Bundesgerichtshof: Reisebüros müssen Insolvenzsicherung für Reiseveranstalter aus der EU nachweisen
Die nachfolgend referierte Entscheidung des BGH ist in der Praxis wenigstens teilweise auf Unverständnis gestoßen. Sie ist ohne Kenntnis des Systems des Sicherungsscheines kaum verständlich. § 651k BGB (Sicherstellung, Zahlung), der Art. 7 der EU - Pauschalreiserichtlinie umsetzt, enthält hierzu eine umfassende Regelung, die nachstehend auszugsweise wieder gegeben wird:
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(4) Reiseveranstalter und Reisevermittler dürfen Zahlungen des Reisenden auf den Reisepreis vor Beendigung der Reise nur fordern oder annehmen, wenn dem Reisenden ein Sicherungsschein übergeben wurde. Ein Reisevermittler gilt als vom Reiseveranstalter zur Annahme von Zahlungen auf den Reisepreis ermächtigt, wenn er einen Sicherungsschein übergibt oder sonstige dem Reiseveranstalter zuzurechnende Umstände ergeben, dass er von diesem damit betraut ist, Reiseverträge für ihn zu vermitteln. Dies gilt nicht, wenn die Annahme von Zahlungen durch den Reisevermittler in hervorgehobener Form gegenüber dem Reisenden ausgeschlossen ist.
(5) Hat im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Reiseveranstalter seine Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, so genügt der Reiseveranstalter seiner Verpflichtung nach Absatz 1 auch dann, wenn er dem Reisenden Sicherheit in Übereinstimmung mit den Vorschriften des anderen Staates leistet und dies den Anforderungen nach Absatz 1 Satz 1 entspricht. Absatz 4 gilt mit der Maßgabe, dass dem Reisenden die Sicherheitsleistung nachgewiesen werden muss".
MIt dieser Regelung soll sicher gestellt werden, dass der Pauschalreisende bei Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Reiseveranstalters den Reisepreis zurückerhält, wenn sie aufgrund Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz ausfallen und ggf. auch die Rückreisekosten erstattet bekommt, sofern sie auf diesen Umständen beruhen. Angesichert wird dies durch eine spezielle Versicherung, die im Geltungsbereich der je nationalen Umsetzungsvorschrift abgeschlossen werden muss. Diese Verpflichtung wird durch einen Sicherungsschein abgesichert, den der Reiseveranstalter dem Reisenden übergeben lassen muss (meist über den Reisevermittler). Die Übergabe des Sicherungsscheins bekundet überdies Vertretungsmacht des Reisevermittlers für den Reiseveranstalter, der ohne Sicherungsschein keine Zahlungen auf den Reisepreis entgegen nehmen darf. Die "offene Flanke" dieses Systems wird durch § 651 k Abs.5 BGB markiert, der den Fall regelt, dass der Reiseveranstalter seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR hat. In einem solchen Fall, muss dem Reisenden Sicherheit in Übereinstimmung mit den Vorschriften des anderen Staates geleistet werden, wenn diese der deutschen Absicherung äquivalent ist. Diese Sicherheitsleistung muss in deutscher Sprache (§ 10 BGB-Info-VO) nachgewiesen werden. Es hätte sich bereits auf der Ebene des EU - Rechts angeboten, hier eine Vollharmonisierung vorzunehmen. Die Probleme ergeben sich in solchen Fällen dadurch, dass die Versicherung die grenzüberschreitende Regulierung verweigert, unter Hinweis auf das je nationale versicherungsrechtliche Absicherungsystem.
Der BGH hat nunmehr über die Pflicht eines Reisevermittlers zum Nachweis einer für den Insolvenzfall des Reiseveranstalters geltenden Kundengeldabsicherung entschieden, wenn der Reiseveranstalter seinen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat, hier in den Niederlanden. Eine Vorlage an den EuGH in dieser Sache hätte nahegelegen.
Der Ausgangssachverhalt stellte sich wie folgt dar:
Die Kläger buchten im Oktober 2011 über die Beklagte, die als Internet-Reisebüro tätig ist, bei einem niederländischen Reiseveranstalter eine viertägige Flusskreuzfahrt. Nach Erhalt der Rechnung und Reisebestätigung zahlten die Kläger den auf sie entfallenden Reisepreis an die Beklagte. Den Klägern wurde ein als Sicherungsschein bezeichnetes Dokument eines niederländischen Kundengeldabsicherers in Kopie vorgelegt. Weiterhin hatte sich die Beklagte bei dem Reiseveranstalter über das Bestehen einer Kundengeldabsicherung erkundigt. Wegen finanzieller Schwierigkeiten des niederländischen Reiseveranstalters fand die Kreuzfahrt nicht statt. Der Reiseveranstalter, der später Insolvenz anmeldete, zahlte den Reisepreis nicht zurück. Der Kläger hatte hier die Wahl entweder das niederländische Versiucherungsunternehmen zu verklagen oder aber den Reisevermittler und hat sich für die letztere Variante entschieden.
Der niederländische Kundengeldabsicherer lehnte eine Erstattung des Reisepreises mit der Begründung ab, dass seine Haftung auf die auf dem niederländischen Markt angebotenen und abgeschlossenen Reisen beschränkt sei, wozu die Reise der Kläger nicht zähle.
Das Amtsgericht hat der auf Rückzahlung des Reisepreises gerichteten Klage gegen den Reisevermittler stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hätte sich die Beklagte vor Forderung oder Annahme des Reisepreises vergewissern müssen, dass den Klägern eine zweifelsfrei bestehende Absicherung des von ihnen gezahlten Reisepreises positiv nachgewiesen ist. Das Wissen um die Existenz eines Sicherungsscheins ersetze nicht die Prüfung seiner räumlich uneingeschränkten Geltung.
Die Lösung des BGH:
Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen.
Gemäß § 651k Abs. 4 iVm Abs. 5 Satz 2 BGB hat ein Reisevermittler wie die Beklagte auch hinsichtlich eines im EU-Ausland ansässigen Reiseveranstalter das Bestehen einer für den Insolvenzfall greifenden Kundengeldabsicherung nachzuweisen, bevor er den Reisepreis entgegen nimmt.
Der Reisevermittler muss in diesem Fall zwar keinen Sicherungsschein vorlegen, wie er von inländischen Reiseveranstaltern gefordert wird. Gleichwohl muss sich der Nachweis für einen im EU-Ausland ansässigen Reiseveranstalter auf die konkreten Reisenden und die von ihnen gebuchten Reise beziehen, wobei das Gesetz die konkreten Anforderungen letztlich offen lässt. Die Wiedergabe einer dahingehenden Erklärung des Reiseveranstalters reicht dafür nicht aus. Diese Anforderungen hat die Beklagte im Streitfall nicht erfüllt.
Die Entscheidung wirft die Frage nach den Anforderungen an den Nachweis auf, da der Gegenschluss - keine Vermittlung von Reisen von Veranstaltern aus dem europäischen Rechtsraum - nicht ernsthaft erwogen werden kann. Die Nachweispflicht kann auch durch Gestaltung von AGB nicht abgesenkt werden. Grds. wäre es hier zu erwägen gewesen, die Klage gegen den Versicherer zu richten, der eine Regulierung verweigert hat (es mag sein, dass insoweit grds. ein Regressanspruch des Reisevermittlers bestehen kann), weil Art. 7 der Richtlinie von einem äquivalenten System ausgeht und dieser Umstand hätte eine Vorlage an den EuGH nahe gelegt. Das Problem besteht insoweit zum einen in den Versicherungsbedingungen, die nur eine je nationale Regulierung vorsehen und zum anderen im Fehlen einer Vollharmonisierung für Europa. Die entscheidende Frage musste der BGH hier nicht lösen: die Frage, ob die Versicherungsbedingungen mit dem EU - Recht vereinbart sind, auch unter dem Aspekt einer Diskriminierung. Von dem Versicherer eine Zusicherung der Regulierung bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen in Textform zu verlangen, wäre ein denkbarer Weg, der aber voraussichtlich kaum durchsetzbar ist. Die Schwächen der Konstruktion beruhen indessen unmittelbar auf den Rechtsgrundlagen.
BGH, X ZR 105/13
AG Frankfurt am Main - Urteil vom 27. November 2011 – 30 C 1638/12 (71)
LG Frankfurt am Main - Urteil vom 25. Juli 2013 – 24 S 1/13
und
X ZR 106/13
AG Frankfurt am Main - Urteil vom 27. November 2012 - 30 C 1637/12 (71)
LG Frankfurt am Main - Urteil vom 25. Juli 2013 - 2-24 S 3/13
Karlsruhe, den 25. November 2014
Quelle: Mitteilung der Pressestelle des BGH
Nr. 174/2014 vom 25.11.2014
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