH zu den Erfordernissen an eine Aufklärung vor Abschluss einer Lebensversicherung

Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle Nr. 24/2012 

Nachdem eine Parallelsache kürzlich nicht zur Entscheidung gelangte, weil sich die Parteien vor dem Termin geeinigt hatten, musste der BGH in dieser Sache über die Schadensersatzhaftung wegen nicht zureichender Aufklärung entscheiden. Allerdings lässt sich die Reichweite dieser Entscheidung erst nach eingehender Lektüre des Volltextes abschätzen. 

Es geht hier unter anderem um den Einfluss englischen Gesellschaftsrechts auf deutsche Lebensversicherungsverträge, mögen sie auch mit einem englischen Anbieter geschlossen worden sein. Ob Lebensversicherungen heute noch eine angemessene Anlageform darstellen, kann hier zwar dahinstehen, aber im konkreten Fall berief sich der Kläger darauf, dass er die Versicherung bei eingehender Information über die wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht abgeschlossen hätte. 

Mit guten Gründen verneint der BGH einen Einfluss des englischen Vergleichsplan auf den deutschen Lebensversicherungsvertrag und verneint die Anwendung des § 12 Abs.1 VVG a.F. auf diese Konstellation, so dass die Verjährung differenziert betrachtet wird. Da die Sache an das OLG zurückverwiesen wurde, lässt sich erst nach Abschluss dieses Verfahrens wirklich von einer Klärung sprechen. 

---

Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat  eine Entscheidung zur gerichtlichen Geltendmachung und Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen unzureichender Aufklärung vor Abschluss einer englischen Lebensversicherung getroffen. 

Der Kläger schloss zu Beginn des Jahres 1999 bei dem beklagten englischen Lebensversicherer eine "Investment-Lebensversicherung" ab, nachdem dieser mit jährlichen Überschüssen deutlich über denen seiner deutschen Mitbewerber geworben hatte. Seit 2003 stagniert der Vertragswert. Bei der Beklagten war es zu Problemen mit der finanziellen Belastung aus den Ansprüchen britischer Bestandskunden gekommen, die 2002 in der Genehmigung eines Vergleichsplans nach englischem Gesellschaftsrecht ("Scheme of Arrangement") durch das dort zuständige Gericht mündeten. Dieser führte zur Abfindung einzelner Ansprüche der Versicherungsnehmer gegen einmalige Erhöhung des Versicherungswertes. 

Der Kläger hat geltend gemacht, dass er über die aus seiner Sicht nicht ordnungsgemäße Geschäftspolitik der Beklagten u.a. durch überhöhte Zuteilung von Überschüssen, unzureichende Bildung von Deckungskapital und Verwendung veralteter Sterbetafeln nicht aufgeklärt worden sei und den Vertrag bei zutreffender Information nicht abgeschlossen hätte. Die Beklagte hat sich auf die Sperrwirkung ihres englischen Vergleichsplans, die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche und das Fehlen von Aufklärungspflichten berufen. 

Das Berufungsgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner heutigen Entscheidung ausgeführt, dass der Anerkennung eines gerichtlich genehmigten Vergleichsplans nach englischem Gesellschaftsrecht ("Scheme of Arrangement"), der eine Lebensversicherung betrifft, jedenfalls die Vorschriften über die Zuständigkeit in Versicherungssachen gemäß Art. 8, 12 Abs. 1, 35 EuGVVO* entgegenstehen. Mithin hindert der Vergleichsplan Versicherungsnehmer in Deutschland nicht, Ansprüche geltend zu machen.

Weiterhin hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung bestätigt, wonach für die Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus vorvertraglichem Verschulden, mit dem der Versicherungsnehmer so gestellt werden will, wie wenn er den Vertrag nicht geschlossen hätte, nicht § 12 Abs. 1 VVG a.F.** einschlägig ist, sondern die allgemeinen Bestimmungen der §§ 195, 199 BGB*** gelten. Danach sind nur einige der vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche verjährt.

Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das noch Feststellungen zu den nicht verjährten Schadensersatzansprüchen zu treffen hat.


*Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO)
Artikel 12
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 11 Absatz 3 kann der Versicherer nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats klagen, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Versicherungsnehmer, Versicherter oder Begünstigter ist.
**Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Fassung
§ 12
(1) Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verjähren in zwei Jahren, bei der Lebensversicherung in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in welchem die Leistung verlangt werden kann.
***Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 195 Regelmäßige Verjährungsfrist
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.
§ 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
1. der Anspruch entstanden ist und
2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
IV ZR 194/09 – Urteil vom 15. Februar 2012
LG Verden - Urteil vom 21. Januar 2009 - 8 O 544/07
OLG Celle - Urteil vom 8. September 2009 - 8 U 46/09
Karlsruhe, den 15. Februar 2012
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Neue Geschichten von Herrn K.: Grenzen der Prozessberichterstattung

Oberlandesgericht Köln: Berichterstattung aus öffentlicher Gerichtsverhandlung ist nicht uneingeschränkt zulässig 

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Köln sind seit geraumer Zeit immer wieder mit neuen Geschichten von Herrn K. beschäftigt. Seinen Namen muss man nicht nennen, weil fast jeder ihn kennt. Aber unabhängig davon stellt sich die Frage nach den Grenzen der Prozessberichterstattung über Gerichtsverfahren zu denen die Öffentlichkeit zugelassen ist. 

Im Kern geht es hier darum, wieviel Informationen Presseberichter über den Verlauf derartiger Verhandlungen geben dürfen, wenn diese die Intimsphäre eines Angeklagten - der wie hier geschehen, später freigesprochen wurde - berühren. Grundsätzlich ist es angesichts der Pressefreiheit, dass über Kommunikationen in einer öffentlichen Verhandlung auch berichtet werden darf. Gerichtliche Entscheidungen über die Grenzen einer derartigen Berichterstattung sind eher rar. Es ist allerdings nicht gerade neu, dass die Presse - heute sollte man eher von Medienberichterstattung sprechen - jene Grenzen zu beachten hat, die der Pressefreiheit aus dem mit gleichen Rang verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und Wahrung seiner Ehre erwachsen wie dem altehrwürdigen Urteil BGHZ 57, 326/330 bereits entnommen werden kann. 

Ziffer 8 des Pressekodex trägt dem Rechnung (früher gab es spezielle Regelungen für die Gerichtsberichterstattung). Ungeachtet dessen das die Berichterstattung selbstredend sachlich sein muss, ist auf die Person des Betroffenen Rücksicht zu nehmen (BGH, AfP 1979, 307, 310 - Exdirektor). Lässt sich eine objektive Darstellung nicht erreichen, muss nach dieser Entscheidung sogar ganz von einer Berichterstattung abgesehen werden. Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit der Berichterstattung trennen in solchen Fällen oftmals nur eine "dünne rote Linie". 

Das OLG Köln hat hat hier zugunsten des Beklagten entschieden, weil über seine vermeintlichen oder tatsächlichen sexuellen Vorlieben und andere intime Dinge berichtet worden war. Ungeachtet dessen, dass Informationen, die einmal in den Medien gelandet sind, schwer gänzlich zu vernichten sind, zieht das OLG Köln hier die Grenze bei der detaillierten Schilderung von Sexualpraktiken und hat wegen der besonderen Bedeutung dieser Rechtsfrage die Revision zum BGH zugelassen, da diese Rechtsfrage bislang nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Die Intimsphäre als Grenze der Medienberichterstattung kann aber keine absolute Grenze darstellen, sondern der Schutz sollte sich auf die Darlegung konkreter Details beschränken, jedenfalls lässt sich auch das OLG Köln so verstehen, denn auch ein Angeklagter hat ein Recht auf Menschenwürde. 

Pressemitteilung: 

Das Oberlandesgericht Köln hat mit drei am 14. Februar 2012 verkündeten Urteilen entschieden, dass die Medien Umstände aus dem privaten Lebensbereich eines Angeklagten auch dann nicht ohne weiteres verbreiten dürfen, wenn diese in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden sind.
Geklagt hatte in allen drei Verfahren ein wegen des Verdachts der Vergewaltigung einer Ex-Freundin angeklagter, im Strafverfahren freigesprochener Fernsehmoderator. Das Ermittlungs- und Strafverfahren war in den Medien, u.a. seitens der Beklagten, mit großer Aufmerksamkeit und ausführlicher Berichterstattung begleitet worden.

Der Kläger hatte während der Ermittlungen in einer richterlichen Vernehmung im Detail den zwischen ihm und der Anzeigenerstatterin üblichen (einvernehmlichen) Sexualverkehr geschildert. Die Beklagten hatten sodann Einzelheiten der Schilderung in ihre Presseveröffentlichungen eingestellt. 

Nach Ansicht des zuständigen 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln lag hierin ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Das Berichterstattungsinteresse der Beklagten habe hinter dem Recht des Klägers auf Schutz seiner Intimsphäre zurückzustehen.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die berichteten Umstände später Gegenstand einer öffentlichen Gerichtsverhandlung gewesen seien, in welcher das Vernehmungsprotokoll im Wortlaut verlesen worden war. Die Öffentlichkeit eines Gerichtssaales sei nicht mit der Wirkung zu vergleichen, die von einer Veröffentlichung in den Medien, erst recht bei einer Veröffentlichung im Internet ausgehe. Die veröffentlichten Details hätten in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Tatvorwurf gestanden und seien von den Beklagten auch in der Berichterstattung nicht in einen solchen Zusammenhang gerückt worden. 

Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht strafrechtlich verurteilt worden sei. Während des laufenden Ermittlungsverfahrens und bis zu einer gerichtlichen Verurteilung gelte zu Gunsten des Beschuldigten die Unschuldsvermutung. Dementsprechend zurückhaltend und ausgewogen müsse über den Tatvorwurf und den auf dem Angeklagten lastenden Verdacht berichtet werden (15 U 123/11, 15 U 125/11 und 15 U 126/11). 

Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Die Frage, in welchem Umfang auch über private, das Persönlichkeitsrecht berührende Umstände berichtet werden dürfe, die in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung erörtert worden seien, sei bisher nicht höchstrichterlich entschieden.

Mittwoch, 8. Februar 2012

Beweisanforderungen beim "Filesharing" in technischer Hinsicht

Oberlandesgericht Köln, AZ: 6 W 82/11 
Beschluss  v. 07.09.2011 
Vorinstanz: Landgericht Köln, 214 O 3/11 

Die sehr lesenswerte Entscheidung ist in einem Verfahren nach § 101 UrhG ergangen und nicht in einem Streitverfahren. Die Begründung lässt sich aber sehr wohl in Auseinandersetzungen über die Zuordnung von Verkehrsdaten zu personenbezogenen Daten verwerten, weil jede dieser Auseinandersetzungen mit dem Beweis der Nutzung eines bestimmtene Telekommunikationsanschlusses zu Zwecken eines illegalen "Filesharings" steht und fällt. Es gab und gibt insoweit erhebliche Zweifel an der technischen Zuverlässigkeit der Zuordnung, die aber von bestimmten Gerichten geradezu ignoriert werden. Umso erfreulicher ist es, dass das LG Köln und ihm folgend nunmehr auch das OLG Köln die Beweisanforderungen auf ein adäquates technisches Maß bringen. Ungeachtet dessen dass sich das den einschlägigen Rechtsstreitigkeiten zugrundeliegende urheberrechtspolitische Problem mit massenhaft geführten Rechtsstreitigkeiten auf Dauer nicht lösen lassen wird, muss aber zumindest der Beweis der Täterschaft eines Anschlussinhabers klar nach den Anforderungen des § 286 ZPO geführt werden. Jedenfalls hält das OLG Köln die Software "Seeder Seek" und deren Handhabung für nich hinreichend validiert, um einen Beschluss nach § 101 UrhG zu erlassen, womit eine interessante Grenze auch für zukünftige Verfahren aufgezeigt wird. 

---

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 214 O 3/11 – vom 16.3.2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

G r ü n d e : 

Die gemäß § 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG, §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten hat keinen Erfolg, weil nicht festgestellt werden kann, dass von den in der Anlage ASt. 1 aufgelisteten IP-Adressen aus Rechtsverletzungen begangen worden sind. Eine Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG setzt voraus, dass eine offensichtliche Rechtsverletzung im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG vorliegt.

Dabei bezieht sich das Erfordernis der Offensichtlichkeit in § 101 Abs. 2 UrhG neben der Rechtsverletzung auch auf die Zuordnung dieser Verletzung zu den begehrten Verkehrsdaten. Nach der Gesetzesbegründung soll durch dieses Tatbestandsmerkmal gewährleistet werden, dass ein Auskunftsanspruch nur dann zuerkannt wird, wenn eine ungerechtfertigte Belastung des Auskunftsschuldners ausgeschlossen erscheint; zugleich sei unter diesen Voraussetzungen auch der Verletzer nicht mehr schutzwürdig (BT-Drucks. 16/5048, S. 39). 

Der Schutz des unbekannten Dritten, dem das gesamte Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG dient, erfordert es daher, dass auch die Zuordnung der Rechtsverletzung zu den verfahrensgegenständlichen Verkehrsdaten dem Maßstab der Offensichtlichkeit gerecht wird (Senat, GRUR-RR 2009, 9, 11). 

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Landgericht hat auf der Grundlage des damaligen Verfahrensstandes sehr nachvollziehbare Bedenken im Hinblick auf den Umgang der Antragstellerin mit der Erstellung und Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen aufgezeigt. Ob diese Bedenken auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens durchgreifend sind, oder ob das Verhalten der Antragstellerin auf der uneinheitlichen Praxis der verschiedenen zuständigen Kammern des Landgerichts Köln beruht und daher keine Rückschlüsse auf eine generelle Unzuverlässigkeit bei der Ermittlung und Darlegung der Rechtsverletzungen durch die Antragstellerin zulässt, kann indes dahinstehen, weil bereits grundsätzlich nicht festgestellt werden kann, dass das von der Antragstellerin eingesetzte Verfahren, insbesondere die Software, hinreichend zuverlässig Rechtsverletzungen ermittelt. 


Danach kann nicht mehr ermittelt werden, ob von den angegebenen IP-Adressen aus offensichtlich Rechtsverletzungen begangen worden sind:



Dienstag, 7. Februar 2012

Steuerhinterziehung wird immer gefährlicher - der BGH verschärft due Strafzumessung bei Steuerhinterziehung

Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle Nr. 020/2012 vom 07.02.2012 

Die Entscheidung kommt alles andere als überraschend und bewegt sich im Mainstream der steuerpolitischen Diskussionen in Europa, die Steuerdelikte immer mehr in den Fokus nimmt. Wer eine Million Steuern hinterzieht, wäre auch ohne weiteres in der Lage gewesen Steuern zu zahlen. Im konkreten Fall wurde eine Schenkung von Aktien als Kauf deklariert, was nach dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren (2002) zu einer günstigeren Besteuerung führte, so dass jedenfalls die abgegebene Steuererklärung vorsätzlich falsch war. Es kamen noch weitere Taten im Zusammenhang mit der Geschäftsführertätigkeit hinzu. Der BGH wirft dem Landgericht schwerwiegende Fehler bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten vor, die an die früher geäußerte Rechtsauffassung des BGH anknüpfen, wonach bei Steuerhinterziehungen in diesem Ausmaß Bewährungsstrafen nur noch ausnahmsweise in Betracht kommen. Die Bestätigung dieser Linie ist wenig verwunderlich!   

---

Das Landgericht Augsburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 8. April 2010 wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen – insgesamt wurden mehr als 1,1 Mio. Euro hinterzogen – zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof auf die mit dem Ziel höherer Bestrafung eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 

Der Angeklagte war im Jahr 2001 Mitgesellschafter und Geschäftsführer der P. GmbH. Diese und eine weitere Gesellschaft verkaufte er an die T. AG für 80 Mio. (damals noch) DM. Zusätzlich zum gezahlten Kaufpreis erhielt er Aktien der T. AG im Wert von 7,2 Mio. DM als Gegenleistung dafür, dass er der T. AG den Kauf auch der anderen Gesellschaftsanteile ermöglicht hatte. Dieses Aktienpaket deklarierte er in seiner Einkommensteuererklärung wahrheitswidrig als weiteres Kaufpreiselement. Dadurch erlangte er die günstigere Versteuerung nach dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren für Veräußerungserlöse, so dass für das Jahr 2002 Einkommensteuer in Höhe von mehr als 890.000 Euro verkürzt wurde. 

Der Angeklagte war auch nach der Veräußerung weiter Geschäftsführer der P. GmbH, wofür ihm im Jahr 2006 auch Tantiemen in Höhe von mehr als 570.000 Euro zustanden. Um die dafür zu entrichtende Lohnsteuer zu hinterziehen, veranlasste er – als "Gegenleistung" für einen "Verzicht" auf die Tantiemen – deren "Schenkung" an seine Ehefrau und seine Kinder unter Fertigung falscher Unterlagen. Die an sich fällige Lohnsteuer wurde dadurch in Höhe von 240.000 Euro verkürzt. Das Landgericht hat zwar in beiden Fällen einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr.1 AO) angenommen. 

Die Strafzumessung des Landgerichts weist aber durchgreifende Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Das Ausbleiben strafschärfender Umstände wurde mildernd berücksichtigt. Gewichtige Strafzumessungsgesichtspunkte, die die Strafkammer festgestellt hat (z.B. das Zusammenwirken mit dem Steuerberater beim Erstellen manipulierter Unterlagen) blieben bei der Strafzumessung außer Betracht. Die Urteilsgründe lassen besorgen, die Strafkammer habe sich rechtsfehlerhaft bei der Einzelstrafbildung maßgeblich von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung leiten lassen.  

Nach der gesetzgeberischen Wertung zur Steuerhinterziehung im großen Ausmaß und den hieraus abgeleiteten Grundsätzen zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe (von im Höchstmaß zwei Jahren) nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08; vgl. Pressemitteilung Nr. 221/08); solche hat das Landgericht hier nicht ausreichend dargetan. 

Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11 
LG Augsburg – Urteil vom 8. April 2011 – 2 KLs 501 Js 124133/07 
Karlsruhe, den 7. Februar 2012 Pressestelle des Bundesgerichtshofs