Donnerstag, 3. März 2016

EuGH: Keine Haftung für Anzeigen im Internet ohne Auftrag

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat heute in einer für das Vertriebsrecht und das Werberecht sehr wesentlichen Entscheidung in der Rechtssache C-179/15 vom 3. März 2016 eine Haftung für Anzeigen im Internet ausgeschlossen, wenn diese nicht zurechenbar in Auftrag gegeben worden sind oder deren Entfernung nachweislich versucht worden ist. 

Dem lag ein Vorabentscheidungsverfahren aus Ungarn zugrunde, aber die Problematik stellt sich für alle Vertragshändlerstrukturen durchaus ähnlich. Im Ausgangsfall geht es um einen wichtigen Aspekt aus dem KfZ - Vertragshändlerrecht. 

Die Együd Garage ist eine ungarische Gesellschaft, die auf den Verkauf und die Reparatur von Mercedes-Fahrzeugen spezialisiert war. Sie war für mehr als fünf Jahre durch einen Kundendienstvertrag mit Daimler verbunden, die Inhaber der internationalen Marke „Mercedes-Benz“ ist, die auch in Ungarn geschützt ist. Aufgrund dieses Vertrages war die Werkstatt berechtigt, die Marke in Lizenz zu benutzen. Sie schaltete in diesem Zeitraum auch selbst Anzeigen unter Nutzung der Marke. Soweit, so gut. 

Der Vertrag wurde seitens Daimler beendet. Nach der Beendigung des Vertrags versuchte Együd Garage, jede Anzeige im Internet zu löschen, aufgrund deren das Publikum annehmen könnte, dass sie weiterhin eine Vertragsbeziehung mit Daimler unterhalte. Unbeschadet dieser haftungsentlastenden Maßnahmen wurden Anzeigen, die eine solche Bezugnahme enthielten, weiterhin im Internet verbreitet und von Suchmaschinen erfasst. Hinzu tritt auch die Eigenschaften von Suchmaschinen alte Einträge weiterhin vorzuhalten und auch Löschungsnträge nicht zu reagieren. 

Ungeachtet der betreffenden Maßnahmen nahm Daimler das KFz - Unternehnen beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) auf Unterlassung erneuter Verstöße gegen die Markenrechte und auf Beseitigung der Anzeigen in Anspruch. Dieses Gericht hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Markenrichtlinie (Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 299, S. 25) Daimler berechtigt, von einem ehemaligen Vertragspartner weitgehende als die bereits getroffenen Maßnahmen zu fordern, um Verletzungen ihrer Marke zu verhindern.

Der EuGH hat dies mit überzeugender Begründung verneint und stellt fest, dass die Veröffentlichung einer Werbeanzeige, in der eine Marke genannt wird, auf einer Website eine Benutzung dieser Marke durch den Werbenden darstellt, wenn er die Anzeige in Auftrag gegeben hat. Letztlich läuft dies auf ein Zurechenbarkeitskriterium heraus. 

Der EuGH geht aber darüber noch - der bisherigen Linie folgend - hinaus und stellt weiter fest, dass das Erscheinen der Marke auf der betreffenden Website keine Benutzung durch den Werbenden mehr darstellt, wenn dieser den Betreiber der Website, bei dem er die Anzeige in Auftrag gegeben hatte, ausdrücklich aufgefordert hat, diese zu löschen, und der Betreiber dieser Aufforderung nicht nachkommt. In einem solchen Fall ist der ehemalige Vertragspartner der falsche Beklagte. 

Es ist völlig zutreffend, dass die Versäumnisse eines solchen Betreibers einem Werbenden, der sich intensiv darum bemüht hat, eine unberechtigte Benutzung der betreffenden Marke zu verhindern, nicht zugerechnet werden kann. In gleicher Weise kann der Werbende nicht für Handlungen oder Unterlassungen der Betreiber anderer Websites verantwortlich gemacht werden, die ohne seine Zustimmung die Anzeige übernommen haben, um sie auf ihrer eigenen Website einzustellen, was sehr häufig geschieht, zumal hier die einschlägigen Affiliate - Strukturen zu bedenken sind. Solche Versuche sollten allerdings beweissicher dokumentiert werden. 

Infolgedessen hat der EuGH sowohl den Unterlassungsanspruch als auch den Beseitigungsanspruch abgelehnt. 

Allerdings kann der Markeninhaber von dem Werbenden die Rückerstattung aller wirtschaftlichen Vorteile verlangen, die diesem durch die weiterhin online verfügbaren Anzeigen entstehen können, und er kann selbstredend auch unmittelbar gegen die Betreiber der betreffenden Websites als Störer vorgehen, sofern diese die Rechte aus einer Marke verletzen. Grundsätzlich könnten diese Grundsätze auch in die Vertragsgestaltung von Vertragshändlerverträgen aufgenommen werden. 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH


Dienstag, 1. März 2016

BGH: Ärztebewertungsportal II

Der Bundesgerichtshof hat nach der Mitteilung der Pressestelle Nr. 049/2016 vom 01.03.2016 in dem Urteil "Jameda II" zum AZ: VI ZR 34/15 die Pflichten des Betreibers eines Ärztebewertungsportals konkretisiert und schließt damit an das Urteil "Jameda I" aus dem Jahr 2014 unmittelbar an, bei dem es allerdings um andere Aspekte ging. Das Geschäftsmodell "Ärzte - Bashing" ist ohnehin erheblich in Kritik geraten.

Der Kläger in diesem Rechtsstreit ist Zahnarzt, während die Beklagte unter der Internetadresse www.jameda.de ein Portal zur Arztsuche und -bewertung betreibt, das von Patienten intensiv genutzt wird. Für Ärzte ist nicht sehr erfreulich dort unberechtigt Kritiken zu erfahren, die oftmals weit überzogen sind. Zu trennen ist insoweit zwischen (falschen) Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen bis hin zur Schmähkritik, sowie Mischformen, bei denen jemals das eine oder das andere Element überwiegt. Hierzu gibt es eine gefestigte Rechtsprechung des BVerfG und des BGH. 

Bei diesem Bewertungsportal können Interessierte Informationen über Ärzte aufrufen und sich über den Arzt und seine Praxis informieren. Aufgenommen wird jeder Arzt in diese Datenbank, auch ohne seinen Willen, was nach der Entscheidung "Jameda I" des BGH rechtlich zulässig ist. Angeboten werden für Ärzte mehrere Formen der Mitgliedschaft zu unterschiedlichen Preisen.  Registrierten Nutzern auf Patientenseite bietet das Portal die Möglichkeit, die Tätigkeit von Ärzten zu bewerten und zwar mit Noten und individuellen Bewertungen, die oftmals wenig objektiv sind und stark subjektive Züge tragen. Die Nutzer können diese Bewertungen anonym ohne Angabe eines "Klarnamens" abgeben und sind grundsätzlich datenschutzrechtlich geschützt. 

Die Bewertungen folgen einer sich an Schulnoten orientierenden Skala für insgesamt fünf vorformulierte Kategorien, namentlich "Behandlung", "Aufklärung", "Vertrauensverhältnis", "genommene Zeit" und "Freundlichkeit" sowie "Entertainment". In einem Freitextfeld besteht die Möglichkeit zu individuellen Kommentaren, die durchaus drastisch sein können. Das Problem sind Wahrheitsgehalt und Objektivität. 

Gegenstand der neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Bewertung des Klägers durch einen anonymen Nutzer, die besagt, der Kläger sei als Zahnarzt nicht zu empfehlen. Die Gesamtnote betrug 4,8 und setzte sich aus den in den genannten Kategorien vergebenen Einzelnoten zusammen, darunter jeweils der Note "6" für "Behandlung", "Aufklärung" und "Vertrauensverhältnis". Oftmals ist unklar und bedarf intensiver Recherchen in der Arztpraxis um festzustellen, ob der Patient auch tatsächlich behandelt worden ist. In Fällen einer klaren Identifikation, kann auch gegen den Patienten selbst vorgegangen werden, etwa wenn dieser auf Nachfrage einräumt, die Bewertung verfasst zu haben, wobei allerdings berufsrechtliche Grenzen einzuhalten sind, Angesichts des harten Konkurrenzkampfes unter Ärzten können solche Bewertungen auch in unmittelbarer Schädigungsabsicht abgegeben worden sein. 

Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger, dass er den Bewertenden behandelt hat. Der Kläger forderte die Beklagte vorprozessual zur Entfernung der Bewertung auf. Diese sandte die Beanstandung dem Nutzer zu. Die Antwort des Nutzers hierauf leitete sie dem Kläger unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken nicht weiter. Die Bewertung wurde unverändert im Portal vorgehalten, wie dies oftmals der Fall ist. 

Der Kläger verlangt von der Beklagten, es zu unterlassen, die dargestellte Bewertung zu verbreiten oder verbreiten zu lassen. Das Landgericht hat der Klage stattgeben; das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. 

Der für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, so dass der Fall noch nicht beendet ist. Der BGH gibt in solchen Fällen Hinweise zur Rechtslage.  

Die beanstandete Bewertung ist nach diesem Urteil des BGH keine eigene "Behauptung" der Beklagten, weil diese sie sich inhaltlich nicht zu eigen gemacht hat, was auch mit den Nutzungsbestimmungen des Portals übereinstimmt. Die Beklagte haftet für die vom Nutzer ihres Portals abgegebene Bewertung als Mitstörer daher nur dann, wenn sie zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat. Deren Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Diese Prüfpflichten werden deutlich konkretisiert, wie der BGH ausführt: 

"Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Gewicht der beanstandeten Rechtsverletzung, den Erkenntnismöglichkeiten des Providers sowie der Funktion des vom Provider betriebenen Dienstes zu. Hierbei darf einem Diensteanbieter keine Prüfungspflicht auferlegt werden, die sein Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährdet oder seine Tätigkeit unverhältnismäßig erschwert. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte ihr obliegende Prüfpflichten verletzt. Der Betrieb eines Bewertungsportals trägt im Vergleich zu anderen Portalen von vornherein ein gesteigertes Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sich. Diese Gefahr wird durch die Möglichkeit, Bewertungen anonym oder pseudonym abzugeben, verstärkt. Zudem erschweren es derart verdeckt abgegebene Bewertungen dem betroffenen Arzt, gegen den Bewertenden direkt vorzugehen". Insoweit bewegt sich die Entscheidung auf dem Boden der gefestigten Rechtsprechung. 

Neu ist aber die Auffassung des BGH, dass die beklagte Portalbetreiberin die Beanstandung des betroffenen Arztes dem Bewertenden übersenden und ihn dazu anhalten müssen, ihr den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben. Weiter ist der BGH jetzt der Auffassung, dass der Portalbetreiber den Bewertenden hätte auffordern müssen, ihr den Behandlungskontakt belegende Unterlagen, wie etwa Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien, möglichst umfassend vorzulegen.Im Ergebnis läuft dies im Streitfall auf die Verpflichtung des Providers hinaus, den Behandlungsverlauf auf Plausibilität zu prüfen, was angeblich bereits eine Software leistet, zu der der Provider keine näheren Angaben macht. Möglicherweise bietet die Zurückverweisung die Möglichkeit diese Software von einem IT - Sachverständigen untersuchen zu lassen. 

Der BGH geht noch einen Schritt weiter, indem er dem Portal abverlangt, diejenigen Informationen und Unterlagen, zu deren Weiterleitung sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG in der Lage gewesen wäre, an den Kläger weiterzuleiten. 

Im weiteren Verfahren werden die Parteien Gelegenheit haben, zu von der Beklagten ggf. ergriffenen weiteren Prüfungsmaßnahmen ergänzend vorzutragen. 

In einer vorläufigen Bewertung wird dies in entsprechenden Fällen nunmehr darauf hinauslaufen, dass der betroffene Arzt entsprechende Nachweise verlangen kann, wobei Art und Umfang angesichts des § 12 TMG wahrscheinlich in Streit geraten werden. Insoweit ist der Volltext des Urteils abzuwarten. 

Den betroffenen Ärzten bietet diese Entscheidung jedoch eine gewisse Erleichterung, die möglicherweise eine größere Objektivität bei den Bewertungen zur Folge hat. 


Vorinstanzen: 
LG Köln - 28 O 516/13 – Entscheidung vom 09. Juli 2014; 
OLG Köln - 15 U 141/14 Entscheidung vom 16. Dezember 2014 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Mittwoch, 17. Februar 2016

EuGH: Erneutes Urteil zum dt. Glücksspielstaatsvertrag

Der EuGH hat - nachdem er sich erst kürzlich mit dem italienischen Glücksspielrecht beschäftigen musste (EuGH,  Urteil v. 28.01.2016 in der Rechtssache C-375/14 - Rosanna Laezza/Italien) - erneut ein Urteil zum deutschen Glücksspielstaatsvertrag gefällt, dass sehr interesssant aber auch schwierig ist. 

Nicht neu ist dabei die Einsicht, dass das Unionsrecht der Ahndung einer ohne Erlaubnis erfolgten grenzüberschreitenden Vermittlung von Sportwetten in Deutschland entgegenstehen kann. Dies war bereits Gegenstand diverser Urteile zu früheren Rechtslagen in Deutschland. Völlig innovativ ist aber der Ansatz, das dies insbesondere dann gilt, wenn das von den deutschen Gerichten für unionsrechtswidrig befundene vormalige Staatsmonopol faktisch fortbesteht. Damit prüft der EuGH nicht lediglich den normativen Rechtsbestand, sondern auch die tatsächlich bestehende Rechtswirklichkeit und legt insoweit die Differenzen offen. Es kommt durchaus vor, dass die Rechtswirklichkeit vom normativen Regelungsgehalt ganz oder teilweise abweicht, auch wenn dies tunlichst vermieden werden sollte.  

Im Ausgangsfall aus Bayern hatte die Staatsanwaltschaft Frau Sebat Ince in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Sonthofen zur Last gelegt, sie habe über einen in einer „Sportsbar“ in Bayern aufgestellten Wettautomaten Sportwetten ohne die erforderliche behördliche Erlaubnis vermittelt. Technisch ist das ein sehr gängiges Verfahren. Der Ausgangsfall war daher erneut eine Strafsache wegen illegalen Glücksspiels nach § 285 StGB. Die Tatvorwürfe betreffen zum einen das erste Halbjahr 2012 und das zweite Halbjahr 2012, mit durchaus unterschiedlichen Rechtslagen für Deutschland, zu denen der EuGH dezidiert Stellung nimmt. 

Der betreffende Wettautomat vermittelte Glückspiele einer österreichische Gesellschaft (die Rechtslage in Österreich ist diesbezüglich anders als in Deutschland), in deren Auftrag und für deren Rechnung die Wetten angenommen wurden. Diese Gesellschaft besaß aber nur in Österreich eine Lizenz für die Veranstaltung für Sportwetten, nicht aber in Deutschland. Die grenzüberschreitende Anerkennung von Konzessionen ist ein erhebliches Problem ohne zufriedenstellende Lösungsansätze. 

Im ersten Halbjahr 2012 unterlagen die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten in Deutschland einem staatlichen Monopol noch den Regeln des Glücksspielstaatsvertrags von 2008 ( Staatsvertrag zum Glücksspielwesen zwischen den deutschen Bundesländern, in Kraft vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2011. Die Vorschriften dieses Vertrags in allen Bundesländern mit Ausnahme von SchleswigHolstein bis zum Inkrafttreten eines neuen Staatsvertrags fort). Der seinerzeit geltende Staatsvertrag untersagte die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten ohne Erlaubnis und schloss die Erteilung von Erlaubnissen an private Wirtschaftsteilnehmer aus. Dieser Glücksspielstaatsvertrag war europarechtlich sehr umstritten und beruhte auf einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2006 (BVerfGE 115, 276 - Sportwetten). 

Das Amtsgerichts Sonthofen ging in seiner Entscheidung völlig zutreffend davon aus, dass nach den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Stoß u. a. sowie Carmen Media Group alle deutschen Gerichte, die darüber zu befinden hatten, ob dieses Monopol mit dem Unionsrecht in Einklang stand, zu dem Ergebnis kamen, dass dies nicht der Fall war (Urteile des Gerichtshofs vom 8. September 2010, Stoß u. a. (C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07) sowie Carmen Media Group (C-46/08) Mit diesen Urteilen entschied der Gerichtshof, dass die deutschen Gerichte berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben konnten, dass mit dem besagten Monopol das Ziel der Bekämpfung der mit Glücksspielen verbundenen Gefahren nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird. 

Allerdings wurden aus diesem Verdikt sehr unterschiedliche Konsequenzen gezogen, was die Rechtswidrigkeit des Monopols anging. Uneinigkeit bestand unter der Geltung des Vertrages in der Fassung von 2008 insbesondere hinsichtlich der Frage, ob auf die privaten Wirtschaftsteilnehmer ein fiktives Erlaubnisverfahren dergestalt anzuwenden ist, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, ob diese Wirtschaftsteilnehmer die für die staatlichen Veranstalter geltenden Voraussetzungen erfüllen. Nach den Angaben des Amtsgerichts Sonthofen hat kein privater Wirtschaftsteilnehmer eine Erlaubnis im Anschluss an ein solches Erlaubnisverfahren jemals bekommen. 

Bezüglich des Tatzeitraums vom zweiten Halbjahr 2012 wurden die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten nunmehr vom Glücksspieländerungsstaatsvertrag 2012 geregelt ( Staatsvertrag zwischen den Bundesländern, in Bayern am 1. Juli 2012 in Kraft getreten). Dieser Staatsvertrag 2012 ging in §§ 4 a ff zu einem Konzessionsmodell über, dessen Handhabung überaus schwierig ist. Unter anderem enthält dieser Vertrag eine Experimentierklausel nach der private Wirtschaftsteilnehmer während eines Zeitraums von sieben Jahren ab seinem Inkrafttreten eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten erhalten können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die durchaus schwierig zu erfüllen sind.

Nur im Falle der Erteilung einer solchen Konzession (die mit Auflagen versehen werden kann), können Vermittler eine Erlaubnis erhalten, für einen Veranstalter Wetten anzunehmen. Für bereits tätige staatliche Veranstalter und ihre Vermittler gilt die Konzessionspflicht erst ein Jahr nach Erteilung der ersten Konzession. Zur Zeit der Tathandlungen und bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof am 10. Juni 2015 war jedoch keine der 20 zur Verfügung stehenden Konzessionen vergeben, so dass keinem privaten Wirtschaftsteilnehmer die Veranstaltung oder die Annahme von Sportwetten in Deutschland erlaubt war. Infolgedessen sind die §§ 4 - a - e des Glückspielstaatsvertrages 2012 faktisch leergelaufen. Sie hatten praktisch keine Bedeutung erlangt (s. insoweit auch Streinz/Liesching/Hambach, Glücks-und Gewinnspielrecht in den Medien, 2014,vor §§ 4 a - 3 Glücksspielstaatsvertrag; Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2013, Kommentierungen zu §§ 4 a - 3). .  

Daraus zog das Amtsgericht Sonthofen die Schlussfolgerung, dass das von den deutschen Gerichten für unionsrechtswidrig befundene vormalige Staatsmonopol faktisch fortbesteht. Eine durchaus naheliegende Annahme. Das Amtsgericht wollte sich indessen verständlicherweise absichern und hat dem EuGH Fragen zur Vereinbarkeit mit dem Europarecht vorgelegt. In diesem Zusammenhang befragt das Amtsgericht Sonthofen den Gerichtshof zu den Konsequenzen, die Verwaltung und Justiz zum einen aus der Unionsrechtswidrigkeit des vormaligen Staatsmonopols während der Phase der Ausarbeitung der Reform und zum anderen aus dem faktischen Fortbestand dieses Monopols nach der Reform von 2012 ziehen müssen. Die Antwort des EuGH wird im deutschen Glücksspielrecht erneut zu Konsequenzen führen. 

Die Antworten des EuGH sind unterschiedlich für den Staatsvertrag 2008 und 2012. Hinsichtlich Glücksspielstaatsvertrags 2008 geht der EuGH davon aus, dass die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats, wenn die Erlaubnispflicht für die Veranstaltung oder die Vermittlung von Sportwetten im Rahmen eines von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundenen staatlichen Monopols besteht, durch die Dienstleistungsfreiheit daran gehindert sind, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten durch einen privaten Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen privaten Wirtschaftsteilnehmer, der über keine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten in diesem Mitgliedstaat verfügt, sondern nur Inhaber einer Lizenz in einem anderen Mitgliedstaat ist, zu ahnden. Dies führt für diesen Zeitraum wahrscheinlich zur Straffreiheit. 

Selbst wenn ein privater Wirtschaftsteilnehmer theoretisch eine Erlaubnis für die Veranstaltung oder die Vermittlung von Sportwetten erhalten kann, steht die Dienstleistungsfreiheit einer solchen Ahndung entgegen, soweit die Kenntnis von dem Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis nicht sichergestellt ist und das von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundene staatliche Sportwettenmonopol trotz der Annahme eines solchen Verfahrens fortbesteht. Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass das fiktive Erlaubnisverfahren die Unionsrechtswidrigkeit des Staatsmonopols, wie sie von den nationalen Gerichten festgestellt wurde, nicht behoben hat.

Außerdem hat der Umstand, dass die Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrags 2008 trotz seines Auslaufens Ende 2011 in Bayern im ersten Halbjahr 2012 nur aufgrund eines dortigen Landesgesetzes (Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 922, BayRS 2187-3-I) immer noch anwendbar waren, zur Folge, dass darin enthaltene technische Vorschriften für diesen Zeitraum Einzelnen nicht entgegengehalten werden können. Im Unterschied zum Glücksspielstaatsvertrag selbst wurde dieses Gesetz  der Kommission nämlich nie notifiziert (ebenso wie die entsprechenden Gesetze der anderen Länder). 

Nach einer Unionsrichtlinie (Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. L 204, S. 37) in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. L 217, S. 18) geänderten Fassung) muss der Kommission aber jeder Entwurf eines Gesetzes mit technischen Vorschriften, die eine „Dienstleistung der Informationsgesellschaft“ betreffen, notifiziert werden. Diese Notifizierungspflicht galt nicht nur für den Glücksspielstaatsvertrag, sondern auch für das Gesetz, das ihn als Landesrecht aufrechterhielt. 

Das Amtsgericht Sonthofen hat daher nunmehr zu prüfen, ob der Angeklagte ein Verstoß gegen technische Vorschriften zur Last gelegt wird, die mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 aufgestellt wurden (wie das Verbot des Anbietens von Glücksspielen im Internet, die Beschränkungen der Möglichkeit, Sportwetten über Telekommunikationsmittel anzubieten, oder das Verbot der Werbung für Glücksspiele im Internet oder über Telekommunikationsmittel). 

Angesichts der geltenden Rechtslage ist die Antwort der EuGH in Bezug auf den Glücksspielstaatsvertrag 2012 von besonderem Interesse. Der EuGH statuiert insoweit, dass die Dienstleistungsfreiheit einen Mitgliedstaat daran hindert, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten in seinem Hoheitsgebiet an einen Wirtschaftsteilnehmer zu ahnden, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Lizenz innehat, sofern die Erteilung einer Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten daran geknüpft ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer eine Konzession nach einem Verfahren wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erhält. Letztlich bedeutet dies, dass die §§ 4 a - e Glücksspielstaatsvertrag europarechtswidrig sind und grundsätzlich ein grenzüberschreitendes Annerkennungsverfahren einzuführen ist. Insoweit muss aber der Volltext des Urteils genau analysiert werden. 

Stellt das Amtsgericht Sonthofen fest, dass in diesem Verfahren der Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot nicht hinreichend beachtet worden sind und wird die unionsrechtliche Verwerfung eines staatlichen Monopols für Sportwetten nicht beachtet, indem es faktisch unbeschadet der Rechtslage weiter angewandt wird, ist erneut ein Verstoß gegen das Unionsrecht anzunehmen. 

Der Gerichtshof stellt insoweit überzeugend fest, dass die Experimentierklausel in §§ 4 a - e Glückspielstaatsvertrag 2012 die Unvereinbarkeit des vormaligen Staatsmonopols mit dem freien Dienstleistungsverkehr nicht behoben hat, soweit die alte Regelung unter Berücksichtigung dessen, dass keine Konzessionen erteilt wurden und dass die staatlichen Veranstalter weiterhin Sportwetten veranstalten können, trotz des Inkrafttretens der Reform von 2012 in der Praxis weiter Bestand hat.

Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Regelungen europarechtswidrig sind, liegt zwar nahe, aber angesichts des mit zahlreichen Bedingungen verknüpften Verdikts des EuGH könnte eine Änderung der Genehmigungspraxis unter Beachtung der Vorgaben des EuGH noch hinreichen. In der Strafsache selbst deutet viel auf Freispruch. Angesichts des Urteilsinhaltes könnten sich erhebliche Änderungen bei der Experimentierklauseln in naher Zukunft ergeben.  





Donnerstag, 14. Januar 2016

BGH zur Facebook "Freunde - Finden - Funktion"

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr zur Problematik der Facebook-Funktion "Freunde finden" mit Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 65/14 - Freunde finden ein Grundsatzurteil gefällt, dass inhaltlich nicht überraschend ist. Es bezieht sich allerdings auf Facebook - Funktionen aus dem Jahr 2010, die inzwischen abgeändert wurden.  

Der I. Zivilsenat hat erwartungsgemäß entschieden, dass die mithilfe der Funktion "Freunde finden" des Internet-Dienstes "Facebook" versendeten Einladungs-E-Mails an Personen, die nicht als "Facebook"-Mitglieder registriert sind, eine wettbewerbsrechtlich unzulässige belästigende Werbung darstellen. Der BGH bewegt sich damit auf der Linie seiner Rechtsprechung aus den letzten Jahren zur wettbewerbsrechtlich zur rechtswidrigen E-Mail-Werbung.   

Der I. Zivilsenat hat darüber hinaus entschieden, dass "Facebook" im Rahmen des im November 2010 zur Verfügung gestellten Registrierungsvorgangs für die Funktion "Freunde finden" den Nutzer über Art und Umfang der Nutzung von ihm importierter Kontaktdaten irregeführt hat, was auch datenschutzrechtlich schwerwiegend ist. 

Kläger in diesem Rechtsstreit ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland. In Europa ist Facebook zwar in Irland ansässig, aber die Dienste werden augenscheinlich von Servern aus den USA betrieben. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Gestaltung der von ihr bereit gestellten Funktion "Freunde finden", mit der der Nutzer veranlasst wird, seine E-Mail-Adressdateien in den Datenbestand von "Facebook" zu importieren, und wegen der Versendung von Einladungs-E-Mails an bisher nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen auf Unterlassung in Anspruch. Der BGH hat das Bestehen dieses Unterlassungsanspruches bejaht. Der Pressemitteilung lässt sich indirekt entnehmen, dass der BGH an der Anwendung deutschen Rechts keinen Zweifel hatte.  

In dem Versand von Einladungs-E-Mails an nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen sieht der Kläger eine den Empfänger belästigende Werbung der Beklagten im Sinne von § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UWG. Der Kläger macht weiter geltend, die Beklagte täusche die Nutzer im Rahmen ihres Registrierungsvorgangs in unzulässiger Weise darüber, in welchem Umfang vom Nutzer importierte E-Mail-Adressdateien von "Facebook" genutzt würden. 

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen und in der Sache selbst entschieden, da es vorliegend nur um die Klärung von Rechtsfragen ging. 

Nach der Auffassung des BGH stellen Einladungs-E-Mails von "Facebook" an Empfänger, die in den Erhalt der E-Mails nicht ausdrücklich eingewilligt haben, eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG dar. 

Die Einladungs-E-Mails sind Werbung der Beklagten, auch wenn ihre Versendung durch den sich bei "Facebook" registrierenden Nutzer ausgelöst wird, weil es sich um eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte Funktion handelt, mit der Dritte auf das Angebot von "Facebook" aufmerksam gemacht werden sollen. Die Einladungs-E-Mails werden vom Empfänger nicht als private Mitteilung des "Facebook"-Nutzers, sondern als Werbung der Beklagten verstanden. In diesem Zusammenhang vertieft der BGH das "Opt-In-Modell". 

Durch die Angaben, die die Beklagte im November 2010 bei der Registrierung für die Facebook-Funktion "Freunde finden" gemacht hat, hat die Beklagte sich registrierende Nutzer entgegen § 5 UWG über Art und Umfang der Nutzung der E-Mail-Kontaktdaten getäuscht. Der im ersten Schritt des Registrierungsvorgangs eingeblendete Hinweis "Sind deine Freunde schon bei Facebook?" klärt nicht darüber auf, dass die vom Nutzer importierten E-Mail-Kontaktdaten ausgewertet werden und eine Versendung der Einladungs-E-Mails auch an Personen erfolgt, die noch nicht bei "Facebook" registriert sind. Der BGH rügt in diesem Zusammenhang sowohl die fehlende Belehrung über den Umfang der Datenerhebung als auch die Art und Weise der Verarbeitung der gespeicherten Daten. 

In diesem Zusammenhang führt der BGH aus, dass die unter dem elektronischen Verweis "Dein Passwort wird von Facebook nicht gespeichert" hinterlegten weitergehenden Informationen die Irreführung nicht ausräumen können, weil ihre Kenntnisnahme durch den Nutzer nicht sichergestellt ist. Mit Fug und Recht kann bezweifelt werden, dass das Passwort nicht auf den Servern von Facebook gespeichert wird. Es wird allenfalls nicht ausgelesen, obwohl diese Möglichkeit technisch besteht. 

Das wenig überraschende Urteil vertieft die bisherige Rechtsprechung zur Versendung wettbewerbswidriger Werbemails auf die Nutzung entsprechender Techniken im Rahmen von Social - Networks. Im einzelnen wird sich das Urteil erst nach einer Analyse des Volltextes wirklich beurteilen lassen, auch für mögliche Folgeabschätzungen für zukünftige Werbemodelle unter Nutzung von E-Mail. 

Vorinstanzen: 
KG Berlin - Urteil vom 24. Januar 2014 - 24 U 42/12 
LG Berlin - Urteil vom 6. März 2012 - 16 O 551/10 
Quelle: Karlsruhe, 14. Januar 2016 - Mitteilung der Pressestelle Nr. 007/2016 vom 14.01.2016