Donnerstag, 1. März 2012

BVerfG: Wortberichterstattung über Söhne eines Prominenten

BVerfG: Zivilgerichtliche Untersagung der Wortberichterstattung über Prominente – hier im Hinblick auf ihr junges Alter - verfassungswidrig Pressemitteilung Nr. 16/2012 vom 1. März 2012 Beschluss vom 8. Februar, AZ: 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09 

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Dieser Fall schlug wohl nur deshalb so hohe Wellen, weil der Vater der beiden Betroffenen ein über die Grenzen Deutschlands hinweg völlig zu Recht anerkannter Schauspieler ist. Seine Söhne hatten in Bayern in der "Freinacht" (das ist die Nacht auf den 1. Mai) einigen Unsinn getrieben, wie dies dort in dieser Nacht nicht unüblich ist, was aber Schäden grundsätzlich nicht entschuldigt, zumal über gewisse Vorfälle bereits zuvor in der Presse berichtet worden war. Die Folge war eine Verhaftung, die aber keine Folgen hatte, nur wenige Stunden dauerte und nicht zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führte. Die Berichterstattung folgte nicht anonym, sondern unter voller Nennung der Namen. 

Darüber hatte eine Zeitung auch in ihrer Internetausgabe berichtet und handelte sich damit von beiden Betroffenen eine Unterlassungsklage ein, der in zwei Instanzen stattgegeben wurde, weil die Gerichte die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen höher gewichteten als das Interesse der Öffentlichkeit an einer Presseberichterstattung. Da es sich um Jugendliche handelte, gingen die Gerichte von einem generellen Vorrang der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen aus, was das BVerfG auf die Verfassungsbeschwerde des Presseorgans hin mit durchaus guten Gründen vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklungen der Persönlichkeiten nicht geteilt hat. 

Das BVerfG geht davon aus, dass diese Presseberichterstattung nicht den absolut geschützten Bereich der Persönlichkeitsentfaltung berührt, sondern nur die sog. Sozialsphäre. Sofern nur die Sozialsphäre betroffen ist, geht das BVerfG grds. von einem Vorrang der Meinungs - und Medienfreiheit aus. Unter dieser Voraussetzung "berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als „Junge Wilde“ pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzten." In einem solchen Fall hält das BVerfG die Namensnennung für presserechtlich akzeptabel, hat aber eine Zurückverweisung vorgenommen. 

Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz der Sozialsphäre ist diese Entscheidung weder überraschend, noch erhöht sie das Schutzniveau der Sozialsphäre. Bemerkenswert ist weit eher, das die Instanzgerichte es immer wieder versäumen, den Grundrechtsschutz und die Reichweite der Rspr. des BVerfG zu Art. 5 GG im Rahmen der Güter - und Interessenabwägung angemessen zu berücksichtigen.  
 


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Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der Verlegerin der Tageszeitung „Sächsische Zeitung“ und verbreitet Berichte auch über ihre Internetseite. Ihren beiden Verfassungsbeschwerden liegt eine Berichterstattung über einen Vorfall aus dem Jahre 2008 zugrunde, in den die beiden Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht, die Kläger des Ausgangsverfahrens, verwickelt waren. 

Sie wurden in der sog. „Freinacht“ dabei beobachtet, wie sie zusammen mit einer Gruppe von Freunden Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie den Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache wurden die Kläger entlassen. 
Gegen keinen von beiden wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. 

Die Beschwerdeführerin verbreitete auf ihrer Internetseite über diesen Vorfall einen Beitrag unter der Überschrift „Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne“, in dem darüber berichtet wird, dass „die beiden Nachwuchsschauspieler und sänger nach wüster Randale in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört“ worden seien. 

Mit ihren Klagen auf Unterlassung der Berichterstattung über den Vorfall als Sachbeschädigung sowie einzelner den Hergang betreffender Äußerungen hatten die Kläger jeweils in beiden Instanzen Erfolg. 

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzen, und die Sachen an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. 

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Der beanstandete Bericht über den in der Sache unstreitigen Vorfall fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Bei Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Zivilrechts haben die Fachgerichte jedoch Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt, indem sie sich nicht hinreichend mit den besonderen Umständen zur Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger auseinandergesetzt und ihm dadurch im Rahmen der gebotenen Abwägung den Vorrang eingeräumt haben. 

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt insbesondere vor einer Beeinträchtigung der Privat- und Intimsphäre. Im Bereich der Wortberichterstattung bietet es nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten, wobei es vor allem auf den Inhalt der Berichterstattung ankommt. Zwar ist für die Berichterstattung über Strafverfahren anerkannt, dass im Hinblick auf die Unschuldsvermutung die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig sind. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten kann die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten erhöht sein. 

Hiervon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Berichterstattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger Leute auf offener Straße, über das unabhängig von einem Strafverfahren berichtet wird, und das allenfalls von geringfügiger strafrechtlicher Relevanz ist. Zudem berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als „Junge Wilde“ pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzten. 

Diese Umstände haben die Fachgerichte nicht ausreichend in ihre Erwägungen eingestellt. Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden kann. 

Bei Tatsachenberichten müssen wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Andererseits ist zweifelsohne das junge Alter der Kläger in die Erwägungen einzubeziehen. Die von den Fachgerichten angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, ist jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung und berücksichtigt vorliegend zu wenig, dass die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung sowohl durch das „Öffentlichkeitsimage“ der Kläger als auch durch die Einordnung ihres Verhaltens als Bagatelldelikt gemindert ist.

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