Montag, 22. Juli 2013

Handel mit gebrauchten Softwarelizenzen - BGH: UsedSoft II

Bundesgerichtshof zur Zulässigkeit des Vertriebs "gebrauchter" Softwarelizenzen

Nachdem der EuGH auf Vorlage des BGH im Vorabentscheidungsverfahren grundlegende Aspekte zum Handel mit gebrauchten Softwarelizenzen geklärt hat, hat sich der BGH dem EuGH nunmehr im Wesentlichen angeschlossen, so dass der Handel mit gebrauchten Softwarelizenzen grundsätzlich in Europa legal und damit ein interessantes Geschäftsmodell gestützt wurde. Allerdings ließ der BGH noch einige Fragen offen, was sich bereits in der Rückverweisung an das OLG Köln zeigt.  

Die Klägerin entwickelt Computersoftware, die sie ganz überwiegend in der Weise vertreibt, dass die Kunden keinen Datenträger erhalten, sondern die Software von der Internetseite der Klägerin auf ihren Computer herunterladen, wie dies inzwischen fast schon überwiegend der Fall ist. Die Lizenzverträge der Klägerin bestimmen, dass das Nutzungsrecht, das die Klägerin ihren Kunden an den Computerprogrammen einräumt, nicht abtretbar und nicht auf Dritte übertragbar ist. Nach diesem sehr gängigen, ausschließlichen Lizenzmodell ist die Nutzung an die Person des Käufers gebunden und damit letztlich ein einmaliger Vorgang. Da Software zwar veraltet, aber sich in der Qualität bei entsprechender Datenqualität immer wieder verwenden lässt, kann ein Käufer den Wunsch haben, diese Software weiter zu veräußern, darf diese dann aber selbst grds. nicht weiter nutzen. 

Die Beklagte hat ein interessantes Geschäftsmodell entwickelt und handelt seit Jahren erfolgreich mit "gebrauchten" Softwarelizenzen. Im Rahmen ihres Onlinevertriebs an Erwerber bat sie im Oktober 2005 "bereits benutzte" Lizenzen für Programme der Klägerin an. Die Verkaufsbedingungen der Beklagten sehen u.a. vor - gestützt auf ein Notartestat -, dass der ursprüngliche Lizenznehmer bestätigt hat, dass er rechtmäßiger Inhaber der Lizenzen gewesen sei, diese nicht mehr benutze und den Kaufpreis vollständig bezahlt habe. Aufgrund dieser Erklärung kann ein Erwerber über die Plattform der Beklagten dort eine gebrauchte Lizenz erwerben und die entsprechende Software von der Internetseite der Klägerin auf einen Datenträger herunterladen. Der entscheidende Punkt ist in diesem Zusammenhang, ob der urspüngliche Veräußerer der Software seinem Kunden durch die Lizenzbestimmungen (meist AGB) untersagen kann, diese Software an Dritte unter Ausschluss weiterer eigener Nutzung zu veräußern. Es liegt auf der Hand, dass die meisten großen Softwarehersteller die Position vertreten haben, dass dies der Fall ist.  

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte durch ihre Verkaufsbestimmungen ihre Rechte dadurch verletzte, dass sie die Erwerber "gebrauchter" Lizenzen dazu veranlasse, die entsprechenden Computerprogramme entgegen ihren Lizenzbestimmungen zu vervielfältigen. Sie hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung aus § 97 UrhG in Anspruch genommen. Landgericht und Berufungsgericht hatten der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union einige Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen zur Vorabentscheidung vorgelegt. 


In dieser Entscheidung hat der EuGH - verkürzt dargestellt- ausgeführt, dass der Grundsatz der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht nur dann gilt, wenn der Urheberrechtsinhaber die Kopien seiner Software auf einem Datenträger (CD-ROM oder DVD) vermarktet, sondern auch dann, wenn er sie durch Herunterladen von seiner Internetseite verbreitet, da er dadurch eine Kopie an den Kunden verkauft und damit sein ausschließliches Verbreitungsrecht erschöpft. Entgegenstehende Klauseln in Lizenzverträgen sind nichtig. Allerdings berechtigt die Erschöpfung des Verbreitungsrechts den Ersterwerber nicht dazu, die Lizenz aufzuspalten und teilweise weiterzuverkaufen, falls die von ihm erworbene Lizenz für eine seinen Bedarf übersteigende Zahl von Nutzern gilt. Kommt es aber zu einer Weiterveräußerung des Ersterwerbers an einer Kopie an der das Verbreitungsrecht des Erwerbers erschöpft ist, muss dieser die auf seinen Computer heruntergeladene Kopie zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs unbrauchbar machen, weil er ansonsten gegen das ausschließliche Recht des Urheberrechtsinhabers auf Vervielfältigung seines Computerprogramms verstößt, dass anders als das ausschließliche Verbreitungsrecht sich nicht mit dem Erstkauf erschöpft. Die Richtlinie erlaubt jedoch jede Vervielfältigung, die für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig ist. Solche Vervielfältigungen dürfen nicht vertraglich untersagt werden. In diesem Rahmen sind Dritterwerber ein Einhaltung dieser Voraussetzungen rechtmäßige Erwerber. Infolgedessen kann mit "gebrauchten" Softwarelizenzen auch gehandelt werden. 


Auf der Basis dieser Ausführungen des EuGH hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Umfang der Rückverweisung ist in interessant, wird das Geschäftsmodell aber nicht in Frage stellen. 

Nach den Ausführungen des BGH greifen die Kunden der Beklagten durch das Herunterladen der Computerprogramme in das nach § 69c Nr. 1 UrhG ausschließlich dem Rechtsinhaber zustehende Recht zur Vervielfältigung der Computerprogramme auf Veranlassung der Beklagten ein. Der BGH hält einen Unterlassungsanspruch aber dann für möglich, wenn die Kunden der Beklagten nicht zur Vervielfältigung der Programme berechtigt sind, was aber angesichts § 69d Abs. 1 UrhG (Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG) in richtlinienkonformer Auslegung grds. der Fall ist. Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie 2009/24/EG sieht vor, das die Vervielfältigung eines Computerprogramms - solange nichts anderes vereinbart ist - nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers bedarf, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig ist. Das Problem besteht insoweit in der Reichweite einer "anderweitigen Vereinbarung", die mutmasslich dazu führen wird, dass die Softwarehersteller versuchen werden, ihren AGB eine angepasste Fassung zu geben, etwa hinsichtlich der zeitlichen Nutzung, da der BGH insoweit interessante Einschränkungen anspricht.   

Der "rechtmäßige Erwerber" einer Programmkopie kann indessen von dem Vervielfältigungsrecht Gebrauch machen, wenn das Recht zur Verbreitung der Programmkopie nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG erschöpft ist und der Weiterverkauf der Lizenz an den Erwerber mit dem Weiterverkauf der von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers heruntergeladenen Programmkopie verbunden ist. Dabei setzt ein Weiterverkauf der von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers heruntergeladenen Programmkopie nicht voraus, dass die Beklagte ihren Kunden einen Datenträger mit einer "erschöpften" Kopie des Computerprogramms übergibt. Vielmehr kann ein solcher Weiterverkauf auch dann vorliegen, wenn der Kunde die ihm von der Beklagten verkaufte Kopie des Computerprogramms von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers auf seinen Computer herunterlädt. 

Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts des Urheberrechtsinhabers ist nach der Entscheidung des Europäische Gerichtshof allerdings von einer Reihe von Voraussetzungen abhängig. Dazu gehört unter anderem, dass der Urheberrechtsinhaber dem Ersterwerber das Recht eingeräumt hat, diese Kopie ohne zeitliche Begrenzung zu nutzen. Es lässt sich denken, dass die AGB - Praxis der Softwarehersteller an diesem interessanten Punkt für die Zukunft ansetzen wird, was diesen Rechtsstreit aber nicht berührt. 

Ferner kann sich der Nacherwerber einer Kopie des Computerprogramms nur dann mit Erfolg auf eine Erschöpfung des Verbreitungsrechts an dieser Kopie berufen, wenn der Ersterwerber seine Kopie unbrauchbar gemacht hat, was entsprechend nachgewiesen werden muss (das sieht das zugrundeliegende Modell auch vor). 

Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses nach entsprechendem Vortrag der Parteien prüfen kann, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind. 


Urteil vom 17. Juli 2013 - I ZR 129/08 - UsedSoft II 
LG München I - Urteil vom 15.März 2007 - 7 O 7061/06 
OLG München - Urteil vom 3.Juli 2008 - 6 U 2759/07 
BGH, Beschluss vom 3.Februar 2011 - I ZR 129/08 - UsedSoft I 
EuGH, Urteil vom 3. Juli 2012 – C-128/11

Jugendschutz durch UWG und Werbung für Online - Games

BGH, AZ: I ZR 34/12, Versäumnisurteil vom 17.07.2013 (Fantasierollenspiel)

Nachdem sowohl das Landgericht Berlin als auch das Kammergericht als Vorinstanzen der Auffassung waren, dass mit dem Slogan "Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse ‘Etwas`" legal geworben werden darf, vertritt jetzt der BGH in einem ersten Versäumnisurteil in der Revisionsinstanz eine gegenteilige Auffassung, die nicht so überraschend ist, wie es auf den ersten Blick scheint, wenn man die Debatten der letzten drei Jahre verfolgt hat. Das Versäumnisurteil hat folgenden Inhalt: 

"Versäumnisurteil: 

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Kammergerichts vom 30. Januar 2012 aufgehoben. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2010 abgeändert. 

Die Beklagte wird verurteilt, 

1. es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern, zu unterlassen im Rahmen des Online-Spiels "Runes of Magic" mit der Aufforderung "Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse ‘Etwas‘ " für den kostenpflichtigen Erwerb von Spielgegenständen zu werben oder werben zu lassen; 

2. an den Kläger 100 € zu zahlen. 

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar."

Diesem Versäumnisurteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: 

Die Beklagte betreibt im Internet ein Fantasierollenspiel. Die für die Spielteilnahme erforderliche Software steht zum kostenlosen Download bereit. Bei fast allen Browsergames ist die Basisversion kostenfrei erwerbbar und spielbar. Die Ausstattung der Spielcharaktere kann aber durch virtuelle Gegenstände - sog. Items - erweitert werden, die entgeltlich erworben und unter anderem per Kreditkarte auf Guthabenbasis oder per SMS bezahlt werden können. Dies schafft einen Anreiz die Spieltechniken auszuprobieren, die nicht kostenfrei zur Verfügung stehen. Die Beklagte warb für die Produkte unter anderem mit der Aussage „Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse ‚Etwas‘“. 

Ein solcher Slogan ist in diesem Bereich weder ungewöhnlich noch sonderlich aufällig, führte aber im Herbst 2010 zu einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung des Bundesverbandes der Verbraucherschutzzentralen, nachdem etwa zeitgleich eine Debatte über das Thema "Games und Jugendschutz" zunehmend intensiver geführt wurde. Infolgedessen ist diese Abmahnung nicht völlig überraschend gewesen. Im Rahmen dieser Werbung waren die unterstrichenen Wörter „Deinen Charakter aufzuwerten“ angegeben, die mittels eines elektronischen Verweises mit einer Internetseite verlinkt waren, auf der die Beklagte im Einzelnen dargestellte „Zubehörartikel“ zu herabgesetzten Preisen zum Kauf anbot. 

Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, hat dies als wettbewerbswidrig beanstandet, weil die Werbung eine unzulässige direkte Aufforderung zum Kauf bestimmter Waren enthalte und Kinder anspreche. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung durch Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Die Werbung der Beklagten stelle lediglich eine mittelbare, nicht unter den Tatbestand der Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG fallende Kaufaufforderung dar. Die angegriffene Aussage „Schnapp Dir…“ erfülle auch in Verbindung mit den verlinkten Produktangaben nicht die Voraussetzungen einer unmittelbaren Aufforderung an Kinder zum Erwerb einer beworbenen Ware. Die Werbung der Beklagten verstoße auch nicht gegen § 4 Nr. 1 UWG, weil der Kaufappell nicht unmittelbar in die Werbung integriert worden war. 

Die Vorinstanzen waren der Auffassung, dass mit der Spielteilnahme der Spieltrieb von Kindern angesprochen werde, qualifiziere die Werbung nicht schon als unangemessen unsachlich beeinflussend, selbst wenn sie den Eindruck erwecke, dass der Erwerb der angepriesenen Ausrüstungsgegenstände für das Spiel entweder erforderlich oder aber nützlich sei. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter und wird in der Sache voraussichtlich obsiegen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Entscheidungen eine Aufwertung von Jugendschutzgesichtspunkten unter lauterkeitsrechtlichen Vorzeichen zugrunde liegt, die einem deutlichen Trend der letzten Jahre entspricht. 


Der BGH hat hier auf die Revision des Klägers den Beschluss des 24. Zivilsenats des Kammergerichts vom 30. Januar 2012 aufgehoben (KG Berlin – Urteil vom 31. Januar 2012 – 24 U 139/10), das wiederum durch Zurückweisungsbeschluss das Urteil des LG Berlin in dieser Sache bestätigt hatte ( LG Berlin – Urteil vom 29. Juni 2010 – 16 O 438/09). 


Das der BGH nach Einspruch gegen ein solches Versäumnisurteil seine Auffassung noch einmal ändern würde, ist eher unwahrscheinlich. Das Urteil trifft die Werbepraxis einer ganzen Branche und dürfte auch Auswirkungen auf die Werbung im mobilen Bereich für Apps haben.

Allerdings muss man hier deutlich abschichten, ob dieses Verdikt generell bei Verwendung einer "Du - Adressierung" gilt oder aber es in einem werblichen Kontext geschehen muss, der sich ausschließlich an Kinder und Jugendliche richtet. Der vorliegende Sachverhalt beruht wohl aufgrund des beworbenen Spieles auf einer direkt an Kinder adressierten Werbung, so dass der Tenor auch nur auf einen solchen Sachverhalt bezogen werden kann und nicht ohne weiteres generalisiert werden darf. Es geht daher um unmittelbare Kaufaufforderungen an Kinder und Jugendliche. Dies führt für die Werbepraxis unter Umständen zu schwierigen Anpassungen.  





Samstag, 23. März 2013

BGH: Zur Anwendung des § 32 KWG auf Winzergelder

BGH, Pressemitteilung vom 19.03.2013, Nr. 49/2013
Zur Anwendbarkeit des Kreditwesengesetzes auf Verbindlichkeiten aus Winzergeldern

Bereits die beiden Vorinstanzen waren sehr interessant, ging es doch um nichts weniger als um die Frage der Reichweite des § 32 KWG, der wegen seiner komplexen Regel - Ausnahme - Systematik nicht ganz leicht zu verstehen ist, aber dessen Einhaltung seitens der BaFIN streng überwacht wird. Ungeachtet dessen wird immer wieder versucht, die Reichweite dieser Norm und vergleichbarer Normen in anderen EU - Staaten oder "Offshore" in gewisser Weise "auszutesten". 

Völlig unabhängig von der Rechtsform bedarf nach § 32 Abs. 1 KWG der schriftlichen Erlaubnis der BaFIN, wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will. Was ein Bankgeschäft ist, wird in § 1 Abs.1 Satz 2 und § 1 Abs.1 1 a Sätze 2 und 3 KWG abschließend definiert. Von Bankgeschäften abzugrenzen sind jene Finanzdienstleistungen, die eine Erlaubnis nach der Gewerbeordnung verlangen (Bsp: Darlehensvermittlung). Die Abgrenzungen sind in Teilbereichen sehr schwierig. 

Eine etwaig erforderliche Erlaubnis muss vor der Aufnahme der Geschäftstätig vorliegen und ist bei Eintragungen in das Handelsregister zuvor vorzulegen. Werden entsprechende Finanzdienstleistungen ohne die erforderliche Erlaubnis erbracht, kann die Bundesanstalt nach § 37 KWG die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebs und die unverzügliche Abwicklung dieser Geschäfte gegenüber dem Unternehmen und den Mitgliedern seiner Organe anordnen.


Die aufsichtsrechtliche Seite spielte bei dem seitens des BGH entschiedenen Falles keine Rolle, weil es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Beteiligten an derart unerlaubten Geschäften handelte, die dem BGH aber die Gelegenheit boten, hier eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Im vorliegenden Fall  

hat der für die Haftung aus unerlaubter Handlung zuständige VI. Zivilsenat des BGH die Erlaubnispflicht für überjährige Zinsgeschäfte der Winzergenossenschaften und vergleichbaren Betriebe mit Winzergeldern nach dem Kreditwesengesetz bejaht, weil das betreffende Unternehmen Einlagengeschäfte betrieben hat, die Banken vorbehalten sind, die völlig anderen Absicherungen und Anforderungen unterliegen. Der Fall ist auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht überaus interessant, weil es sich vorliegend um die Inanspruchnahme des Geschäftsführers der Komplementär - GmbH einer GmbH & Co. KG handelte, die die Geschäfte der KG führte, die selbst insolvent geworden ist. Die Haftung haben nunmehr alle Instanzgerichte im Rahmen der Außenhaftung bejaht. Dies zeigt auch, welchen Risiken sich als Geschäftsführer aussetzt, wer sich in derartige Geschäfte ohne entsprechende Absicherung involviert.

Auszüge: 

 Der Kläger, ein in der Pfalz ansässiger Winzer, nimmt die Beklagten als ehemalige Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der zwischenzeitlich insolventen L. GmbH & Co. KG wegen des von ihm über mehrere Jahre bei der Schuldnerin belassenen und aufgrund der Insolvenz nicht zurückerhaltenen "Winzergelds" auf Schadensersatz in Anspruch. 

Bei der Schuldnerin war es bereits seit den 1970er Jahren ständige Geschäftspraxis, dass eine Vielzahl von Erzeugern aus der Winzergemeinschaft (im Durchschnitt 160 bis 300 Winzer) jeweils einen Teil des Entgelts für die Ablieferung ihrer Trauben als jederzeit abrufbare "Einlage" gegen Verzinsung stehen ließen, damit die Schuldnerin mit dem Kapital wirtschaften konnte. Im Jahre 2007 hatten mindestens 50 Erzeuger "Winzergelder" in Höhe von insgesamt etwa 2.500.000 € ohne bankübliche Sicherheiten bei der Schuldnerin einbezahlt. Eine Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz besaßen die Schuldnerin beziehungsweise ihre Komplementär-GmbH nicht. 

 Die Winzergemeinschaft, der auch der Kläger angehört, verpflichtete sich mit Liefer- und Abnahmevertrag vom 1. September 1983 zur Lieferung von Weintrauben an die Schuldnerin. Der Vertrag wurde mit Vereinbarung vom 6. Oktober 1989 unter anderem um die Regelung ergänzt, dass für den Fall, dass ein Mitglied der Winzergemeinschaft (Erzeuger) einen Teil oder den Gesamterlös seiner Ernte bei der Schuldnerin stehen lässt, dieser Betrag mit 5 % verzinst wird und der Zinssatz mit steigendem und fallendem Kreditzins gleitend sein soll. Nachdem der Kläger auf seine ursprünglich getätigten Einzahlungen in Höhe von zuletzt 81.447,67 € nach der Insolvenz der Schuldnerin teilweise Entschädigungsleistungen von dritter Seite erhalten hat, verlangte er von den Beklagten Ersatz des Restbetrags Zug um Zug gegen Abtretung seiner im Insolvenzverfahren der Schuldnerin festgestellten Ansprüche. 

In diesem Umfang hatte die Klage in den Vorinstanzen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich bei den vom Kläger eingezahlten Geldern um Einlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG, so dass die Beklagten durch die Annahme der Gelder ohne die dafür erforderliche Erlaubnis gegen § 32 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG verstoßen hätten und dem Kläger deswegen deliktisch zum Schadensersatz verpflichtet seien. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. 

 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat die Beurteilung des Berufungsgerichts gebilligt. Die Geschäftspraxis der Schuldnerin erfüllte alle Merkmale eines Einlagengeschäfts im Sinne des Kreditwesengesetzes. Ein solches setzt voraus, dass fremde Gelder von Unternehmen von mehreren Geldgebern, die keine Kreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG sind, zur unregelmäßigen Verwahrung, als Darlehen oder in ähnlicher Weise ohne Bestellung banküblicher Sicherheiten und ohne schriftliche Vereinbarung im Einzelfall laufend zur Finanzierung eines auf Gewinnerzielung gerichteten Aktivgeschäfts entgegengenommen werden. 

Die Schuldnerin nahm Gelder von einer Vielzahl von Winzern mit einer Rückzahlungsverpflichtung und ohne bankübliche Besicherung laufend entgegen, um damit in ihrem Aktivgeschäft zu wirtschaften. Indem die Beklagten als Organe der Komplementär-GmbH der Schuldnerin Einlagengeschäfte und damit Bankgeschäfte ohne aufsichtsbehördliche Erlaubnis führten, verstießen sie gegen das Kreditwesengesetz. Sie handelten dabei jedenfalls fahrlässig, denn sie hätten sich über etwaige Erlaubniserfordernisse unterrichten müssen. 

Bereits im Jahr 1974 hatte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in einem amtlichen Schreiben zum Einlagenbegriff im Zusammenhang mit "Winzergeldern" Stellung genommen. Danach stellen die im Verlauf einer Abrechnungsperiode geleisteten Zahlungen oder erteilten Zwischenabrechnungen der Winzergenossenschaften bis zur endgültigen Jahrgangsabrechnung nur Vorschüsse auf den endgültigen Traubenpreis dar. Mit der Endabrechnung wird die Traubengeldverpflichtung fällig. Wenn ein Winzer gemäß den Zwischenabrechnungen keine Vorauszahlung verlangt, können die nicht in Anspruch genommenen Beträge bis zur Endabrechnung verzinst werden, ohne dass es sich bei den derart entstandenen "Guthaben" der Winzer um Einlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG handelt. Werden die mit der Endabrechnung fällig gewordenen Beträge einschließlich der hinsichtlich des jeweiligen Jahrgangs nicht in Anspruch genommenen Vorschüsse nicht unverzüglich an die Mitglieder ausgezahlt, ist die Verbindlichkeit einer Winzergenossenschaft gegenüber ihren Mitgliedern insoweit als Einlage anzusehen. 

BGH, Urteil vom 19. März 2013 – VI ZR 56/12 
LG Landau in der Pfalz - Urteil vom 28. April 2011 - 4 O 32/10 
Pfälzisches OLG Zweibrücken - Urteil vom 12. Januar 2012 - 4 U 75/11 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

BGH verschärft erneut die Architektenhaftung

BGH, Pressemitteilung Nr. 51/2013
BGH präzisiert Pflichten des Architekten

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat erneut über die Pflichten eines Architekten im Hinblick auf die Ermittlung und Berücksichtigung der Kosten eines von ihm zu planenden Bauwerks entschieden und verschärft damit erneut das Haftungsrecht der Architekten. Wer als Architekt ohne Architektenvertrag- auf welcher Abrechnungsbasis auch immer - tätig wird, handelt fahrlässig gegen sich selbst (nicht nur in Deutschland). Nun kommen weitere Dokumentationspflichten hinzu, soll eine Haftung in einschlägigen Fällen vermieden werden. 

Im durch den BGH entschiedenen Fall beauftragte ein Bauherr 1998 einen Architekten mit der Genehmigungsplanung für ein Wohnhaus. Die vom Architekten vorgelegte Planung wurde nicht realisiert. Nach der Behauptung des Beklagten war sie für ihn unbrauchbar, weil sie mit Baukosten von über 1,5 Mio. DM weit über dem vorgegebenen Kostenrahmen von 800.000 DM gelegen habe. Der Architekt stellte dem Beklagten die erbrachten Planungsleistungen in Rechnung und erhob gegen ihn schließlich Klage auf Zahlung des Honorars. 

Natürlich kam es in diesem Zusammenhang auch zum Streit über die Vereinbarung einer Baukostenobergrenze, die allem Anschein nach nicht schriftlich als Vertragsbestandteil vereinbart war. Ohnehin sollte in Fällen, in denen eine solche Grenze kalkulatorisch unrealistisch sein sollte, der Bauherr unverzüglich in Kenntnis gesetzt werden. Dies um so mehr als der Architekt diese Grenze nach der "Widerspruchslösung" des BGH hingenommen hat, so dass die Vertragsbestandteil wird, wenn seitens des Architekten kein Widerspruch erfolgt. Die Nichteinhaltung einer Obergrenze führt aber nicht in jedem Falle zur Unbrauchbarkeit der gesamten Planung. Einem derartigen "Automatismus" ist zu widersprechen, weil dies vom Einzelfall abhängt. 

Die Klage hatte zwar in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat den Einwand des Beklagten, die Planung sei für ihn unbrauchbar gewesen, nicht gelten lassen. Eine vom Architekten bei seiner Planung einzuhaltende Bausummenobergrenze von 800.000 DM sei nicht vereinbart worden. Der BGH hatte Gelegenheit sich zu dieser Thematik grundsätzlich zu äußern: 

Ein Architekt ist grundsätzlich verpflichtet, bereits im Rahmen der sogenannten Grundlagenermittlung mit dem Auftraggeber den wirtschaftlichen Rahmen für ein Bauvorhaben abzustecken und dessen Kostenvorstellungen zu berücksichtigen. Diese dem Architekten gegenüber zum Ausdruck gebrachten Kostenvorstellungen seien in dem Sinne verbindlich, dass sie - vorbehaltlich einer nachträglichen Änderung - den Planungsrahmen bestimmen und jedenfalls dann regelmäßig zum Vertragsinhalt werden, wenn der Architekt ihnen nicht widerspricht. Dies bedeutet, dass nunmehr ein solcher Widerspruch erfolgen muss und auch schriftlich dokumentiert werden sollte. 

Derartige Kostenvorstellungen sind nach der Entscheidung des BGH jedenfalls auch dann beachtlich, wenn sie nicht eine genaue Bausummenobergrenze enthalten, sondern nur Angaben zur ungefähren Bausumme, mit denen ein Kostenrahmen abgesteckt wird. Etwaige Zweifel über den Umfang des Kostenrahmens muss der Architekt aufklären, was auch durch die von der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure erfassten Kostenermittlungen für den Auftraggeber geschehen kann. 

Überschreitet der Architekt den vorgegebenen Kostenrahmen und ist die Planung allein deshalb schon unbrauchbar, kann der Anspruch auf das vereinbarte Honorar entfallen. Der Bundesgerichtshof hat die Nichtbeachtung dieser Grundsätze durch das Berufungsgericht beanstandet und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses Urteil erhöht für Architekten in jedem Falle die Dokumentationslast zur Eigensicherung. 

Urteil vom 21. März 2013 – VII ZR 230/11 
OLG Bamberg - Urteil vom 2. November 2011 - 3 U 100/11 
LG Schweinfurt - Urteil vom 3. Mai 2011 - 24 O 134/00
Quelle: Pressestelle des BGH

Donnerstag, 7. Februar 2013

BGH legt EuGH Frage zum Schutz von Schutzmaßnahmen für Videospiele vor


Bundesgerichtshof, Pressemitteilung Nr. 25/2013

Der überaus lesenswerte Beschluss des u.a. für das Urheberrecht zuständigen I. Zivilsenat des BGH ist weit über den konkreten Anlass hinaus von Interesse. Der BGH hat dem Gerichtshof der Europäischen Union zwar die Frage vorgelegt, nach welchen Regeln sich der Schutz technischer Maßnahmen zum Schutz urheberrechtlich geschützter Videospiele richtet. Diese Aspekte sind aber nicht nur für Videospiele interessant, sondern etwa auch für die Hersteller von Computerzubehör für bestimmte Computer, die bestimmte Hardwareergänzungen nach ihren Vertriebsbestimmungen für nicht zulässig erklären. Mit Hilfe derartiger Tools lassen sich auf bestimmte Endgeräte auch Inhalte übertragen, die nicht über das zentrale Vertriebsnetz derartiger Anbieter erworben worden sind. Je nachdem wie der EuGH die sich hier stellenden Rechtsfragen entscheidet, könnte diese zu einer nicht unerheblichen "Klagewelle" führen. Die Bedeutung dieses Vorlagebeschlusses ist daher von erheblicher Praxisrelevanz. 

Worum geht es?

Die Klägerin in diesem Rechtsstreit produziert und vertreibt Videospiele und Videospiel-Konsolen, darunter die Konsole "Nintendo DS" und zahlreiche dafür passende Spiele. Sie ist Inhaberin der urheberrechtlichen Schutzrechte an den Computerprogrammen, Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken, die Bestandteil der Videospiele sind. Die Videospiele werden ausschließlich auf besonderen, nur für die Nintendo-DS-Konsole passenden Speicherkarten angeboten, die in den Kartenschacht der Konsole eingesteckt werden.

Die Beklagten boten im Internet Adapter für die Nintendo-DS-Konsole an. Diese Adapter sind den originalen Speicherkarten in Form und Größe genau nachgebildet, damit sie in den Kartenschacht der Konsole passen. Sie verfügen über einen Einschub für eine Micro-SD-Karte oder über einen eingebauten Speicherbaustein ("Flash-Speicher"). Nutzer der Konsole können mit Hilfe dieser Adapter im Internet angebotene Raubkopien der Spiele auf der Konsole verwenden. Dazu laden sie solche Kopien der Spiele aus dem Internet herunter und übertragen diese sodann entweder auf eine Micro-SD-Karte, die anschließend in den Adapter eingesteckt wird, oder unmittelbar auf den eingebauten Speicherbaustein des Adapters. Die Klägerin will mit dieser Klage daher auch die Nutzung von Softwarepiraterie eindämmen. 

Die Rechtsauffassungen der Parteien und der bisherige Gang des Verfahrens

Die Klägerin sieht in dem Vertrieb der Adapter einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 95a Abs. 3 UrhG; diese Bestimmung regelt den Schutz wirksamer technischer Maßnahmen, die ihrerseits dem Schutz urheberrechtlich geschützter Werke dienen. Die Klägerin hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz und Vernichtung der Karten in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Vertrieb der Adapter verstoße gegen § 95a Abs. 3 UrhG. Das aufeinander abgestimmte Format der von den Klägerinnen hergestellten Karten und Konsolen stelle eine wirksame technische Maßnahme zum Schutz der in den Videospielen enthaltenen Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerke dar. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Der Vorlagebeschluss des BGH

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt. § 95a Abs. 3 UrhG setzt Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG nahezu wörtlich ins deutsche Recht um. Beide Bestimmungen regeln den Schutz von Maßnahmen zum Schutz urheberrechtlich geschützter Werke. 

Für den Schutz von Maßnahmen zum Schutz von Computerprogrammen sehen allerdings die Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/24/EG und die zu ihrer Umsetzung ergangene Bestimmung des § 69f Abs. 2 UrhG eine besondere - weniger weitreichende - Regelung vor. Zudem bestimmt Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG, dass die Richtlinie 2001/29/EG - und damit auch deren Art. 6 Abs. 2 - die bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den rechtlichen Schutz von Computerprogrammen unberührt lässt. 

Die zur Umsetzung dieser Vorschrift dienende Regelung des § 69a Abs. 5 UrhG bestimmt unter anderem, dass die Regelung des § 95a Abs. 3 UrhG nicht auf Computerprogramme anwendbar ist. 

Die von den Klägerinnen vertriebenen Videospiele bestehen nicht nur aus Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken; vielmehr liegen ihnen auch Computerprogramme zugrunde. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Schutz von Maßnahmen zum Schutz solcher "hybriden Produkte" wie insbesondere Videospiele nach den speziell für Computerprogramme oder nach den allgemein für Werke geltenden Bestimmungen richtet oder ob sowohl die einen wie auch die anderen Bestimmungen anwendbar sind. 

Da diese Frage die Auslegung des Unionsrechts betrifft, hat der BGH sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Schlussfolgerung:

Die Frage der urheberrechtlichen Beurteilung "hybrider Produkte" stellt sich keineswegs nur für Videospiele, sondern beispielsweise auch für bestimmte Formen von Mobile Content und insbesondere auch für "Apps". Die Entscheidung des EuGH ist mit Interesse zu erwarten.

BGH, Beschluss vom 6. Februar 2012 - I ZR 124/11 - Videospiel-Konsole
LG München I - Urteil vom 14. Oktober 2009 - 21 O 22196/08, MMR 2010, 341
OLG München - Urteil vom 9. Juni 2011 - 6 U 5037/09
Karlsruhe, den 7. Februar 2013
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Mittwoch, 6. Februar 2013

Gesicherte wissenschaftlichen Erkenntnis als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Heilmittelwerbung

BGH, Pressemitteilung Nr. 22/2013 
BGH zum Merkmal der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Heilmittelwerbung

Die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse als Voraussetzung einer rechtskonformen Werbung für Heilmittel sind seit einigen Jahren immer wieder kehrender Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten, die mit diesem Urteil erneut den BGH beschäftigt haben.

Sachverhalt:

Die Parteien vertreiben Arzneimittel zur Behandlung von Diabetes mellitus, die auf unterschiedlichen Wirkstoffen beruhen. Das Präparat der Klägerin enthält den Wirkstoff Insulinglargin, das Präparat der Beklagten den Wirkstoff Insulindetemir. Die Klägerin wendet sich im Kern gegen die in einem Faltblatt der Beklagten enthaltene Werbeaussage, wonach das von der Beklagten vertriebene Mittel gegenüber dem Mittel, das den von der Klägerin verwandten Wirkstoff enthält, zu einer geringeren Gewichtszunahme führe. Dabei wendet sich ein Teil der Klageanträge dagegen, dass sich die Beklagte zum Beleg ihrer Werbeaussage konkret auf eine Studie gestützt hat. Ein anderer Teil der Anträge richtet sich gegen die Werbeaussage ohne Bezugnahme auf eine Studie.

Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, die Studienergebnisse, auf die sich die Beklagte stützt, seien wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert. Die Werbung sei daher irreführend. Das Landgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Die Werbung, so das Kammergericht, verstoße nicht gegen das Wettbewerbsrecht, weil die Studienergebnisse, auf die sich die Werbeaussagen der Beklagten stützten, Eingang in die beim Zulassungsverfahren geprüfte Fachinformation gefunden hätten. Deshalb sei zu vermuten, dass der Gewichtsvorteil, mit dem die Beklagte geworben hatte, dem wissenschaftlich gesicherten Stand entspreche. Diese Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision will die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen.

Entscheidungsgründe:

Auf die Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen, soweit  diejenigen Anträge betroffen sind, die sich gegen die durch Bezugnahme auf eine Studie belegte Werbung mit einem Gewichtsvorteil richten.

Der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, dass insoweit eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen den Grundsatz der "Zitatwahrheit" grundsätzlich in Betracht kommt. Dieser Grundsatz besagt, dass Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig sind, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Diese Anforderungen für den vorliegenden Bereich wie folgt präzisiert:

Für die Einhaltung der genannten Anforderungen ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Ob auch - wie im Streitfall - nachträglich anhand vorliegender Studiendaten im Rahmen einer sogenannten Subgruppenanalyse oder im Wege der Zusammenfassung mehrerer wissenschaftlichen Untersuchungen (Metaanalyse) erstellten Studien eine Werbeaussage tragen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es für die Frage der Irreführung neben der Einhaltung der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln vor allem darauf an, ob der Verkehr in der Werbung hinreichend deutlich auf die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung dieser Studie und gegebenenfalls die in der Studie selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf die Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse hingewiesen und ihm damit die nur eingeschränkte wissenschaftliche Aussagekraft der Studie vor Augen geführt wird. Solche aufklärenden Hinweise enthält die beanstandete Werbung nicht, obwohl die in Bezug genommene Studie Anlass dazu gegeben hat. Dies lässt sich nur in einer Tatsacheninstanz klären, so dass insoweit eine Rückverweisung an das Kammergericht erfolgte.

Dagegen ist die ohne konkreten Bezug zu der Studie aufgestellte Behauptung eines Gewichtsvorteils im Streitfall rechtlich nicht zu beanstanden, weil sich ein solcher Vorteil - genauer: eine geringere Gewichtszunahme - nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Kammergerichts im Streitfall aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung und der Fachinformation entnehmen lässt. Zwar gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung nach dem im Heilmittelwerberecht maßgebenden Strengeprinzip generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht.

Grundsätzlich kann sich aber ein Werbender nach diesem Urteil zum wissenschaftlichen Nachweis der Richtigkeit seiner Werbebehauptung auf den Inhalt der Zulassung und der Fachinformation berufen, weil diese Unterlagen Gegenstand der Überprüfung durch die Zulassungsbehörde sind. Dies wird der Praxis zahlreiche Erleichterungen bringen, weil Heilmittelwerbung, die sich an diese Vorgaben hält, kaum mehr zu beanstanden sein wird, sofern der Zeitpunkt der Zulassung nicht zeitlich länger zurück liegt.

Eine Irreführung kommt aber nach Auffassung des BGH dann in Betracht, wenn der Kläger darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt bekanntgewordene oder der Zulassungsbehörde bei der Zulassungsentscheidung sonst nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen. Da die Klägerin nichts zu solchen Erkenntnissen vorgetragen hatte, war die Klageabweisung insofern zu Recht erfolgt.

Dieses Urteil trägt erheblich zur Präsizierung der Anforderungen an die Annahme von Irreführungen im Bereich des Heilmittelwerberechts bei.

Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 62/11 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil
LG Berlin - Urteil vom 9. Juni 2009 - 15 O 704/07
KG Berlin - Urteil vom 22. Februar 2011 - 5 U 87/09
Karlsruhe, den 6. Februar 2013
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Auskunftsansprüche von Anlegern von Filmfonds in der Form von Publikums-Kommanditgesellschaften

BGH, Pressemitteilung Nr. 21/2013
 BGH entscheidet über Auskunftsansprüche von Anlegern von Filmfonds in der Form von Publikums-Kommanditgesellschaften 

 Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH hat erneut brisante Urteile zum Recht der Publikums - Kommanditgesellschaften gefällt, das überaus interessant sind. Der Hintergrund dieser Entscheidungen sind Finanzierungsmodelle für Filmprojekte. Spielfilme werden oftmals über geschlossene Fianzierungsfonds finanziert, die sehr häufig als GmbH & Co.- KG ausgestaltet sind, wobei allerdings etliche Gestaltungsalternativen vorhanden sind, etwa unter Nutzung der BGB - Innengesellschaften und einem Kommanditisten als Treuhänder. Nach wie vor sind in diesem Bereich aber auch Publikums - Kommanditgesellschaften recht häufig anzutreffen. Der Erfolg eines Filmprojektes ist auch bei sehr ausgefeilten Business - Cases regelmäßig schwer zu prognostizieren, so dass diese Anlagemodelle sehr riskant sein können. Gibt es Streit, wollen die Beteiligten regelmäßig wissen, wer Partner solcher Anlagegesellschaften ist.   

Gegenstand der vorliegenden Rechtsstreitigkeiten war im Kern die Frage, ob Anleger, die sich als Treugeber über einen Treuhandgesellschafter an einem (Film)Fonds in der Form von Publikums-Kommanditgesellschaften beteiligt haben, Auskunft über Namen und Anschriften der übrigen an der Gesellschaft beteiligten Anleger verlangen können, wenn ihnen im Innenverhältnis der Gesellschaft die Stellung eines unmittelbaren Gesellschafters (Kommanditisten) eingeräumt ist. Es ging daher um einen Auskunftsanspruch: 

"In den vier heute verhandelten – und ebenso in einer Vielzahl weiterer beim II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs und bei Land- und Oberlandesgerichten anhängigen - Verfahren haben Anleger von Publikumsgesellschaften in der Form von Kommanditgesellschaften mit den jeweiligen Gesellschaften, teils auch mit deren geschäftsführenden Gesellschaftern oder mit der Treuhandkommanditistin darüber gestritten, ob sie ein Recht auf Auskunftserteilung über Namen, Anschriften und (in einem Fall) die Beteiligungshöhe der 
übrigen an den Gesellschaften beteiligten Anleger haben."

Die gesellschaftsrechtliche Struktur sieht in solchen Fällen meist wie folgt aus:  

"An den Fondsgesellschaften konnten sich die Anleger entweder als Kommanditisten (= unmittelbare Gesellschafter) beteiligen mit der Folge, dass sie mit Namen, Wohnort und Haftsumme in das Handelsregister eingetragen wurden, oder sie beteiligten sich als Treugeber (= mittelbare Gesellschafter) über eine Treuhänderin an dem Fonds, wobei in diesem Fall nur die Treuhänderin als (Treuhand-)Kommanditistin mit Name, Wohnort und Haftsumme im Handelsregister eingetragen wurde. Namen, Anschriften sowie die Beteiligungshöhe der Treugeber sind dann nur der Treuhänderin oder der Fondsgesellschaft bekannt"

Ein derartiger Auskunftsanspruch wird in den Beteiligungs- und Treuhandverträge regelmäßig ausgeschlossen, um eben derartige Szenarien zu verhindern. Das besagt aber nichts darüber, ob solche Klauseln auch rechtmäßig sind, so dass es auch hier um das Thema der Inhaltskontrolle von Publikumspersonengesellschaften geht.

Die klagenden Anleger haben die Ansicht vertreten, das derartige Klausel nach §§ 242, 138 BGB nichtig sind, so dass ihnen ein Recht auf Kenntnis der Identität der anderen an dem jeweiligen Fonds beteiligten Anleger zusteht, weil sie ohne diese Kenntnis ihre Gesellschafter- oder Treugeberrechte nicht ordnungsgemäß ausüben könnten. Zu diesem Komplex existiert bereits eine reichhaltige Rechtsprechung.

Die Beklagten haben - aus ihrer Sicht konsequent und unter Verteidigung der Rechtmäßigkeit dieser Klauseln - die verlangten Auskünfte u.a. unter Hinweis auf ein schützenswertes Anonymitätsinteresse der nur über einen Treuhänder beteiligten Anleger und die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung der Daten verweigert. In allen vier Fällen hatten die Klagen vor dem Oberlandesgericht München Erfolg.

Nach der mündlichen Verhandlung vor dem BGH haben in zwei Verfahren die Beklagten ihre Revisionen vor der Verkündung der Urteile zurückgenommen. In den beiden anderen Verfahren hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen des Oberlandesgerichts München bestätigt und folgende Rechtsauffassung zu diesen Auskunftsansprüchen bezogen:

Als Treugeber beigetretene Anleger sind nach ihrem Beitritt im Innenverhältnis den als Kommanditisten beigetretenen Anlegern in Rechten und Pflichten gleichgestellt. Ein Kommanditist hat ebenso wie der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und einer offenen Handelsgesellschaft einen aus seinem Mitgliedschaftsrecht folgenden Anspruch auf Kenntnis der Identität seines gesellschaftsvertraglichen Vertragspartners.

Aufgrund dieser Gleichstellung der Treugeber mit den (unmittelbaren) Kommanditisten steht ein solcher Auskunftsanspruch aus §§ 166 Abs.3 HGB; 161 Abs.2 HGB, 118 Abs.1 HGB; 242 BGB auch den nur über einen Treuhänder beigetretenen Anlegern zu und kann in den Gesellschafts- und Treuhandverträgen nicht wirksam ausgeschlossen werden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr des Missbrauchs der Daten durch die klagenden Anleger selbst oder unter deren Beteiligung waren in den entschiedenen Fällen nicht dargelegt.

Diese Auffassung ist sehr überzeugend und dürfte für Klarheit sorgen.

Urteile vom 5. Februar 2013
II ZR 134/11
LG München I - Urteil vom 3. Dezember 2010 – 6 O 7299/10
OLG München - Urteil vom 18. Mai 2011 – 7 U 190/11

und

II ZR 136/11
LG München I - Urteil vom 23. November 2010 – 16 HKO 14213/10
OLG München - Urteil vom 18. Mai 2011 – 7 U 5642/10

Karlsruhe, den 5. Februar 2013
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Donnerstag, 24. Januar 2013

Schadensersatz für den Ausfall eines privat genutzten Internetanschlusses

BGH, Pressemitteilung Nr. 14/2013 

Urteil vom 24. Januar 2013 – III ZR 98/12 
Bundesgerichtshof erkennt Schadensersatz für den Ausfall eines Internetanschlusses 

Entscheidungen zur Schadensersatzpflicht der Telekommunikationsprovider wegen Ausfalls der Telekommunikationseinrichtungen - etwa nach verspäteter Portierung - sind rar und die Provider ziehen sich gerne auf die Konstruktion "Schädigung ohne Schaden" zurück. Die Haftung dem Grunde nach ist oftmals gegeben. 

In der Tat ist die Berechnung des Schadensersatzes nicht unproblematisch und in Kenntnis dessen bieten viele TK - Provider den Kunden allenfalls geringe Pauschalen an, zumal die Kunden in Kenntnis der betreffenden Schwierigkeiten oftmals von einem Rechtsstreit absehen, der durchaus zu Kostennachteilen führen kann, wenn man die Sache realistisch betrachtet und der Schadensersatz weder konkret noch abstrakt schlüssig begründet werden kann. 


Nunmehr hat einer diese Fälle den BGH erreicht, der damit Gelegenheit hatte ein Grundsatzurteil zu fällen, dass aber hinsichtlich der Höhe in einer Rückverweisung an das Berufungsgericht endete. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Kunden eines Telekommunikationsunternehmens mit Sitz in Montabaur Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses zuerkannt, weil infolge eines Fehlers des beklagten Telekommunikationsunternehmens bei einer Tarifumstellung der Kläger seinen DSL-Internetanschluss in der Zeit vom 15. Dezember 2008 bis zum 16. Februar 2009 nicht nutzen konnte. Der Kläger wickelte über diesen Anschluss auch seinen Telefon- und Telefaxverkehr ab (Voice und Fax over IP, VoIP). Neben Mehrkosten, die infolge des Wechsels zu einem anderen Anbieter und für die Nutzung eines Mobiltelefons anfielen, verlangt der Kläger Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit, seinen DSL-Anschluss während des genannten Zeitraums für die Festnetztelefonie sowie für den Telefax- und Internetverkehr zu nutzen, in Höhe von pauschal 50 € täglich, was einer abstrakten Berechnung des Schadensersatzes entspricht. Es handelt sich hier um einen rein privat genutzten TL - Anschluss, nicht etwa um unternehmerische oder freiberufliche Nutzung, was sich auch in der Schadenshöhe ausdrückt.

In den Vorinstanzen sind dem Kläger 457,50 € für das höhere, bei dem anderen Anbieter anfallende Entgelt sowie für die Kosten der Mobilfunknutzung zuerkannt worden. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger seinen Schadensersatzanspruch für die entgangenen Nutzungsmöglichkeiten seines DSL-Anschlusses weiter verfolgt. 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. In Anwendung dieses Maßstabs hat der III. Zivilsenat einen Schadensersatzanspruch wegen des Ausfalls des Telefaxes verneint. Dabei kommt es allerdings auf den Einzelfall an. Eine solche Verneinung wäre nach hiesiger Auffassung bei Unternehmen, die in erheblichem Umfang auf Faxverkehr angewiesen sind - etwa Rechtsanwaltskanzleien - kaum vernünftig zu argumentieren. 

Nach Auffassung des BGH vermittelt der Telefaxverkehr lediglich die Möglichkeit, Texte oder Abbildungen bequemer und schneller als auf dem herkömmlichen Postweg zu versenden. Der Fortfall des Telefaxes wirkt sich zumindest in dem hier in Rede stehenden privaten Bereich nicht signifikant aus, zumal diese Art der Telekommunikation zunehmend durch die Versendung von Text- und Bilddateien mit elektronischer Post verdrängt wird (Bsp. E-Mail mit pdf - Anhang). 

 Im Ergebnis hat der Senat einen Schadensersatzanspruch auch für den Ausfall des Festnetztelefons abgelehnt, was in der Pressemitteilung nicht näher begründet wird. Allerdings stellt die Nutzungsmöglichkeit des Telefons ein Wirtschaftsgut dar, dessen ständige Verfügbarkeit für die Lebensgestaltung von zentraler Wichtigkeit ist. 

Die Ersatzpflicht des Schädigers für die entgangene Möglichkeit, Nutzungsvorteile aus einem Wirtschaftsgut zu ziehen, entfällt jedoch, wenn dem Geschädigten ein gleichwertiger Ersatz zur Verfügung steht und ihm der hierfür anfallende Mehraufwand ersetzt wird. Dies war vorliegend der Fall, weil der Kläger im maßgeblichen Zeitraum ein Mobiltelefon nutzte und er die dafür angefallenen zusätzlichen Kosten ersetzt verlangen konnte. Ob dies immer und stets so sein muss, lässt sich durchaus in Zweifel ziehen, weil ein funktionierender und im Geschäftsleben eingeführter Telefonanschluss mit einem Mobilfunkanschluss nicht völlig substituieren lässt. Bei privater Nutzung mag dies noch angehen. 

 Demgegenüber hat der Senat dem Kläger dem Grunde nach Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit zuerkannt, seinen Internetzugang für weitere Zwecke als für den Telefon- und Telefaxverkehr zu nutzen und äußert sich detailliert zu den Funktionen der Medien des Internets: 

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. 

Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. 

Zur Höhe des Schadensersatzes hat der Senat ausgeführt, dass der Kläger in Übertragung der insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf die vorliegende Fallgestaltung einen Betrag verlangen kann, der sich nach den marktüblichen, durchschnittlichen Kosten richtet, die in dem betreffenden Zeitraum für die Bereitstellung eines DSL-Anschlusses mit der vereinbarten Kapazität ohne Telefon- und Faxnutzung angefallen wären, bereinigt um die auf Gewinnerzielung gerichteten und sonstigen, eine erwerbwirtschaftliche Nutzung betreffenden Wertfaktoren. Es liegt auf der Hand, dass dieser Schadensersatzanspruch angesichts der derzeitigen Kostensituation am DSL - Markt nicht allzu hoch sein wird. 

 Zur näheren Sachaufklärung hierzu hat der Senat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das über die konkrete Höhe des Schadensersatzes nach der präzisen "Segelanweisung" des BGH zu befinden haben wird. 

AG Montabaur - Urteil vom 7. Dezember 2010 – 5 C 442/10 
LG Koblenz - Urteil vom 7. März 2012 – 12 S 13/11 
Karlsruhe, den 24. Januar 2013 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

BGH legt EuGH Fragen zur Neuregelung des Glücksspielrechts vor

BGH, Pressemitteilung Nr. 12/2013 
BGH legt EuGH Fragen zur Neuregelung des Glücksspielrechts vor 

Das Glücksspiel - und Gewinnspielrecht ist seit geraumer Zeit in deutlicher Bewegung. Es hatte erst letzten Herbst aufgrund einer Vorlage aus Wales den EuGH beschäftigt. Die zentrale Regelung in Deutschland ist der Glücksspielstaatsvertrag der deutschen Bundesländer nebst Ausführungsgesetzen, der in unterschiedlichen Fassung Anwendung findet. Hier geht es noch um die Fassung des Glücksspielstaatsvertrages 2008, der inzwischen durch den Glücksspielstaatsvertrag 2012 ersetzt worden ist. Dieser Wechsel der Regimes führt zu zahlreichen Problemen hinsichtlich des Verdikts der Wettbewerbswidrigkeit vor und nach Inkrafttreten der jeweiligen Rechtsänderungen und zwar jeweils vor dem Hintergrund einer Konformität mit europäischem Recht, da es sich um Anbieter aus dem EU -Ausland handelt, die sich auf die Grundfreiheiten berufen können, hier auf die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV.   

In diesem Zusammenhang ist erheblich, dass Schleswig - Holstein diesem Glückspielsstaatvertrag nicht beigetreten ist und unter der Vorgängerregierung das Glücksspielrecht erheblich liberalisiert hat. Im Fokus dieses Rechtsstreits zwischen der staatlichen Lottogesellschaft von Nordrhein - Westfalen als Klägerin und digibet als international operierendem Sportwettenanbieter - der auch zahlreiche Gewinnspiele anbietet - stehen lauterkeitsrechtliche Fragestellungen, die aber Bedeutung für den gesamten Bereich des Glücksspielrechts haben. 


Seit 1.Januar 2012 gilt in Schleswig-Holstein ein liberalisiertes Glücksspielrecht. Danach sind Vertrieb und Werbung für Glücksspiele im Internet grundsätzlich zulässig; unter bestimmten objektiven Voraussetzungen ist die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten jedem Antragsteller aus der EU zu erteilen. In den übrigen Bundesländer gilt dagegen inzwischen ein neuer Glücksspielstaatsvertrag (1.Glücksspieländerungsstaatsvertrag GlüStV 2012). 


Die Beklagte bietet im Internet Glücksspiele, Gewinnspiele und Sportwetten an. Die Klägerin, die staatliche Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen, hält dieses Angebot für wettbewerbswidrig. Ihre Unterlassungsklage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. 

Nach der Rechtsprechung des BGH handelte die Beklagte bis zum 31. Dezember 2011 wettbewerbswidrig, weil sie gegen die Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiele im Internet gemäß § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 3 Glücksspielstaatsvertrag 2008 (GlüStV 2008) verstieß (vgl. BGH, Urt. v. 28.9.2011 - I ZR 92/09, GRUR 2012, 193 - Sportwetten im Internet II). 

Nach Rechtsänderungen stellt sich aber die Frage, ob das deutsche Glücksspielrecht noch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren deshalb ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vorgelegt. 

Der GlüStV 2012 enthält weiterhin Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiel im Internet. Zwar kann die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr erlaubt werden. Auf die Erlaubniserteilung besteht aber kein Rechtsanspruch. Damit unterscheidet sich die Rechtslage im übrigen Bundesgebiet wesentlich von der Schleswig-Holsteins, wobei allerdings die amtierende Landesregierung Änderungen in Aussicht gestellt hat und einen Beitritt zum Glücksspielstaatsvertrag 2012 angekündigt hat. Nach Vollzug dieser Ankündigung wird es in der Bundesrepublik Deutschland ein einheitliches Glücksspielrechtsregime geben, so dass diese einschlägigen Entscheidungen in absehbarer Zeit "overrult" sein könnten. Der BGH berücksichtigt dies bereits in seinem Beschluss und Hinweis auf Übergangsfristen für in der Zwischenzeit rechtswirksam erteilte Lizenzen. 

 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Beschränkungen der Glücksspieltätigkeit nur dann mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn ihre Eignung, legitime Allgemeininteressen zu verfolgen, nicht durch Ausnahmen und Einschränkungen beseitigt wird (Kohärenzgebot). Die Liberalisierung von Internetvertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein könnte die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen Allgemeininteressen erheblich beeinträchtigen. Das könnte möglicherweise dazu führen, dass die Vertriebs- und Werbebeschränkungen im Internet für Glücksspiele in den anderen Bundesländern wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unanwendbar sind. 

Mit der ersten Frage des Vorabentscheidungsersuchens möchte der Bundesgerichtshof wissen, ob eine Verletzung des unionsrechtlichen Kohärenzgebots wegen der unterschiedlichen Rechtslage in Schleswig-Holstein gegenüber dem übrigen Bundesgebiet schon deshalb ausscheidet, weil die Regelung des Glücksspielwesens in die Gesetzeskompetenz der Länder fällt und die Möglichkeit unterschiedlicher Regelungen in den Bundesländern daher eine Folge der bundesstaatlichen Verfassung Deutschlands ist. 

In der zweiten Frage geht es darum, ob die Antwort auf die erste Frage davon abhängt, in welchem Maß die unterschiedliche Rechtslage die Wirksamkeit der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels beeinträchtigt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshof sprechen insbesondere die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie der Verhältnismäßigkeit dafür, in der bundesstaatlichen Ordnung begründete unterschiedliche Regelungen innerhalb eines Mitgliedstaats nicht als inkohärente Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anzusehen, soweit sie in der EU nicht harmonisierte Sektoren wie das Glücksspiel betreffen. Jedenfalls sollte es aber nicht zu einer Inkohärenz der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen führen, wenn ihre Eignung durch eine liberalere Regelung in einem einzelnen kleineren Bundesland nur unerheblich beeinträchtigt wird. 

 Da die neue Landesregierung in Schleswig-Holstein beabsichtigt, dem GlüStV 2012 beizutreten, hat der Bundesgerichtshof den EuGH für den Fall, dass ein solcher Beitritt bis zur Entscheidung des EuGH erfolgt ist, um die Beantwortung der dritten Vorlagefrage gebeten: Mit ihr soll geklärt werden, ob eine möglicherweise bestehende unionsrechtliche Inkohärenz dadurch beseitigt wird, dass Schleswig-Holstein die im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die großzügigeren Regelungen in diesem Bundesland für dort bereits erteilte Konzessionen noch während einer mehrjährigen Übergangszeit fortgelten, weil sie nicht oder nur gegen hohe Entschädigungen widerrufen werden können. 

Auch hier möchte der Bundesgerichtshof - dies ist die vierte Frage - wissen, ob es für die Antwort darauf ankommt, ob während der Übergangszeit die Wirksamkeit der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird. 

 Nach Ansicht des Bundesgerichtshof sollte es mit dem Unionsrecht vereinbar sein, wenn zulässige Regelungen für den Glücksspielbereich, auf die sich die Länder eines Bundesstaates geeinigt haben, in einem Bundesland erst nach einer mehrjährigen Übergangszeit in Kraft gesetzt werden, auch wenn die Wirksamkeit dieser Regelungen im übrigen Bundesgebiet in der Zwischenzeit beeinträchtigt wird. Jedenfalls sollte dies gelten, wenn die Beeinträchtigung nur unerheblich ist. 

Die Entscheidung des EuGH wird erheblichen Einschluss auf die Zukunft der Sportwetten im Anwendungsbereich der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland haben 

 Folgender Beschluss wurde verkündet: 

 I. Das Verfahren wird ausgesetzt. 

 II.Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 56 AEUV folgende Fragen vorgelegt: 

 1.Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors dar, -wenn einerseits in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat die Veranstaltung und die Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet nach dem in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer geltenden Recht grundsätzlich verboten ist und - ohne Rechtsanspruch - nur für Lotterien und Sportwetten ausnahmsweise erlaubt werden kann, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken, -wenn andererseits in einem Bundesland dieses Mitgliedstaats nach dem dort geltenden Recht unter näher bestimmten objektiven Voraussetzungen jedem Unionsbürger und jeder diesem gleichgestellten juristischen Person eine Genehmigung für den Vertrieb von Sportwetten im Internet erteilt werden muss und dadurch die Eignung der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkung des Glücksspielvertriebs im Internet zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigt werden kann? 

 2.Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an, ob die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls aufhebt oder erheblich beeinträchtigt? Falls die erste Frage bejaht wird: 

 3.Wird die Inkohärenz dadurch beseitigt, dass das Bundesland mit der abweichenden Regelung die in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die bisherigen großzügigeren Regelungen des Internetglücksspiels in diesem Bundesland hinsichtlich der dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten, weil diese Genehmigungen nicht oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschädigungszahlungen widerrufen werden könnten? 

4. Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an, ob während der mehrjährigen Übergangszeit die Eignung der in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird? 

 Beschluss vom 24. Januar 2013 - I ZR 171/10 - digibet 
OLG Köln - Urteil vom 3. September 2010 - 6 U 196/09 
LG Köln - Urteil vom 22. Oktober 2009 - 31 O 552/08 
Karlsruhe, den 24. Januar 2013 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Streit der Familienunternehmen "Peek & Cloppenburg KG" über bundesweite Werbung

BGH - Pressemitteilung Nr. 13/2013
Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 58/11
Streit der Familienunternehmen "Peek & Cloppenburg KG" über bundesweite Werbung

 Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in fünf Verfahren über die Frage entschieden, wie eine bundesweite Werbung von Unternehmen mit identischer Unternehmensbezeichnung gestaltet sein muss, um eine hinreichende Abgrenzung zwischen unterschiedlichen, aber gleichnamigen Unternehmen vornehmen zu können. Der Streit zieht sich seit Jahren, ohne das eine einvernehmliche Lösung möglich war. Die Gründe für die heftigen Auseinandersetzungen hängen eng mit der Unternehmensgeschichte der beiden konkurrierenden Modeunternehmen zusammen. Das Düsseldorfer Unternehmen ist mit ca. 50 Filialen deutlich größer als die Hamburger Konkurrenz mit ca. 25 Filialen und im Internetvertrieb wesentlich aktiver.

Die seit 1911 praktizierte friedliche Koexistenz endete vor ca. zehn Jahren in einem hart umkämpften Markt. Das Unternehmen in Düsseldorf ist länger am Markt (gegr. 1900) und das Unternehmen in Hamburg beruht auf einer Gestattung innerhalb der Familie aus dem Jahre 1911. Den Markt wollte man sich teilen zwischen Norden, Süden und Westen. Vor etwa zehn Jahren befand das Hamburger Unternehmen erstmals, dass die Abgrenzung der Unternehmen in der Werbung des Unternehmensaus Düsseldorf nicht hinreichend zum Ausdruck kommen würde. Die Folge war eine Kette von Rechtsstreitigkeiten im Werberecht. Das die Abgrenzung besonders deutlich wird, lässt sich bei identischen Logos, ähnlichen Internetadressen und ähnlichen Werbestrategien auch kaum behaupten. Der BGH hat diesen "gordischen Knoten" jetzt weitgehend entwirrt.

Sachverhalt

Die Parteien sind rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Unternehmen, die seit Jahrzehnten unter der Bezeichnung "Peek & Cloppenburg KG" zahlreiche Bekleidungshäuser im Bundesgebiet betreiben. Die Klägerin hat ihren Sitz in Hamburg und ist im norddeutschen Raum tätig. Die Beklagte, die ihren Sitz in Düsseldorf hat, betreibt Bekleidungshäuser im Westen, Süden und in der Mitte Deutschlands. In den Verfahren hat die Klägerin die Beklagte wegen bundesweiter Werbung auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie hat sich darauf berufen, im norddeutschen Raum werde ihr aufgrund der gleichlautenden Unternehmensbezeichnungen die Werbung der Beklagten zugerechnet. 

 Das Berufungsgericht hat der Beklagten die beanstandete Werbung verboten. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidungen des Berufungsgerichts (Hanseatisches Oberlandesgericht) in den fünf Verfahren aufgehoben und wendet hier völlig konsequent das Recht der Gleichnamigen an und kommt zu einer pragmatischen Lösung, die sich fast wie ein Vergleich ließt, auf den man schon länger hätte kommen können. Die Entscheidungen sind auch hinsichtlich klarstellender Hinweise in Werbeanzeigen von höchster Relevanz, gerade aufgrund der pragmatischen Lösungsansätze. 

Entscheidungsgründe
 Zwischen den Parteien besteht aufgrund der seit Jahrzehnten unbeanstandet nebeneinander benutzten identischen Unternehmensbezeichnungen eine kennzeichenrechtliche Gleichgewichtslage, auf die die Grundsätze des Rechts der Gleichnamigen anwendbar sind. 
Diese Gleichgewichtslage hat die Beklagte durch die Ausdehnung ihrer Werbemaßnahmen auf den norddeutschen Raum gestört, in dem nur die Klägerin tätig ist. Da die Beklagte an einer Werbung in bundesweit vertriebenen Medien aber ein anzuerkennendes Interesse hat, kann ihr die Werbung nicht generell verboten werden. 
Die Beklagte muss vielmehr in der Werbung die Leser der Anzeigen in geeigneter Weise darüber aufklären, dass es zwei Gesellschaften mit der identischen Bezeichnung "Peek & Cloppenburg KG" gibt und von welchem der beiden Unternehmen die Werbung stammt. Dies ist in den beanstandeten Anzeigen auch geschehen. 
Anders als das Oberlandesgericht hat der Bundesgerichtshof diese Hinweise als ausreichend erachtet. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass unter dem Firmennamen "Peek & Cloppenburg" in etwas kleinerer Schrift der Zusatz "Düsseldorf" und darunter ein dreizeiliger Text steht, der darüber aufklärt, dass es zwei unabhängige Unternehmen "Peek & Cloppenburg" mit Sitzen in Düsseldorf und Hamburg gebe und dass es sich bei dieser Anzeige ausschließlich um eine Information des Düsseldorfer Unternehmens handele. 
Der Bundesgerichtshof hat es ausreichen lassen, dass dieser Hinweis dem Unternehmensnamen zugeordnet sei. Keinesfalls müsse der Zusatz in seiner Größe und Gestaltung der Werbebotschaft - etwa den dort abgebildeten Modellen - entsprechen. 
Der Bundesgerichtshof hat deshalb eine Verletzung des Unternehmenskennzeichens der Klägerin durch die bundesweite Werbung der Beklagten und einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot verneint und insoweit die Klagen abgewiesen. 
 Die Klägerin hatte sich allerdings auch auf eine vertragliche Vereinbarung mit der Beklagten berufen, wonach die Parteien keine Werbung im Tätigkeitsbereich der jeweils anderen Partei betreiben dürfen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache insoweit unter Hinweis auf die kartellrechtlichen Grenzen, denen solche Abgrenzungsvereinbarungen unterliegen, an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die hierzu erforderlichen Feststellungen getroffen werden. 

  LG Hamburg - Urteil vom 9. April 2009 - 327 O 533/08 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 69/09 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 59/11 
 LG Hamburg - Urteil vom 13. November 2008 - 327 O 265/08 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 255/08 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 60/11 
LG Hamburg - Urteil vom 29. Juli 2010 - 327 O 686/09 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 142/10 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 61/11 
LG Hamburg - Urteil vom 29. Juli 2010 - 327 O 676/09 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 139/10 
 und Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 65/11 
LG Hamburg - Urteil vom 29. Juli 2010 - 327 O 569/09 
 OLG Hamburg - Urteil vom 17. März 2011 - 3 U 140/10 
Karlsruhe, den 24. Januar 2013 
Siehe auch: Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 65/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 60/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 58/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 61/11 -, Urteil des I. Zivilsenats vom 24.1.2013 - I ZR 59/11 - 
Quelle:  Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Montag, 21. Januar 2013

Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel

Bundesgerichtshof -  Pressemitteilung Nr. 7/2013 
Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel 

Immer öfter stellen sich im Steuerstrafrecht Probleme im Bereich der organisierten Umsatzsteuerhinterziehung, meist unter Einsatz sog. "rechtswidriger Zwischengesellschaften", jedenfalls aus der Sicht des deutschen, internationalen Steuerrechts. 

Die Fälle haben in der Regel internationale Organisationsformen zum Gegenstand, die auf hochriskanten Konstrukten beruhen, die es nahe gelegt hätten, bereits bei ihrer Installierung die steuerrechtlichen Risiken angemessen in die Bewertung der Konstruktionen einzuziehen. 

Im vorliegenden Fall ging es um Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe von 260 Millionen Euro im Bereich des Emissionszertifikatehandels vor Einführung des "Reverse - Charge - Modells" unter dem gefährlichen Einsatz eines "Missing Traders" als Ersterwerber ohne Umsatzsteuerzahlung, der aber dem "Buffer" die nicht gezahlte Umsatzsteuer in Rechnung stellt, der die Zertifikate dann weiter vertrieb. Distributor war eine deutsche Großbank. Das Modell wird in der Pressemitteilung ausführlich hinsichtlich der bestehenden Risiken und Gefahren geschildert.

Das Landgericht Frankfurt am Main hatte in der ersten Instanz sechs Angeklagte (zwei Deutsche, drei Briten und einen Franzosen) wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil haben vier der Angeklagten erfolglos Revision eingelegt; die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen zurückgenommen. Damit ist das Urteil rechtskräftig. 

Gegenstand der Verurteilung ist ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissionszertifikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio € hinterzogen wurden. Hierzu hat das Landgericht Folgendes festgestellt: 

Nach dem europäischen Emissionshandelssystem werden den Betreibern genehmigungspflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissionsberechtigungen (sog. Emissionszertifikate) zugeteilt. Dieses System basiert auf einer europäischen Richtlinie (Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003), die in Deutschland am 15. Juli 2004 umgesetzt wurde. Die bei nationalen Registrierstellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissionshandelsstelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagenbetreiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase. Diese Zertifikate können auch verkauft werden. Der Handel kann u.a. online über bei den nationalen Registrierstellen bestehende elektronische Emissionshandelskonten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekundenschnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zertifikatemengen im Wert von mehreren Millionen € möglich. 

Bis zur Einführung des – weniger betrugsanfälligen – sog. Reverse-Charge-Verfahrens für Emissionszertifikate zum 1.Juli 2010 auch in Deutschland (andere Mitgliedstaaten der EU hatten dies bereits im Jahr 2009 eingeführt) konnte ein Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuervergütungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatzsteueranmeldungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte. 

Die Betrugsanfälligkeit dieses (früheren) Systems haben sich die Angeklagten zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handelsbereichen bereits bekanntes Umsatzsteuerhinterziehungssystem: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird das Emissionszertifikat aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den sog. "Missing Trader") verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (sog. "Buffer") weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischengeschaltet sein. Der (letzte) Buffer verkauft das Zertifikat – wiederum mit einem geringen Preisaufschlag – schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette, den sog. "Distributor". 

Das Hinterziehungssystem der Angeklagten war für diese deshalb lukrativ, weil der "Missing Trader" keine Umsatzsteuer abführt und so dem Buffer einen Gewinn in Höhe seines Preisaufschlags ermöglicht. Es ging wie folgt vonstatten: 

Der "Missing Trader" stellt dem "Buffer" eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung "Missing Trader"). Der "Buffer" nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend. 

 Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten teils als "Missing Trader", teils als "Buffer". Die "Buffer" gaben zwar Umsatzsteueranmeldungen ab, "neutralisierten" aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Scheinrechnungen (von Firmen mit denen tatsächlich eine Leistungsbeziehung nicht bestand) gegenrechneten. 

Die "Buffer" machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom "Missing Trader" gestellten Rechnungen mit Umsatzssteuerausweis geltend. Distributor war nach den Feststellungen des Landgerichts in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissionszertifikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zertifikatmengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Erst dann fragte dieser "Buffer" bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer – insofern völlig risikolos – erst, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte. 

 Das Landgericht hat hinsichtlich der für die jeweiligen Firmen abgegebenen Umsatzsteueranmeldungen den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bejaht. Es sah in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 1 StR 24/10) die aus Rechnungen der vermeintlichen "Lieferanten" geltend gemachte Vorsteuer in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. € als hinterzogen an, weil eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht bestand: Soweit es sich nicht ohnehin um Scheinrechnungen nicht existierender Firmen handelte, war eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unternehmerischen Tätigkeit von Rechnungssteller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten erkannten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinterziehungskette, handelten aber wegen persönlicher Vorteile gleichwohl. 

 Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen der Angeklagten, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, als unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. 

Insbesondere steht es einer vollendeten Steuerhinterziehung nicht entgegen, dass Finanzbehörden – wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde – zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermittlungstaktischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems nicht zu gefährden) Steuervergütungen gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt haben. Denn Straftäter haben keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird. Die Staatsanwaltschaft hat ihre gegen das Urteil gerichteten Revisionen, mit der sie u.a. die nach ihrer Ansicht zu geringe Höhe der verhängten Strafen angreift, zurückgenommen. 

Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 391/12 
Landgericht Frankfurt am Main – Urteil vom 15. August 2011 – 5/2 KLs 4/11 7510 Js 258673/09 Wl Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs