Dienstag, 25. Juli 2023

Die "Kalabrische Küste" von Andreas Achenbach als Rechtsproblem beim BGH

Andreas Achenbach (1815 - 1910) war im 19. Jahrhundert als Spätromantiker einer der "Malerfürsten" von Düsseldorf, gemeinsam mit seinem Bruder. Beide hatten ihre Ateliers auf der Ratinger Straße in einem ehemaligen Kloster und waren Professoren an der hiesigen Kunstakademie, die bis heute sehr einflussreich ist. 

Die Gebrüder Achenbach haben Italien intensiv bereist. Ihre Werke genießen Weltruf im Zusammenhang mit der "Düsseldorfer Malerschule". Ihr Hang zur Renaissance hat sicher auch damit zu tun, dass ca. 50 % der Kunstwerke der Welt in Italien zu finden sind. Es geht um dieses Bild, dass in der "Lost-Art-Datenbank" eingetragen ist: 



In der "Lost - Art - Datenbank" wird dieses Gemälde wie folgt gemeldet: 

"Verlustumstand gemeldet als

NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut"

Das ist angesichts der Geschichte der Verkäufe des Bildes völlig zutreffend. Natürlich hatte Achenbach mit der Nazi - Kultur nichts zu tun. Viele seiner Werke gehören dem Archiv des Kunstpalastes in Düsseldorf. Das Gemälde war Bestandteil der damals gewagten Ausstellung in Düsseldorf: "Gemälde alter und neuer Meister, 22 Juni-31 August 1935, no. 85, plate 24 (als “Sizilianische Landschaft”), Galerie Stern". Max Stern hatte dieses Gemälde etwa 1933 erworben. 

Die führende Galerie Max Stern wurde auf Betreiben der Nazis 1937 geschlossen und die Werke, die in seinem Besitz waren, wurden pseudomäßig versteigert, zu Spotpreisen oder mussten zuvor verkauft werden. Sicher eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Gallerien in Düsseldorf, aber kein Einzelfall. Max Stern wanderte nach Kanada aus und verstarb dort im Alter von 84 Jahren im Jahr 1987. Einige der quasi enteigneten Werke sind nie wieder aufgefunden worden. Die Lebensgeschichte von Max Stern ist ein trauriges Kapitel der Herrschaft der Nazis. 

Es handelte sich um ca. 400 Gemälde, deren Rückführung Max Stern noch zu Lebzeiten in die Wege leitete, überwiegend erfolglos. Stern war allerdings in Kanada sehr erfolgreich. Seine Rechte werden von einer Stiftung verwaltet, die sich Max Stern Art Restitution Project nennt, hinter dem das Max Stern Estate steht, die die Rechte von Max Stern verwalten und auch bis heute effektiv durchsetzen. 

In Düsseldorf konnte man sich hinsichtlich eines Gemäldes von Wilhelm von Schadow, dass seine beiden Kinder zeigt, auf ein Agreement verständigen, dass der Stiftung die Rechte zurückgab, aber gleichzeitig eine Leihgabe an den Kunstpalast vorsieht, sog. Düsseldorfer Agreement. Es könnte zum Zukunftsmodell für solche Fälle werden. Die von Max Stern gesammelte Kunst reicht vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit.

Immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang zu Gerichtsprozessen, von denen kürzlich ein Rechtsstreit vom BGH entschieden wurde (Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 112/22).

Es gibt mehrere Lost - Art - Datenbanken, deren führende in London angesiedelt ist, aber es gibt auch eine solche Datenbank in Deutschland und zwar in Magdeburg. Diese Datenbanken sind staatlich und haben aufgrund der Rechtsgrundlagen infolgedessen eine rechtsverbindliche Wirkung. Ein Werk, dass dort gelistet ist, ist praktisch unverkäuflich und genau diese Frage war Gegenstand des Verfahrens vor dem BGH, der keine Überraschungsentscheidung getroffen hat, sondern die geltende Praxis bestätigt hat. 
 

Nach diesem Urteil kann eine auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank keine Eigentumsbeeinträchtigung darstellen und daher keinen Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung auf Beantragung der Löschung begründen. Für den Eigentümer ist das eine bittere Entscheidung, da er dieses Gemälde kaum je wieder verkaufen können wird. Aber die Entscheidung beruft auf nachvollziehbaren Gründen. Diese Register sind keine Eigentumsregister, sondern legen den Verlust offen, der unter der Nazi- Herrschaft eingetreten ist. Die Nazis haben in Europa geradezu eine Spur hinsichtlich geraubter Kunst hinterlassen. 

Der Kläger in Verfahren vor dem BGH ist ein Kunstsammler, der das Gemälde von Andreas Achenbach völlig unstreitig legal im Jahr 1999 im Rahmen einer Auktion in London erworben hat. Das Gemälde befand sich in der Zeit von 1931 bis 1937 im Eigentum des Inhabers der Galerie Stern in Düsseldorf, die der jüdisch - stämmige Kunsthändler und Mitbürger Dr. Max Stern in dieser Zeit von seinem Vater übernahm. Bereits im Jahre 1935 wurde ihm durch die Reichskammer der bildenden Künste die weitere Berufsausübung untersagt, die Verfügung wurde jedoch zunächst nicht vollzogen. Im März 1937 musste Dr. Stern das Gemälde an eine Privatperson aus Essen verkaufen, was dann eine Kette weiterer Veräußerungen nach sich zog, denen man keine Bösgläubigkeit unterstellen kann (das Thema ist bei NS - Raubkunst ein absolut kritisches Thema). 

Im September 1937 wurde er endgültig gezwungen, seine Galerie aufzugeben, woraufhin er über England nach Kanada emigrierte und mit viel Glück Deutschland unter Aufgabe seines Vermögens verlassen konnte. Sein Nachlass wird von einem kanadischen Trust verwaltet, dessen Treuhänder die Beklagten sind, die diese Rechte weltweit wahrnehmen.

"Im Juni 2016 wurde auf Veranlassung der Beklagten eine Suchmeldung für das Gemälde auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank veröffentlicht. Die von einer Stiftung mit Sitz in Magdeburg betriebene Datenbank dokumentiert Kulturgüter, die insbesondere jüdischen Eigentümern aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entzogen wurden, oder für die ein derartiger Verlust nicht auszuschließen ist. Mithilfe der Veröffentlichung sollen frühere Eigentümer bzw. deren Erben mit heutigen Besitzern zusammengeführt und beim Finden einer gerechten und fairen Lösung über den Verbleib des Kulturgutes unterstützt werden. Im Rahmen einer Ausstellung des Gemäldes in Baden-Baden wurde der Kläger über die Suchmeldung und eine in Kanada veranlasste Fahndung nach dem Gemälde durch Interpol informiert. Er fühlt sich durch den Eintrag in der Lost Art-Datenbank und die Interpol-Fahndung in seinem Eigentum beeinträchtigt.

Der Kläger verlangt von den Beklagten, es zu unterlassen, sich des Eigentums an dem Gemälde zu berühmen. Hilfsweise begehrt er, sie zu verurteilen, die Löschung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank zu beantragen. Die Klage ist bei dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt".

Die Entscheidung des BGH ist kunstrechtlich ungemein interessant, weil sie Fragen des Kunsteigentums im Verhältnis zur Funktion der Lost - Art - Datenbanken löst. 

Der BGH lehnt einen Berühmungsanspruch ab:  

"Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die mit dem Hauptantrag verlangte Unterlassung, weil die Beklagten sich nicht des Eigentums an dem Gemälde des Klägers berühmt haben. Die tatrichterliche Beurteilung des Berufungsgerichts, mit der Suchmeldung des Gemäldes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank und der Fahndung über Interpol werde ohne gegenwärtige Eigentumsanmaßung lediglich an das früher bestehende Eigentum des Dr. Max Stern angeknüpft, ist nicht zu beanstanden. Zweck der Veröffentlichung auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank ist es, die früheren Eigentümer bzw. deren Erben sowie die heutigen Besitzer eines Kulturgutes zusammen zu bringen und diese bei der Erarbeitung einer gerechten und fairen Lösung im Sinne der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 über den Umgang mit während der NS-Zeit abhanden gekommenen Kunstwerken zu unterstützen. 

Hiervon ausgehend nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass mit der Suchmeldung lediglich auf das frühere Eigentum an dem Kunstwerk und die Umstände des Verlustes Bezug genommen wird; eine Aussage über das gegenwärtig bestehende Eigentum oder etwaige daran anknüpfende Ansprüche ist damit weder verbunden noch beabsichtigt.

Das gilt auch für die Eintragung des Gemäldes in der Fahndungsdatenbank von Interpol, weil lediglich das Abhandenkommen des Gemäldes am 13. November 1937 in Düsseldorf gemeldet wurde. Auch mit dieser Meldung ist keine Aussage darüber verbunden, dass sich die Beklagten nach heutiger Rechtslage als Eigentümer des Gemäldes ansehen und darstellen. Dass der Kläger bei einer Verbringung des Gemäldes nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten von Amerika polizeiliche Maßnahmen zu befürchten hätte, die ihn in der Verfügungsgewalt über das Gemälde einschränken würden, ist lediglich Folge des Umstandes, dass die Rechtsordnungen einzelner Staaten an das verfolgungsbedingte Abhandenkommen von Kulturgütern und spätere Erwerbsvorgänge unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen. Selbst wenn sich die Beklagten diesen Umstand bewusst zunutze gemacht hätten, stellte ihre Meldung keine Eigentumsanmaßung dar, weil sie lediglich (wahre) Tatsachen zu Vorgängen aus dem Jahre 1937 enthält und die rechtliche Bewertung dieser Vorgänge den Behörden – bzw. gegebenenfalls den Gerichten – überlassen wird".

In der Tat stellen diese Datenbanken keine Eigentumsregister dar, sondern dokumentieren wie jüdischen Eigentümern Kunst verlustig geraten ist, zu einem Zeitpunkt während der Nazi - Diktatur, mit eventuellen Folgen für eine Restitution. Natürlich hat dies für aktuelle Eigentümer mittelbare Folgen. Sie haben irgendwann ein Gemälde erworben, dass mit dem Makel eines Abhandenseins aufgrund Interventionen der Nazi - Diktatur belastet ist. Hier sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Kunst, die unmittelbar von Nazi-Truppen im Ausland enteignet wurde und Kunst, die von jüdischen Kunsteigentümern im Inland enteignet wurde, durchaus über Zwangsverkäufe. Diese Kunstwerke haben über diverse Kunstveräußerungen eine Geschichte entfaltet, die auch zu Restitutionsansprüchen führen kann. Dieser Fall aber liegt anders. 

Hilfsantrag abgelehnt

"Dem Kläger steht auch der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Beantragung der Löschung der Suchmeldung des Gemäldes in der Lost Art-Datenbank nicht zu. Denn die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art- Datenbank stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift dar und begründet daher keinen auf Beantragung der Löschung gerichteten Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung. Durch die Suchmeldung wird die Eigentumszuordnung – wie bereits ausgeführt – nicht infrage gestellt und die Verfügungsbefugnis des Eigentümers jedenfalls in rechtlicher Hinsicht nicht eingeschränkt. Eine auf wahren Tatsachen beruhende sachliche Information über den Verdacht des NS-verfolgungsbedingten Verlustes eines Kulturgutes beeinträchtigt die Rechte aus dem Eigentum aber auch schon deshalb nicht, weil der Betroffene die Behauptung und Verbreitung wahrer Tatsachen in der Regel hinzunehmen hat, auch wenn dies für ihn nachteilig ist. 

Das berechtigte Interesse früherer Eigentümer von Kulturgut bzw. ihrer Rechtsnachfolger sowie das allgemeine öffentliche Interesse an der Provenienz NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter überwiegen jedenfalls ein in der Regel allein auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhendes Interesse des gegenwärtigen Eigentümers an der Geheimhaltung solcher Tatsachen. 

Ob eine Eigentumsbeeinträchtigung anzunehmen ist, wenn in Bezug auf die Sache unwahre marktrelevante Tatsachen behauptet bzw. wertbildende Faktoren falsch dargestellt werden, ist fraglich, bedurfte aber keiner abschließenden Entscheidung, da es dem Kläger nicht um die Abwehr unzutreffender Tatsachenbehauptungen über das Gemälde geht. Nach § 44 Satz 1 Nr. 1 des Kulturgutschutzgesetzes besteht wegen der Umstände des Verkaufs im Jahr 1937 jedenfalls die Vermutung, dass das Gemälde einem früheren Eigentümer NS-verfolgungsbedingt entzogen worden ist. Die Veröffentlichung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank macht damit lediglich publik, was aufgrund der bekannten Umstände des Verkaufs ohnehin vermutet wird und - jedenfalls im Fall eines gewerblichen Inverkehrbringens - näherer Aufklärung bedarf.

Anders als die Revision meint, kann eine Eigentumsbeeinträchtigung auch nicht mit der Begründung bejaht werden, die Aufrechterhaltung der Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank führe zu einem rechtswidrigen Zustand. Eintragungen und Meldungen zu Kulturgütern in der Lost Art-Datenbank sind zwar als staatliches Informationshandeln anzusehen, so dass bei Überschreitung des Zwecks der Veröffentlichung entweder ein im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durchzusetzender öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch oder – weil die Datenbank inzwischen durch eine privatrechtliche Stiftung betrieben wird – ein zivilrechtlicher Löschungsanspruch nach den Grundsätzen des sog. Verwaltungsprivatrechts in Betracht kommen könnte. Ein solcher Anspruch könnte sich aber nur gegen die Stiftung als Betreiberin der Datenbank richten, nicht gegen die Beklagten als bloße Veranlasser der Meldung". 

Der BGH macht hier einen interessanten "Schwenk" und deutet eine Klage gegen den falschen Beklagten an. Daran kann man zweifeln, weil der Veranlasser der Eintragung der Verantwortliche und die Datenbank nach den vorhandenen Regelungen zu einer Eintragung rechtlich verpflichtet ist.. Sieht man aber einen Spielraum hinsichtlich der Eintragung in diese Datenbank, hat diese Entscheidung einen sybillinischen Charakter, weil diese Frage weder geklärt wird, noch in diesem Verfahren geklärt werden kann. Das Risiko bleibt letztlich offen. 

Der BGH sieht das anders: 

"Wenn der Staat eine Internetdatenbank einrichtet, in der Such- und Fundmeldungen von Privatpersonen zu Kulturgütern veröffentlicht werden, dann ist er bzw. die von ihm als Betreiberin der Datenbank errichtete Stiftung dafür verantwortlich, dass die veröffentlichte Meldung sich innerhalb der Grenzen hält, die das öffentliche Recht und namentlich die Grundrechte – hier der Eigentümer der betroffenen Gemälde – dem staatlichen Informationshandeln ziehen. Es ist Sache der Betreiberin der Datenbank zu entscheiden, ob sie eine Meldung veröffentlicht und ob bzw. wann sie sie wieder löscht. Es liegt in ihrer Verantwortung, die fortdauernde Einhaltung des Zwecks der Veröffentlichung zu überwachen und sicherzustellen, dass die Aufrechterhaltung der Veröffentlichung gegenüber dem Eigentümer des Kunstwerks weiterhin zu rechtfertigen ist. Wird durch die Aufrechterhaltung einer Meldung das Eigentum an einem Kunstwerk beeinträchtigt, dann trifft die Verantwortung hierfür folglich allein die Stiftung. Ob hier eine solche Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, bedurfte keiner Entscheidung, weil sich die Klage gegen die Beklagten als Veranlasser der Meldung richtet"

Die Entscheidung ändert nichts an der aktuellen Praxis und bestätigt sie. Die betreffenden Registereintragungen haben keinerlei Einfluss auf die Eigentumsposition, die im Einzelfall durchaus prekär sein kann. 

Vorinstanzen:

LG Magdeburg – Urteil vom 27. November 2019 – 2 O 599/18

OLG Naumburg – Urteil vom 24. Mai 2022 – 1 U 292/19