Freitag, 23. November 2012

EuGH: Die Frist für die Geltendmachung des Ausgleichsanspruches von Flugreisenden richtet sich nach nationalem Recht

Gerichtshof der Europäischen Union
Urteil in der Rechtssache C-139/11 - PRESSEMITTEILUNG Nr. 150/12 v. 22.11.2012

Der EuGH hat nunmehr entschieden, dass die Frist für die Erhebung von Klagen auf Ausgleichsleistung wegen Annullierung von Flügen sich bestimmt nach den nationalen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt, so dass diese Frage europarechtlich nicht vereinheitlich ist. Diese Praxis kann in geeigneten Einzelfällen durchaus zu einem "Forum Shopping" führen, je nachdem wie kurz oder wie lang eine solche Frist in einem Mitgliedsstaat bemessen ist, in dem eine Klage noch erhoben werden kann.

Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1) gewährt Fluggästen einen Ausgleichsanspruch, der je nach der Entfernung und dem Zielort ihres annullierten Flugs variiert, sofern nicht die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn vom Luftfrachtführer alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Fluggäste können diesen Anspruch vor den nationalen Gerichten geltend machen. 

Die europäische Regelung enthält jedoch keine Bestimmung über die Frist, innerhalb deren Klagen auf Ausgleichsleistung erhoben werden können. Diese Lücke kann europarechtlich aus dem Text der Verordnung nicht geschlossen werden. 

Der Sachverhalt ist relativ einfach: 

Herr C. M. erwarb bei der Fluggesellschaft KLM ein Ticket für einen am 20. Dezember 2005 vorgesehenen Flug von Shanghai nach Barcelona. Da dieser Flug annulliert wurde, war Herr C. M. gezwungen, am darauffolgenden Tag mit einer anderen Fluggesellschaft via München zu fliegen. Am 27. Februar 2009 – das heißt mehr als drei Jahre später – erhob Herr C. M. bei einem spanischen Gericht Klage gegen KLM, mit der er eine Ausgleichsleistung von 2 990 Euro nebst Zinsen und Kosten als Ersatz des Schadens begehrte, den er aufgrund der Annullierung seines Flugs erlitten hatte. 

Die KLM machte geltend, dass die Klage verjährt sei, da die in den Übereinkünften von Warschau und Montreal vorgesehene zweijährige Frist für die Erhebung von Schadensersatzklagen gegen Luftfrachtführer verstrichen sei. Der Gegenvortrag der KLM zielt zum einen auf das "Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, unterzeichnet in Warschau am 12. Oktober 1929, in der durch das Haager Protokoll vom 28. September 1955, das Abkommen von Guadalajara vom 18. September 1961, das Protokoll von Guatemala vom 8. März 1971 sowie die vier Zusatzprotokolle von Montreal vom 25. September 1975 geänderten und ergänzten Fassung", sowie auf das "Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen in Montreal am 28. Mai 1999, unterzeichnet von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 und genehmigt in ihrem Namen durch Beschluss 2001/539/EG vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38)", die in der Tat eine solche Frist von zwei Jahren vorsehen, die als Ausschlussfrist konzipiert ist. 

Fluggesellschaften berufen sich in geeigneten Fällen gerne darauf, dass die Lücke in der EU - Verordnung durch Heranziehung einer analogen Anwendung dieser völkerrechtlichen Verträge zu schliessen ist. 

Vor diesem Hintergrund hat die mit der Rechtssache befasste Audencia Provincial de Barcelona (Spanien) dem Gerichtshof die Frage gestellt, ob sich die Frist für die Erhebung von Klagen auf Zahlung der im Unionsrecht vorgesehenen Ausgleichsleistungen nach dem Übereinkommen von Montreal oder nach anderen Bestimmungen, insbesondere nach den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Klageverjährung, bestimmt. 

Der EuGH weist in diesem Zusammenhang mit guten Gründen darauf hin, dass diese Feststellung nicht mit den Bestimmungen der Übereinkünfte von Warschau und Montreal in Zweifel gezogen werden kann, da die in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene Ausgleichsmaßnahme nicht in den Anwendungsbereich dieser Übereinkünfte fällt, auch wenn sie die von diesen vorgesehene Schadensersatzregelung ergänzt, weil das Unionsrecht ein eigenständiges System der standardisierten und sofortigen Wiedergutmachung von derartigen Schäden eingeführt hat. Dieses System tritt selbständig neben die Übereinkünfte von Warschau und Montreal, so dass ein analoger Rückgriff auf die dort vorhandenen Vorschriften nicht möglich ist. 

 In seinem Urteil gelangt der Gerichtshof daher zu dem überzeugenden Ergebnis, dass sich die Frist für die Erhebung von Klagen auf Zahlung der  im Unionsrecht für die Annullierung von Flügen vorgesehenen Ausgleichsleistung nach den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Klageverjährung bestimmt. Mangels spezieller Regelung dürfte sich dies nach Art. 1966 Nr.3 span. CC richten (fünf Jahre), ab dem Stichtag der erstmöglichen Ausübung (Art. 1969 span CC), hier ohnehin unterbrochen aufgrund gerichtlicher Geltendmachung, Art. 1973 span CC. 

Der EuGH weist vorsorglich darauf hin, dass es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats ist, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Jedoch müssen diese Verfahrensmodalitäten den Grundsatz der Effektivität und den Grundsatz der Äquivalenz im Vergleich zu den im innerstaatlichen Recht für ähnliche Situationen vorgesehenen Modalitäten wahren. 

Womöglich bietet sich als Alternative eine Ergänzung der Verordnung de lege ferenda an.

Dienstag, 13. November 2012

Keine Entschädigung für verspäteten außereuropäischen Anschlussflug

Bundesgerichtshof - Pressemitteilung Nr. 190/2012 vom 13.11.2012 
Keine Entschädigung für verspäteten außereuropäischen Anschlussflug 


Der BGH hat das Recht der Ausgleichsansprüche bei außereuropäischen Anschlussflügen erneut präzisiert. Im vorliegenden Fall ging es um Ausgleichsansprüche wegen einer Verspätung bei einem verspäteten, außereuropäischen Anschlussflug. Diese Konstellation wirft in der Regel die Frage auf, ob ein solcher Anschlussflug noch in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 261/2004 fällt, was der BGH bereits wiederholt abgelehnt hat, wobei es aber sehr auf die jeweilige Konstellation des Falles ankommt und unter anderen auch, wo der betreffende Vertrag geschlossen worden ist und die betreffende Fluggesellschaft den Sitz ihrer geschäftlichen Leitung hat. 

Im vorliegenden Falle handelte es sich bei beiden Beklagten um Flugesellschaften, die keinen Sitz in der EU haben, jedoch war der Flug ab Frankfurt/Main gebucht. Die Verspätung betrug acht Stunden, so dass die Kläger jeweils 600 Euro Ausgleichszahlung geltend machten. Man konnte den EuGH durchaus so verstehen, dass derartige Fälle in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fallen, aber bereist die Berufungsgerichte sahen dies anders. 


Der BGH lehnte die Ausgleichsansprüche ab, weil die Verspätung jeweils bei dem Anschlussflug eintrat, den die Fluggäste außerhalb der Europäischen Union antraten und auf den daher die Verordnung nach deren Art. 3 Abs. 1a nicht anwendbar ist. 

Nach Auffassung des BGH kommt es insoweit nicht darauf an, dass der jeweils erste Flug in Frankfurt am Main gestartet ist. Es kommt weiter nicht darauf an, dass dieser und der Anschlussflug von derselben Fluggesellschaft durchgeführt und die Anschlussverbindung gemeinsam gebucht worden sind. Wie der BGH bereits zuvor entschieden hatte, kommt es insoweit darauf an, ob eine Flugreise aus zwei oder mehr Flügen besteht, die jeweils von einer Fluggesellschaft unter einer bestimmten Flugnummer für eine bestimmte Route angeboten werden. Ist dies der Fall ist die Anwendbarkeit der Verordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen. 



----

In den beiden heute vom Bundesgerichtshof entschiedenen Reisesachen beanspruchen die Kläger Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1c*, Art. 5 Abs. 1c** der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) wegen einer Flugverspätung. 

In beiden Fällen buchten die Kläger bei der Beklagten, jeweils einer Fluggesellschaft mit Sitz außerhalb der Europäischen Union, einen Fernflug ab Frankfurt am Main. Im ersten Fall sollten die Kläger das Endziel Bélem (Brasilien) über São Paulo, im anderen Fall das Endziel Bangkok über Muskat (Oman) erreichen. 

Jeweils erfolgte der Flug von Frankfurt am Main zum Abflughafen des Anschlussflugs planmäßig, jedoch verspätete sich der Start des Anschlussfluges, und die Kläger trafen erst rund acht Stunden später als vorgesehen am Endziel ein. 

Die Kläger haben geltend gemacht, jedem von ihnen stehe eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 € nach der Verordnung zu, da sie wegen der Ankunftsverspätung am Endziel nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden müssten. Es liege ein einheitlicher Flug von Frankfurt am Main zu dem jeweiligen Endziel vor. Daher sei die Verordnung gemäß deren Art. 3 Abs. 1a*** anwendbar. 

Das Amtsgericht hat im Fall X ZR 12/12 die Beklagte antragsgemäß verurteilt, im Fall X ZR 14/12 die Klage abgewiesen. Auf die jeweilige Berufung hat das Landgericht in beiden Fällen die Klage abgewiesen. Der Ausgleichsanspruch bestehe nicht, da die Verordnung nicht anwendbar sei. Die Verspätung sei bei dem Anschlussflug eingetreten, den die Kläger nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union angetreten hätten. 

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat hat die Berufungsurteile bestätigt und entschieden, dass die Ausgleichsansprüche nicht bestehen, da die Verspätung jeweils bei dem Anschlussflug eintrat, den die Fluggäste außerhalb der Europäischen Union antraten und auf den daher die Verordnung nach deren Art. 3 Abs. 1a nicht anwendbar ist. Dies gilt, auch wenn der jeweils erste Flug in Frankfurt am Main gestartet ist, dieser und der Anschlussflug von derselben Fluggesellschaft durchgeführt und als Anschlussverbindung gemeinsam gebucht wurden. Besteht eine Flugreise aus zwei oder mehr Flügen, die jeweils von einer Fluggesellschaft unter einer bestimmten Flugnummer für eine bestimmte Route angeboten werden, ist die Anwendbarkeit der Verordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen. 


 *Art. 7 der Verordnung [Ausgleichsanspruch] (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:… c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen. … 
**Art. 5 der Verordnung [Annullierung] (1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen … c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt … 
*** Artikel 3 der Verordnung [Anwendungsbereich] (1) Diese Verordnung gilt a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegt, einen Flug antreten; b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten. ... 

Urteile vom 13. November – X ZR 12/12 
LG Frankfurt am Main – 2-24 S 133/11 – Urteil vom 5. Januar 2012 
AG Frankfurt am Main – 29 C 102/11 (46) – Urteil vom 29. April 2011 und X ZR 14/12 
LG Frankfurt am Main – 2-24 S 145/11 – Urteil vom 5. Januar 2012 
AG Frankfurt am Main – 31 C 291/11 (83) – Urteil vom 9. Juni 2011 
Karlsruhe, den 13. November 2012 
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs