Dienstag, 9. Dezember 2014

BGH zur maximalen Höhe von Anzahlungen auf den Reisepreis und zur Bemessung von Rücktrittspauschalen

I. Überblick

In welcher maximalen Höhe bei Pauschalreisen Anzahlungen auf den Reisepreis verlangt werden können, war umstritten, nachdem § 651 K IV BGB a.F. zum 01.01.1997 nach Einführung des Sicherungsscheines geändert worden war, der noch eine Grenze von 10 % vorgesehen hatte (die Problematik sollte nicht mit den Stornoklauseln verwechselt werden, die ein eigenes Problem darstellen). 

Zuvor hatte der BGH eine verhältnismäßig geringe Anzahlung gefordert, wobei allerdings das Zug -um - Zug - Prinzip des § 320 BGB zu beachten ist. Die Pauschalreiserichtlinie überlässt die Höhe der maximal zulässigen Anzahlung den Mitgliedstaaten und in Deutschland ist hierzu keine Regelung getroffen worden. Bislang wurde die Grenze überwiegend bei etwa 20 % gesehen, zumal es unbeschadet des Sicherungsscheines für eine derartige Absicherung ein legitimes Interesse der Reiseveranstalter gibt. Angesichts der Unterschiede bei den Reisen ist eine starre Grenze im Rahmen der Güter - und Interessenabwägung schwierig und problematisch. Die Anzahlung darf ohnehin erst nach Übergabe des Sicherungsscheines gefordert und angenommen werden, was zum Problem der Fälligkeit führt. Hinzu kommen Kosten für Reiserücktrittspauschalen in AGB. 

Angesichts dieser Rechtslage ist die unterschiedliche AGB - Gestaltungspraxis in diesem Bereich wenig verwunderlich. 

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat des BGH hat sich nunmehr in drei Verfahren mit der Wirksamkeit von Klauseln in Reisebedingungen zu Anzahlungen auf den Reisepreis, zu dem Zeitpunkt der Fälligkeit des Gesamtpreises und zu Rücktrittspauschalen befasst. 

Allerdings lassen diese Entscheidungen durchaus Fragen offen und schaffen Raum für eine Änderung der AGB - Gestaltungspraxis in diesem Bereich, die neue Problemstellungen hervorrufen können.  

II. Sachverhalte

1. In dem Verfahren X ZR 85/12 verlangte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. von der beklagten Reiseveranstalterin, die u.a. über das Internet im Rahmen eines die Bündelung von Reiseteil- und Einzelleistungen zu einem Leistungspaket ("Dynamic Packaging") anbietet, es zu unterlassen, beim Abschluss von Pauschalreisen Reisebedingungen zu verwenden, nach denen der Reisende u.a. innerhalb einer Woche nach Erhalt seiner Reisebestätigung eine Anzahlung von 40 % vom Gesamtpreis und den Rest des Reisepreises bis spätestens 45 Tage vor Reiseantritt zu zahlen hat und nach denen bei Flugreisen bei einem Rücktritt des Reisenden gestaffelte Entschädigungspauschalen nach § 651i Abs. 3 BGB zu zahlen sind, die bis 30 Tage vor Reisebeginn 40 % des Reisepreises betragen und die stufenweise auf bis zu 90 % ansteigen, die der Reiseveranstalter bei einem Rücktritt am Tag des Reiseantritts oder bei Nichterscheinen beansprucht.  

Das Landgericht hat der Beklagten die Verwendung der Klauseln untersagt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die von der Beklagten bei Vertragsabschluss geforderte Anzahlung von 40 % des Reisepreises benachteilige den Vertragspartner unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB. Auch die Regelung in den AGB der Beklagten, nach der der Restbetrag bereits 45 Tage vor Reiseantritt fällig werde, verstoße gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und § 320 BGB. Die Klauseln zu den Stornierungsgebühren bei Flugreisen seien wegen Verstoßes gegen § 651i BGB ebenfalls unwirksam. 

2. In dem Fall X ZR 13/14 verlangt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. von der beklagten Reiseveranstalterin, die Verwendung von Reisebedingungen zu unterlassen, nach denen der Reisende innerhalb einer Woche nach Erhalt der Reisebestätigung eine Anzahlung von 25 %, bei Reisen aus "Last-Minute-Programmen" jedoch von 30% zu leisten hat, die Restzahlung jeweils 40 Tage vor Reiseantritt fällig wird und nach denen bei Flugreisen, "Last-Minuten-Reisen" und anderen Reisen jeweils unterschiedlich gestaffelte Rücktrittspauschalen zahlbar sein sollen, die bei Flugreisen mit 25 % des Reisepreises beginnen, die bei einem Rücktritt bis 42 Tage vor Reisebeginn verlangt werden, und bei "Last-Minute-Reisen" mit 40 % bei einem Rücktritt bis zum 30. Tag vor Reisebeginn. Die Instanzgerichte haben der Beklagten auch in diesem Fall die Verwendung der Klauseln untersagt. 

3.  In dem Verfahren X ZR 147/13 verlangt der klagende Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände von der beklagten Reiseveranstalterin, die Verwendung von Reisebedingungen zu unterlassen, nach denen bei Vertragsabschluss gegen Aushändigung der Bestätigung die Anzahlung (die in der Regel 25% beträgt) bei gesondert gekennzeichneten Top-Angeboten sowie ausgewählten, kurzfristigen bzw. preisreduzierten Specials, Sparreisen und Reisen bestimmter Marken sowie Ticket-Paketen aus Leistungsbeschreibungen mit dem Titel "Musicals & Shows" 40 % des Gesamtpreises betragen soll. 

Das Landgericht hat der Beklagten die Verwendung der Klausel untersagt. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die von der Beklagten unmittelbar bei Vertragsabschluss geforderte Anzahlung von 40 % des Reisepreises sei weitgehend intransparent, d. h. nicht klar und verständlich und benachteilige den Vertragspartner unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 BGB. 

III. Entscheidungen des BGH

Der Bundesgerichtshof hat in den beiden ersten Fällen die Revision des Reiseveranstalters insgesamt und im dritten Fall teilweise zurückgewiesen Er hat auch in der Sache X ZR 85/12 die Beklagte als Reiseveranstalterin angesehen, da sie dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu einem Gesamtpreis zur Verfügung stellt. Die Problematik dedr Staffelklauseln scheint er offen gelassen zu haben. 

In allen drei Fällen stellte sich unter dem Aspekt einer AGB - Inhaltskontrolle der betreffenden Klauseln die Frage, ob der Reiseveranstalter eine höhere Anzahlung als die bisher anerkannten 20 % des Reisepreises verlangen kann, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. 

Eine von § 320 BGB abweichende Vorleistungspflicht, wie sie die Verpflichtung des Reisenden zur Leistung einer Anzahlung darstellt, kann durch AGB begründet werden, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Dieser sachliche Grund ist grundsätzlich gegeben. 

Für Anzahlungsklauseln, bei die Grenze von 20 % des Reisepreises nicht überstiegen wird, hat der Bundesgerichtshof es hinreichen lassen, dass es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Vorleistung des Reisenden handelt, der durch den zwingend zu übergebenden Sicherungsschein gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert ist. Letztlich knüpft der BGH insoweit an seine frühere Rechtsprechung an. Allerdings enthält die Entscheidung eine Absage an eine strikte Grenzziehung bei 20 %, die von erheblichem Interesse für die Klauselgestaltungspraxis ist, aber vom Ansatz her angesichts der Unterschiede bei den Angeboten und den damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken verständlich.

Nach der interessanten Entscheidung des BGH ist die Vereinbarung einer höheren Anzahlungsquote in AGB keineswegs völlig ausgeschlossen, wenn der Reiseveranstalter transparent darlegt, dass die von ihm bei Vertragsschluss zu leistenden Aufwendungen bei denjenigen Reisen, für die die höhere Anzahlung verlangt werden, typischerweise die geforderte Quote erreichen, was letztlich die Angabe nachvollziehbarer Gründe erfordert. Es stellt allerdings einige Anforderungen an die Klauselgestaltungspraxis auf dieser Basis eine transparente Klausel zu entwickeln.

In den seitens des BGH entschiedenen Fällen haben die beklagten Reiseveranstalter dieser Darlegungspflicht  in den beiden ersten Fällen nicht genügt. Im dritten Fall, in dem der Bundesgerichtshof anders als das Oberlandesgericht die Klausel nur teilweise als unklar angesehen hat, ist dies vom Berufungsgericht aufgrund der Zurückverweisung noch zu prüfen. 

Was die Fälligkeit des Gesamtpreises betrifft, hat der BGH eine Zahlungsverpflichtung bis 30 Tage vor Reisebeginn als angemessen erachtet. Die Reiseveranstalter haben nicht dargetan, dass dieser Zeitraum in einer praktisch relevanten Anzahl von Fällen nicht ausreicht, um bei einer ausbleibenden Zahlung die Reise anderweitig verwerten zu können. 

Die Klauseln betreffend die Rücktrittspauschalen sind sämtlich unwirksam, weil die beklagten Reiseveranstalter nicht ausreichend dargelegt haben, dass gewöhnlich Stornierungskosten in der behaupteten Höhe anfallen. Dieser Teil der Entscheidungen lässt sehr viele Fragen offen und könnte so verstanden werden, dass Art und Umfang der Entstehung von Stornokosten belegt werden müssten, was durchaus aus jenseits der Reisebranche von Interesse ist. 

Jedenfalls werden die Urteile dazu führen, dass die Klauselpraxis in den genannten Bereichen Änderungen herbeiführen, die dann wiederum seitens der Verbraucherschutzverbände kritisch geprüft werden dürften. 

BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 85/12 
LG Leipzig – Urteil vom 11. November 2011 – 8 O 3545/10 
OLG Dresden – Urteil vom 21. Juni 2012 – 8 U 1900/11 
BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 13/14 
LG Frankfurt am Main - Urteil vom 28. März 2013 – 2-24 O 196/12 
OLG Frankfurt am Main - Urteil vom 16. Januar 2014 - 16 U 78/13 
BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 147/13 
LG Hannover – Urteil vom 30. Oktober 2012 – 18 O 129/12 
OLG Celle – Urteil vom 28. November 2013 – 11 U 279/12 
Quelle: Mitteilung der Pressestelle Nr. 183-14/2014 vom 09.12.2014 

Freitag, 5. Dezember 2014

Unterlassungsansprüche in der Wohnungseigentümergemeinschaft

Bundesgerichtshof : Zur gerichtlichen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen wegen Ausübung der Prostitution in einer Wohneinheit in einer Wohnungseigentümergemeinschaft 

Nach § 14 WEG muss ein anderer Wohnungseigentümer einen Nachteil dann nicht hinnehmen, wenn dieser bei einem geordneten Zusammenleben über das unvermeidliche Maß hinausgeht. In diesem Rahmen sind widerstreitende Interessen aus Art. 14 GG gegeneinander abzuwägen, um zu einem pragmatischen Ausgleich zu gelangen. Dies gilt auch bei Störungen im Rahmen der §§ 823, 1004 BGB. Aus § 15 Abs.3 i.V.m. § 43 WEG folgt ein Anspruch des betroffenen Wohnungseigentümers auf Unterlassung der betreffenden Störung. 

Das Gesetz regelt aber nicht ausdrücklich, ob ein solcher Anspruch dem einzelner Wohnungseigentümer gegen den Störer zusteht oder ob dieser Ansprüch über die Eigentümergemeinschaft geltend zu machen ist (arg. § 10 WEG). Etwa indem ein Antrag auf Einberufung einer außerordentlichen Eigentümerversammlung an den Verwalter gestellt werden kann, mit einem entsprechenden Vorschlag zur Tagesordnung, der nur aus wichtigem Grund abgelehnt werden darf, wenn eine nicht unerhebliche Störung wegen unzulässigen Gebrauchs im Raum steht. Ein solches Vorgehen stellt einen recht sicheren Weg dar, um zu einer Klärung zu gelangen. 

Der Anspruch steht zwar dem einzelnen Wohnungseigentümer zu, allerdings kann sich der Verband nach der bisherigen herrschenden - wenn auch umstrittenen - Linie der Rechtsprechung durch Mehrheitsbeschluss zur Geltendmachung des Anspruchs ermächtigen, was aus § 10 WEG gefolgert wird und zu einer besonderen Form des Prozesstandschaft führt (so etwa schon BayObLG v. 30.05.1996 - AZ; 2 Z BR 9/96; BayObLG v. 15.01.2004 - AZ: 2 Z BR 225/03). 

Lehnt die Eigentümergemeinschaft eine solche Rechtsverfolgung ab, besteht nach herrschender Auffassung kein Rechtsschutzdürfnis für eine Erzwingung eines solchen Beschlusses, sondern in einem solchen Falle kann der einzelne Wohnungseigentümer seinen Individualanspruch ohne die Gemeinschaft verfolgen. Wird ein Beschluss gefasst, aber nicht umgesetzt, kann sich im Innenverhältnis ein Anspruch der Eigentümer auf Umsetzung ergeben.

Über einen solchen Fall hatte nunmehr der BGH zu entscheiden, der sich eingehend mit der bislang umstrittenen Frage befasst hat, unter welchen Voraussetzungen einzelne Wohnungseigentümer vor Gericht verlangen können, dass Störungen des gemeinschaftlichen Eigentum unterbleiben, wenn keine unmittelbare Beeinträchtigung des Sondereigentums besteht.

Der BGH hat jetzt im Sinne einer kollektivrechtlichen Betrachtungsweise entschieden, dass eine individuelle Rechtsverfolgung nicht mehr möglich ist, wenn die Wohnungseigentümer mehrheitlich beschlossen haben, dass ihre Ansprüche gemeinschaftlich geltend gemacht werden sollen und folgt insoweit dem Lösungsansatz des BayObLG (das nicht mehr existiert). 

Im Ausgangsfall sind beide Parteien Mitglieder derselben Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger sieht sich nach § 14 WEG dadurch in Rechten gestört, dass in der Wohnung des Beklagten Prostitution gewerblich ausgeübt wird.  Am 14. Mai 2011 fassten die Eigentümer mehrheitlich den folgenden Beschluss:

 "Die Wohnungseigentümer beschliessen, dass die ihnen aus ihrem Eigentum zustehenden Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche wegen der gewerbsmäßigen Prostitution im Objekt xyz, gemeinschaftlich durch den Verband geltend gemacht werden sollen. Die Verwaltung wird beauftragt, einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung der Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu den üblichen Rechtsanwaltsgebühren zu beauftragen." 

Der Kläger wollte ungeachtet dessen mit seiner Klage erreichen, dass der Beklagte es nach § 1004 BGB unterlassen muss, seine Wohnung zur Ausübung der Prostitution zu nutzen, und sie Dritten nicht für solche Zwecke zu überlassen. Allerdings war die Wohnungseigentümergemeinschaft zum Zeitpunkt der Klageerhebung im vorliegenden Verfahrens noch nicht gegen den Beklagten vorgegangen und hatte den mehrheitlich nach § 25 WEG gefassten Beschluss daher noch nicht umgesetzt. 

Amtsgericht und Landgericht haben die Klage in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung als unzulüssig angesehen. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidungen bestätigt und die Revision des Klägers zurückgewiesen und für solche Fälle jetzt Rechtsklarheit geschaffen. 

Der BGH begründet diess damit, dass, wenn die Substanz oder die Nutzung des Gemeinschaftseigentums beeinträchtigt werden, darauf bezogene Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im Grundsatz zwar den einzelnen Wohnungseigentümern zustehen und von ihnen vor Gericht geltend gemacht werden können. Dennoch sind diese Ansprüche gleichzeitig auch gemeinschaftsbezogen. Daher haben die  Wohnungseigentümer über die Eigentümerversammlung die rechtliche Kompetenz zu beschließen, dass derartige Ansprüche gemeinschaftlich geltend gemacht werden sollen, was letztlich auch sinnvoll ist. Ist dies der Fall, wird hierdurch eine alleinige Zuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft begründet. Die Begründung einer solchen Kompetenz schließt im Umfang der Beschlussfassung die einzelnen Wohnungseigentümer von der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs aus. Dies führt in der Praxis dazu, dass solche Beschlüsse hinsichtlich des konkreten Inhaltes genau geprüft werden müssen, die überdies unter Umständen auch der Anfechtung unterliegen können. 

Der BGH sieht den entscheidender Gesichtspunkt darin, dass die Ausübungsbefugnis des Verbands dem Willen der Mehrheit entspricht, wobei es allerdings auch auf den Inhalt der Beschlussfassung ankommen kann. Unterlassungsansprüche können auf unterschiedliche Weise durchgesetzt werden, etwa indem sie “ als milderes Mittel"  nur die Einhaltung bestimmter Auflagen verlangen. Dies wiederum kann im Einzelfall zu wenig sein.

Dem Verband obliegt es von der Beschlussfassung an, die mehrheitlich gewollte Lösung konsequent durchzusetzen. Dies schützt auch den Schuldner vor einer mehrfachen Inanspruchnahme mit möglicherweise unterschiedlicher Zielsetzung. Setzt die Wohnungseigentümergemeinschaft den gefassten Beschluss nicht um, kann ein einzelner Wohnungseigentümer im Innenverhältnis verlangen, dass sie Klage einreicht, was völlig sachgerecht ist, zumal der Verwalter verpflichtet ist, solche Beschlüsse umzusetzen (§ 27 Abs.1 Nr.1 WEG) und sich insoweit auch Haftungsansprüchen bei schuldhafter Nichtausführung aussetzt. 

Nach der neuen Rechtsprechung des BGH kann ein einzelner Wohnungseigentümer in derartigen Fällen nur noch dann selbst Klage erheben, wenn die betreffende Störung sein Sondereigentum unmittelbar beeinträchtigt oder aber die Eigentümergemeinschaft ein solches Vorgehen rechtmäßig ablehnt. Offen bleibt die Frage, ob in solchen Fällen nunmehr bei Untätigkeit nicht doch ein Anspruch auf das Tätigwerden der Eigentümergesellschaft besteht, was dass Urteil des BGH nahelegen könnte. Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 14. Mai 2011 hat daher die alleinige Zuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft begründet. 

Der BGH hat vorliegend eine unmittelbare Beeinträchtigung des Klägers abgelehnt. Der Kläger stützte seine Klage ausschließlich auf Störungen des gemeinschaftlichen Eigentums durch den bordellartigen Betrieb in Gestalt von Lärmbelästigungen und Verschmutzungen des Treppenhauses und der Fluren, die lediglich eine mittelbare Beeinträchtigung darstellen. Der BGH ist überdies der Auffassung, dass das Sondereigentum des Klägers durch negative Auswirkungen auf den Verkehrswert und die Vermietbarkeit nur indirekt betroffen werden, so dass ein etwaiger Wertverlust - der ohnehin das Objekt als Ganzes betreffen würde - hier keine unmittelbare Beeinträchtigung darstellt. Auch eine rechtsmissbräuchliche Verzögerung der Rechtsverfolgung durch den Verband hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei unter Hinweis darauf verneint, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft bereits mehrere Verfahren (gegen andere Wohnungseigentümer) zur Unterbindung der Prostitution in der Anlage eingeleitet habe. Alles in allem führt dies zu einer Unzulässigkeit der Klage, so dass nicht zur Sache verhandelt werden muss und auch eine Zurückverweisung nicht in Betracht kam, weil die Frage, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft die Unterlassung der Prostitution berechtigt verlangen kann, nicht Gegenstand dieses Verfahrens war. 

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2014, Az.  V ZR 5/14 
AG NÜrnberg-Fürth; Urteil vom 10. Juli 2013, AZ 4 C 1152/12 
 LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 19. Dezember 2013, AZ: 14 S 5795/13 WEG 
 Karlsruhe, den 5. Dezember 2014 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Freitag, 28. November 2014

Anforderungen an Schutzmaßnahmen für Videospiele nach § 95 a UrhG

Bundesgerichtshof zu Schutzmaßnahmen für Videospiele 

Unter welchen Voraussetzungen technische Maßnahmen nach § 95 a UrhG zum Schutz von urheberrechtlich geschützten Videospielen selbst Urheberrechtsschutz genießen können, war lange umstritten. 

Der Bundesgerichtshofs hat nunmehr entschieden, unter welchen Voraussetzungen technische Maßnahmen zum Schutz urheberrechtlich geschützter Videospiele ihrerseits Schutz genießen können. Der Markt ist sehr umkämpft und dies drückt sich auch in entsprechenden Rechtsstreitigkeiten aus. Die ursprüngliche Beklagte war im Zeitpunkt der Entscheidung bereits insolvent, allerdings waren die Geschäftsführer im Rahmen der urheberrechtlichen Repräsentantenhaftung auch persönlich in Anspruch genommen worden. 

Es geht um Videospiele für Konsole und nicht etwa um Browser-Games: 

"Die Klägerin produziert und vertreibt Videospiele und Videospiel-Konsolen, darunter die Konsole "Nintendo DS" und zahlreiche dafür passende Spiele. Sie ist Inhaberin der urheberrechtlichen Schutzrechte an den Computerprogrammen, Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken, die Bestandteil der Videospiele sind. Die Videospiele werden ausschließlich auf besonderen, nur für die Nintendo-DS-Konsole passenden Speicherkarten angeboten, die in den Kartenschacht der Konsole eingesteckt werden. 

Die frühere Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2 und 3 waren und über deren Vermögen im Laufe des Revisionsverfahrens das Insolvenzverfahren eröffnet und der jetzige Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist, bot im Internet Adapter für die Nintendo-DS-Konsole an und zwar ohne Lizenz der Klägerin. 

Diese Adapter sind den originalen Speicherkarten in Form und Größe genau nachgebildet, damit sie in den Kartenschacht der Konsole passen. Sie verfügen über einen Einschub für eine Micro-SD-Karte oder über einen eingebauten Speicherbaustein ("Flash-Speicher"). Nutzer der Konsole können mit Hilfe dieser Adapter im Internet angebotene Raubkopien der Spiele auf der Konsole verwenden. Dazu laden sie solche Kopien der Spiele aus dem Internet herunter und übertragen diese sodann entweder auf eine Micro-SD-Karte, die anschließend in den Adapter eingesteckt wird, oder unmittelbar auf den eingebauten Speicherbaustein des Adapters. 

Die Klägerin sieht in dem Vertrieb der Adapter einen Verstoß gegen § 95a Abs. 3 UrhG. Diese Bestimmung regelt den Schutz wirksamer technischer Maßnahmen, die ihrerseits dem Schutz urheberrechtlich geschützter Werke dienen. 

Die Klägerin hat die Beklagten auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil weitgehend aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen". 

Die Entscheidung des BGH: 

Die Entscheidung des BGH hat grundsätzliche Bedeutung für die Beurteilung auch zukünftiger Sachverhalte in diesem Bereich. Wie der BGH eingehend ausführt, ist nach § 95a Abs. 3 Nr. 3 UrhG (unter anderem) der Verkauf von Vorrichtungen verboten, die hauptsächlich hergestellt werden, um die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen zu ermöglichen. Diese Vorschrift schützt auch technische Maßnahmen zum Schutz für Videospiele, die damit selbst urheberrechtlichen Schutz genießen, wobei die Anforderungen an das Schutzniveau von Interesse sind. 

Der BGH geht auch davon aus, dass es sich bei der konkreten Ausgestaltung der von der Klägerin hergestellten Karten und Konsolen um solche Schutzmaßnahme handelt, weil  die Karten und Konsolen in ihren Abmessungen so aufeinander abgestimmt sind, dass ausschließlich Nintendo-DS-Karten in die Nintendo-DS-Konsolen passen. Dadurch wird verhindert, dass Raubkopien von Videospielen der Klägerin auf den Konsolen abgespielt und damit unbefugt vervielfältigt werden können. Letztlich ist eine solche Schutzmaßnahme gegen Raubkopien vom Vertriebsinteresse der Klägerin her auch nachvollziehbar. 

Die von der Beklagten zu 1 vertriebenen Adapterkarten sind auch hauptsächlich zur Umgehung dieser Schutzvorrichtung hergestellt worden. Die Möglichkeit des Abspielens von Raubkopien bildet den maßgeblichen wirtschaftlichen Anreiz zum Kauf der Adapter. Dahinter treten die legalen Einsatzmöglichkeiten der Adapter eindeutig in den Hintergrund. Sie sind aber nicht völlig zu verneinen, was der BGH auch ausdrücklich feststellt. In anders gelagerten Fallen kann daher der Entscheidungsansatz auch differenziert vorgenommen werden. Nach der Entscheidung des BGH ist auch dieser Fall hinsichtlich seines Ausganges noch offen.

Die bisher vorgenommene Beweiserhebung reicht dem BGH nicht aus, um zu dem Verdikt zu gelangen, dass die Beklagten rechtswidrig nach § 97 UrhG gehandelt haben. Das Berufungsgericht hat nach der Auffassung des BGH nicht geprüft, ob der Einsatz der technischen Schutzmaßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt und legale Nutzungsmöglichkeiten nicht in übermäßiger Weise beschränkt werden.   Genau dies ist hier der zentrale Punkt, da diese technischen Schutzmaßnahmen ihrerseits zu Beschränkungen für die Nutzer führen, was eine Interessen- und Güterabwägung erforderlich macht. 

Nach der überzeugenden Auffassung des BGH reichen die seitens des Berufungsgerichts bislang getroffenen Feststellungen nicht aus, um die Annahme zu rechtfertigen, dass der jetzige Beklagte zu 1 als Insolvenzverwalter und die Beklagten zu 2 und 3 als Geschäftsführer wegen des rechtswidrigen Vertriebs der Adapterkarten durch die frühere Beklagte zu 1 auf Unterlassung haften.  Auch der von der Klägerin erhobene Schadensersatzanspruch konnte auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht bejaht werden. 

Völlig konsequent hat der BGH daher die Sache daher insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das die erforderlichen Feststellungen in einer neuen Beweisaufnahme nachzuholen hat, ggf. durch Sachverständigengutachten. 

BGH, Urteil vom 27. November 2014 - I ZR 124/11 - Videospielkonsolen II 
LG München I -Urteil vom 14. Oktober 2009 - 21 O 22196/08 MMR 2010, 341 
OLG München - Urteil vom 9. Juni 2011 - 6 U 5037/09 
Karlsruhe, 27. November 2014 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 
Mitteilung der Pressestelle Nr. 175/2014 vom 27.11.2014

Reisebüros müssen Insolvenzsicherung für Reiseveranstalter aus der EU nachweisen

Bundesgerichtshof: Reisebüros müssen Insolvenzsicherung für Reiseveranstalter aus der EU nachweisen

Die nachfolgend referierte Entscheidung des BGH ist in der Praxis wenigstens teilweise auf Unverständnis gestoßen. Sie ist ohne Kenntnis des Systems des Sicherungsscheines kaum verständlich. § 651k BGB (Sicherstellung, Zahlung), der Art. 7 der EU - Pauschalreiserichtlinie umsetzt, enthält hierzu eine umfassende Regelung, die nachstehend auszugsweise wieder gegeben wird: "

… (4) Reiseveranstalter und Reisevermittler dürfen Zahlungen des Reisenden auf den Reisepreis vor Beendigung der Reise nur fordern oder annehmen, wenn dem Reisenden ein Sicherungsschein übergeben wurde. Ein Reisevermittler gilt als vom Reiseveranstalter zur Annahme von Zahlungen auf den Reisepreis ermächtigt, wenn er einen Sicherungsschein übergibt oder sonstige dem Reiseveranstalter zuzurechnende Umstände ergeben, dass er von diesem damit betraut ist, Reiseverträge für ihn zu vermitteln. Dies gilt nicht, wenn die Annahme von Zahlungen durch den Reisevermittler in hervorgehobener Form gegenüber dem Reisenden ausgeschlossen ist. 

 (5) Hat im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Reiseveranstalter seine Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, so genügt der Reiseveranstalter seiner Verpflichtung nach Absatz 1 auch dann, wenn er dem Reisenden Sicherheit in Übereinstimmung mit den Vorschriften des anderen Staates leistet und dies den Anforderungen nach Absatz 1 Satz 1 entspricht. Absatz 4 gilt mit der Maßgabe, dass dem Reisenden die Sicherheitsleistung nachgewiesen werden muss". 

MIt dieser Regelung soll sicher gestellt werden, dass der Pauschalreisende bei Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Reiseveranstalters den Reisepreis zurückerhält, wenn sie aufgrund Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz ausfallen und ggf. auch die Rückreisekosten erstattet bekommt, sofern sie auf diesen Umständen beruhen. Angesichert wird dies durch eine spezielle Versicherung, die im Geltungsbereich der je nationalen Umsetzungsvorschrift abgeschlossen werden muss. Diese Verpflichtung wird durch einen Sicherungsschein abgesichert, den der Reiseveranstalter dem Reisenden übergeben lassen muss (meist über den Reisevermittler). Die Übergabe des Sicherungsscheins bekundet überdies Vertretungsmacht des Reisevermittlers für den Reiseveranstalter, der ohne Sicherungsschein keine Zahlungen auf den Reisepreis entgegen nehmen darf. Die "offene Flanke" dieses Systems wird durch § 651 k Abs.5 BGB markiert, der den Fall regelt, dass der Reiseveranstalter seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR hat. In einem solchen Fall, muss dem Reisenden Sicherheit in Übereinstimmung mit den Vorschriften des anderen Staates geleistet werden, wenn diese der deutschen Absicherung äquivalent ist. Diese Sicherheitsleistung muss in deutscher Sprache (§ 10 BGB-Info-VO) nachgewiesen werden. Es hätte sich bereits auf der Ebene des EU - Rechts angeboten, hier eine Vollharmonisierung vorzunehmen. Die Probleme ergeben sich in solchen Fällen dadurch, dass die Versicherung die grenzüberschreitende Regulierung verweigert, unter Hinweis auf das je nationale versicherungsrechtliche Absicherungsystem.  

Der BGH hat nunmehr über die Pflicht eines Reisevermittlers zum Nachweis einer für den Insolvenzfall des Reiseveranstalters geltenden Kundengeldabsicherung entschieden, wenn der Reiseveranstalter seinen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat, hier in den Niederlanden. Eine Vorlage an den EuGH in dieser Sache hätte nahegelegen. 

Der Ausgangssachverhalt stellte sich wie folgt dar: 

Die Kläger buchten im Oktober 2011 über die Beklagte, die als Internet-Reisebüro tätig ist, bei einem niederländischen Reiseveranstalter eine viertägige Flusskreuzfahrt. Nach Erhalt der Rechnung und Reisebestätigung zahlten die Kläger den auf sie entfallenden Reisepreis an die Beklagte. Den Klägern wurde ein als Sicherungsschein bezeichnetes Dokument eines niederländischen Kundengeldabsicherers in Kopie vorgelegt. Weiterhin hatte sich die Beklagte bei dem Reiseveranstalter über das Bestehen einer Kundengeldabsicherung erkundigt. Wegen finanzieller Schwierigkeiten des niederländischen Reiseveranstalters fand die Kreuzfahrt nicht statt. Der Reiseveranstalter, der später Insolvenz anmeldete, zahlte den Reisepreis nicht zurück. Der Kläger hatte hier die Wahl entweder das niederländische Versiucherungsunternehmen zu verklagen oder aber den Reisevermittler und hat sich für die letztere Variante entschieden. 

Der niederländische Kundengeldabsicherer lehnte eine Erstattung des Reisepreises mit der Begründung ab, dass seine Haftung auf die auf dem niederländischen Markt angebotenen und abgeschlossenen Reisen beschränkt sei, wozu die Reise der Kläger nicht zähle. 

Das Amtsgericht hat der auf Rückzahlung des Reisepreises gerichteten Klage gegen den Reisevermittler stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hätte sich die Beklagte vor Forderung oder Annahme des Reisepreises vergewissern müssen, dass den Klägern eine zweifelsfrei bestehende Absicherung des von ihnen gezahlten Reisepreises positiv nachgewiesen ist. Das Wissen um die Existenz eines Sicherungsscheins ersetze nicht die Prüfung seiner räumlich uneingeschränkten Geltung. 

Die Lösung des BGH: 

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Gemäß § 651k Abs. 4 iVm Abs. 5 Satz 2 BGB  hat ein Reisevermittler wie die Beklagte auch hinsichtlich eines im EU-Ausland ansässigen Reiseveranstalter das Bestehen einer für den Insolvenzfall greifenden Kundengeldabsicherung nachzuweisen, bevor er den Reisepreis entgegen nimmt. 

Der Reisevermittler muss in diesem Fall zwar keinen Sicherungsschein vorlegen, wie er von inländischen Reiseveranstaltern gefordert wird. Gleichwohl muss sich der Nachweis für einen im EU-Ausland ansässigen Reiseveranstalter auf die konkreten Reisenden und die von ihnen gebuchten Reise beziehen, wobei das Gesetz die konkreten Anforderungen letztlich offen lässt. Die Wiedergabe einer dahingehenden Erklärung des Reiseveranstalters reicht dafür nicht aus. Diese Anforderungen hat die Beklagte im Streitfall nicht erfüllt. 

Die Entscheidung wirft die Frage nach den Anforderungen an den Nachweis auf, da der Gegenschluss - keine Vermittlung von Reisen von Veranstaltern aus dem europäischen Rechtsraum - nicht ernsthaft erwogen werden kann. Die Nachweispflicht kann auch durch Gestaltung von AGB nicht abgesenkt werden. Grds. wäre es hier zu erwägen gewesen, die Klage gegen den Versicherer zu richten, der eine Regulierung verweigert hat (es mag sein, dass insoweit grds. ein Regressanspruch des Reisevermittlers bestehen kann), weil Art. 7 der Richtlinie von einem äquivalenten System ausgeht und dieser Umstand hätte eine Vorlage an den EuGH nahe gelegt. Das Problem besteht insoweit zum einen in den Versicherungsbedingungen, die nur eine je nationale Regulierung vorsehen und zum anderen im Fehlen einer Vollharmonisierung für Europa. Die entscheidende Frage musste der BGH hier nicht lösen: die Frage, ob die Versicherungsbedingungen mit dem EU - Recht vereinbart sind, auch unter dem Aspekt einer Diskriminierung. Von dem Versicherer eine Zusicherung der Regulierung bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen in Textform zu verlangen, wäre ein denkbarer Weg, der aber voraussichtlich kaum durchsetzbar ist. Die Schwächen der Konstruktion beruhen indessen unmittelbar auf den Rechtsgrundlagen. 

BGH, X ZR 105/13 
AG Frankfurt am Main - Urteil vom 27. November 2011 – 30 C 1638/12 (71) 
LG Frankfurt am Main - Urteil vom 25. Juli 2013 – 24 S 1/13 
und X ZR 106/13 
AG Frankfurt am Main - Urteil vom 27. November 2012 - 30 C 1637/12 (71) 
LG Frankfurt am Main - Urteil vom 25. Juli 2013 - 2-24 S 3/13  
Karlsruhe, den 25. November 2014 
Quelle: Mitteilung der Pressestelle des BGH Nr. 174/2014 vom 25.11.2014

Mittwoch, 19. November 2014

Zulässige Verdachtsberichterstattung nach Ausräumung des Verdachts

Der BGH hat am 18.11.2014 ein interessantes Urteil zur Verdachtsberichterstattung gefällt und zwar zu der immer öfter anzutreffenden Variante, dass sich die ursprüngliche Verdachtsberichterstattung im Nachhinein als unrichtig darstellt. 

Verdachtsberichterstattungen bewegen sich trotz einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen zu den Problemzonen dieser Form der Berichterstattung in einer rechtlichen Grauzone. Im Regelfall betrifft die Verdachtsberichterstattung Tatverdächtige in Ermittlungs - und Strafverfahren, für die Unschuldsvermutung gilt, solange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind. Ein besonderes Problem sind Namensnennung oder identifizierende Verdachtsberichterstattung. Die Anforderungen sind relativ streng, aber die Presse geht in diesem Bereich auch durchaus Risiken ein. Gefordert wird als Eingriffsschwelle ein schwerwiegendes Vorkommnis mit gesellschaftlicher Relevanz, bei der die Unschuldsvermutung beachtet werden muss. Oftmals ist dies letztlich nur eine Frage der Darstellung. Sehr flexibel sind die Anforderungen an eine Anonymisierung, die vom Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen abhängt. Letztlich sollte der Betroffene zuvor gehört werden, was in immer mehr Fällen in Interviewsituationen geschieht, in denen ein Verdächtiger mit derartigen Konfrontationen nicht rechnet. Die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht in Orientierung am Pressekodex sind einzuhalten.

Der vom VI. Zivilsenat entschiedene Fall betrifft die Frage eines Berichtigungsanspruchs eines Betroffenen bei einer ursprünglich zulässigen Verdachtsberichterstattung. Allerdings lag der Fall hier so, dass der betreffende Tatverdacht später vollständig ausgeräumt worden war. 

Sachverhalt: 

Der Kläger ist ehemaliger Chefjustiziar einer Bank. Er verlangt die Richtigstellung einer ihn betreffenden Berichterstattung in einem von der Beklagten verlegten Nachrichtenmagazin. Der angegriffene Beitrag geht der Frage nach, ob ein wegen des Verdachts von Pflichtverletzungen entlassenes Vorstandsmitglied der Bank Opfer einer Falschbezichtigung geworden ist. Der Beitrag berichtet über ein gegen einen früheren Sicherheitsberater der Bank eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, das Büro des ehemaligen Vorstandsmitglieds verwanzt, dessen Privatwohnung durchsucht und beim Frisieren von Dokumenten mitgeholfen zu haben. In diesem Zusammenhang gibt der Beitrag Aussagen des früheren Sicherheitsberaters wieder, wonach der namentlich genannte Kläger und zwei weitere Personen an der Beauftragung dieser Maßnahmen mitgewirkt haben sollen. Nach der Veröffentlichung des Beitrags wurde eine notarielle Erklärung des früheren Sicherheitsberaters bekannt, in der dieser von seinen angeblichen früheren Aussagen abrückte. Später wurde ein gegen ihn und den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren eingestellt. Das Oberlandesgericht hat sich nach einer Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Verdacht, der Kläger habe an Abhörmaßnahmen gegen das ehemalige Vorstandsmitglied mitgewirkt, unberechtigt sei. Es hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, in ihrem Nachrichtenmagazin unter der Überschrift "Richtigstellung" eine Erklärung zu veröffentlichen, wonach sie den Verdacht nicht aufrechterhalte. 

Entscheidung des BGH: 

Der Bundesgerichtshofs das angefochtene Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Senat geht davon aus, dass die betreffende Verdachtsberichterstattung den Kläger in ihrer ursprünglich veröffentlichten Form den Kläger nicht vorverurteilte und somit seinerzeit rechtmäßig war. 

Jedenfalls waren die möglichen Verfehlungen von Führungskräften der Bank, die im Zuge der Finanzkrise verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten war, ein Vorgang von gravierendem Gewicht, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt war. Die Beklagte hat auch einen hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen dargetan, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung für eine Beteiligung des Klägers an den fraglichen Vorgängen sprachen. Denn nach dem Vortrag der Beklagten stützte sich der Beitrag unter anderem auf Aussagen des früheren Sicherheitsberaters gegenüber den Autoren des Berichts und auf einen Vermerk der Staatsanwaltschaft. Auch hatten die Autoren den Kläger und eine weitere Person angehört, die an der Beauftragung des früheren Sicherheitsberaters mitgewirkt haben sollte. Dies war unter den konkreten Umständen des Falles ausreichend.

Dennoch ein Berichtigungsanspruch?

Ein Berichtigungsanspruch kommt zwar in solchen Fällen grundsätzlich in Betracht, wenn eine Rufbeeinträchtigung andauert und - wie im Streitfall - der Tatverdacht später ausgeräumt wird. Der Senat nimmt jedoch in Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) sowie dem Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) vor, die zum Ergebnis hat, dass das Presseorgan nicht verpflichtet werden kann, sich nach einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung selbst ins Unrecht zu setzen. 

Infolgedessen wird in derartigen Fällen kein Berichtigungsanspruch gewährt. 

Nachtrag starr Berichtigung?

Ein Betroffener kann daher bei späterer Ausräumung des Verdachts und Fortwirkung einer Beeinträchtigung von dem Presseorgan allenfalls einen Nachtrag fordern, aber nicht die Richtigstellung der ursprünglichen Berichterstattung. Ein solcher Nachtrag muss aber den Anforderungen an die journalistische Sorgfalt genügen und klarstellen, dass der Verdacht nach Klärung des Sachverhalts nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Offen bleibt das "Wie" eines solchen Nachtrages, für das nach hier vertretener Auffassung die Regelungen über einen Gegendarstellungsanspruch eine gewisse Orientierung bieten sollten. 

BGH, AZ: VI ZR 76/14 - Urteil vom 18. November 2014 
 LG Hamburg - Urteil vom 20. April 2012 - 324 O 628/10 
 Hanseatisches OLG - Urteil vom 28. Januar 2014 - 7 U 44/12 ZUM-RD 2014, 354 
 Karlsruhe, den 18. November 2014 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofes

Mittwoch, 29. Oktober 2014

BGH: Vorlage an den EuGH hinsichtlich der Speicherung von dynamischen IP-Adressen

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Oktober - VI ZR 135/13

Der Sachverhalt betrifft die interessante, nach wie vor umstrittene Frage, ob dynamische IP - Adressen personenbezogene Daten oder Verkehrsdaten im Sinne des Datenschutzgesetzes darstellen. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn Mobilfunkrufnummern zum Erwerb von Gütern - etwa bei Mobile Contents - eingesetzt werden, ohne das der Dienstbetreiber mehr Daten erhält als die Mobilfunkrufnummer und die IP - Logs, weil die Kosten über den Mobilfunkprovider abgerechnet werden der allein die Rufnummer mit dem Datenbestand verknüpfen kann. 

Der Kläger im Ausgangsverfahren verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Innenminister, Unterlassung der Speicherung von dynamischen IP-Adressen, die beim Besuch von Internetseiten des Bundes gespeichert werden. Dies sind Ziffernfolgen, die jeweils bei einer erneuten Einwahl in das Telekommunikationsnetz vernetzten Computern zugewiesen werden, um deren Kommunikation im Internet zu ermöglichen. Bei den meisten allgemein zugänglichen Internetportalen des Bundes werden alle Zugriffe in Protokolldateien festgehalten mit dem Ziel, Angriffe abzuwehren und die strafrechtliche Verfolgung von Angreifern zu ermöglichen. Dabei werden unter anderem der Name der abgerufenen Seite, der Zeitpunkt des Abrufs und die IP-Adresse des zugreifenden Rechners über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus gespeichert, wie dies der üblichen Praxis auch bei den meisten anderen Internetangeboten entspricht. Insofern hat dieser Rechtsstreit auch eine über den Sachverhalt hinausgehende Relevanz. Der Kläger rief in der Vergangenheit verschiedene solcher Internetseiten auf und seine IP - Adressen wurden entsprechend gespeichert. 

Mit seiner Klage (Link zum Berufungsurteil des LG Berlin mit ausführlicher Darstellung des Sachverhaltes) begehrt er, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, ihm zugewiesene IP-Adressen über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus zu speichern, weil dies gegen das geltende Datenschutzrecht verstoßen würde. §§ 12, 15 TMG beschränken die Zulässigkeit insoweit durch den Erforderlichkeitsgrundsatz (in Umsyetzung von Art. 2 und 7 der EU - Datenschutzrichtlinie). 

Das Amtsgericht hatte die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht dem Kläger den Unterlassungsanspruch im Rahmen seines Hilfsantrages nur insoweit zuerkannt, als er Speicherungen von IP-Adressen in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorgangs betrifft und der Kläger während eines Nutzungsvorgangs seine Personalien angibt. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. 

Es ist völlig zu begrüßen, dass der Bundesgerichtshof beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung der EG-Datenschutz-Richtlinie zur Vorabentscheidung vorzulegen. die für die Praxis der Speicherung von IP - Adressen durch Betreiber von Internetseiten von zentraler Bedeutung sind, mit möglichen Auswirkungen auf die Werbestrategien im Umgang mit "Big Data" durch zahlreiche Seitenbetreiber:

Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof deshalb die Frage vorgelegt, ob Art. 2 Buchstabe a der EG-Datenschutz-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine IP-Adresse, die ein Diensteanbieter im Zusammenhang mit einem Zugriff auf seine Internetseite speichert, für diesen schon dann ein personenbezogenes Datum darstellt, wenn lediglich ein Dritter über das zur Identifizierung der betroffenen Person erforderliche Zusatzwissen verfügt. Letztlich wird es für die etwaige Annahme personenbezogener Daten entscheidend darauf ankommen, wie die Funktion des Dritten, der die Daten mit den Daten der jeweiligen Nutzer in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen, verknüpfen kann, etwa bei dem Verdacht auf bestimmte Straftaten. Es wäre durchaus denkbar auf dieser Basis Einschränkungen vorzunehmen und zu einer differenzierten Lösung zu gelangen.

Die Fragen an den EuGH im Wortlaut: 

"1. Der Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass es sich bei den dynamischen IP-Adressen für die verantwortlichen Stellen der Beklagten, die die Adressen speichern, um "personenbezogene Daten" handelt, die von dem durch die Richtlinie harmonisierten Datenschutzrecht geschützt werden. Das könnte in den Fällen, in denen der Kläger während eines Nutzungsvorgangs seine Personalien nicht angegeben hat, fraglich sein. Denn nach den getroffenen Feststellungen lagen den verantwortlichen Stellen keine Informationen vor, die eine Identifizierung des Klägers anhand der IP-Adressen ermöglicht hätten. Auch durfte der Zugangsanbieter des Klägers den verantwortlichen Stellen keine Auskunft über die Identität des Klägers erteilen. Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof deshalb die Frage vorgelegt, ob Art. 2 Buchstabe a der EG-Datenschutz-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine IP-Adresse, die ein Diensteanbieter im Zusammenhang mit einem Zugriff auf seine Internetseite speichert, für diesen schon dann ein personenbezogenes Datum darstellt, wenn lediglich ein Dritter über das zur Identifizierung der betroffenen Person erforderliche Zusatzwissen verfügt.

2. Geht man von "personenbezogenen Daten" aus, so dürfen die IP-Adressen des Nutzers nicht ohne eine gesetzliche Erlaubnis gespeichert werden (§ 12 Abs. 1 TMG*), wenn – wie hier – eine Einwilligung des Nutzers fehlt. Nach dem für die rechtliche Prüfung maßgebenden Vortrag der Beklagten ist die Speicherung der IP-Adressen zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit ihrer Telemedien erforderlich. Ob das für eine Erlaubnis nach § 15 Abs. 1 TMG ausreicht, ist fraglich. Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass diese Vorschrift eine Datenerhebung und -verwendung nur erlaubt, um ein konkretes Nutzungsverhältnis zu ermöglichen, und dass die Daten, soweit sie nicht für Abrechnungszwecke benötigt werden, mit dem Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs zu löschen sind. Art. 7 Buchstabe f der EG-Datenschutz-Richtlinie könnte aber eine weitergehende Auslegung gebieten. Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof deshalb die Frage vorgelegt, ob die EG-Datenschutz-Richtlinie einer Vorschrift des nationalen Rechts mit dem Inhalt des § 15 Abs. 1 TMG entgegen steht, wonach der Diensteanbieter personenbezogene Daten eines Nutzers ohne dessen Einwilligung nur erheben und verwenden darf, soweit dies erforderlich ist, um die konkrete Inanspruchnahme des Telemediums durch den jeweiligen Nutzer zu ermöglichen und abzurechnen, und wonach der Zweck, die generelle Funktionsfähigkeit des Telemediums zu gewährleisten, die Verwendung nicht über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus rechtfertigen kann".

Auf die wegweisende Entscheidung des EuGH darf man sehr gespannt sein!

Urteil vom 28. Oktober - VI ZR 135/13 Vorinstanzen
LG Berlin - Urteil vom 31. Januar 2013 - 57 S 87/08
AG Tiergarten - Urteil vom 13. August 2008 - 2 C 6/08 ZD 2013, 618 und CR 2013, 471 Karlsruhe, den 28. Oktober 2014
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs
Mitteilung der Pressestelle Nr. 152/2014 vom 28.10.2014

Wirksamkeit der Teilnahmebedingungen am "Miles & More"- Programm der Lufthansa

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Oktober 2014 – X ZR 79/13 

Miles & More ist ein Vielfliegerprogramm der Lufthansa,das mit einer Kreditkarte verbunden ist. In den aktuellen AGB ist hinsichtlich der Übertragbarkeit der Prämien folgendes geregelt: 

 "2.1.3 Übertragbarkeit der Meilen und Handel mit Meilen Die Meilen und das Meilenkonto sind nicht auf Dritte übertragbar. Der Verkauf, der Tausch, das Anbieten zur Versteigerung oder die sonstige Weitergabe von Meilen an Dritte sind untersagt. Ebenso untersagt sind die Vermittlung des An- oder Verkaufs von Meilen und der Ankauf von Meilen von Teilnehmern oder Dritten sowie die unberechtigte Inanspruchnahme von Meilen. Abweichende Regelungen werden ausdrücklich in den Miles & More Kommunikationsmedien bekannt gegeben". 

Über diese Teilnahmebedingungen hatte inzwischen der BGH zu entschieden. Nach diesen AGB sind der Verkauf, der Tausch, das Anbieten zur Versteigerung oder die sonstige Weitergabe von Prämiendokumenten wie Prämientickets an Dritte grundsätzlich untersagt. Die Teilnahmebedingungen sehen - wie oben gezeigt - vielmehr vor, dass Prämiendokumente ausschließlich an Personen verschenkt werden können, denen der Teilnehmer durch eine gegenseitige Beziehung persönlich verbunden ist. 

Ein Teilnehmer wollte dies nicht akzeptieren, dem die Lufthansa im Juni 2010 den höchsten Vielfliegerstatus ihres Programms zuerkannt hatte (HON Circle Member). Der Teilnehmer buchte im Januar 2011 unter Einlösung von Meilen seines Meilenkontos ein Prämienticket für Flüge von Frankfurt nach Los Angeles und von New York nach Frankfurt auf den Namen eines Dritten, was gegen diese Bestimmungen verstößt. Die Beklagte kündigte daraufhin den Teilnahmevertrag fristlos aus wichtigem Grund und entzog dem Kläger den Vielfliegerstatus, weil er von ihm gebuchte Prämientickets an eine mit ihm nicht durch eine persönliche Beziehung verbundene Person verkauft habe. Vom Wortlaut der AGB ist dieses Vorgehen gedeckt. 

Der Teilnehmer erhob Feststellungsklage mit dem Antrag feststellen zu lassen, dass seine Mitgliedschaft im Vielflieger- und Prämienprogramm der Beklagten nicht beendet worden sei und sein Status als HON Circle Member unverändert fortbestehe. Darüber hinaus auf die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz des ihm wegen der Kündigung seiner Mitgliedschaft entstandenen Schadens verpflichtet sei. Des Weiteren begehrte er die Feststellung, - anders als dies in den Teilnahmebedingungen vorgesehen ist - berechtigt zu sein, Meilen und Prämiendokumente ohne Beschränkungen an Dritte zu übertragen und erworbene Meilen ohne zeitliche Beschränkung bei der Beklagten einzulösen. Das letztgenannte Ziel lässt sich nur über eine Inhaltskontrolle der AGB erreichen. 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage überwiegend stattgegeben und diese lediglich hinsichtlich der begehrten Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten und der zeitlich unbegrenzten Einlösbarkeit von Meilen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Regelungen zur Unübertragbarkeit der Meilen und zum Verbot der Weitergabe von Prämiendokumenten stellten eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB dar; die auf einen Verstoß gegen das Weitergabeverbot gestützte außerordentliche Kündigung sei danach unwirksam. 

Der Bundesgerichtshof hingegen hat das Urteil des Berufungsgerichts auf die Revision der Beklagten hin aufgehoben, soweit zu deren Nachteil erkannt worden ist, und die Revision des Klägers in vollem Umfang zurückgewiesen. Der BGH führt zur Begründung folgendes aus: 

 "Bei dem von der Beklagten angebotenen "Miles & More"-Programm handelt es sich um ein Kundenbindungsprogramm, für das es kein gesetzlich geregeltes Leitbild gibt. Als Anbieterin eines solchen Programms kann die Beklagte daher Art und Umfang der Leistung, die sie ihren Kunden für ihre Treue versprechen will, in eigener Verantwortung bestimmen. Sie konnte damit als Hauptleistung festlegen, dass Flugprämien, die der Teilnehmer nicht selbst nutzen will oder kann, nur schenkweise und nur Personen überlassen werden dürfen, denen der Programmteilnehmer durch eine gegenseitige Beziehung persönlich verbunden ist. 

Das in den Teilnahmebedingungen normierte Verbot der Veräußerung von Prämiendokumenten an Dritte knüpft hieran an und umschreibt die von der Beklagten versprochene Leistung weiter. Es stellt damit keine der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegende Einschränkung oder Modifizierung dieser Leistung dar. Die Beklagte hat daher die Mitgliedschaft des Klägers in ihrem Vielfliegerprogramm wegen Verstoßes gegen das Verbot der Weitergabe von Prämiendokumenten an Dritte wirksam gekündigt und konnte ihm auch den Vielfliegerstatus mit sofortiger Wirkung entziehen. Die weiteren Anträge des Klägers sind angesichts der Beendigung seiner Mitgliedschaft aufgrund der Kündigung ebenfalls nicht begründet". 

Die Entscheidung hat eine weitreichende Wirkung für Kundenbindungssysteme. Zum einen wird das Leistungsprogramm als Hauptleistung hinsichtlich der Prämiengestaltung der AGB - Inhaltskontrolle entzogen, so dass den Anbietern solcher Kundenbindungsysteme jetzt ein weitreichender Gestaltungsspielraum für den Bereich der Hauptleistung zur Verfügung steht. Zum anderen steht damit fest, dass diese Kundenbindungssysteme Beschränkungen hinsichtlich der Einbeziehung Dritter wirksam treffen können, so dass eine Limitierung der Übertragbarkeit auf nahestehende Personen zulässig ist. Für die Erstellung von AGB im Bereich von Kundenbindungssystemen ist dieses Urteil von erheblicher Bedeutung.

 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – X ZR 79/13 
 Vorinstanzen: 
LG Köln – Urteil vom 23. Februar 2012 – 14 O 245/11 
OLG Köln – Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 U 46/12 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs Mitteilung der Pressestelle Nr. 154/2014 vom 29.10.2014

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Was bleibt von der Schmähkritik?

Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 28. Juli 2014, AZ: 1 BvR 482/13

Das BVerfG hat seine Dogmatik zur Äußerungsfreiheit weiter vertieft und in einem interessanten Fall entschieden, dass auch überspitzte Äußerungen fallen nur in engen Grenzen als Schmähkritik aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Letztlich wird damit der Anwendungsbereich der Schmähkritik zugunsten der Meinungsäußerungsfreiheit weiter eingeschränkt. Das auch überspitzte Kritik grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist keineswegs neu und gehört zu gefestigten Judikatur des BVerfG. Grundsätzlich ist der Gebrauch einer drastischen, scharfen Sprache mit überspitzender Kritik erlaubt (s. nur BVerfG, NJW 1980 - Kunstkritiker; BGH, GRUR 1977, 801 - Halsabschneider; BGH, NJW 1977, 626 - Konkret; BGH, NJW 1974, 1762 - Deutschland Stiftung und andere mehr). 


Das BVerfG betont, dass selbst eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung macht, sondern Umstände hinzutreten müssen, die den Schluss zulassen, dass es sich bei der betreffenden Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern ausschließlich die Herabsetzung einer Person im Vordergrund steht. Nur im letzteren Fall kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Das System der Prüfung der Schmähkritik wird dabei weiter ausdifferenziert. 

Der Ausgangsfall ist nicht weiter bemerkenswert, da es sich um eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Richter handelte, was nun wirklich nicht selten ist, wenn die Naturalpartei hier ihre "Unzufriedenheit" mit der Justiz in nicht selten drastischen Formulierungen äußert:  

"Das Amtsgericht wies eine Schadensersatzklage des Beschwerdeführers ab; die Berufung gegen dieses Urteil blieb ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer erhob eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin des Amtsgerichts, in der er unter anderem ausführte, er protestiere „gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin“ und meine, „sie müsse effizient bestraft werden um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“". 


Das sind Sätze, die ein Anwalt kaum jemals so gewählt hätte. Jedenfalls zeigte die betroffene Richterin den Beschwerdeführer nach § 185 StGB wegen Beleidigung an. Aufgrund der betreffenden Äußerungen  verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 €. Im Berufungsverfahren sprach das Landgericht den Beschwerdeführer zunächst frei. Dieses Urteil  hob das Oberlandesgericht jedoch im Revisionsverfahren auf und verwies das Verfahren zurück. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers daraufhin als unbegründet. Die erneute Revision des Beschwerdeführers blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. 

Das BVerfG hat seine wesentlichen Erwägungen wie folgt zusammen gefasst:

"1. Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 

1. Das Urteil des Landgerichts, dem sich das Oberlandesgericht anschließt, nimmt in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise an, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen um 
Schmähkritik handle. Hierbei verkennt das Landgericht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik. 

Das Bundesverfassungsgericht hat diesen in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige 
Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im 
Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben. 

Dem genügt die Entscheidung des Landgerichts nicht. Auch in der Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate, geht es nicht allein um eine Verunglimpfung der Betroffenen, sondern auch um eine Auseinandersetzung, die einen sachlichen Hintergrund hat. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf das von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und bezweckt eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete Stelle. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage. Bezüglich der weiteren Äußerungen begründet das Landgericht seine Einordnung als Schmähkritik überhaupt nicht. 

2. Soweit das Landgericht hilfsweise dennoch eine Abwägung vornimmt, verstößt es hierbei zunächst insofern gegen die Meinungsfreiheit, als es die Äußerung des Beschwerdeführers, „es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate“, dahingehend auslegt, dass hiermit der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten unterstellt wird. Mit anderen möglichen Deutungen hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist jedoch, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben. 

Auch im Übrigen genügt die Abwägung nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben. Das Landgericht stellt einseitig auf den Ehrschutz ab, ohne die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ausreichend zu berücksichtigen. Insbesondere wird nicht hinreichend gewürdigt, dass der Beschwerdeführer das Schreiben zwar auch an die Gegenseite gesandt, den Adressatenkreis des Schreibens aber überschaubar gehalten hat. Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im „Kampf ums Recht“ befand und ihm hierbei zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt ist, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. 

3. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen."

Die Entscheidung ist weniger überraschend als es zunächst den Anschein hat, da die längst entwickelten Maßstäbe nunmehr auch auf die Justiz selbst angewendet werden, indem das - selten zu einem konkreten Erfolg führende - Rechtsinstitut der Dienstaufsichtsbeschwerde gestärkt. Nunmehr müssen sich auch Richter in einem derartigen formlosen Verfahren harsche Kritik gefallen lassen, solange sie die Entscheidungspraxis der Justiz trifft und nicht ausschließlich ein Unwerturteil über einen Richter als Mensch und Person beeinhaltet. Die Entscheidung schränkt den Ehrenschutz bei Schmähkritik mit Sachbezug weiter ein, liegt aber völlig auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG.  

Quelle: Pressemitteilung Nr. 86/2014 vom 2. Oktober 2014




Mittwoch, 1. Oktober 2014

BGH: Verwertung rechtswidrig beschaffter E-Mails zum Zwecke der Presseberichterstattung

BGH, Urteil vom 30. September 2014 - VI ZR 490/12

In einer sehr interessanten Entscheidung hat der BGH dazu Stellung genommen, ob und unter welchen Voraussetzungen rechtswidrig beschaffte E-Mails eines Politikers bei der Presseberichterstattung verwendet werden dürfen.

Der Sachverhalt ist seit langen bekannt: 

Der Kläger im Ausgangsfall war von 1994 bis 1999 Staatssekretär im Umweltministerium eines deutschen Bundeslandes und wurde 1999 Chef der dortigen Staatskanzlei. Von Oktober 2004 bis November 2009 war er Finanzminister. Im November 2009 wurde er zum Innenminister ernannt. Zugleich war er Mitglied des Landtags. Mitte der 90er Jahre unterhielt er zu einer Mitarbeiterin eine außereheliche Beziehung, aus der im Jahre 1997 die gemeinsame Tochter E. hervorging. Auf Antrag der Kindesmutter erhielt E. bis Oktober 2003 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Im Jahre 2009 kam der private Laptop des Klägers abhanden. Die darauf befindliche E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und der Kindesmutter wurde der Beklagten zu 1 - einer bekannten deutschen Boulevardzeitung - zugespielt. Am 31. August 2010 führten drei Redakteure der Beklagten zu 1 ein Interview mit dem Kläger. Sie hielten ihm vor, dass sich aus an ihn gerichteten E-Mails der Kindesmutter ergebe, dass er der Vater von E. sei und für sie keinen regelmäßigen Unterhalt gezahlt habe. Es bestehe der Verdacht des Sozialbetrugs. Der Kläger erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, durch die der Beklagten zu 1 untersagt wurde, vier E-Mails wörtlich oder sinngemäß publizistisch zu nutzen. Am 20. September 2010 veröffentlichte die frühere Beklagte zu 2 unter voller Namensnennung des Klägers auf ihrem Internetauftritt einen Beitrag, der sich mit der Beziehung des Klägers mit der Kindesmutter, der Geburt der Tochter sowie der möglichen Erschleichung von Sozialleistungen befasst. In der Zeit zwischen dem 21. und dem 25. September 2010 erschienen in den Printmedien der Beklagten zu 1 und 3 sowie in dem Internetportal der früheren Beklagten zu 2 ähnliche Berichte über den Vorgang. Am 23. September 2010 trat der Kläger von seinem Ministeramt zurück. Er gab in einem Zeitungsinterview bekannt, dass er der Vater von E. sei und die Unterhaltszahlungen für sie nachgeholt habe.

Es liegt auf der Hand, das der Kläger die Verwertung der privaten E-Mails zum Zwecke der Berichterstattung für rechtswidrig hielt und zwei Instanzen sahen das ebenso. Das Landgericht hat angenommen, dass der Kläger bis zu seinem Rücktritt einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1 gehabt habe, es zu unterlassen, die Fragen, ob er der Vater von E. ist, private oder intime Kontakte zur Kindesmutter hatte, Unterhaltsleistungen für E. erbracht hat und ob die Kindesmutter zu Unrecht Unterhaltsvorschuss für E. in Anspruch genommen hat, öffentlich zu erörtern. Das Landgericht hat die Beklagten darüber hinaus verurteilt, es zu unterlassen, den Inhalt einzelner E-Mails in direkter oder indirekter Rede zu verbreiten. Die Berufungen der Beklagten hatten keinen Erfolg. Die Beklagte gab sich damit indessen nicht zufrieden und griff das Recht auf Privatheit des betreffenden Politikers mit der Revision an. Es geht in einem solchen Fall um nichts anderes als um die Abwägung der Interessen der Allgemeinheit an der Presseberichterstattung in Abwägung des Rechtes auf Privatheit des betroffenen, zumal hier das Material von einem Dritten illegal beschafft worden war, allerdings nicht von dem beklagten Presseunternehmen, das lediglich Nutzen aus diesem Umstand gezogen hat, wie dies vielfach geschieht. 

Nicht völlig überraschend angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich in den letzten Jahren hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klagen abgewiesen, wogegen unter Umständen noch Verfassungsbeschwerde erhoben werden könnte. 

Die Begründung des BGH ist äußerst interessant, sanktioniert aber im Kern den Umstand jahrelanger Nichtzahlung von Kindesunterhalt trotz entsprechenden Einkommens: 

"Zwar greift eine Berichterstattung, die sich auf den Inhalt der zwischen dem Kläger und seiner Geliebten gewechselten E-Mails stützt, in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Beide genannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schützen das Interesse des Kommunikationsteilnehmers daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig. Das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit überwiegen das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die veröffentlichten Informationen von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft worden sind. 

Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Beklagten die E-Mails nicht durch vorsätzlichen Rechtsbruch verschafft, um sie zu publizieren. Sie haben sich an dem Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers auch nicht beteiligt, sondern aus dem Bruch der Vertraulichkeit lediglich Nutzen gezogen. Die Informationen, deren Wahrheit der Kläger nicht in Frage stellt, haben einen hohen "Öffentlichkeitswert". Sie offenbaren einen Missstand von erheblichem Gewicht, an dessen Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht. Als Minister und als Landtagsabgeordneter gehörte der Kläger zu den Personen des politischen Lebens, an deren Verhalten unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle ein gesteigertes Informationsinteresse besteht. 

Die der Beklagten zu 1 zugespielten E-Mails belegen, dass sich der Kläger über viele Jahre der wirtschaftlichen Verantwortung für seine Tochter E. entzogen und diese auf den Steuerzahler abgewälzt hat, was das äußerste Mißfallen des Senats ausgelöst haben dürfte. Der Kläger in diesem Rechtsstreit hat es im eigenen persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Interesse hingenommen, dass seine ehemalige Geliebte für die gemeinsame Tochter Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezog, obwohl die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nicht gegeben waren. Denn die Kindesmutter hatte der zuständigen Behörde den Kläger pflichtwidrig nicht als Vater von E. benannt".

Damit hat der Bundesgerichtshof zugunsten der Pressefreiheit auch die Veröffentlichung verschiedener E-Mails in direkter oder indirekter Rede in diesem Einzelfall als zulässig angesehen. Die Schlussfolgerung des BGH lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen über: 

"Die im Wortlaut veröffentlichten E-Mails dokumentieren mit besonderer Klarheit, wie der Kläger mit der Verantwortung gegenüber seiner nichtehelichen Tochter und der Mutter seines Kindes - und damit mittelbar gegenüber der Allgemeinheit, die jedenfalls bis zur Veröffentlichung der streitgegenständlichen Informationen die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen tragen musste - umgegangen ist".

Es ist nicht davon auszugehen, dass in jedem anderen Fall die Verwertung solcher E-Mails als rechtlich zulässig angesehen würde, da dies eine Güter - und Interessenabwägung erfordert, die hier angesichts eines schweren Rechtsverstosses des Klägers zu dessen Lasten ausgegangen ist. 



Vorinstanzen: 

Kammergericht Berlin - Urteil vom 5. November 2012 - 10 U 118/11
Landgericht Berlin - Urteil vom 28. Juni 2011 - 27 O 719/10

Quelle: Pressestelle des BGH, 30. September 2014

Dienstag, 23. September 2014

Keine Löschung der Daten eines Arztes aus Arztbewertungsportal

Bundesgerichtshof - PM Nr. 132/2014 vom 23.09.2014

Angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung zu Bewertungsportalen für freie Berufe in den letzten Jahren hat der Bundesgerichtshof wenig überraschend den Anspruch eines Arztes auf Löschung seiner Daten aus einem Ärztebewertungsportal nebst allen Bewertungen abgelehnt. Damit ist aber nicht ausgedrückt, dass Ärzte gegen solche Bewertungen in Arztbewertungsportalen völlig rechtlos sind, wie der BGH selbst betont. 

Der Kläger im Ausgangsfall ist niedergelassener Gynäkologe. Die Beklagte betreibt in München ein Portal zur Arztsuche und Arztbewertung. Internetnutzer können dort kostenfrei der Beklagten vorliegende Informationen über Ärzte und Träger anderer Heilberufe abrufen. Zu den abrufbaren Daten zählen unter anderem Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, Kontaktdaten und Sprechzeiten sowie Bewertungen des Arztes durch Portalnutzer. 

Die Abgabe einer Bewertung erfordert eine vorherige Registrierung. Hierzu hat der bewertungswillige Nutzer lediglich eine E-Mail-Adresse anzugeben, die im Laufe des Registrierungsvorgangs verifiziert wird. Infolgedessen ist eine anonyme Nutzung eines Portals für entsprechend kundige Internetnutzer möglich. 

Der Kläger ist in dem genannten Portal mit seinem akademischen Grad, seinem Namen, seiner Fachrichtung und der Anschrift seiner Praxis verzeichnet. Nutzer haben ihn im Portal mehrfach bewertet. Gestützt auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verlangt er von der Beklagten, es zu unterlassen, die ihn betreffenden Daten – also "Basisdaten" und Bewertungen – auf der genannten Internetseite zu veröffentlichen, und sein Profil vollständig zu löschen. 

Amts- und Landgericht haben die Klage abgewiesen. Der unter anderem für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. 

Das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt das Recht der Beklagten auf Kommunikationsfreiheit nicht. Die Beklagte ist deshalb nach § 29 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zur Erhebung, Speicherung und Nutzung sowie nach § 29 Abs. 2 BDSG zur Übermittlung der Daten an die Portalnutzer berechtigt. 

Der BGH führt dazu aus: "Zwar wird ein Arzt durch seine Aufnahme in ein Bewertungsportal nicht unerheblich belastet. Abgegebene Bewertungen können – neben den Auswirkungen für den sozialen und beruflichen Geltungsanspruch des Arztes – die Arztwahl behandlungsbedürftiger Personen beeinflussen, so dass er im Falle negativer Bewertungen wirtschaftliche Nachteile zu gewärtigen hat. Auch besteht eine gewisse Gefahr des Missbrauchs des Portals. Auf der anderen Seite war im Rahmen der Abwägung aber zu berücksichtigen, dass das Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über ärztliche Leistungen vor dem Hintergrund der freien Arztwahl ganz erheblich ist und das von der Beklagten betriebene Portal dazu beitragen kann, einem Patienten die aus seiner Sicht erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Zudem berühren die für den Betrieb des Portals erhobenen, gespeicherten und übermittelten Daten den Arzt nur in seiner sogenannten "Sozialsphäre", also in einem Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit anderen Personen vollzieht. Hier muss sich der Einzelne auf die Beobachtung seines Verhaltens durch eine breitere Öffentlichkeit sowie auf Kritik einstellen. (...) Dass Bewertungen anonym abgegeben werden können, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Möglichkeit zur anonymen Nutzung ist dem Internet immanent (vgl. § 13 Abs. 6 Satz 1 des Telemediengesetzes [TMG])". 

Missbrauchsgefahren ist ein betroffenener Arzt aber nicht schutzlos ausgeliefert, da er von einem Portalbetreiber die Löschung unwahrer Tatsachenbehauptungen sowie beleidigender oder sonst unzulässiger Bewertungen verlangen kann. Allerdings sind die hier vorzunehmenden Bewertung oftmals schwierig und bewegen sich in einer für den Arzt riskanten "Grauzone", gerade bei Annahme einer Schmähkritik. Kritik von "Internettrollen" sollte aber nicht ohne weiteres hingenommen werden. Hinzu kommt, dass zumindest die berufsbedingten Angaben zu Ärzten, die sich nicht selbst eingetragen haben, wenigstens sachlich zutreffend sein müssen und das ärztliche Berufsrecht eingehalten werden muss. Berechtigter Kritik können sich Ärzte indessen nicht mehr entziehen. Die meisten Anbieter haben indessen längst ein Kontrollsystem eingeführt, das mehr oder weniger effektiv funktioniert.  

Wie man das BGH - Urteil auch sieht, es hat Klarheit in einem Bereich geschaffen, der lange von Unsicherheit geprägt war. 


Urteil vom 23. September 2014 - VI ZR 358/13
AG München - 158 C 13912/12 – Entscheidung vom 12. Oktober 2012
LG München I - 30 S 24145/12 – Entscheidung vom 19. Juli 2013

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 
76125 Karlsruhe 

Donnerstag, 6. Februar 2014

Bundesgerichtshof: Sponsoring und "Redaktionelle Werbung"

BGH zum Sponsoring redaktioneller Presseveröffentlichungen

Es kommt öfter vor, dass Angebote eingehen sich in einem Pressemedium "redaktionell aufbereitet" präsentieren zu können, obwohl es im Presserecht das Verbot der redaktionellen Werbung (in allen Landespressegesetzen)gibt. Für den Bereich des Rundfunks und für redaktionelle geprägte Onlinemedien regelt dies § 58 Abs.1 Rundfunkstaatsvertrag hinsichtlich der Kenntlichmachung und für sonstige Teledienste gilt § 6 TMG, wobei das Entgelt diesbezüglich indessen keine Rolle spielt. Die Praxis hat sich von der Rechtslage in diesem Bereich weit entfernt.  

Der I. Zivilsenat des BGH hat heute entschieden, dass ein Presseunternehmen einen von einem Unternehmen bezahlten redaktionellen Beitrag in einer Zeitung deutlich mit dem Begriff "Anzeige" kennzeichnen muss und die Nichteinhaltung dieser Vorgaben einen Verstoss nach §§ 4 Nr.11 UWG i.V.m. (hier) § 10 Landespressegesetz BW darstellt. Die Klägerin gibt das "Stuttgarter Wochenblatt" heraus. Die Beklagte ist Verlegerin des kostenlosen Anzeigenblatts "GOOD NEWS". Sie veröffentlichte in der Ausgabe Juni 2009 zwei Beiträge, für die sie von Sponsoren ein Entgelt erhalten hatte. Das hatte die Beklagte mit dem Hinweis "sponsored by" und der graphisch hervorgehobenen Angabe des werbenden Unternehmens kenntlich gemacht. 

Gegenstand der Klage war daher ein Unterlassungsanspruch, der sich darauf richtete, diese Gestaltung zukünftig zu unterlassen, weil die Veröffentlichungen nicht hinreichend als Anzeige gekennzeichnet war. Das Urteil hat weitreichende Folgen für die Anzeigenpraxis. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. 

Der Bundesgerichtshof hatte dem Gerichtshof der Europäischen Union im Vorfeld die Frage vorgelegt, ob die Vorschrift des § 10 LPresseG BW, die neben dem Verbraucherschutz auch dem Schutz der Unabhängigkeit der Presse dient und zum Teil strengere Anforderungen an die Kenntlichmachung redaktioneller Werbung stellt als die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, im Einklang mit dieser Richtlinie steht. 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierzu entschieden, dass für die vorliegende Fallkonstellation der Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht eröffnet ist, so dass der Fall ausschließlich nach deutschem Presserecht zu beurteilen war. Infolgedessen hat der BGH die Revision der Beklagten zurückgewiesen und damit das von den Vorinstanzen ausgesprochene Verbot bestätigt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte für die Veröffentlichung der beiden redaktionell aufgemachten Beiträge ein Entgelt erhalten. 

§ 10 LPresseG BW erfordert nicht, dass das Entgelt für einen bestimmten Inhalt der Veröffentlichung oder für einen im Vorhinein festgelegten Artikel bezahlt wurde. Es kommt nur darauf an, dass der Verleger eines periodischen Druckwerks für eine Veröffentlichung ein Entgelt erhalten hat. Das strikte Gebot der Kenntlichmachung von Anzeigen wird verletzt, wenn der präzise Begriff der "Anzeige" vermieden und stattdessen ein unscharfer Begriff gewählt wird. Die Kennzeichnung der Beiträge mit den Wörtern "sponsored by" reichte daher zur Verdeutlichung des Anzeigencharakters der Veröffentlichungen nicht aus. 

Darauf wird sich sich Praxis wieder einzustellen haben. 

BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 I ZR 2/11 GOOD NEWS II 
LG Stuttgart - Urteil vom 27. Mai 2010 35 O 80/09 KfH 
OLG Stuttgart - Urteil vom 15. Dezember 2010 4 U 112/10 
BGH, Beschluss vom 19. Juli 2012 I ZR 2/11, GRUR 2012, 1056 = WRP 2012, 1219 GOOD NEWS I EuGH, Urteil vom 17. Oktober 2013 C 391/12, GRUR 2013, 1245 = WRP 2013, 1575 

* § 10 LPresseG BW lautet: Hat der Verleger eines periodischen Druckwerks oder der Verantwortliche (§ 8 Abs. 2 Satz 4) für eine Veröffentlichung ein Entgelt erhalten, gefordert oder sich versprechen lassen, so hat er diese Veröffentlichung, soweit sie nicht schon durch Anordnung und Gestaltung allgemein als Anzeige zu erkennen ist, deutlich mit dem Wort "Anzeige" zu bezeichnen. 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Sonntag, 5. Januar 2014

BGH zur Zulässigkeit einer Koppelung von Gewinnspiel und Warenabsatz

BGH zur Zulässigkeit einer Koppelung von Gewinnspiel und Warenabsatz 

 Das Urteil ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht für die Entwicklung und Vermarktung von Gewinnspielen (ohne nennenswerten Einsatz nach den Gewinnspielesatzungen der Länder für Fernsehwerbungen) von erheblicher Bedeutung, liegt aber auf der neueren Linie des BGH in diesem Bereich, nachdem Koppelungen von Gewinnspielen mit dem Vertrieb von Waren früher wesentlich strenger beurteilt wurden. Sehen muss man allerdings, dass sich in diesem Bereich inzwischen eine verwaltungsrechtliche "Parallelwelt" entwickelt hat, bei der die Gefahr droht, Gewinnspiele nach und nach unter den Glücksspielbegriff zu fassen, ohne dass die Entwicklungen bereits abgeschlossen sind, zumal das gesamte Gewinnspiel sehr uneinheitlich geregelt ist (s. nur Dietlein/Hüsken, in, Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspieltrecht, 2. Aufl., C.H.Beck, 2013, § 2, Rnrn. 25 ff).

Die frühere Rechtsprechung hatte seit etwa 2002 den Ausgangspunkt, dass Koppelungsangebote zwar grundsätzlich zulässig waren, jedoch dann gegen § § 4 Nrn.5 und 6 UWG verstießen, wenn durch die Anlockwirkung die Rationalität der Nachfrageentscheidung deutlich in den Hintergrund tritt (BGH, NJW 2002, 3404 - Koppelungsverbot II; GRUR 2003, 890 - Buchclub). Nach diesen Kriterien war es fast "Glückssache", wenn ein derartiges Gewinnspiel eine erste Instanz "überlebte", da oftmals die Anlockwierkung völlig im Vordergrund steht. 

Allerdings hatte der BGH das „Koppelungsverbot“ mit Urteil vom 05.10.10, Az: I ZR 4/06 („Plus“), sehr weitgehend entschärft, so dass sich letztlich fast nur noch Fragen der Irreführung stellten. Seinerzeit hatte eine Supermarktkette mit dem Slogan: „Einkaufen, Punkte sammeln, gratis Lotto spielen“ geworben. Die Teilnahme am Gewinnspiel war notwendigerweise an den vorherigen Einkauf von Waren gekoppelt. Nachdem der BGH entscheidende Rechtsfragen aus diesem Bereich dem EuGH vorgelegt hatte (EuGH, Urteil v. 14.01.2010, AZ: C - 304/08). Der EuGH hatte verallgemeinert die Auffassung vertreten, dass nicht automatisch jede Kopplung eines Gewinnspiels an den Kauf von Waren und/oder Dienstleistungen wettbewerbswidrig sei, was den entsprechenden Branchen interessante Marketingstrategein eröffnete, die letztlich wiederum zur Austestung der Grenzen führen in diesem Bereich. Der BGH hatte sich dem EuGH angeschlossen und dabei ist es im Grundsatz bislang geblieben. 

In der aktuellen Entscheidung hatte der I. Zivilsenat des BGH über eine Fernsehwerbung für ein Gewinnspiel entschieden, an dem nur Käufer teilnehmen konnten, die das beworbene Produkt zuvor erworben hatten. Vergleichbar damit ist die Teilnahme an einem Gewinnspiel im Bereich des "Mobile Content", wenn gleichzeitig eine Bestellung erfolgen muss. Es ging um folgenden Sachverhalt: "Die Beklagte warb ab Februar 2011 im Fernsehen mit "GLÜCKS-WOCHEN". Beim Kauf von fünf Packungen zum Preis von etwa je 1 € und Einsendung der Kassenbons bestand die Chance, bei einer Verlosung einen von 100 "Goldbärenbarren" im Wert von jeweils 5.000 € zu gewinnen. In dem Werbespot traf der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk im Supermarkt auf zwei Familien mit Kindern". 

Die Klägerin hielt die Werbung für wettbewerbswidrig, weil sie die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen ausnutze. Sie hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen am LG Köln und am OLG Köln trotz des "Schwenks" in der Rechtsprechung des BGH Erfolg. Nach der Auffassung des OLG Köln stellte die Gewinnspielkopplung aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine unlautere Geschäftspraktik dar. Dabei sei der strengere Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG zugrunde zu legen und auf die Sicht von Kindern und Jugendlichen abzustellen, die durch die Werbung zu einem Kauf über Bedarf veranlasst werden könnten. 

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil das OLG Köln die neuere Rechtsprechung verkannt hat und nicht mehr anwendbare Maßstäbe zur Anwendung gebracht hat.Gewinnspielkoppelungen können nach § 4 Nr. 6 UWG im Einzelfall verboten sein, wenn sie gegen die berufliche Sorgfalt verstoßen. 

Nach Auffassung des BGH gilt für die Beurteilung des Gewinnspiels im Streitfall nicht der Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG, da die beanstandete Werbung voraussichtlich und vorhersehbar nicht allein das geschäftliche Verhalten von Kindern und Jugendlichen wesentlich beeinflussen konnte, sondern sich auch an Erwachsene richtet, die ebenfalls eine große Kundengruppe bei Lakritz und Fruchtgummi darstellen. Es ist durchaus möglich, bei Angeboten, die sich nur an eine solche Zielgruppe wenden, zu anderen Ergebnissen zu gelangen, was aber eine Frage des Einzelfalles ist. Ein an den Absatz dieser Produkte gekoppeltes Gewinnspiel ist daher voraussehbar geeignet, auch das Einkaufsverhalten von Erwachsenen zu beeinflussen. Daher ist für die Beurteilung des Streitfalls das Verständnis eines durchschnittlichen Verbrauchers aus der Sicht des europarechtlichen Verbraucherbegriffes maßgeblich, der den früheren deutschen Wertungsmaßstab inzwischen verdrängt hat. 

Auf dieser Grundlage verstößt die beanstandete Fernsehwerbung nicht gegen die berufliche Sorgfalt, zumal die Kosten der Gewinnspielteilnahme deutlich wurden und auch keine unzutreffenden Gewinnchancen suggeriert wurden, die einen Anwendungsfall des § 5 UWG eröffnen könnten. Der Fernsehspot der Beklagten verstößt auch nicht gegen die speziell dem Schutz von Kindern und Jugendlichen dienenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts. Er enthält keine unmittelbare Kaufaufforderung an Kinder (Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG). Er ist auch nicht geeignet, die geschäftliche Unerfahrenheit Minderjähriger in unlauterer Weise auszunutzen (§ 4 Nr. 2 UWG). 

Der Fernsehwerbung und entsprechender Werbung in Telemedien eröffnet diese Urteil Möglichkeiten, deren Grenzen aber einer intensiven Analyse des Einzelfalles bedürfen, da selbstredend nicht jede Gestaltung möglich ist und man sich dieser Grenzen bewusst sein sollte. 


BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 - I ZR 192/12 - GLÜCKS-WOCHEN 
LG Köln - Urteil vom 8. Februar 2012 - 84 O 215/11 
OLG Köln - Urteil vom 21. September 2012 - 6 U 53/12, GRUR-RR 2013, 168 = WRP 2013, 92
Quelle: Pressemitteilung des BGH