Dienstag, 23. Juni 2015

Entgelte für die Einspeisung von öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioprogrammen in Kabelnetze

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat sich mit Urteilen vom 16. Juni 2015 – KZR 83/13 und KZR 3/14 zu sehr schwierigen telekommunikationsrechtlichen Fragestellungen aus kartelrechtlicher Sicht geäußert. Für Kabelnetzbetreiber ist das Urteil allerdings sehr interessant. Es geht dabei um die für den wirtschaftlichen Betrieb von Kabelnetzen sehr zentrale Frage, ob für die Einspeisung von öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioprogrammen in Kabelnetze Entgelte verlangt werden dürfen oder die öffentlich- rechtlichen Fernsehsender insoweit medienrechtlich privilegiert sind, was man auch rechtspolitisch angesichts der Veräünderungen des relevanten Marktes durchaus in Frage stellen könnte.

Der Bundesgerichtshof hat sich in diesem Zusammenhang mit der Frage befasst, ob öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten an Kabelnetzbetreiber für die Einspeisung ihrer Fernseh- und Radioprogramme in das Kabelnetz ein Entgelt zu zahlen haben. Die Entscheidung betrifft nur das Digitalfernsehen bei dem die herkömmlichen (analogen) Bild- und Tonsignale in digitale Datenströme (Binärcodes) verwandelt werden. Die Fragen des Belegungsregimes haben bereits zu einer Reihe verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen geführt. Jedenfalls sind aber die öffentlich-rechtlichen Sender beim Digitalfernsehen immer einzuspeisen, was nichts über die Vergütungspflicht besagt. Die damit zusammenhängenden Rechtsfragen sind sehr umstritten und das BGH - Urteil hat insoweit nur bedingt Klärung geschaffen, wobei in derartigen Fällen schon Unsicherheiten über die Rechtswegzuständigkeit bestehen. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte am 29. April 2015 im Verfahren des Kabelnetzbetreibers Unitymedia gegen NDR und ARD über die Zahlung von Einspeiseentgelten entschieden (Az: 17 K 1672/13). Zwar hatte der Hauptantrag von Unity -Media auf Abschluss eines Einspeisevertrages keinen Erfolg, doch hat das VG Hamburg auf den Hilfsantrag erkannt, demzufolge Unitymedia grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die öffentlich-rechtlichen Must-Carry-Programme unentgeltlich zu verbreiten.

Die Klägerin betreibt insbesondere in Rheinland-Pfalz und in Bayern Breitbandkabelnetze für Rundfunksignale. Sie streitet mit den jeweils beklagten öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten (im Verfahren KZR 83/13 der Südwestrundrundfunk, im Verfahren KZR 3/14 der Bayerische Rundfunk) um die Bezahlung eines solchen Entgelts. Die Kabelnetzbelegung richtet sich nach §§ 2 Abs.2 Nr.13, 52, 52 a, 52 RStV. § 52 b RStV entwickelt ein dreistufiges Belegungskonzept. Nach § 52 b Abs.1 Nr.1 RStV treffen den Kabelnetzbetreiber im Sinne eines "must - carry" bestimmte Belegungsvorgaben, während in anderen Bereichen eine gewisse Belegungsfreiheit besteht, die hier dahinstehen kann, da die Programme der Beklagten zu den sogenannten Must-carry-Programmen im Sinn des § 52b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 RStV gehören. 

Die Klägerin hat nach dieser Vorschrift bis zu einem Drittel ihrer für die digitale Verbreitung von Rundfunk zur Verfügung stehenden Gesamtkapazität für die bundesweite Verbreitung dieser Programme zur Verfügung zu stellen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Länder, das ZDF, Deutschlandradio und ARTE zahlten der Klägerin bisher auf der Grundlage eines 2008 abgeschlossenen Einspeisevertrags ein jährliches Entgelt in Höhe von 27 Mio. € für die digitale und analoge Einspeisung ihrer Programme. Im Juni 2012 erklärten die Beklagten, ebenso wie die anderen am Vertrag beteiligten Rundfunkveranstalter, die Kündigung des Einspeisevertrags zum 31. Dezember 2012. Infolgedessen stellten sie ihre Zahlungen ein.  

Die Klägerin speist die Rundfunksignale, die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihr nach wie vor zur Verfügung stellen, weiterhin in ihre Netze ein, um der gesetzlichen Verpflichtung auch ohne Vertrag zu genügen. Die Nutzung kann überdies auch ohne Vertrag nach Bereicherungsrecht zu vergüten sein. Die Beklagten leisten dafür aber kein Entgelt mehr. 

Die Klägerin hält die Kündigungen für rechtswidrig, weil die Beklagten zum Abschluss eines entgeltlichen Einspeisevertrags verpflichtet seien. Die Klägerin sieht in der Kündigung einen verbotenen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten (§ 19 GWB). Zudem macht die Klägerin eine mit § 1 GWB unvereinbare Abstimmung der Kündigung des Einspeisevertrags zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern geltend. Die Klägerin begehrt jeweils die Feststellung, dass der Einspeisevertrag fortbesteht, hilfsweise insbesondere die Verurteilung der Beklagten zum Abschluss eines neuen Einspeisevertrags und Schadensersatz oder (nur im Verfahren KZR 83/13) Bereicherungsausgleich und Aufwendungsersatz für die vertragslose Einspeisung. Dieser kartellrechtliche Lösungsansatz ist geeignet, die Marktmacht der betreffenden Fernsehanstalten näher zu analysieren. 

Die Vorinstanzen haben die Klagen jeweils abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Urteile der Vorinstanzen jeweils aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat in beiden Fällen entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Fortsetzung des Einspeisevertrages oder auf Neuabschluss eines solchen Vertrages zu unveränderten Bedingungen zusteht. Eine solche Kontrahierungspflicht lässt sich den Regelungen des Rundfunkrechts nicht entnehmen. Dies hatten bereits mehrere Verwaltungsrichte ähnlich gesehen. 

Danach sind zwar einerseits die Beklagten entsprechend dem ihnen obliegenden Grundversorgungsauftrag verpflichtet, der Klägerin die Programmsignale zur Verfügung zu stellen. Andererseits ist die Klägerin gem. § 52b RStV verpflichtet, die Programmsignale der Beklagten einzuspeisen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines bestimmten Entgelts als Gegenleistung für die Einspeisung der Programmsignale ergibt sich aus den rundfunkrechtlichen Regelungen dagegen nicht, weil diese Frage gesetzlich nicht geregelt ist.  

Eine Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss eines Einspeisevertrages zu unveränderten Bedingungen ist auch nicht durch unionsrechtliche oder verfassungsrechtliche Bestimmungen geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin unzumutbar belastet würde, wenn sie die gesetzliche Pflicht zur Übertragung der Programme der Beklagten erfüllen müsste, ohne dafür das von diesen bislang gezahlte Entgelt verlangen zu können. Der BGH berücksichtigt in diesem Zusammenhang, dass die Programmsignale, die für die Klägerin zur Vermarktung ihrer Kabelanschlussprodukte an Endkunden von erheblichem wirtschaftlichem Wert sind und seitens der Beklagten unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. 

Eine Pflicht zur Fortsetzung der Vertragsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen kann auch nicht aus kartellrechtlichen Bestimmungen hergeleitet werden. Die Beklagten unterliegen zwar als auch wirtschaftlich tätige Unternehmen den Regelungen des Kartellrechts. Ihre Weigerung, den Einspeisevertrag mit der Klägerin fortzusetzen, stellt jedoch nach Auffassung des BGH keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 19 GWB dar. Den Beklagten kommt auf dem relevanten Markt danach zwar eine marktbeherrschende Stellung zu. Maßgeblich hierfür ist, dass sich die Beklagten im Hinblick auf die gesetzliche Übertragungspflicht (§ 52b RStV) bei der Nachfrage nach Übertragungsleistungen hinsichtlich der für ihre Programme reservierten Kapazitäten nicht dem Wettbewerb solcher Unternehmen stellen müssen, deren Programme nicht unter die Übertragungspflicht fallen. Sie sind auch keinem Wettbewerb der anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausgesetzt, weil die nach § 52b RStV vorzuhaltenden Kapazitäten ausreichen, um sämtliche gebührenfinanzierten Programme zu übertragen. 

Es kann jedoch nach der Auffassung des BGH vorliegend nicht von einem missbräuchlichen Verhalten der Beklagten im Sinne von § 19 Abs. 2 GWB ausgegangen werden, der einen Kontrahierungszwang auslösen könnte. 

Der Umstand, dass die Klägerin von privaten Fernsehsendern ein (nicht näher konkretisiertes) Entgelt erhält, begründet keinen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Fortsetzung des Einspeisevertrages zu unveränderten Bedingungen. Soweit die Beklagten Anbietern anderer Übertragungstechniken (per Satellit oder terrestrisch), ein Einspeiseentgelt bezahlen, liegt darin keine unzulässige Diskriminierung, weil diese sich, anders als die Klägerin, auf die reine Übertragungsleistung beschränken. 

Es fehlt jedoch an ausreichenden Feststellungen dazu, ob die Beklagten zusammen mit den anderen am Einspeisevertrag beteiligten Rundfunkveranstaltern unter Verstoß gegen § 1 GWB die Beendigung dieses Vertrages vereinbart und die Kündigung in Umsetzung einer solchen Vereinbarung erklärt haben. Dies läuft letztlich auf die Prüfung des Vorwurfes einer Kartellbildung hinaus, der sich damit auch derartige Fernsehsender stellen müssen. 

Sollten die Kündigungen nicht auf einer selbständigen unternehmerischen Entscheidung der Beklagten, sondern auf einer solchen verbotenen Absprache beruhen, wären die Kündigungen nichtig. Dann würde der Vergütungsanspruch aus Vertrag fortbestehen.  

Sollten die Berufungsgerichte dagegen zu dem Ergebnis kommen, dass die Kündigungen wirksam sind, werden sie zu prüfen haben, welches die angemessenen Bedingungen für die Pflichteinspeisung und –übertragung der öffentlich-rechtlichen Programme über das Kabelnetz der Klägerin sind. 

Je nach Ergebnis der Feststellungen kann sich eine Zahlungsverpflichtung der Rundfunkanstalten oder eine Pflicht zur unentgeltlichen Einspeisung ergeben. Im Hinblick auf die hierzu erforderlichen Feststellungen hat der Bundesgerichtshof die Urteile aufgehoben und die Verfahren an die Berufungsgerichte zurückverwiesen. 

Der Streit wird daher weitergehen, sofern sich keine politische Lösung im Sinne einer Ergänzung des RStV ergeben sollte, die nicht in Sicht ist. 

Vorinstanzen: 
KZR 83/13 LG Stuttgart - Urteil vom 20. März 2013 - 11 O 215/12 WuW/E DE-R 3952 
OLG Stuttgart - Urteil vom 21. November 2013 - 2 U 46/13 ZUM 2015, 63 
und KZR 3/14 
LG München I - Urteil vom 25. April 2013 - 17 HK O 16920/12 ZUM-RD 2014, 119 
OLG München Urteil vom 28. November 2013 - U 2094/13 Kart, WuW/E DE-R 4180 
Karlsruhe, den 16. Juni 2015
Quelle: Bundesgerichtshof Mitteilung der Pressestelle Nr. 096/2015 vom 16.06.2015

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen