Mittwoch, 19. November 2014

Zulässige Verdachtsberichterstattung nach Ausräumung des Verdachts

Der BGH hat am 18.11.2014 ein interessantes Urteil zur Verdachtsberichterstattung gefällt und zwar zu der immer öfter anzutreffenden Variante, dass sich die ursprüngliche Verdachtsberichterstattung im Nachhinein als unrichtig darstellt. 

Verdachtsberichterstattungen bewegen sich trotz einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen zu den Problemzonen dieser Form der Berichterstattung in einer rechtlichen Grauzone. Im Regelfall betrifft die Verdachtsberichterstattung Tatverdächtige in Ermittlungs - und Strafverfahren, für die Unschuldsvermutung gilt, solange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind. Ein besonderes Problem sind Namensnennung oder identifizierende Verdachtsberichterstattung. Die Anforderungen sind relativ streng, aber die Presse geht in diesem Bereich auch durchaus Risiken ein. Gefordert wird als Eingriffsschwelle ein schwerwiegendes Vorkommnis mit gesellschaftlicher Relevanz, bei der die Unschuldsvermutung beachtet werden muss. Oftmals ist dies letztlich nur eine Frage der Darstellung. Sehr flexibel sind die Anforderungen an eine Anonymisierung, die vom Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen abhängt. Letztlich sollte der Betroffene zuvor gehört werden, was in immer mehr Fällen in Interviewsituationen geschieht, in denen ein Verdächtiger mit derartigen Konfrontationen nicht rechnet. Die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht in Orientierung am Pressekodex sind einzuhalten.

Der vom VI. Zivilsenat entschiedene Fall betrifft die Frage eines Berichtigungsanspruchs eines Betroffenen bei einer ursprünglich zulässigen Verdachtsberichterstattung. Allerdings lag der Fall hier so, dass der betreffende Tatverdacht später vollständig ausgeräumt worden war. 

Sachverhalt: 

Der Kläger ist ehemaliger Chefjustiziar einer Bank. Er verlangt die Richtigstellung einer ihn betreffenden Berichterstattung in einem von der Beklagten verlegten Nachrichtenmagazin. Der angegriffene Beitrag geht der Frage nach, ob ein wegen des Verdachts von Pflichtverletzungen entlassenes Vorstandsmitglied der Bank Opfer einer Falschbezichtigung geworden ist. Der Beitrag berichtet über ein gegen einen früheren Sicherheitsberater der Bank eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, das Büro des ehemaligen Vorstandsmitglieds verwanzt, dessen Privatwohnung durchsucht und beim Frisieren von Dokumenten mitgeholfen zu haben. In diesem Zusammenhang gibt der Beitrag Aussagen des früheren Sicherheitsberaters wieder, wonach der namentlich genannte Kläger und zwei weitere Personen an der Beauftragung dieser Maßnahmen mitgewirkt haben sollen. Nach der Veröffentlichung des Beitrags wurde eine notarielle Erklärung des früheren Sicherheitsberaters bekannt, in der dieser von seinen angeblichen früheren Aussagen abrückte. Später wurde ein gegen ihn und den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren eingestellt. Das Oberlandesgericht hat sich nach einer Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Verdacht, der Kläger habe an Abhörmaßnahmen gegen das ehemalige Vorstandsmitglied mitgewirkt, unberechtigt sei. Es hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, in ihrem Nachrichtenmagazin unter der Überschrift "Richtigstellung" eine Erklärung zu veröffentlichen, wonach sie den Verdacht nicht aufrechterhalte. 

Entscheidung des BGH: 

Der Bundesgerichtshofs das angefochtene Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Senat geht davon aus, dass die betreffende Verdachtsberichterstattung den Kläger in ihrer ursprünglich veröffentlichten Form den Kläger nicht vorverurteilte und somit seinerzeit rechtmäßig war. 

Jedenfalls waren die möglichen Verfehlungen von Führungskräften der Bank, die im Zuge der Finanzkrise verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten war, ein Vorgang von gravierendem Gewicht, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt war. Die Beklagte hat auch einen hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen dargetan, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung für eine Beteiligung des Klägers an den fraglichen Vorgängen sprachen. Denn nach dem Vortrag der Beklagten stützte sich der Beitrag unter anderem auf Aussagen des früheren Sicherheitsberaters gegenüber den Autoren des Berichts und auf einen Vermerk der Staatsanwaltschaft. Auch hatten die Autoren den Kläger und eine weitere Person angehört, die an der Beauftragung des früheren Sicherheitsberaters mitgewirkt haben sollte. Dies war unter den konkreten Umständen des Falles ausreichend.

Dennoch ein Berichtigungsanspruch?

Ein Berichtigungsanspruch kommt zwar in solchen Fällen grundsätzlich in Betracht, wenn eine Rufbeeinträchtigung andauert und - wie im Streitfall - der Tatverdacht später ausgeräumt wird. Der Senat nimmt jedoch in Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) sowie dem Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) vor, die zum Ergebnis hat, dass das Presseorgan nicht verpflichtet werden kann, sich nach einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung selbst ins Unrecht zu setzen. 

Infolgedessen wird in derartigen Fällen kein Berichtigungsanspruch gewährt. 

Nachtrag starr Berichtigung?

Ein Betroffener kann daher bei späterer Ausräumung des Verdachts und Fortwirkung einer Beeinträchtigung von dem Presseorgan allenfalls einen Nachtrag fordern, aber nicht die Richtigstellung der ursprünglichen Berichterstattung. Ein solcher Nachtrag muss aber den Anforderungen an die journalistische Sorgfalt genügen und klarstellen, dass der Verdacht nach Klärung des Sachverhalts nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Offen bleibt das "Wie" eines solchen Nachtrages, für das nach hier vertretener Auffassung die Regelungen über einen Gegendarstellungsanspruch eine gewisse Orientierung bieten sollten. 

BGH, AZ: VI ZR 76/14 - Urteil vom 18. November 2014 
 LG Hamburg - Urteil vom 20. April 2012 - 324 O 628/10 
 Hanseatisches OLG - Urteil vom 28. Januar 2014 - 7 U 44/12 ZUM-RD 2014, 354 
 Karlsruhe, den 18. November 2014 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofes

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