Mittwoch, 11. Januar 2012

Unfallversicherung: Beweislast für Leistungskürzungen

BGH, Urteil vom 23.11.2011, AZ: IV ZR 70/11: Private Unfallversicherer tragen die vollständige Beweislast nach § 286 ZPO für die Mitwirkung von Vorerkrankungen am Versicherungsfall 

Der BGH hat in einem für das private Unfallversicherungsrecht brisanten Urteil entscheiden, dass Unfallversicherer den Vollbeweis i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO dafür erbringen müssen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis im Sinne der jeweils geltenden Fassung der AUB verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mindestens zu 25% mitgewirkt haben. Es bedarf dazu keiner vollständigen, medizinischen Gewissheit, sondern für diesen Beweis ist es hinreichend, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit erreicht wird, der Zweifel nicht völlig auszuschließt. Diese Zweifel lassen sich abschließend in ihrer Intensität kaum bewerten. 

Wer mit privaten Unfallversicherungsrecht zu tun hat, kennt die neuraligischen Punkte, dieser Fälle, die meist im Rahmen der Trias "Unfallereignis" iSd. der AUB, Ausschlusstatbestände (Bewusstsseinstörung - sofern nicht ausgeschlossen -, Schlaganfall, Alholisierung, etc.) oder eben im Bereich der Mitwirkung früherer Erkrankungen  mit der Folge der Leistungskürzung, relevant werden. In diesem Fall ging es um die Beweislast für Leistungskürzungen seitens der Versicherungen. In diesen Fällen kommt meist der Konflikt zwischen den Interessen der Versicherten an einer möglichst hohen Zahlung und den Interessen der Versicherung an einer möglichst geringen Zahlung zum tragen, die diese Materie sehr "prozessträchtig" macht. Neben der Privaten Unfallversicherung finden sich auch Modelle einer Zusatzversicherung zu einer Risikolebensversicherung, um die es im vorliegenden Fall unter Einbeziehung der BB - UVZ ging. 

In den BB - UVZ findet sich in § 4 folgende Regelung:

"Haben zur Herbeiführung des Todes bzw. der Erwerbsunfähigkeit neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zu mindestens 25 % mitgewirkt, so vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung."

Es liegt auf der Hand, dass um derartig mitwirkende Ursachen maßgeblich auf der Grundlage medizinischer Sachverständigengutachten gestritten wird, deren Erstellung kostenintensiv ist. 

Im vorliegenden Fall hatte im Januar 2004 der Ehemann der Klägerin in einem Betrieb Elektroarbeiten ausgeführt, bei deren Durchführung er sich Stromschläge zufügte, die zu Herzrhythmusstörungen führte, an denen der Versicherungsnehmer später verstorben ist. Als Bezugsberechtigte machte die Klägerin die  Todesfallleistung geltend. Wie so oft in solchen Fällen, lehnte die Versicherung die Zahlung der Todesfallleistung ab, weil der Tod des Versicherungsnehmers nicht auf diesen Unfall, sondern auf die bestehende schwere Herzkrankheit zurückzuführen sei. Im Zentrum der Beweisaufnahme in den Vorinstanzen werden in diesem Zusammenhang die medizinischen Berichte und Gutachten gestanden haben, deren juristische Interpretation oftmals nicht leicht ist. 

Gerichte sind sich oftmals nicht so ganz einig. So verurteilte das Landgericht die Versicherung zur Zahlung der vollen Todesfallleistung, während das OLG die Zahlung halbierte. Das OLG wird diesen Fall neu zu entscheiden haben, weil der BGH das Berufungsurteil aufgehoben hat, aber die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen hat, was angesichts des Umstandes, dass es hier um die Beweisaufnahme und die Beweiswürdigung geht, auch interessengerecht ist.

Der BGH geht in seinen Gründen davon aus, dass das Berufungsgericht das Beweismaß für das Leistungskürzungsrecht des Unfallversicherers bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen verkannt hat, weil die Beklagte zur Überzeugung des BGH nicht den Nachweis erbracht hat, dass die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin zu mindestens 25% mitursächlich für seinen Tod war. Ein solcher Nachweis dürfte aus medizinischen Erwägungen oftmals schwer zu erbringen, so dass dieses Urteil für die Versicherungsnehmer positiv zu bewerten ist.

Der BGH setzt sich eingehend mit der Rechtslage und den hierzu vertretenden Auffassungen auseinander und stimmt mit dem OLG noch insoweit überein als es von einer Beweislast des Versicherers ausgegangen ist. Der BGH differiert abe hinsichtlich des Beweismaßes. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur lässt nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO hinreichen, um den Mitwirkungsanteil nachzuweisen. Es kommt vielmehr zunächst darauf an, ob überhaupt unfallabhängige Faktoren am Tode des Betroffenen mitgewirkt haben. Ist dies nicht der Fall, ist die Versicherung leistungsfrei. Ist dies aber nach den medizinischen Befunden der Fall, findet das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO Anwendung. In vielen Fällen lassen sich die mitwirkenden Ursachen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Diese Unsicherheit geht grundsätzlich zu Lasten des Versicherers, wenn
unklar bleibt, ob der Anteil der Mitwirkung 25% oder mehr beträgt. Eine Leistungskürzung kommt dann nicht in Betracht. Die Frage sind aber die Anforderungen an diesen Nachweis und diese sind grundsätzlich eine Frage des Einzelfalles. Wird ein solcher Nachweis erbracht, obliegt es der freien tatrichterlichen Würdigung, die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO angemessen zu schätzen, wobei den erkennenden Gerichten ein erheblicher Spielraum verbleibt. Im Rahmen dieser Schätzung sind die medizinischen Nachweise entsprechend zu würdigen. 

Für Leistungseinschränkungen nach den jeweils anwendbaren AUB trägt grundsätzlich der Versicherer die volle Beweislast, was auch völlig überzeugend und sachgerecht ist. In diesem Rahmen genügt aber nicht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, sondern es muss ein Grad an Gewissheit erreicht werden, der Zweifeln Einhalt gebietet, auch wenn nicht völlig ausgeschlossen werden können. Das jeweilige Ergebnis in derartigen Fällen ist indessen eine Frage der Bewertung der jeweiligen Details des Einzelfalles, so dass diese Entscheidung nur die Kriterien für die vorzunehmende Abwägung angegeben kann, ohne diese vorwegzunehmen. 


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