Dienstag, 30. Oktober 2012

BGH: Bericht über Stasi - Vergangenheit im Einzelfall zulässig

Bundesgerichtshof - Pressemitteilung Nr. 182/2012 vom 30.10.2012 
Meldung im "Online-Archiv" über Ermittlungsverfahren wegen falscher eidesstattlicher Versicherung gegen Gazprom-Manager zulässig 

Die "Stasi" treibt weiter ihre Kreise, auch im Medienrecht. Im vorliegenden Falle hatte ein ehemaliger Offizier der DDR - Staatssicherheit - später Direktor bei der Gazprom Germania GmbH - in einem einstweiligen Verfügungsverfahren an Eides Statt versichert, das er  "niemals Angestellter oder sonst wie hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit" gewesen zu sein, was widerlegt werden konnte. 

Das für das einstweilige Verfügungsverfahren zuständige Landgericht leitete die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter, die ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts der falschen eidesstattlichen Versicherung einleitete. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 2. Oktober 2008  nach Zahlung eines Geldbetrags gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt, wie dies in vergleichbaren Fällen oftmals der Fall ist. 

 Zwischenzeitlich hatte aber bereits ein Presseorgan -www.welt.de - darüber auch im Internet berichtet und archivierte diese Meldung auf  den für Altmeldungen vorgesehenen Internetseiten, so dass der Artikel vom  6. Mai 2008 auch nach Einstellung des Strafverfahrens weiter abrufbar blieb. Der Kläger wurde in diesem Artikel namentlich bezeichnet, unter Berichterstattung über seine Tätigkeit bei der DDR - Staatssicherheit und mit Hinweis auf das später eingestellte strafrechtliche Ermittlungsverfahren nebst Nachtrag hinsichtlich der Einstellung des diesbezüglichen Verfahrens. 

Der Kläger sah in dem Bereithalten der seinen Namen enthaltenden Altmeldung zum Abruf im Internet eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und klagte nach vorausgegangener Abmahnung auf Unterlassung. Mit dieser Klage verlangte er von der Beklagten, es zu unterlassen, über das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren unter Namensnennung oder in identifizierender Weise zu berichten. 

Das Landgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht Hamburg das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Revision der Beklagten hat der u.a. für den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Angesichts der jüngeren Rechtsprechung zur Vorhaltung von Informationen über Strafverfahren von hohem öffentlichen Interesse ist dieses Urteil keineswegs eine Überraschung. 

Wie der BGH ausführt, liegt in dem Bereithalten der den Kläger identifizierenden Meldung zum Abruf im Internet ein Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig, da das Schutzinteresse des Klägers hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten hat, weil die namentliche Bezeichnung des Klägers in dem streitgegenständlichen Beitrag zum Zeitpunkt seiner erstmaligen Veröffentlichung im Mai 2008 rechtmäßig war. 

In dem Beitrag wird wahrheitsgemäß und sachlich ausgewogen über die Einleitung und die Hintergründe des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger berichtet. Die besonderen Umstände der dem Kläger vorgeworfenen Straftat begründeten ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Bei der Gewichtung des Informationsinteresses sind die die Besonderheiten des Streitfalles, insbesondere die nunmehrige Funktion des Klägers, Anlass und Zweck der von ihm abgegebenen eidesstattlichen Versicherung sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass sich die Meldung kritisch mit der Frage auseinandersetzt, wie der Kläger mit seiner Stasi-Vergangenheit umgeht, und sie damit einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft leistet. 

 Das Bereithalten der den Kläger identifizierenden Meldung zum Abruf ist auch weder durch die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153a StPO noch infolge des Abmahnschreibens des Klägers vom 7. Februar 2011 rechtswidrig geworden. Durch die Einstellung des Strafverfahrens hat die Meldung ihre Aktualität nicht verloren. Die Persönlichkeitsbeeinträchtigung, die durch die weitere Abrufbarkeit der Meldung über die Einleitung und die nachfolgende Einstellung des Strafverfahrens wegen des Verdachts der falschen Versicherung an Eides Statt verursacht wird, ist nicht schwerwiegend. Demgegenüber besteht ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit an der Möglichkeit, sich durch eine aktive Suche nach der Meldung über die darin dargestellten Vorgänge und Zusammenhänge zu informieren. 

Der Senat geht mit guten Gründen im Rahmen der Interessen - und Güterabwägung von eine überragenden Funktion der Medienfreiheit aus, so dass der Eingriff in einem derartigen Fall zu rechtfertigen war. Inzwischen jann für derartige Fälle von einer gefestigten Rechtsprechung ausgegangen werden. 

 Urteil vom 30. Oktober 2012 - VI ZR 4/12 
 Landgericht Hamburg - Urteil vom 12. August 2011 - 324 O 203/11 
 Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg - Urteil vom 29. November 2011 - 7 U 80/11 
Quelle: Pressestelle des BGH

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