Freitag, 26. März 2010

Ohne hinreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit eines Erbscheins besteht kein Anspruch auf dessen Einziehung

OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.01.2010, Az. 3 Wx 92/09


Das OLG Schleswig - Holstein hat eine interessante Entscheidung in einer Nachlasssache gefällt, die bereits unter das FamFG fällt. Danach besteht kein Anspruch auf Einziehung eines Erbscheins, sofern weder eine Unrichtigkeit des Erbscheins ersichtlich ist, noch Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung über Umstände vorliegen, die zu einer abweichenden Auslegung führen könnten. Anders wäre dies nur dann, wenn ein Testament Lücken aufweist und zur Erkenntnis des Gerichts feststeht, dass der Erblasser sie in einem bestimmten Sinne geschlossen hätte, was voraussetzt, dass er sie auch erkannt hätte und dieser Wille in der letztwilligen Verfügung in einer wie immer gearteten Art und Weise zum Ausdruck gekommen wäre. Bekanntlich müssen Verwandte keine Freunde sein und in vielen Fällen hört bei Erbrechtsfällen auch die Verwandtschaft auf, irgendwelche Verbundenheit zu erzeugen.

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Leitsatz

Über die Beschwerde in Erbscheinsverfahren kann nach § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG unter Anwendung der Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug auch dann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, wenn erstinstanzlich ohne Verstoß gegen die §§ 32 ff FamFG ein Termin und eine persönliche Anhörung der Beteiligten nicht stattgefunden hat. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG kommt nur zur Anwendung, wenn nach den einschlägigen Verfahrensvorschriften ein Termin, eine mündliche Verhandlung oder sonstige Verfahrenshandlungen durchzuführen sind.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten wird zurückgewiesen.

Allein diese Auslegung des § 68 Abs. 3 FamFG hält der Senat für zutreffend.

In § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG hat der Gesetzgeber eine bis dahin ausschließlich im Betreuungsrecht vorgesehene Möglichkeit aufgegriffen (Begr RegE BT Drucks. 16/6308 S. 207; Bahrenfuss-Joachim, Bork/Jacoby/Schwab-Müther, Maurer jew. a.a.O.). In § 68 Abs. 1 S. 1 FGG war angeordnet, dass das Gericht vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts den Betroffenen persönlich anhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm verschaffen müsse. Für das Beschwerdeverfahren sah § 69g Abs. 5 S. 3 FGG vor, dass das Beschwerdegericht von solchen Verfahrenshandlungen absehen könne, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies ist nahezu wörtlich in § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG aufgegriffen. Der Gesetzgeber hat damit ersichtlich nicht das Ziel verfolgt, in Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung oder sonstige persönliche Anhörung des Betroffenen nicht erforderlich ist, dergleichen nun spätestens im Beschwerdeverfahren als zwingend einzuführen. Sein Ziel war es gerade auch bei dieser Regelung, die Beschwerdegerichte zu entlasten, indem diese von vermeidbaren Wiederholungen von Verfahrenshandlungen befreit werden sollten (Begr RegE BT Drucks. 16/6308 S. 167, S. 207; Zöller-Feskorn, § 68 FamFG Rn. 6; Maurer, FamRZ 2009, 465, 475 f.).

Beabsichtigt war also nur eine Ausdehnung der für das Betreuungsrecht geltenden Verfahrenserleichterung auf andere Verfahren. Sofern in diesen zumindest einmal während des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen ein Termin oder eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden muss, soll es unter den in S. 2 genannten Voraussetzungen genügen, wenn dies im ersten Rechtszug geschieht. Hierzu passt es, dass der Gesetzgeber zur Begründung seiner Regelung insbesondere auf Art. 6 MRK hinweist, wonach in streitigen Zivilverfahren grundsätzlich öffentlich verhandelt werden muss. Auch danach könne eine mündliche Verhandlung im zweiten Rechtszug entbehrlich sein, wenn ohne eigene Ermittlungen aufgrund der Aktenlage entschieden werden könne (Begr RegE BT Drucks. 16/6308 S. 207). Dem schließt sich die Kommentierung an (jew. zu § 68 FamFG etwa Thomas/Putzo-Reichold Rn. 22; Keidel-Sternal, FamFG Rn. 60; Bahrenfuss-Joachim Rn. 13; ebenso Maurer, FamRZ 2009, 465, 476). Auch daraus erschließt sich, dass der Regelungsgehalt des § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG sowohl vom Gesetzgeber wie auch in der Literatur als eine Einschränkung des Gebots zum mündlichen Verhandeln und zur unmittelbaren Anhörung des Betroffenen in Verfahren, in denen dies an sich vorgeschrieben ist, angesehen wird, die rechtsstaatlich aber zulässig sei. In Verfahren, die eine mündliche Verhandlung oder persönliche Anhörung des Betroffenen nicht gebieten, muss die Zulässigkeit der Entscheidung im schriftlichen Wege nicht am Maßstab des Art. 6 MRK gemessen werden.

Aus all dem folgt, dass § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG richtigerweise so zu verstehen ist:

Nach dem Grundsatz des § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG bestimmt sich das Beschwerdeverfahren nach den für den ersten Rechtszug geltenden Vorschriften. Die Vorschrift des § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG kommt nur zum Zuge, soweit nach den einschlägigen Verfahrensvorschriften ein Termin, eine mündliche Verhandlung oder sonstige Verfahrenshandlungen durchzuführen sind. In solchen Verfahren kann unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von einer Wiederholung dieser Verfahrenshandlungen abgesehen werden. Wo es aber schon an solchen Vorgaben fehlt, braucht auch nicht auf § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG zurückgegriffen zu werden. Es kann dann vielmehr ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen von der Anberaumung eines Termins oder einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Dies letztere gilt auch für das Erbscheinsverfahren. Bei diesem handelt es sich nicht um eine echte Streitentscheidung i.S.d. Art. 6 MRK. Die Entscheidung über die Erteilung eines Erbscheines betrifft nämlich nur die Frage, ob dem Antragsteller ein entsprechendes Zeugnis ausgestellt werden kann. Eine verbindliche Entscheidung über den Bestand dieses Rechts enthält sie nicht; zu dieser ist nur das Prozessgericht befugt (BayObLGZ 1964, 433, 438 f. zur fehlenden Geltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes des Art. 6 Abs. 1 MRK im Erbscheinsverfahren).

Im Erbscheinsverfahren ist die Durchführung eines Termins oder einer mündlichen Verhandlung demnach im FamFG -entsprechend der bisherigen Rechtslage nach dem FGG – nicht von Amts wegen geboten. Dass dergleichen gleichwohl aus besonderen Gründen angezeigt erscheinen kann und dann durchgeführt werden muss, versteht sich von selbst. Vorliegend indes besteht kein Anlass zu einer unmittelbaren Anhörung des Beteiligten. Der Sachverhalt muss nicht weiter erforscht werden. Der Beteiligte selbst wirft dem Nachlassgericht nicht etwa eine ungenügende Sachverhaltsaufklärung vor; es ist auch nicht ersichtlich, was insoweit noch ermittelt werden könnte. Der Beteiligte hält nur die Auslegung der Testamentsurkunde durch das Nachlassgericht für unrichtig. Über reine Auslegungsfragen kann auch auf schriftlichem Wege entschieden werden.

In der Sache hat das Amtsgericht zu Recht von einer Einziehung des Erbscheins abgesehen. Eine Unrichtigkeit des Erbscheins ist nicht ersichtlich. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung über Umstände, die die Auslegung in anderem Sinne beeinflussen könnten. Der Beteiligte stützt seine Auslegung nur auf die Kenntnis des Lebenswegs, den sein Bruder genommen hat, und die Testamentsurkunde, von der er meint, dass sie vor diesem Hintergrund in seinem Sinne ausgelegt werden müsse. Seiner Auslegung kann jedoch nicht gefolgt werden, geschweige denn, dass sie mit Gewissheit als die richtige angesehen werden könnte und die Unrichtigkeit des Erbscheins damit feststünde. Nur dann dürfte der Erbschein eingezogen werden.

In unmittelbarer Auslegung lässt sich dem Testament keinesfalls entnehmen, dass der Erblasser seinen Sohn F nicht zum Miterben eingesetzt hätte, wenn er von dessen Geistesschwäche gewusst hätte. Der Beteiligte stellt auch nicht auf die Geistesschwäche seines Bruders als solche ab, sondern darauf, dass F infolgedessen nicht hätte heiraten und Kinder haben können, dies aber für den Erblasser wichtig gewesen sei. Es gibt jedoch im ganzen Testament keine Passage, die sich dahin auslegen ließe, dass einer der Söhne im Falle der Kinderlosigkeit sein Erbe wieder verlieren solle.

Denkbar wäre, darauf allerdings verweist der Beteiligte zu Recht, immerhin eine ergänzende Auslegung. Sie kommt in Betracht, wenn eine letztwillige Verfügung Lücken aufweist und feststeht, dass der Erblasser sie im bestimmten Sinne geschlossen hätte, wenn er sie erkannt hätte, und wenn dieser Wille in der letztwilligen Verfügung einen wenn auch geringen Anhaltspunkt gefunden hat. Der von dem Beteiligten behauptete Wille des Erblassers steht jedoch nicht fest.

Ihm steht zunächst entgegen, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments offenkundig nicht wissen konnte, welchen Lebensweg seine beiden seinerzeit 3 und 6 Jahre alten Söhne nehmen würden. Zu Recht hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass es sich unter diesen Umständen für den Erblasser geradezu aufgedrängt hätte, entsprechende testamentarische Regelungen zu treffen, wenn er die Erbfolge von der Entwicklung seiner Söhne hätte abhängig machen wollen. Seine Anordnung, dass das dem Nießbrauch der Ehefrau unterliegende Vermögen bis zum 25. Lebensjahr der Söhne für deren Lebensunterhalt, Erziehung und Ausbildung dienen sollte, besagt insoweit nichts. Eine Regelung dieser Art ist allein schon zur Sicherung der Söhne in der Zeit, in der sie sich noch unter der Obhut der Eltern befanden, nahe liegend. Wenn der Erblasser die Altersgrenze hierfür mit dem Erreichen des 25. Lebensjahres seiner Söhne annahm, so entspricht dies nur früheren weit verbreiteten Vorstellungen.

Aussagekräftig ist dagegen, dies allerdings gegen die von dem Beteiligten gewünschte Auslegung sprechend, dass der Erblasser für die Zeit danach keine Anordnungen getroffen oder auch nur Ratschläge gegeben hat, wie seine Söhne mit dem Vermögen umzugehen hätten. Sie hätten es deshalb zu ihren Lebzeiten frei veräußern und unbeschränkt letztwillig darüber verfügen dürfen, und dies jeweils zugunsten familienfremder Dritter.

Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein kinderlos versterbender Sohn sein Erbe wieder verlieren sollte. Der Beteiligte möchte auf einen Willen des Erblassers, dass sein Vermögen in der Familie gehalten werden und es deshalb nicht auf kinderlos gebliebene Söhne übergehen sollte, daraus schließen, dass der Erblasser die jeweiligen Söhne der Ehefrauen nicht bedacht hat und auch seine Ehefrau selbst nur mit einem Nießbrauch am Nachlass versorgt hat. Aus den entsprechenden Anordnungen spricht durchaus das Bestreben des Erblassers, die eigene Familie zu bevorzugen. Dies allein rechtfertigt es aber noch nicht, ihm einen weitergehenden Willen dahin zu unterstellen, dass er eine Anordnung für seinen Nachlass über die Generation seiner Söhne hinweg treffen wollte. Dass der Erblasser eine Bestimmung, dass ein Sohn im Falle der Kinderlosigkeit wegfallen und wer dann an dessen Stelle treten solle, beabsichtigt, dann aber übersehen haben soll, ist nicht plausibel, weil er den möglichen Wegfall eines Erben durchaus bedacht hat. In § 2 seines Testaments hat er für jeden seiner Söhne dessen Abkömmlinge als Ersatzerben benannt.

Aus den Bestimmungen des Erblassers lässt sich nicht einmal ableiten, dass er den jeweils von den Ehefrauen mitgebrachten Söhnen nichts aus seinem Vermögen hat zukommen lassen wollen. E findet in dem Testament zwar keine Erwähnung. Zu C hat er aber – geradezu das fehlende Berücksichtigen im Testament rechtfertigend – ausgeführt, dass er diesen bereits durch die Einrichtung eines guten Schlachtereigeschäfts und durch bares Geld ausreichend bedacht habe (Vor § 1, S. 2 des Testaments).

Letztendlich ergäbe eine Auslegung des Testaments im Sinne des Beteiligten kein in sich stimmiges Ergebnis. Wäre es dem Erblasser wirklich entscheidend darauf angekommen, den Nachlass nur an denjenigen seiner Söhne weiterzugeben, der ihn in der Familie halten würde, so wären zahllose Fälle denkbar, in denen folgerichtig vom Eintritt einer auflösenden Bedingung hinsichtlich der Erbenstellung auszugehen wäre. So müsste etwa derjenige seiner Erbenstellung verlustig gehen, der Nachlassvermögen verkaufen, verschenken, oder darüber zugunsten Dritter testieren würde, zumindest aber derjenige, der das Ererbte sinnlos verschleuderte. Ob dies dann für jeglichen Nachlassgegenstand geltend sollte oder nur für die Grundstücke oder nur ab einem bestimmten Wert, ist unklar. Dass ein solches Auslegungsergebnis wenig sinnvoll wäre, liegt auf der Hand. Es ist allerdings auf der Grundlage der Argumentation des Beteiligten nicht recht einsichtig, weshalb nur die Kinderlosigkeit eines Erben den Bedingungsfall auslösen sollte.

Auch in anderer Hinsicht ergäbe die von dem Beteiligten bevorzugte Auslegung des Testaments kein sinnvolles Ergebnis im Sinne des Erblassers. Ein auflösend bedingt eingesetzter Erbe ist – bei allen Streitfragen hierzu im Übrigen – jedenfalls auflösend bedingter Vorerbe (Staudinger/Otte, Bearb. 2003, § 2074 Rn. 19; Bamberger/Roth, 2. Aufl. 2008, § 2074 Rn. 4; Palandt/ Edenhofer, 69. Aufl. 2010, § 2075 Rn. 5), wobei er beim Fehlen jedweder Verfügungsbeschränkungen die Stellung eines befreiten Vorerben hat. Er ist damit nach Maßgabe des § 2112 BGB über den Nachlass verfügungsbefugt. Der Nacherbe ist nur durch die relative Unwirksamkeit der Verfügungsgeschäfte nach §§ 2113 f. BGB geschützt ( BGHZ 96, 198, bei juris Rn. 14; Staudinger/Otte, § 2074 Rn. 24), und auch nur dann, wenn der Erwerber hinsichtlich der Vorerbenstellung bösgläubig war ( § 2113 Abs. 3 BGB ). Eine solche Bösgläubigkeit allerdings käme hier im Hinblick darauf, dass die angebliche Vorerbenstellung an keiner Stelle des Testaments zum Ausdruck kommt, kaum je zum Zuge. Daraus ergibt sich, dass der Erblasser mit einem solchen Testament sein angebliches Ziel, den Nachlass in der Familie zu halten, bei einer Auslegung im Sinne des Beteiligten G in keinerlei Weise sinnvoll umgesetzt hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Geschäftswertes auf § 108 iVm § 107 Abs. 2 – 4 KostO. Maßgeblich ist demnach der Aktivwert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls, der nicht etwa auf seinen Wert nach heutiger Kaufkraft umzurechnen ist. Aus der Nachlassakte 52 VI 263/47 AG Pinneberg (dort Bl. 1 R, 15 R) erschließt sich ein damaliger Wert von rund 60 000 RM. Da dem Senat eine genaue Umrechnung in den entsprechenden Euro-Betrag nicht möglich erscheint, hat er sich bei der Festsetzung des Geschäftswerts an der Umbewertung von Sparguthaben in der Währungsreform 1948 im Verhältnis 1: 10 im Verhältnis von Reichsmark und Deutscher Mark orientiert und den Geschäftswert demnach mit 3 000,00 € angesetzt; dies entspricht im übrigen dem Wert, der bei Fehlen hinreichender Anhaltspunkte für eine Wertfestsetzung regelmäßig anzusetzen ist ( § 30 Abs. 2 S. 1 KostO ).

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