Donnerstag, 3. März 2016

EuGH: Keine Haftung für Anzeigen im Internet ohne Auftrag

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat heute in einer für das Vertriebsrecht und das Werberecht sehr wesentlichen Entscheidung in der Rechtssache C-179/15 vom 3. März 2016 eine Haftung für Anzeigen im Internet ausgeschlossen, wenn diese nicht zurechenbar in Auftrag gegeben worden sind oder deren Entfernung nachweislich versucht worden ist. 

Dem lag ein Vorabentscheidungsverfahren aus Ungarn zugrunde, aber die Problematik stellt sich für alle Vertragshändlerstrukturen durchaus ähnlich. Im Ausgangsfall geht es um einen wichtigen Aspekt aus dem KfZ - Vertragshändlerrecht. 

Die Együd Garage ist eine ungarische Gesellschaft, die auf den Verkauf und die Reparatur von Mercedes-Fahrzeugen spezialisiert war. Sie war für mehr als fünf Jahre durch einen Kundendienstvertrag mit Daimler verbunden, die Inhaber der internationalen Marke „Mercedes-Benz“ ist, die auch in Ungarn geschützt ist. Aufgrund dieses Vertrages war die Werkstatt berechtigt, die Marke in Lizenz zu benutzen. Sie schaltete in diesem Zeitraum auch selbst Anzeigen unter Nutzung der Marke. Soweit, so gut. 

Der Vertrag wurde seitens Daimler beendet. Nach der Beendigung des Vertrags versuchte Együd Garage, jede Anzeige im Internet zu löschen, aufgrund deren das Publikum annehmen könnte, dass sie weiterhin eine Vertragsbeziehung mit Daimler unterhalte. Unbeschadet dieser haftungsentlastenden Maßnahmen wurden Anzeigen, die eine solche Bezugnahme enthielten, weiterhin im Internet verbreitet und von Suchmaschinen erfasst. Hinzu tritt auch die Eigenschaften von Suchmaschinen alte Einträge weiterhin vorzuhalten und auch Löschungsnträge nicht zu reagieren. 

Ungeachtet der betreffenden Maßnahmen nahm Daimler das KFz - Unternehnen beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) auf Unterlassung erneuter Verstöße gegen die Markenrechte und auf Beseitigung der Anzeigen in Anspruch. Dieses Gericht hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Markenrichtlinie (Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 299, S. 25) Daimler berechtigt, von einem ehemaligen Vertragspartner weitgehende als die bereits getroffenen Maßnahmen zu fordern, um Verletzungen ihrer Marke zu verhindern.

Der EuGH hat dies mit überzeugender Begründung verneint und stellt fest, dass die Veröffentlichung einer Werbeanzeige, in der eine Marke genannt wird, auf einer Website eine Benutzung dieser Marke durch den Werbenden darstellt, wenn er die Anzeige in Auftrag gegeben hat. Letztlich läuft dies auf ein Zurechenbarkeitskriterium heraus. 

Der EuGH geht aber darüber noch - der bisherigen Linie folgend - hinaus und stellt weiter fest, dass das Erscheinen der Marke auf der betreffenden Website keine Benutzung durch den Werbenden mehr darstellt, wenn dieser den Betreiber der Website, bei dem er die Anzeige in Auftrag gegeben hatte, ausdrücklich aufgefordert hat, diese zu löschen, und der Betreiber dieser Aufforderung nicht nachkommt. In einem solchen Fall ist der ehemalige Vertragspartner der falsche Beklagte. 

Es ist völlig zutreffend, dass die Versäumnisse eines solchen Betreibers einem Werbenden, der sich intensiv darum bemüht hat, eine unberechtigte Benutzung der betreffenden Marke zu verhindern, nicht zugerechnet werden kann. In gleicher Weise kann der Werbende nicht für Handlungen oder Unterlassungen der Betreiber anderer Websites verantwortlich gemacht werden, die ohne seine Zustimmung die Anzeige übernommen haben, um sie auf ihrer eigenen Website einzustellen, was sehr häufig geschieht, zumal hier die einschlägigen Affiliate - Strukturen zu bedenken sind. Solche Versuche sollten allerdings beweissicher dokumentiert werden. 

Infolgedessen hat der EuGH sowohl den Unterlassungsanspruch als auch den Beseitigungsanspruch abgelehnt. 

Allerdings kann der Markeninhaber von dem Werbenden die Rückerstattung aller wirtschaftlichen Vorteile verlangen, die diesem durch die weiterhin online verfügbaren Anzeigen entstehen können, und er kann selbstredend auch unmittelbar gegen die Betreiber der betreffenden Websites als Störer vorgehen, sofern diese die Rechte aus einer Marke verletzen. Grundsätzlich könnten diese Grundsätze auch in die Vertragsgestaltung von Vertragshändlerverträgen aufgenommen werden. 

Quelle: Pressemitteilung des EuGH


Dienstag, 1. März 2016

BGH: Ärztebewertungsportal II

Der Bundesgerichtshof hat nach der Mitteilung der Pressestelle Nr. 049/2016 vom 01.03.2016 in dem Urteil "Jameda II" zum AZ: VI ZR 34/15 die Pflichten des Betreibers eines Ärztebewertungsportals konkretisiert und schließt damit an das Urteil "Jameda I" aus dem Jahr 2014 unmittelbar an, bei dem es allerdings um andere Aspekte ging. Das Geschäftsmodell "Ärzte - Bashing" ist ohnehin erheblich in Kritik geraten.

Der Kläger in diesem Rechtsstreit ist Zahnarzt, während die Beklagte unter der Internetadresse www.jameda.de ein Portal zur Arztsuche und -bewertung betreibt, das von Patienten intensiv genutzt wird. Für Ärzte ist nicht sehr erfreulich dort unberechtigt Kritiken zu erfahren, die oftmals weit überzogen sind. Zu trennen ist insoweit zwischen (falschen) Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen bis hin zur Schmähkritik, sowie Mischformen, bei denen jemals das eine oder das andere Element überwiegt. Hierzu gibt es eine gefestigte Rechtsprechung des BVerfG und des BGH. 

Bei diesem Bewertungsportal können Interessierte Informationen über Ärzte aufrufen und sich über den Arzt und seine Praxis informieren. Aufgenommen wird jeder Arzt in diese Datenbank, auch ohne seinen Willen, was nach der Entscheidung "Jameda I" des BGH rechtlich zulässig ist. Angeboten werden für Ärzte mehrere Formen der Mitgliedschaft zu unterschiedlichen Preisen.  Registrierten Nutzern auf Patientenseite bietet das Portal die Möglichkeit, die Tätigkeit von Ärzten zu bewerten und zwar mit Noten und individuellen Bewertungen, die oftmals wenig objektiv sind und stark subjektive Züge tragen. Die Nutzer können diese Bewertungen anonym ohne Angabe eines "Klarnamens" abgeben und sind grundsätzlich datenschutzrechtlich geschützt. 

Die Bewertungen folgen einer sich an Schulnoten orientierenden Skala für insgesamt fünf vorformulierte Kategorien, namentlich "Behandlung", "Aufklärung", "Vertrauensverhältnis", "genommene Zeit" und "Freundlichkeit" sowie "Entertainment". In einem Freitextfeld besteht die Möglichkeit zu individuellen Kommentaren, die durchaus drastisch sein können. Das Problem sind Wahrheitsgehalt und Objektivität. 

Gegenstand der neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Bewertung des Klägers durch einen anonymen Nutzer, die besagt, der Kläger sei als Zahnarzt nicht zu empfehlen. Die Gesamtnote betrug 4,8 und setzte sich aus den in den genannten Kategorien vergebenen Einzelnoten zusammen, darunter jeweils der Note "6" für "Behandlung", "Aufklärung" und "Vertrauensverhältnis". Oftmals ist unklar und bedarf intensiver Recherchen in der Arztpraxis um festzustellen, ob der Patient auch tatsächlich behandelt worden ist. In Fällen einer klaren Identifikation, kann auch gegen den Patienten selbst vorgegangen werden, etwa wenn dieser auf Nachfrage einräumt, die Bewertung verfasst zu haben, wobei allerdings berufsrechtliche Grenzen einzuhalten sind, Angesichts des harten Konkurrenzkampfes unter Ärzten können solche Bewertungen auch in unmittelbarer Schädigungsabsicht abgegeben worden sein. 

Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger, dass er den Bewertenden behandelt hat. Der Kläger forderte die Beklagte vorprozessual zur Entfernung der Bewertung auf. Diese sandte die Beanstandung dem Nutzer zu. Die Antwort des Nutzers hierauf leitete sie dem Kläger unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken nicht weiter. Die Bewertung wurde unverändert im Portal vorgehalten, wie dies oftmals der Fall ist. 

Der Kläger verlangt von der Beklagten, es zu unterlassen, die dargestellte Bewertung zu verbreiten oder verbreiten zu lassen. Das Landgericht hat der Klage stattgeben; das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. 

Der für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, so dass der Fall noch nicht beendet ist. Der BGH gibt in solchen Fällen Hinweise zur Rechtslage.  

Die beanstandete Bewertung ist nach diesem Urteil des BGH keine eigene "Behauptung" der Beklagten, weil diese sie sich inhaltlich nicht zu eigen gemacht hat, was auch mit den Nutzungsbestimmungen des Portals übereinstimmt. Die Beklagte haftet für die vom Nutzer ihres Portals abgegebene Bewertung als Mitstörer daher nur dann, wenn sie zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat. Deren Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Diese Prüfpflichten werden deutlich konkretisiert, wie der BGH ausführt: 

"Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Gewicht der beanstandeten Rechtsverletzung, den Erkenntnismöglichkeiten des Providers sowie der Funktion des vom Provider betriebenen Dienstes zu. Hierbei darf einem Diensteanbieter keine Prüfungspflicht auferlegt werden, die sein Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährdet oder seine Tätigkeit unverhältnismäßig erschwert. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte ihr obliegende Prüfpflichten verletzt. Der Betrieb eines Bewertungsportals trägt im Vergleich zu anderen Portalen von vornherein ein gesteigertes Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sich. Diese Gefahr wird durch die Möglichkeit, Bewertungen anonym oder pseudonym abzugeben, verstärkt. Zudem erschweren es derart verdeckt abgegebene Bewertungen dem betroffenen Arzt, gegen den Bewertenden direkt vorzugehen". Insoweit bewegt sich die Entscheidung auf dem Boden der gefestigten Rechtsprechung. 

Neu ist aber die Auffassung des BGH, dass die beklagte Portalbetreiberin die Beanstandung des betroffenen Arztes dem Bewertenden übersenden und ihn dazu anhalten müssen, ihr den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben. Weiter ist der BGH jetzt der Auffassung, dass der Portalbetreiber den Bewertenden hätte auffordern müssen, ihr den Behandlungskontakt belegende Unterlagen, wie etwa Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien, möglichst umfassend vorzulegen.Im Ergebnis läuft dies im Streitfall auf die Verpflichtung des Providers hinaus, den Behandlungsverlauf auf Plausibilität zu prüfen, was angeblich bereits eine Software leistet, zu der der Provider keine näheren Angaben macht. Möglicherweise bietet die Zurückverweisung die Möglichkeit diese Software von einem IT - Sachverständigen untersuchen zu lassen. 

Der BGH geht noch einen Schritt weiter, indem er dem Portal abverlangt, diejenigen Informationen und Unterlagen, zu deren Weiterleitung sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG in der Lage gewesen wäre, an den Kläger weiterzuleiten. 

Im weiteren Verfahren werden die Parteien Gelegenheit haben, zu von der Beklagten ggf. ergriffenen weiteren Prüfungsmaßnahmen ergänzend vorzutragen. 

In einer vorläufigen Bewertung wird dies in entsprechenden Fällen nunmehr darauf hinauslaufen, dass der betroffene Arzt entsprechende Nachweise verlangen kann, wobei Art und Umfang angesichts des § 12 TMG wahrscheinlich in Streit geraten werden. Insoweit ist der Volltext des Urteils abzuwarten. 

Den betroffenen Ärzten bietet diese Entscheidung jedoch eine gewisse Erleichterung, die möglicherweise eine größere Objektivität bei den Bewertungen zur Folge hat. 


Vorinstanzen: 
LG Köln - 28 O 516/13 – Entscheidung vom 09. Juli 2014; 
OLG Köln - 15 U 141/14 Entscheidung vom 16. Dezember 2014 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs