Dienstag, 27. Februar 2018

BVerwG: Dieselfahrverbote unter best. Vorausssetzungen möglich

Im Jahr 2013 hatte die Bezirksregierung Düsseldorf einen Luftreinhalteplan für Düsseldorf verabschiedet. Aufgrund der hohen Luftbelastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid hat die Bezirksregierung Düsseldorf einen Luftreinhalteplan aufgestellt. Er wurde im Januar 2013 rechtskräftig. Die Stadt Düsseldorf arbeitet seither an der Umsetzung der Maßnahmen. Jedoch ist die Stickoxid-Belastung nach wie vor gerade an verkehrlich hochbelasteten schluchtartig bebauten Straßen zu hoch. An einem neuen Luftreinhalteplan wird unter Federführung der Bezirksregierung aktuell gearbeitet. Ziel ist es, Maßnahmen zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung festzuschreiben und zu ergreifen. Ähnlich verhielt es sich in Stuttgart, wo ein solcher Plan erstmals 2006 verabschiedet und in den Jahren 2010 und 2014 erneuert wurde. Diese Pläne sollten fortgeschrieben und optimiert werden. 

Die Pläne wurden allerdings von mehreren Umweltverbänden für unzureichend gehalten, die Klagen  gegen die jeweiligen Bundesländer erhoben. 

Mit einem am 13. September 2016 verkündeten Urteil hatte die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf der Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben (Az: 3 K 7695/15). Die Bezirksregierung Düsseldorf wurde mit diesem Urteil verpflichtet den seit Anfang 2013 geltenden Luftreinhalteplan Düsseldorf so ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwertes für das gesundheitsschädliche Stickstoffdioxid in Düsseldorf enthält.

Zur Urteilsbegründung hat das VG Düsseldorf im Wesentlichen ausgeführt: Bereits seit 2010 gelte für Stickstoffdioxid der über ein Jahr gemittelte Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Dieser Wert werde in Düsseldorf insbesondere an dem Messpunkt Corneliusstraße seit Jahren überschritten (um das als Anwohner zu wissen, muss man kein Sachverständiger sein). Trotz zahlreicher Maßnahmen in den Luftreinhalteplänen 2008 und 2013 wie beispielsweise der "Grünen Umweltzone" habe er 2015 immer noch bei 59 Mikrogramm pro Kubikmeter gelegen. Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit fordere jedoch eine schnellstmögliche Einhaltung des Grenzwertes. Dem werde der aktuelle Luftreinhalteplan angesichts des großen Verursachungsanteils von Dieselfahrzeugen nicht mehr gerecht: Er müsse daher binnen eines Jahres fortgeschrieben werden. In diesem Rahmen müssten insbesondere auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ernstlich geprüft und abgewogen werden. Der Einführung der "Blauen Plakette" auf Bundesebene bedürfe es hierfür nicht zwingend. Vielmehr enthalte das geltende Immissionsschutz- und Straßenverkehrsrecht bereits heute schon entsprechende Grundlagen. Die Kammer hat gegen das Urteil sowohl die Berufung zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster als auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. 6

Die 13. Kammer des VG Stuttgart sah dies ähnlich wie das VG Düsseldorf und entschied aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017, dass der Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen das Land Baden-Württemberg stattgegeben wurde, nachdem ein anderer Fall verglichen worden war. Die Deutsche Umwelthilfe hat danach als Umweltschutzverband einen Anspruch auf Fortschreibung des Luftreinhalteplanes Stuttgart um Maßnahmen, die zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte für NO2 in der Umweltzone Stuttgart führen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Gericht die Berufung zum VGH Baden-Württemberg in Mannheim und die Sprungrevision zum BVerwG in Leipzig zugelassen. .

Gegen diese Urteile wandten sich die seinerzeitige rot - grüne Landesregierung in NRW und die seinerzeit ebenfalls bei Klageerhebung grün - rote Landesregierung als Beklagte mit der Sprungrevision, deren Nachfolgeregierungen die Sprungrevisionen übernommen hatten. Das BVerwG hatte in der mündlichen Verhandlung zwar eine Vorlage an den EuGH erwogen, hat dann aber doch in der Sache selbst entschieden. Tatsächlich finden sich hier kommunalrechtliche, landesrechtliche, bundesrechtliche und europarechtliche Vorschriften, die kaum miteinander abgestimmt sind, etwa was die Durchsetzung der europarechtlichen Grenzwerte auf Landes- und Kommunalebene angeht. 

Mit zwei Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen (BVerwG 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (BVerwG 7 C 30.17) gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart überwiegend zurückgewiesen und hatte sich zu einem schwierigen Urteil entschieden, das in der Sache umweltrechtlich zu begrüssen ist. 

Das BVerwG hat angeordnet, dass bei der Prüfung von Verkehrsverboten für Diesel-Kraftfahrzeuge gerichtliche Maßgaben insbesondere zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind, um den Interessen auch der KfZ - Führer Rechnung zu tragen. Die Ergebnisse der ersten Instanzen werden in der Pressemitteilung kurz zusammen gefasst (der Volltext ist noch nicht veröffentlicht). 

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtete das Land Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO2) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen. 

Das Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete das Land Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NO2 von 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen. 

Die verwaltungsgerichtlichen Urteile sind vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht zu beanstanden. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NOso kurz wie möglich zu halten. 

Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lässt das Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Insoweit weicht das BVerwG in seiner Bewertung von den Erstinstanzen deutlich ab. Das Urteil legt die "Disharmonie" der betreffenden Rechtslage schonungslos offen. 

Nach der bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung („Plakettenregelung“) ist der Erlass von Verkehrsverboten, die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen, bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben möglich (rote, gelbe und grüne Plakette). 

Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO2-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben muss, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist. 

Deshalb bleiben die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten. Über das Europarecht wird hier quasi eine bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen, die von Ländern und Kommunen umgesetzt werden muss, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. 

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart hat das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt. Bei Erlass dieser Maßnahme wird jedoch - wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen - sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. 

Insoweit ist hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es hinreichender Ausnahmen, z.B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen. 

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dieser Plan wurde damit für völlig unzureichend gehalten. Dies wird der Beklagte nachzuholen haben. 

Ergibt sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO2-Grenzwerte darstellen, sind diese - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in Betracht zu ziehen. 

Die StVO ermöglicht die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge. Der Vollzug solcher Verbote ist zwar gegenüber einer „Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung. 

Bundes- und Landesgesetzgeber sollten diese Entscheidung zum Anlass, klare und praktikable Regelungen zu schaffen. 

BVerwG 7 C 26.16 - Urteil vom 27. Februar 2018 
Vorinstanz: VG Düsseldorf, 3 K 7695/15 - Urteil vom 13. September 2016  
BVerwG 7 C 30.17 Urteil vom 27. Februar 2018 
Vorinstanz: VG Stuttgart, 13 K 5412/15 - Urteil vom 26. Juli 2017 -
Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/2018 vom 27.02.2018 

Freitag, 23. Februar 2018

BGH: Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei schadensverursachenden Handwerksarbeiten

Mit einer interessanten, immobilien-, nachbarrechtlichen und versicherungsrechtlichen Entscheidung vom 09.02.2018 hat der BGH entschieden, dass ein  Grundstückseigentümer verschuldensunabhängig nach den Grundsätzen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches verantwortlich ist, wenn ein von ihm beauftragter Handwerker einen auf das Nachbarhaus übergreifenden Brand verursacht (Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 311/16). 

Im Ausgangsfall hatte ein Grundstückseigentümer einen Handwerker mit Reparaturarbeiten am Flachdach eines Hauses beauftragt. Infolge der fehlerhaften Vornahme der Arbeiten geriet das Nachbarhaus in Brand und wurde durch diese Arbeiten beschädigt, während das Haus der Auftraggeber völlig zerstört wurde. In solchen Fällen tritt nach den seit Jahrzehnten üblichen Versicherungspolicen die Wohngebäudeversicherung mit der Feuerversicherung ein, da nahezu sämtliche Wohngebäude über Versicherungsschutz gegen Brandschäden verfügen (näher, M.van Bühren, in, H. van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 7. Auflage, S. 348 f m.w.N.). Nach Eintritt der Versicherung und Regulierung des Schadens, steht ihr gegen die Verantwortlichen ein Rückgriffsanspruch aus der Sachversicherung nach § 86 VVG zu und zwar hier gegen den Handwerker und den Grundstücknachbarn, der die Arbeiten in Auftrag gegeben hat.  

Die Beklagten sind die Rechtsnachfolger der ursprünglich beklagten Eheleute R., die im Laufe des Rechtsstreits verstorben sind. Die Eheleute R. waren Eigentümer eines Wohnhauses. Am 8. Dezember 2011 führte ein Dachdecker in ihrem Auftrag am Flachdach des Hauses Reparaturarbeiten durch. Im Verlauf der mit Hilfe eines Brenners durchgeführten Heißklebearbeiten verursachte er schuldhaft die Entstehung eines Glutnestes unter den aufgeschweißten Bahnen. Am Abend bemerkten die Eheleute Flammen in dem Bereich, in dem der Dachdecker gearbeitet hatte. Der alarmierten Feuerwehr gelang es nicht, das Haus zu retten. Es brannte vollständig nieder. Durch den Brand und die Löscharbeiten wurde das an das brennende Haus unmittelbar angebaute Haus der Nachbarin erheblich beschädigt. Das Haus der Nachbarin ist bei der Klägerin als Gläubigerin des Rückgriffsanspruches versichert. 

Die Versicherung hatte den Schaden reguliert und verlangte von den beklagten Grundstückeigentümern aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs. 1 VVG Ersatz,nachdem über das Vermögen des zur Zahlung von 97.801,29 € verurteilten Dachdeckers das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden war und eine etwaige betriebliche Haftpflichtversicherung des Dachdeckers wegen grober Fahrlässigkeit bei der Schadensverursachung nicht eingetreten ist, wenn es eine gab (es besteht keiner gesetzliche Versicherungspflicht für diesen Bereich). 

Interessanterweise hatte das Landgericht die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg und zwar deshalb, weil die Gerichte auf die - teilweise nicht konsistente - Rechtsprechung des BGH zu § 831 BGB hinsichtlich der Auswahl von unternehmerisch tätigen Verrichtungsgehilfen abgestellt hatte (st. Rechtspr. seit BGH, VersR 1953, 358, mit Ausnahmen, die hier aber dahinstehen können) und die Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches aufgrund Ablehnung einer Störerhaftung verneinten. 

Nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Naumburg waren die Beklagten nicht zum Ersatz verpflichtet, weil eine Haftung aus unerlaubter Handlung wegen der vorstehend genannten Grundsätze ausscheide, weil keine Anhaltspunkte bestünden, dass ihre Rechtsvorgänger den Dachdecker nicht sorgfältig ausgewählt hätten. Der vom BGH dann bejahte Anspruch  aus § 906 Abs.2 S.2 BGB analog wurde ebenfalls verneint, weil auch kein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch vorliegen würde. Voraussetzung dafür wäre, dass die damaligen Grundstückseigentümer Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB seien. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Eheleute R. hätten mit der sorgfältigen Auswahl des Dachdeckers alles Erforderliche getan, um das Risiko eines Brandschadens im Zuge der Dachdeckerarbeiten auszuschließen. 

Der BGH sah dies anders und hat mit dieser Entscheidung eine deutliche Änderung der einschlägigen Rechtsprechung herbeigeführt, da die Revision der Klägerin erfolgreich war und die Haftung dem Grunde nach mit diesem Urteil feststeht. 

Der BGH hat vorliegend das Bestehen eines verschuldensunabhängigen, nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches in analoger Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG bejaht. 

Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (s. etwa BGHZ 155, 103 und öfter). Diese Grundsätze hat der BGH auf den vorliegenden Fall übertragen.  

Hiervon ist auszugehen, wenn ein Brand auf ein fremdes Grundstück übergreift, da der Nachbar die Gefahr in aller Regel nicht erkennen und die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann.  

Weitere Voraussetzung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist, dass der Anspruchsgegner als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist. Hierfür ist erforderlich, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung im Wege einer Gesamtbetrachtung und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen für ein Geschehen aufzuerlegen. 

Der Senat hatte dies in früheren Entscheidungen beispielsweise bejaht, wenn ein Haus infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte oder Leitungen in Brand gerät oder Wasser infolge eines Rohrbruchs auf das Nachbargrundstück gelangt. Hierdurch verursachte Störungen stellen kein allgemeines Risiko dar, das sich wie etwa ein Blitzschlag - ebenso gut bei dem Haus des Nachbarn hätte verwirklichen können und dessen Auswirkungen von dem jeweils Betroffenen selbst zu tragen sind. Auch wenn konkret kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben mag, beruhen sie auf Umständen, auf die grundsätzlich der Grundstückseigentümer bzw. -besitzer, und nur dieser, Einfluss nehmen konnte, insbesondere weil er die Arbeiten in Auftrag gegeben hat. Infolgede. Diese Störereigenschaft hat der BGH im vorliegenden Falle bejaht und damit den Weg zur Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches eröffnet. 

Nach der interessanten Auffassung des BGH steht es der Annahme einer Verantwortlichkeit der Rechtsvorgänger der Beklagten entgegen den beiden Vorinstanzen nicht entgegen, dass der Brand auf die Handlung eines Dritten, nämlich auf die Arbeiten des von ihnen mit der Vornahme einer Dachreparatur beauftragten Handwerkers zurückzuführen ist, der selbst nach § 823 Abs.1 BGB gehaftet hat, auch wenn der Anspruch wirtschaftlich nicht realisiert werden konnte.  

Der BGH stellt hier auf die Rechtsfigur des mittelbaren Handlungsstörers ab. Darunter ist derjenige zu verstehen, der die Beeinträchtigung des Nachbarn durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Rechtsfigur auch für andere Bereiche weiter entwickelt ist. Sie sollte auf Ausnahmefälle wie diesen beschränkt werden. 

Für die Zurechnung des durch den Handwerker herbeigeführten gefahrträchtigen Zustands des Grundstücks kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten bei der Auswahl des Handwerkers Sorgfaltspflichten - etwa im Rahmen des § 831 BGB - verletzt haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob es Sachgründe gibt, die aufgetretene Störung ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen. Der BGH nimmt insoweit eine interessante Distinktion vor, die diesen Fall von vergleichbaren Fällen "abschichtet".  

Die Rechtsvorgänger der Beklagten waren nach diesem Urteil diejenigen, die die Vornahme von Dacharbeiten veranlasst haben und die aus den beauftragten Arbeiten Nutzen ziehen wollten. Dass sie den Handwerker sorgfältig ausgesucht und ihm die konkrete Ausführungsart nicht vorgeschrieben haben, ändert nichts daran, dass sie mit der Beauftragung von Dacharbeiten eine Gefahrenquelle geschaffen haben und damit der bei der Auftragsausführung verursachte Brand auf Umständen beruhte, die ihrem Einflussbereich zuzurechnen sind, was vorliegend auch sachgerecht ist und Restriktionen des Anwendung des § 831 BGB bei eingeschalteten selbständigen Unternehmen vermeidet. Der BGH hat aber nicht in der Sache selbst entschieden. 

Die Sache wurde an das Oberlandesgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dieses hat zu klären, ob der geltend gemachte Anspruch der Höhe nach berechtigt ist. 

In der Folge sollte sich ein Auftraggeber solcher Arbeiten versichern, ob der beauftragte Handwerker hinreichend haftpflichtversichert ist und sich die Police ggf. vorlegen lassen. Das billigste Angebot, muss nicht das Beste sein. 

Vorinstanzen: LG Magdeburg - Urteil vom 3. Juli 2015 – 10 O 1082/13 
OLG Naumburg - Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 U 52/15 

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs Mitteilung der Pressestelle, PM Nr. 028/2018

Dienstag, 20. Februar 2018

BGH: die nächste JAMEDA - Entscheidung (Ärzte - Bewertungsportal III)

Der BGH hatte mit einem Urteil vom 20.02.2018 (AZ: VI ZR 30/17) erneut Gelegenheit sich zum Thema der Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten im Rahmen eines Arztsuche- und Arztbewertungsportals im Internet zu äußern (www.jameda.de). Grundsätzlich muss es nach der bisherigen Rechtsprechung jeder ärztliche Berufsträger in freier Praxis dulden, bei Jameda gelistet und damit letztlich vergleichen und bewertet zu werden. Dagegen wandte sich die klagende Ärztin in diesem Rechtsstreit. 

Als eigene Informationen der Beklagten werden auf dieser Plattform die sogenannten "Basisdaten" eines Arztes angeboten. Zu ihnen gehören - soweit der Beklagten bekannt - akademischer Grad, Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, weitere Kontaktdaten sowie Sprechzeiten und ähnliche praxisbezogene Informationen, die nicht immer zutreffend wieder gegeben sind. Daneben sind Bewertungen abrufbar, die Nutzer in Form eines Notenschemas, aber auch von Freitextkommentaren, abgegeben haben. Diese Bewertungen werden angeblich mit Hilfe einer Software auf ihre Plausibilität geprüft. 

Zusätzlich zu diesem Basiseintrag bietet die Beklagte den Ärzten den kostenpflichtigen Abschluss von Verträgen an, bei denen ihr Profil - anders als das Basisprofil der nichtzahlenden Ärzte - mit einem Foto und zusätzlichen Informationen versehen wird. Daneben werden beim Aufruf des Profils eines nichtzahlenden Arztes als "Anzeige" gekennzeichnet die Profilbilder unmittelbarer Konkurrenten gleicher Fachrichtung im örtlichen Umfeld mit Entfernungsangaben und Noten eingeblendet, so dass ein direkter Vergleich möglich ist. Demgegenüber blendet die Beklagte bei Ärzten, die sich bei ihr kostenpflichtig registriert und ein "Premium-Paket" gebucht haben, keine Konkurrenten auf deren Profil ein. M.a.W.: Zahlende Ärzte werden bevorzugt.  

Die Klägerin ist niedergelassene Dermatologin und Allergologin. Im Portal der Beklagten wird sie als Nichtzahlerin gegen ihren Willen ohne Bild mit ihrem akademischen Grad, ihrem Namen, ihrer Fachrichtung und ihrer Praxisanschrift geführt. Bei Abruf ihres Profils auf dem Portal der Beklagten erscheinen unter der Rubrik "Hautärzte (Dermatologen) (mit Bild) in der Umgebung" weitere (zahlende) Ärzte mit demselben Fachbereich und mit einer Praxis in der Umgebung der Praxis der Klägerin. Dargestellt wird neben der Note des jeweiligen anderen Arztes die jeweilige Distanz zwischen dessen Praxis und der Praxis der Klägerin. Die Klägerin erhielt in der Vergangenheit mehrfach Bewertungen. Sie beanstandete durch ihre früheren Prozessbevollmächtigten im Jahr 2015 insgesamt 17 abrufbare Bewertungen auf dem Portal der Beklagten. Nach deren Löschung stieg die Gesamtnote der Klägerin von 4,7 auf 1,5. Dies entspricht gängiger Praxis und in der Tat werden viele Bewertungen auf Hinweis auch wieder gelöscht. Unzufriedene Patienten hat jeder Arzt.  

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die vollständige Löschung ihres Eintrags in www.jameda.de, die Löschung ihrer auf der Internetseite www.jameda.de veröffentlichten Daten, auf Unterlassung der Veröffentlichung eines sie betreffenden Profils auf der genannten Internetseite sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und zwar mit einer interessanten Begründung, die sich im Wesentlichen auf die Ungleichbehandlung stützt. 

Das Landgericht hat die  Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. 

Die Entscheidung des Senats ist sehr interessant: 

Die Revision hatte Erfolg. Der Senat hat der Klage - eher überraschend - stattgegeben. 

Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDSG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Dies war vorliegend der Fall. 

Der Senat hat mit Urteil vom 23. September 2014 – VI ZR 358/13 (BGHZ 202, 242) für das von der Beklagten betriebene Bewertungsportal bereits im Grundsatz entschieden, dass eine Speicherung der personenbezogenen Daten mit eine Bewertung der Ärzte durch Patienten  zulässig ist.  

Der vorliegende Fall unterscheidet sich vom damaligen in einem entscheidenden Punkt, der den BGH zur Korrektur seiner bisherigen Rechtsprechung veranlasst hat. 

Mit der vorbeschriebenen, mit dem Bewertungsportal verbundenen Praxis verlässt die Beklagte ihre Stellung als "neutraler" Informationsmittler, sondern macht sich zum Interessenwahrer der zahlenden Kunden. Während sie bei den nichtzahlenden Ärzten dem ein Arztprofil aufsuchenden Internetnutzer die "Basisdaten" nebst Bewertung des betreffenden Arztes anzeigt und ihm mittels des eingeblendeten Querbalkens "Anzeige" Informationen zu örtlich konkurrierenden Ärzten bietet, lässt sie auf dem Profil ihres "Premium"-Kunden – ohne dies dort dem Internetnutzer hinreichend offenzulegen – solche über die örtliche Konkurrenz unterrichtenden werbenden Hinweise nicht zu. Man muss länger suchen, um diese Informationen zu finden.  

Nimmt sich die Beklagte aber in dieser Weise zugunsten ihres Werbeangebots in ihrer Rolle als "neutraler" Informationsmittler zurück, dann kann sie ihre auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 10 EMRK) gestützte Rechtsposition gegenüber dem Recht der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten (Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) auch nur mit geringerem Gewicht geltend machen. Das führt hier zu einem Überwiegen der Grundrechtsposition der Klägerin, so dass ihr ein "schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Speicherung" ihrer Daten (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG) zuzubilligen ist. Der BGH hat damit den Unterlassungsanspruch bejaht. 

Vollstreckungsrechtliche Folgen sind nicht auszuschließen. Wie der "Süddeutschen Zeitung" zu entnehmen ist, will Jameda den Unterlassungsanspruch nicht vollständig erfüllen, sondern nur die Darstellungspraxis ändern: 

"Trotz des Urteils wird Jameda nach eigenen Angaben kein Arzt-Profil löschen: Anzeigen auf Arztprofilen, die Grund für das Urteil gewesen waren, seien nach Vorgaben der Bundesrichter mit sofortiger Wirkung entfernt worden. Damit entfalle auch der Löschgrund, sagte eine Sprecherin des Unternehmens".

Mutmaßlich wird es weitere BGH - Entscheidungen zu diesem Thema geben. 

Vorinstanzen: 
Landgericht Köln vom 13. Juli 2016 - 28 O 7/16 - 
Oberlandesgerichts Köln vom 5. Januar 2017 – 15 U 198/15 - AfP 2017, 164 
Karlsruhe, den 20. Februar 2018 
Quelle: Pressestelle des BundesgerichtshofsNr. 034/2018 vom 20.02.2018