Es ist eine Trivialität, dass das Mahnverfahren missbraucht werden kann. Allerdings sind die Problemkonstallation nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Der Bundesgerichtshof hatte kürzlich über einen derartigen Missbrauch zu entscheiden und hat für derartige Fälle eine praktikable Lösung entwickelt, die aber im vorliegenden Fall für die betroffenen Antragsteller - und möglicherweise auch deren Rechtsanwälte - missliche Auswirkungen hat.
Mit Urteil vom 23. Juni 2015 – AZ: XI ZR 536/14 hat der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass ein Antragsteller in einem Mahnverfahren sich dann nicht auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids berufen kann, wenn er im Mahnverfahren bewusst und entgegen den gesetzlichen Anforderungen falsche Angaben macht. Die Problematik des Missbrauches eines Mahnverfahren kann unbeschadet des vorliegenden Sachverhaltes unter dem Aspekt des Betrugs nach § 263 StGB durchaus auch eine strafrechtliche Relevanz aufweisen. Sie ist abzugrenzen von der Problematik der Durchbrechung der Rechtskraft eines Vollstreckungsbescheides, wenn ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB besteht, da hier kein Vollstreckungsbescheid in Rechtskraft erwachsen ist.
Es ging um einen Fall aus dem Bereich aus dem Bereich des Anlegerschutzes im Bereich "Schrott - Immobilien". Um die Verjährung ihrer Schadensersatzansprüche zu verhindern, hatten etliche Anleger insbesondere zum Jahreswechsel 2011/12 statt einer Schadensersatzklage das Mahnverfahren gewählt, weil auch die Zustellung eines Mahnbescheides nach § 204 Abs.1 Nr.3 BGB die Hemmung der Verjährung aufgrund Rechtsverfolgung auslöst, wobei auch § 167 ZPO grds. zur Anwendung kommen kann.
2002 war die Verjährungsfrist für derartige Ansprüche mit § 199 Abs.3 BGB von 30 auf zehn Jahre verkürzt worden und endete daher am 2. Januar 2012. Um hier kostengünstig eine Lösung zu schaffen, ohne auf die demächstige Zustellung einer Klage zurück zu greifen (die fast immer Risiken birgt), kreuzten die beauftragten Anwälte in den betreffenden Mahnbescheidsanträgen an, dass der Zahlungsanspruch nicht von einer "Gegenleistung" abhängen würde, obwohl dies gegen § 688 Abs.2 Nr.2 ZPO verstößt. Die Folgen eines solchen Vorgehens waren bislang nicht höchsterrichterlich geklärt, jetzt sind sie es. Da die betreffenden Anleger die gekauften Eigentumswohnungen wieder an die Bank zurückgeben müssen. war die Gegenleistung noch nicht erbracht. Die Frage ist, wie sich ein solches Vorgehen auf die "verjährungshemmende Wirkung" eines Mahnbescheides auswirkt.
Der Kläger im Ausgangsverfahren hatte die Commerzbank AG auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil diese ihn beim Kauf einer Eigentumswohnung im Jahr 1992 vermeintlich oder tatsächlich beraten hatte. Den Kauf hatte er über einen Kredit dieser Bank finanziert. Spätestens im Jahr 2005 erfuhr der Kläger von möglichen Ansprüchen gegen die Beklagte aus dem Gesichtspunkt einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung unter dem Aspekt der Culpa in Contrahendo. Am 30. Dezember 2008 stellte er über seinen vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids, mit dem er in der Hauptsache Zahlung von "großem" Schadensersatz geltend gemacht hatte. Mit diesem Antrag auf Erlass des Mahnbescheids hat er erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung nicht abhänge, obwohl der für ihn handelnde Prozessbevollmächtigte wusste, dass die Beklagte "großen" Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Übertragung des Wohnungseigentums schuldete. Der antragsgemäß erlassene Mahnbescheid ist der Beklagten im Januar 2009 zugestellt worden und hat nach § 167 ZPO die Wirkung einer Zustellung "demnächst" mit der Folge der grds. Hemmung der Verjährung. Nach Widerspruch der Beklagten und Abgabe an das Landgericht hat der Kläger seinen Anspruch unter dem 6. Mai 2010 begründet. Nach der Auffassung des BGH kann er sich auf die Hemmung der Verjährungsfrist nicht berufen.
Die Klage auf Leistung von "großem" Schadensersatz war bereits in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Klägers hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen.
Nach § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO findet das Mahnverfahren nicht statt, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängt. Wer den Erlass eines Mahnbescheids beantragt, muss nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erklären, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder dass die Gegenleistung erbracht ist. Gibt der Antragsteller im Mahnverfahren in Kenntnis der Rechtslage bewusst eine sachlich unrichtige Erklärung ab, weil er "großen" Schadensersatz nur Zug um Zug gegen einen im Zusammenhang mit der Schädigung erlangten Vorteil – hier die Eigentumswohnung – verlangen kann, im Antrag aber behauptet, der Anspruch sei von einer Gegenleistung nicht abhängig, wird die Verjährung zwar zunächst nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
Die Geltendmachung des "großen" Schadensersatzes stellt in diesem Fall nach der neuen Rechtsprechung des BGH einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der mangels gesetzlicher Spezialvorschriften über die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben korrigiert wird. Ein solcher Missbrauch verwehrt es dem Antragsteller nach § 242 BGB unter dem Aspekt des widersprüchlichen Verhaltens grundsätzlich, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids erfolgreich zu berufen. Daher ist es ihm unter solchen Umständen auch im Regefall versagt, sich wenigstens auf eine Hemmung der Verjährung in Höhe des "kleinen" Schadensersatzes zu berufen. Die Art des Schadensersatzanspruches macht insoweit keinen Unterschied.
Nach der neuen Rechtsprechung des BGH muss sich daher ein Kläger, nachdem die Verjährungsfrist ohne Zustellung des Mahnbescheids abgelaufen wäre, so behandeln lassen, als sei sein Anspruch verjährt. Der Anspruchsgegner kann sich in solchen Fällen daher erfolgreich auf die Einrede der Verjährung aus § 214 BGB berufen.
Die Entscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen, weil die Möglichkeit des Einsatzes eines Mahnbescheides bei Ansprüchen, bei denen die Gegenleistung noch nicht erbracht ist, nunmehr damit sanktioniert wird, dass der Antragsgegner sich erfolgreich auf die Einrede der Verjährung beruhen kann, wenn ein "Institutsmissbrauch" erfolgt.
OLG Karlsruhe - Urteil vom 10. Dezember 2014 - 13 U 203/12
LG Freiburg - Urteil vom 5. Oktober 2012 - 5 O 15/11
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs
Mitteilung der Pressestelle Nr. 105/2015 vom 23.06.2015
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