Donnerstag, 15. März 2018

EuG: "Marke "La Mafia SE SIENTA A LA MESA" ist nichtig

Das Europäische Gericht erster Instanz hat in der Rechtssache T-1/17 La Mafia Franchises S.L./ EUIPO - Italie (La Mafia SE SIENTA A LA MESA) ein interessantes Urteil zum Markenrecht gefällt. 

Das EuG urteilte, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ nach Art. 52 Abs.1 lit a) i.V.m. Art. 7 Abs.1 lit f) UMV (siehe hier näher, Kur/ v. Bomhard/Albrecht, Markenrecht. Kommentar, München, 2017, Art. 7 UMV, Rdnrn. 125 ff) gegen die öffentliche Ordnung verstößt. 

Die Bezeichnung "La Mafia se sienta en la mesa" ("Die Mafia setzt sich zu Tisch") ist die Firma einer spanischen Restaurantkette mit vornehmlich italienischer Küche und einem Franchisekonzept mit Sitz in der schönen Stadt Zaragoza in Aragon/Spanien, die auch die Domain www.lamafia.es betreibt. Die Kette betreibt in Spanien ca. 40 Restaurants. Die Bezeichnung ist augenscheinlich ein Scherz oder eine Satire, aber im Rahmen des Art. 7 lit f) UMV kommt es auf Scherze oder Satire nicht an.  

Den Firmennamen hat das Unternehmen La Mafia Franchises S.L. versucht bei der EUIPO in Alicante als Bildmarke anzumelden. Ein erster Versuch scheiterte im Jahr 2005 durch Zurückweisung. Im Jahr 2006 stellte die spanische Gesellschaft La Honorable Hermandad (deren Rechtsnachfolgerin La Mafia Franchises ist) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Eintragung der folgenden Unionsmarke, u. a. für Verpflegungsdienstleistungen. Der zweite Versuch führte im Jahr am 25.12.2008 zunächst zur Registrierung u.a. für Verpflegungsdienstleistungen, sozusagen ein Weihnachtsgeschenk auf Widerruf. 

Am 18.01.2013 stellte eine Kanzlei Madrid einen ersten Löschungsantrag, der wie sich später herausstellte im Auftrag der Republik Italien gestellt worden war. Im Jahr 2015 stellte die Republik Italien beim EUIPO einen weiteren Antrag auf Nichtigerklärung dieser Marke, den es damit begründete, dass sie gegen die öffentliche Ordnung und gegen die guten Sitten verstoße.

Am 27.10.2016 erging eine Decision of the First Board of Appeal der EUIPO, die dem Antrag statt gab. Dagegen richtete sich die Klage des Applicants zum Europäischen Gericht erster Instanz.     

Das EUIPO war der Aufassung, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ die unter dem Namen „Mafia“ bekannte kriminelle Organisation offenkundig fördere und dass die Wortbestandteile dieser Marke insgesamt eine Botschaft von Geselligkeit zum Ausdruck brächten und den Wortbestandteil „Mafia“ verharmlosten, womit sie dem hiervon vermittelten Ernst nicht gerecht würden.

La Mafia Franchises klagte gegen diese Entscheidung vor dem Gericht der Europäischen Union. Das EuG hat diese Klage abgewiesen. Die Entscheidung ist für die - insbesondere schon bei einem Markenbranding - wichtige Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Registrierung von Marken von deutlichem Interesse und letztlich bereits bei der Festlegung von Firmenbezeichnungen. 

Das Gericht betont, dass der Wortbestandteil „La Mafia“ in der Marke der spanischen Gesellschaft dominierend ist und weltweit als Hinweis auf eine kriminelle Organisation verstanden wird (die sich eigentlich "Unione Siciliano" oder "Cosa Nostra" nennt, s. nur John Dickie; Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia, S. 86 ff), die zur Ausführung ihrer Tätigkeiten u. a. auf Einschüchterung, auf körperliche Gewalt und auf Mord zurückgreift, wobei zu diesen Tätigkeiten u. a. der illegale Drogenhandel, der illegale Waffenhandel, die Geldwäsche und die Korruption gehören. 

Nach völlig nachvollziehbarer Auffassung des Gerichts verstoßen derartige kriminelle Tätigkeiten gegen die Grundrechte der Union, insbesondere gegen die Werte der Achtung der Menschenwürde und der Freiheit, die unteilbar sind und die das geistig-religiöse und sittliche Erbe der Union bilden. Zudem stellen die kriminellen Tätigkeiten der Mafia angesichts ihrer grenzüberschreitenden Dimension eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit im gesamten Unionsgebiet dar, da derartige Organisationen europa- und weltweit illegal tätig sind. 

Der Wortbestandteil „La Mafia“ wird in Italien als äußerst negativ wahrgenommen, da diese kriminelle Organisation die Sicherheit dieses Mitgliedstaats schwerwiegend beeinträchtigt, andernfalls hätte Italien den Antrag nicht gestellt. Das Gericht bestätigt somit, dass der Wortbestandteil „La Mafia“ die Verkehrskreise offenkundig an den Namen einer kriminellen Organisation denken lässt, die für besonders schwerwiegende Verstöße gegen die öffentliche Ordnung verantwortlich ist.

Das Gericht stellt weiter fest, dass der Umstand, dass La Mafia Franchises mit der Anmeldung der Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ darauf abgezielt haben will, die Kino-Saga „Der Pate“ in Erinnerung zu rufen, nicht aber Anstoß zu erregen oder zu beleidigen, keinen Einfluss auf die negative Wahrnehmung dieser Marke durch die Verkehrskreise hat. Auch sind die von der Marke der spanischen Gesellschaft erworbene Bekanntheit und das thematisch angelegte Konzept der Restaurants, die bzw. das mit den Filmen der Saga „Der Pate“ in Zusammenhang steht, für die Beurteilung, ob die angegriffene Marke gegen die öffentliche Ordnung verstößt, unerheblich. Zudem ist die Tatsache, dass es zahlreiche Bücher und Filme gibt, die sich auf die Mafia beziehen, in keiner Weise geeignet, die Wahrnehmung der von dieser Organisation begangenen Straftaten zu verändern. 

Schließlich pflichtet das Gericht der Würdigung des EUIPO und Italiens bei, wonach die Verknüpfung des Wortbestandteils „La Mafia“ mit dem Satz „se sienta a la mesa“ (was im Spanischen „setzt sich zu Tisch“ bedeutet) einerseits und mit einer roten Rose andererseits geeignet ist, ein insgesamt positives Bild der Tätigkeiten der Mafia zu vermitteln und die kriminellen Tätigkeiten dieser Organisation zu verharmlosen.

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ auf eine kriminelle Organisation verweist, ein insgesamt positives Abbild dieser Organisation gibt und die schwerwiegenden Verstöße dieser Organisation gegen die Grundwerte der Union verharmlost. 

Das Gericht ist infolgedessen der Auffassung, dass diese Marke geeignet ist, nicht nur bei den Opfern dieser kriminellen Organisation und ihren Familien, sondern bei jeder Person im Unionsgebiet, die mit dieser Marke konfrontiert wird und über eine durchschnittliche Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle verfügt, Anstoß zu erregen oder diese zu beleidigen. Sie wurde deshalb für nichtig erklärt. 

Gegen dieses Urteil kann binnen zwei Monaten nach Zustellung noch ein Rechtsmittel zum EuGH eingelegt werden. Die Löschung der Marke kann erst nach Rechtskraft vollzogen werden und zwar dann binnen zehn Tagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH dies anders sieht, dürfte eher gering sein. 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH

Mittwoch, 7. März 2018

EuGH zu Schiedsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen

Das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 6. März 2018 Urteil (Rechtssache C-284/16Slowakische Republik / Achmea BV) zieht vor dem Hintergrund zahlreicher vergleichbarer Investitionsschutzabkommen weite Kreise. 

In diesen Verträgen wird die Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit aufgrund qualifizierter Schiedsklauseln ausgeschlossen. Die Wirksamkeit solcher Klausel ist sehr umstritten. Die Entscheidungen ergehen meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit und werden auch oftmals nicht veröffentlicht. Die Praxis ist zumindest überwiegend eher intransparent.

Der EuGH hat auf Vorlage des deutschen Bundesgerichtshofes in einem Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass die im Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei enthaltene Schiedsklausel nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, weil diese Klausel dem Mechanismus der gerichtlichen Überprüfung des Unionsrechts Rechtsstreitigkeiten entzieht, die sich auf die Anwendung oder Auslegung dieses Rechts beziehen können. Der BGH wird über diese Sache nunmehr abschließend entscheiden. 

Der Sachverhalt ist entsprechend komplex und betrifft die auf Europarecht beruhende Liberalisierung der Versicherungsbranche. Im Jahr 1991 schlossen die ehemalige Tschechoslowakei und die Niederlande ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen (BIT2 ). Dieses Abkommen bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder, falls dies nicht möglich ist, vor einem Schiedsgericht mit ausschließlicher Zuständigkeit beizulegen sind. 

Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein. Im Jahr 2004 öffnete die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Investoren. Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, gründete daraufhin eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen anzubieten. Im Jahr 2006 machte die Slowakei jedoch die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Im Jahr 2008 leitete Achmea auf der Grundlage des BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakei ein, mit der Begründung, dass das genannte Verbot gegen das Abkommen verstoße und ihr dadurch ein Vermögensschaden entstanden sei. Im Jahr 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei gegen das BIT verstoßen habe, und verurteilte sie, Schadensersatz in Höhe von etwa 22,1 Mio. Euro an Achmea zu zahlen. Im Anschluss daran erhob die Slowakei bei den deutschen Gerichten Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs.

Die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ergibt sich aus dem Beschluss des BGH: 

"Ein Schiedsspruch kann gemäß § 1059 Abs. 2 ZPO nur aufgehoben werden, wenn einer der in dieser Vorschrift bezeichneten Aufhebungsgründe vorliegt. Als Aufhebungsgrund kommt im Streitfall in Betracht, dass die Schiedsvereinbarung wegen Verstoßes gegen Unionsrecht ungültig ist.
Die Bestimmung des § 1059 ZPO ist im Streitfall anwendbar, weil es sich bei der Entscheidung des Schiedsgerichts vom 7. Dezember 2012 um einen inländischen Schiedsspruch handelt. Nach § 1025 Abs. 1 ZPO sind die Vorschriften der §§ 1025 bis 1066 ZPO anzuwenden, wenn der Ort des Schiedsverfahrens im Sinne des § 1043 Abs. 1 ZPO in Deutschland liegt. Die Parteien haben gemäß § 1043 Abs. 1 Satz 1 ZPO Frankfurt am Main als Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens festgelegt".

Nach der Auffassung der Slowakei verstößt die Schiedsklausel im BIT gegen mehrere Bestimmungen des AEU-Vertrages. Das interessante an diesem Fall ist, dass hier ein Staat, die Aufhebung eines Schiedsspruches beantragt, weil die Entscheidung des Schiedsgerichts letztlich für "tendenziös" gehalten wurde. 

Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof (Deutschland) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit dem AEU-Vertrag vereinbar ist. Der EuGH holt in solchen Fällen die Rechtsmeinungen der EU - Mitgliedsstaaten ein, die auf eine deutliche Kontroverse deuten. 

Die Tschechische Republik, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Polen, Rumänien und die Europäische Kommission haben Erklärungen zur Unterstützung des Vorbringens der Slowakei eingereicht, während Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich und Finnland die streitige Klausel und – allgemeiner – ähnliche Klauseln in den 196 gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten der EU bestehenden BIT für gültig halten.  

In seinem Urteil zu Art. 18, 267 und 344 AEUV stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach dem BIT das gemäß diesem Abkommen gebildete Schiedsgericht insbesondere auf der Grundlage des geltenden Rechts der von dem fraglichen Rechtsstreit betroffenen Vertragspartei und aller erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu entscheiden hat. 

Angesichts der Merkmale des Unionsrechts – wie seiner Autonomie gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht, seinem Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten sowie der unmittelbaren Wirkung einer ganzen Reihe seiner Bestimmungen für die Unionsbürger und die Mitgliedstaaten – ist es zum einen Teil des in allen Mitgliedstaaten geltenden Rechts und zum anderen aus einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten hervorgegangen. Daher kann das fragliche Schiedsgericht unter diesen beiden Aspekten das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr auszulegen oder sogar anzuwenden haben. 

Der Gerichtshof weist sodann darauf hin, dass die Gerichtsbarkeit des fraglichen Schiedsgerichts im Verhältnis zu der der slowakischen und der niederländischen Gerichte Ausnahmecharakter hat, so dass es nicht Teil des Gerichtssystems der Slowakei oder der Niederlande ist. Dieses Verdikt könnte für die Schiedsklauselpraxis in Europa noch weitreichende Folgen hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahl des Gerichtsstandes haben. 

Das hier gewählte Schiedsgericht konnte vor diesem Hintergrund nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden, so dass es auch nicht befugt ist, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen. 

Zur Frage, ob der Schiedsspruch der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, das dem Gerichtshof unionsrechtliche Fragen in Verbindung mit einem vom Schiedsgericht behandelten Rechtsstreit vorlegen könnte, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem BIT die Entscheidung des Schiedsgerichts endgültig ist und kein weiterer Rechtsweg eröffnet wird. Schiedsgerichte legen überdies ihre eigenen Verfahrensregeln fest. Mit der Wahl eines Schiedsgerichtes wird gleichzeitig die zugrunde liegende Schiedsordnung gewählt und folglich damit das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des von ihm erlassenen Schiedsspruchs jeweils gilt. 

Der letztgenannte wird seitens des Gerichtshofes dahingehend vertieft, dass eine solche gerichtliche Überprüfung von dem betreffenden nationalen Gericht nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie gestattet. Diese Bedingung, ist im vorliegenden Fall nicht vollständig erfüllt, da das deutsche Recht nur eine beschränkte Überprüfung in diesem Bereich vorsieht. 

Zwar stellt der EuGH fest, dass die Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen im Rahmen eines Handelsschiedsverfahrens legitimer Weise beschränkten Charakter aufweisen könnte, doch lassen sich diese Überlegungen nicht auf ein Schiedsverfahren wie das hier vorliegende übertragen. 

Der EuGH unterscheidet insoweit zwischen Schiedsverfahren, die auf der Parteiautonomie beruhen und Gerichtszuständigkeiten, die auf einem Vertrag beruhen, in dem die Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System gerichtlicher Rechtsbehelfe, dessen Schaffung ihnen der EU-Vertrag in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt, Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, in denen dieses Recht anzuwenden oder auszulegen sein kann. 

Vor diesem Hintergrund kommt der EuGH zu dem interessanten Ergebnis, dass die Slowakei und die Niederlande mit dem Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet, wobei nur ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit ("effet utile") des Unionsrechts zu gewährleisten. 

Unter diesen Umständen beeinträchtigt die im BIT enthaltene Schiedsklausel die Autonomie des Unionsrechts und ist daher nicht mit ihm vereinbar. 

Es liegt auf der Hand, dass dieses Urteil die Vertrags- und Schiedsklauselnpraxis für die Zukunft in Europa deutlich beinflussen kann. Der BGH wird hierzu sicherlich ein interessantes Urteil fällen. 

Quelle: PRESSEMITTEILUNG Nr. 26/18 Luxemburg, den 6. März 2018 

Samstag, 3. März 2018

BGH erneut zu Persönlichkeitsrechtverletzungen und Internet - Suchmaschinen

Mit dem (erwartbaren) Urteil vom 27. Februar 2018 - VI ZR 489/16 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Haftung von Suchmaschinen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen weiter ausgebaut (der Volltext des Urteils liegt noch nicht vor). Die bisher ersichtliche Begründung passt sich im Detail in die vom BGH in den letzten Jahren entwickelte Rechtsprechung zur Mitstörerhaftung ein. 

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit diesem Urteil entschieden, dass der Betreiber einer Internet-Suchmaschine nicht verpflichtet ist, sich vor der Anzeige eines Suchergebnisses darüber zu vergewissern, ob die von den Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte Persönlichkeitsrechtsverletzungen beinhalten. Rein praktisch stellt sich auch die Frage, ob die derzeit vorhandene Filtertechnologie in der Lage ist, alle etwaig vorhandenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor einem konkreten Hinweis aufzufinden. Es ist durchaus denkbar das sich der Klageanspruch auf eine letztlich unerfüllbare Verpflichtung gerichtet hat.

Richtigerweise muss ein Suchmaschinenbetreiber erst reagieren, wenn er durch einen konkreten Hinweis - etwa durch eine Unterlassungsaufforderung - von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Kenntnis erlangt. Hierzu hält Google eigene Richtlinien vor. 

Die Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht Köln nehmen die Beklagte in der Hauptsache auf Unterlassung in Anspruch, bestimmte vermeintlich persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte auf Drittseiten über die Suchmaschine auffindbar zu machen. Dieses Verlangen setzt seitens eines Suchmaschinenbetreibers die Installierung von Filtertechnologie voraus, die solche Rechtsverletzungen proaktiv aufspüren kann. 

Die Beklagte mit Hauptsitz in Kalifornien, durchsucht als Betreiberin der Internetsuchmaschine "Google" mit einer Software kontinuierlich und automatisiert das Internet und übernimmt die so ermittelten Internetseiten in einen Suchindex. Die Daten gibt die Suchmaschine an die Nutzer entsprechend dem eingegebenen Suchbegriff nach einem von der Beklagten erstellten Algorithmus als Ergebnisliste aus und verlinkt diese.

Etwa in den USA richten sich gegen Rechtsverletzungen über Google immer wieder Beschwerden, so gegen Urheberrechtsverletzungen, die in der Lumendatabase dokumentiert werden. Die betreffende Haftung stellt sich auch in den USA fast immer ex-post dar. 

Bei Äußerungsdelikten wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet stellt sich die Sachlage noch schwieriger dar, weil deren Vorliegen oder nicht Vorliegen oftmals von schwierigen Güter - und Interessenabwägungen abhängen, die sich selbstredend auch im Prozessrisiko ausdrücken, so dass kaum eine Prognose abgegeben werden kann. Die Urteile fallen mitunter recht unterschiedlich aus, was vom BVerfG hingenommen wird, durchaus mit nachvollziehbaren Gründen. 

Die Kläger, ein Ehepaar, sind IT-Dienstleister. Der Kläger hatte ab Mitte Februar 2011 zumindest beim Aufsetzen eines Internetforums - nachfolgend: F-Internetforum - geholfen. Mitglieder dieses Forums - es werden eher sog. "Trolle" gewesen sein -  führten mittels Beiträgen auf verschiedenen Forenseiten Auseinandersetzungen mit Mitgliedern eines anderen Internetforums. Bekanntlicherweise arten solche Diskussionen oftmals in gegenseitigem "Flaming" und anderen Blüten der Diskussionshochkultur im Internet aus.  

Den Mitgliedern des F-Internetforums wurde u.a. vorgeworfen, Dritte zu stalken und zu drangsalieren. Aufgrund einer von dem Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit für das F-Internetforum eingerichteten E-Mail-Weiterleitung stellten Dritte die IP-Adresse und die Identität des Klägers fest und gaben diese Informationen an Mitglieder des mit dem F-Internetforum verfeindeten Internetforums weiter. 

Teilnehmer dieses Forums verfassten sodann auf den mit der Klage beanstandeten Internetseiten Beiträge, in denen der Kläger für Handlungen von Mitgliedern des F-Internetforums (unter anderem angebliches Stalking) verantwortlich gemacht wurde. 

Die bei zielgerichteter Suche in der Ergebnisliste der Beklagten nachgewiesenen Seiten enthielten deshalb Inhalte, wonach der Kläger das F-Internetforum betreibe, für die dort veröffentlichten Inhalte (mit-)verantwortlich sei oder von den Inhalten des Forums zumindest Kenntnis gehabt habe und die Klägerin von der Rolle ihres Mannes in diesem Forum Kenntnis gehabt haben müsse. Dabei wurden in Bezug auf die Kläger Worte gebraucht wie etwa "Arschkriecher", "Schwerstkriminelle", "kriminelle Schufte", "Terroristen", "Bande", "Stalker", "krimineller Stalkerhaushalt", die für sich genommen Persönlichkeitsrechtverletzungen darstellen, wobei aber im Wege einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 193 StGB sich andere Bewertungen ergeben können.  

Das Landgericht Köln hatte der Unterlassungsklage teilweise stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Dies allein zeigt schon, wie unterschiedlich derartige Sachverhalte von Gerichten bewertet werden können. 

Der Senat hat der Revision der Kläger keine Folge gegeben und alle Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Google mit guten Gründen verneint.

Die von den Klägern beanstandeten Inhalte auf den Internetseiten, welche die Beklagte durch Verlinkung auffindbar macht, sind keine eigenen Inhalte der Beklagten. Google macht sich derartige Inhalte durch die Sichtbarmachung auch nicht "zu eigen" und hält Richtlinien für die Abwehr von Rechtsverletzungen vor. Die hier streitgegenständlichen Rechtsverletzungen von nicht von Mitarbeitern der Suchmaschinenbetreiberin in das Internet eingestellt. 

Wie der BGH treffend ausführt, durchsucht die Beklagte mit Hilfe von Programmen die im Internet vorhandenen Seiten und erstellt hieraus automatisiert einen Such-index, beruhend auf in bestimmten Zeitabständen geänderten Algorithmen. 

Eine Suchmaschinenbetreiberin kann grundsätzlich als sog. mittelbare Störerin haften, wenn sie zu der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts willentlich und mitursächlich beiträgt, da die betreffenden Beiträge im Internet durch die Suchmaschine auffindbar gemacht werden. Eine Haftung des Suchmaschinenbetreibers setzt aber die Verletzung von Prüfpflichten als Mitstörer voraus.

Vom einem Suchmaschinenbetreiber kann vernünftigerweise nicht erwartet werden, dass er sich vergewissert, ob die von den Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte rechtmäßig ins Internet eingestellt worden sind, bevor er diese auffindbar macht, sofern dies bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen aus den bereits genannten Gründen überhaupt vollumfänglich möglich ist. Die Annahme einer - praktisch kaum zu bewerkstelligenden - allgemeinen Kontrollpflicht würde die Existenz von Suchmaschinen als Geschäftsmodell, das von der Rechtsordnung gebilligt worden und gesellschaftlich erwünscht ist, ernstlich in Frage stellen. Im Ergebnis würde dies auf ein Vor-Zensur - Modell hinauslaufen, das mit einer freiheitlichen Demokratie unter Wahrung der Kommunikationsgrundrechte nicht vereinbart wäre, auch nicht bei mittelbarer Grundrechtsgeltung.  

Ohne die Hilfestellung einer solchen Suchmaschine wäre das Internet aufgrund der nicht mehr übersehbaren Flut von Daten für den Einzelnen nicht sinnvoll nutzbar. Bereits seit mehreren Jahren werden die Suchergebnisse ohnehin in erheblichem Maße aufgrund von vermeintlich oder tatsächlich vorliegenden Rechtsverletzungen in erheblichem Maße "gefiltert". 

Den Betreiber einer Suchmaschine treffen daher erst dann spezifische Verhaltenspflichten, wenn er durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt hat, etwa wenn der Urheber der Rechtsverletzungen als Person nicht identifizierbar ist (andernfalls verweist Google weitgehend auf die unmittelbare Inanspruchnahme des Rechtsverletzers durch den Geschädigten).

Diese Voraussetzungen hat der BGH im Streitfall überzeugend verneint. Die beanstandeten Bezeichnungen der Kläger waren zwar ausfallend scharf und beeinträchtigten ihre Ehre. Ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt stand aber nicht von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes. Insoweit ist der Rechtsgedanke des § 193 StGB ggf. analog heranzuziehen. 

Die betreffenden Äußerungen standen - wie aus der Pressemitteilung folgt - ersichtlich im Zusammenhang mit der Rolle, welche der Kläger beim F-Internetforum gespielt haben soll. Nach dem Inhalt der beanstandeten Suchergebnisse werden den Mitgliedern des F-Internetforums u.a. Stalking (Straftat i. S. des § 238 StGB) vorgeworfen. Die Beteiligung des Klägers an der Erstellung des F-Internetforums hatten die Kläger nicht zweifelsfrei klären können. Der Kläger räumte selbst ein, am "Aufsetzen" des F-Internetforums beteiligt gewesen zu sein; auch war eine von ihm eingerichtete E-Mail-Weiterleitung über das F-Internetforum an ihn noch Wochen nach dem Aufsetzen des Forums aktiv. Über die eigene, durch "eidesstattliche Versicherung" bekräftigte, jedoch ziemlich allgemein gehaltene und pauschale Behauptung hinaus, mit dem F-Internetforum nichts zu tun zu haben, hat der Kläger keinerlei belastbaren Indizien für die Haltlosigkeit der ihm - und zumindest mittelbar in Form der Mitwisserschaft seiner Frau, der Klägerin, - gemachten Vorwürfe aufgezeigt. Eine offensichtliche und auf den ersten Blick evidente Rechtsverletzung musste die Beklagte den beanstandeten Äußerungen deshalb nicht entnehmen, so dass Google daher zur Löschung nicht verpflichtet war.


Vorinstanzen:
Landgericht Köln vom 16. August 2015 – 28 O 14/14
Oberlandesgericht Köln vom 13. Oktober 2016 – 15 U 173/15
Karlsruhe, den 27. Februar 2018
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 
PM Nr. 39/2018