Mitteilung der Pressestelle - Nr. 206/2011
Angesichts des Sachverhaltes war das Ziel der Ermittlungsbehörden, hier zu einem plausiblen Ermittlungsergebnis zu gelangen durchaus verständlich. Auf der anderen Seiten ziehen die Grundrechten dem Verlangen nach einer effektiven Ermittlung deutliche Grenzen aus bürgerrechtlicher Sicht, denen der Senat mit diesem Urteil überzeugend Rechnung getragen hat. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in dieser Sache unter Zurückverweisung an das LG Köln entschieden, dass die Selbstgespräche im konkreten Fall nicht hätten zur Überführung der Angeklagten im Strafprozess hätten verwendet werden
dürfen, weil insoweit ein Beweisverwertungsverbot bestand, das sich unmittelbar aus der Verfassung ergab. Mit der heimlichen Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit verbunden. Dieser Kernbereich wird mit dieser Entscheidung auf den Bereich des Selbstkommunikationen ausgeweitet, was zu begrüßen ist, da jedem Menschen ein Kernbereich verbleiben muss, der sich staatlicher Überwachung entzieht, was einen Rechtsstaat übrigens auch von einem autoritären Staat unterscheidet.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Selbstgespräche im konkreten Fall nicht hätten zur Überführung der Angeklagten im Strafprozess hätten verwendet werden dürfen. Insoweit bestand ein Beweisverwertungsverbot, das sich unmittelbar aus der Verfassung ergab. Denn mit der heimlichen
Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit
verbunden.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die
Revisionen der drei Angeklagten das Urteil des Landgerichts Köln vom 11.
Dezember 2009 aufgehoben, durch welches diese jeweils wegen Mordes zu
lebenslanger Freiheitstrafe verurteilt worden waren (vgl.
Pressemitteilung Nr. 176/2011).
Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete einer
der Angeklagten seine Ehefrau, nachdem diese sich von ihm getrennt
hatte. Er wollte damit verhindern, dass die Geschädigte das gemeinsame
Kind mitnehme, das nach dem Willen des Angeklagten im Haushalt seiner
mitangeklagten Schwester und deren ebenfalls mitangeklagten Ehemanns
aufwachsen sollte. Die beiden Mitangeklagten waren an der Tat zumindest
im Vorbereitungsstadium maßgeblich beteiligt; sie handelten, um den
Wunsch zu verwirklichen, das Kind der Getöteten selbst aufzunehmen und
großzuziehen. Konkrete Feststellungen zur Art der Tötung und zu
konkreten Tatbeiträgen konnte das Landgericht nicht treffen, zumal die
Leiche des Tatopfers nicht aufzufinden war.
Als eines unter mehreren für die Tatbegehung selbst sowie für die Täterschaft der Angeklagten sprechendes Indiz hat das Landgericht Bemerkungen des Ehemanns der Getöteten gewertet, die dieser bei Selbstgesprächen in seinem PKW gemacht hat. Das Kraftfahrzeug war auf richterliche Anordnung mit technischen Mitteln abgehört worden. Dabei wurden sowohl Gespräche von zwei der Angeklagten bei gemeinsamen Fahrten als auch – bruchstückhaft – Selbstgespräche des angeklagten Ehemanns der Getöteten aufgezeichnet. Auf beides hat das Landgericht die Verurteilung der drei Angeklagten gestützt.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
entschieden, dass die Selbstgespräche im konkreten Fall nicht hätten zur
Überführung der Angeklagten im Strafprozess hätten verwendet werden
dürfen. Insoweit bestand ein Beweisverwertungsverbot, das sich
unmittelbar aus der Verfassung ergab. Denn mit der heimlichen
Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten
Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit
verbunden.
Maßgeblich für diese Bewertung des Senats war eine Abwägung und Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des konkreten Falles. Denn nicht jedes Selbstgespräch einer Person ist ohne Weiteres dem vor staatlichen Eingriffen absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzuordnen. Andererseits muss nach den Grundätzen des Schutzes der Menschenwürde und der Freiheit der Person ein Kernbereich privater Lebensgestaltung und Lebensäußerung verbleiben, in welchen der Staat auch zur Aufklärung schwerer Straftaten nicht eingreifen darf.
Der Grundsatz, dass "die Gedanken frei" und dem staatlichen Zugriff nicht zugänglich sind, beschränkt sich nicht allein auf innere Denkvorgänge , sondern erfasst auch ein in – unbewussten oder bewussten, unwillkürlich oder willkürlich geführten – Selbstgesprächen formuliertes Aussprechen von Gedanken, bei welchem sich die Person als "allein mit sich selbst" empfindet.
Wichtige Kriterien für die Entscheidung, ob Äußerungen in Selbstgesprächen diesem innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit zuzuordnen sind, sind namentlich
die Eindimensionalität der Selbstkommunikation, also die Äußerung ohne kommunikativen Bezug;
die Nichtöffentlichkeit der Äußerungssituation und
das Maß des berechtigten Vertrauens der Person darauf, an dem jeweiligen
Ort vor staatlicher Überwachung geschützt zu sein;
die mögliche Unbewusstheit der verbalen Äußerung;
die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken ,
die Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder –bedürftiger Ausschnitt eines "Gedankenflusses".
In der Flüchtigkeit und Bruchstückhaftigkeit des in Selbstgesprächen gesprochenen Worts ohne kommunikativen Bezug liegen nach Ansicht des Senats auch rechtlich erhebliche Unterschiede etwa zu Eintragungen in Tagebüchern. Aus dem Umstand, dass eine Äußerung innerhalb des nach Art. 13 GG geschützten Bereichs der Wohnung fällt, lässt sich nach der gesetzlichen Systematik zwar ein verstärkendes Indiz für die Zuordnung zum geschützten Kernbereich ableiten. Auch außerhalb der Wohnung ist dieser Kernbereich aber absolut geschützt, wenn andere der genannten Gesichtspunkte in der Wertung überwiegen. So lag es in dem vom 2. Strafsenat entschiedenen Fall. Der gegen die Zuordnung zum Kernbereich der Persönlichkeit sprechende Sozialbezug der Äußerungen, der in ihrem möglichen oder tatsächlichen Bezug auf eine schwere Straftat lag, trat dagegen zurück.
Aus der Verletzung des von Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereichs der Persönlichkeit ergab sich danach ein absolutes Verwertungsverbot für die bei den Selbstgesprächen aufgezeichneten Äußerungen. Dieses Verwertungsverbot wirkt auch in Bezug auf die beiden Mitangeklagten.
Die Sache muss demnach erneut vor dem Landgericht Köln verhandelt werden.
Urteil vom 22. Dezember 2011 – 2 StR 509/10
Landgericht Köln – Urteil vom 11. Dezember 2009 - 90 Js 196/07 105 – 19/08
Karlsruhe, den 22. Dezember 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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