Dienstag, 29. November 2011

Bundesgerichtshof entscheidet Streit über Nachlass des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 188/2011  

Siegfried Unseld war ein Verleger, der die Geistesgeschichte der Bundesrepublik Deutschland während seines Lebens nachhaltig geprägt hat. Im Hause Suhrkamp erschienen - und erscheinen - Bände, die u.a. maßgebliche Zustandsbeschreibungen dieser Welt enthalten. Nach dem Tod von Siegfried Unseld entstand Streit um sein Erbe. In Erbstreitigkeiten geht es - insbesondere bei Pflichtteilsansprüchen - oftmals um die Frage, was überhaupt in den Nachlass fällt und wie die Nachlassbestandteile zu bewerten sind. Die Entscheidung des BGH berührt das Spannungsverhältnis von Stiftungsrecht und Pflichtteilsrecht, wobei oftmals auch und gerade Pflichtteilsergänzungsansprüche eine Rolle spielen. Hier ging es darum, ob und inwieweit der Stiftung Suhrkamp seitens des Erblassers via Schenkung eingeräumte Unterbeteiligungen an Gesellschaften der Suhrkamp - Verlagsgruppe in den Nachlass fallen oder nicht, wobei hier noch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts "zwischengeschaltet" war. Im vorliegenden Falle war die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung Alleinerbin geworden, während der Siegfried Unseld Stiftung  unentgeltlich Unterbeteiligungen an Tochtergesellschaften eingeräumt worden waren. Nach der Kollisionsregel des § 2301 BGB geht der BGH davon aus, dass diese Schenkungen bereits im Jahre 2001 unter Lebenden vollzogen worden sind, so dass die Unterbeteiligungen nicht in den Nachlass gefallen sind und bei der Pflichteilsberechnung nicht zu berücksichtigen sind. Diese Entscheidung wird die gesellschaftsrechtliche und erbrechtliche Gestaltungspraxis intensiv beschäftigen.

---    

Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die der Siegfried Unseld-Stiftung eingeräumten Unterbeteiligungen an Gesellschaften der Suhrkamp-Verlagsgruppe nicht in den Nachlass des im Oktober 2002 verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld gefallen und daher bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs seines Sohnes Joachim Unseld nicht zu berücksichtigen sind.

Siegfried Unseld hatte im Oktober 2001 die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung als seine Alleinerbin eingesetzt und einer weiteren Stiftung, der Siegfried Unseld-Stiftung, unentgeltlich Unterbeteiligungen in Höhe von jeweils 30% u.a. an der Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG und der Insel Verlag GmbH & Co. KG aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt seines Todes eingeräumt. Nach seinem Tode entstand über die Höhe des Pflichtteilsanspruchs des Sohnes Joachim aus erster Ehe des Erblassers Streit zwischen diesem und der von der Ehefrau Ulla Unseld-Berkéwicz vertretenen Alleinerbin. Die Parteien stritten u.a. darüber, ob die Unterbeteiligungen an den Verlagsgesellschaften bereits zu Lebzeiten von Siegfried Unseld der Siegfried Unseld-Stiftung mit Abschluss der darauf gerichteten Verträge im Oktober 2001 rechtswirksam geschenkt worden und damit bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nicht zu berücksichtigen waren.

Der auf die entsprechende Feststellung gerichteten Klage der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung haben die Vorinstanzen stattgegeben. Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Schenkung der Unterbeteiligungen an die Siegfried Unseld-Stiftung mit dem Abschluss der Verträge im Oktober 2001 bereits vollzogen wurde und damit die Vorschriften über Schenkungen unter Lebenden Anwendung finden. Nach den im Oktober 2001 getroffenen Vereinbarungen stehen der Siegfried Unseld-Stiftung nicht nur Ansprüche als Unterbeteiligte auf Beteiligung am Gewinn der Erbin als Hauptbeteiligte in den Verlagsgesellschaften zu. Der Unterbeteiligten sind vielmehr darüber hinaus Mitwirkungsrechte in der zwischen ihr und der Hauptbeteiligten begründeten Innengesellschaft bürgerlichen Rechts eingeräumt worden. Jedenfalls bei einer solchen Ausgestaltung der Rechte des Unterbeteiligten innerhalb der Innengesellschaft ist die Schenkung der Unterbeteiligung als bereits mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags vollzogen anzusehen. Das hat zur Folge, dass die Unterbeteiligungen nicht in den Nachlass des im Oktober 2002 verstorbenen Erblassers gefallen sind.

Urteil vom 29. November 2011 II ZR 306/09
LG Frankfurt am Main – Urteil vom 9. Mai 2007
OLG Frankfurt am Main – Urteil vom 13. November 2008
Karlsruhe, den 29. November 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

BGH zur Haftung bei missbräuchlicher Abhebung von Bargeld an Geldautomaten

BGH - Mitteilung der Pressestelle 

Im vorliegenden Fall hat die klagende Bank letztlich versucht dem Bankkunden die Haftung für einen Computerfehler aufzuerlegen, der in ihren Verantwortungsbereich fällt. Wenn in AGB geregelt wird, dass pro Tag nur max. 1.000 Euro via Nutzung eines Auszahlungsautomaten mit Kundenkarte abgehoben werden dürfen, in einer Nacht jedoch fast 3.000 Euro abgehoben werden, fällt zumindest der die Höchstgrenze übersteigende Betrag nicht in das Risiko des Kunden. Dies gilt umso mehr, wenn der Kunde den Verlust einer Karte gemeldet hat und dafür nur 50 Euro zu zahlen hat. Hier unterstellte die Bank dem Kunden jedoch schuldhaftes Handeln und verneinte die Anwendbarkeit dieser AGB - Regelungen. Der Rechtsstreit ist zwar zurückverwiesen worden, aber das Urteil stärkt die Rechte der Bankkunden, wobei sich eine Bank selbstredend an den eigenen AGB - so sie einer Inhaltskontrolle im Streitfall standhalten - festhalten lassen muss und zwar auch bei schuldhaftem Handeln des Kunden.

---

Der für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Grundsätze für eine Haftung des Karteninhabers bei missbräuchlichen Abhebungen von Bargeld an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl fortentwickelt sowie über die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entschieden, die diese Haftung regeln.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde dem Beklagten von der klagenden Bank eine Kreditkarte zur Verfügung gestellt, die zur Abhebung von Bargeld an Geldautomaten zugelassen war. In den zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die Bank den Höchstbetrag für Bargeldauszahlungen auf 1.000 € pro Tag begrenzt. Weiter war danach der Karteninhaber verpflichtet, Verlust oder festgestellten Missbrauch der Karte der Bank unverzüglich anzuzeigen. Bis zum Eingang dieser Verlustmeldung sollte er grundsätzlich nur bis zu einem Höchstbetrag von 50 € haften.

In der Nacht vom 12. auf den 13. August 2009 kam es an Geldautomaten von Kreditinstituten in Hamburg zu insgesamt sechs Abhebungen zu je 500 €, wobei die persönliche Identifikationsnummer (PIN) des Beklagten verwendet wurde. Die Klägerin belastete das Girokonto des Beklagten mit den abgehobenen Beträgen im Lastschriftverfahren. Der Beklagte widersprach den Abbuchungen und kündigte den Kreditkartenvertrag.

Die klagende Bank begehrt von dem Beklagten im Wege des Schadensersatzes Ausgleich der Belastungsbuchungen und der Gebühren für Rücklastschriften sowie für die Erstellung eines Kontoauszugs in Höhe von insgesamt noch 2.996 €. Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe die Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der verwendeten PIN verletzt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Beklagten das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 5. Oktober 2004 – XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 314 f.; Senatsbeschluss vom 6. Juli 2010 – XI ZR 224/09, WM 2011, 924 Rn. 10) in Fällen, in denen an Geldausgabeautomaten unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl Geld abgehoben wurde, der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass entweder der Karteninhaber die Abhebungen selbst vorgenommen hat oder – was hier nach der Feststellung des Berufungsgerichts allein in Betracht kam – dass ein Dritter nach der Entwendung der Karte von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung gemeinsam mit der Karte Kenntnis erlangen konnte. Das setzt aber voraus, dass bei der missbräuchlichen Abhebung die Originalkarte eingesetzt worden ist, da bei Abhebung mithilfe einer ohne Kenntnis des Inhabers gefertigten Kartenkopie (z.B. durch Skimming) kein typischer Geschehensablauf dafür spricht, Originalkarte und Geheimzahl seien gemeinsam aufbewahrt worden. Den Einsatz der Originalkarte hat dabei die Schadensersatz begehrende Bank zu beweisen.

Weiter erfasst eine von der kontoführenden Bank im konkreten Fall in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete Klausel, nach der bis zum Eingang einer Verlustmeldung der Karteninhaber nur bis zu einem Höchstbetrag von 50 EUR haften soll, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch die Haftung des Karteninhaber bei schuldhafter Verletzung seiner Sorgfaltspflichten. Der beklagte Karteninhaber kann sich damit auf die Haftungsgrenze von 50 Euro unabhängig davon berufen, ob er schuldhaft gehandelt hat.

Schließlich schützt ein in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank festgelegter Höchstbetrag für Bargeldauszahlungen pro Tag mit einer konkreten Karte auch den Karteninhaber, sodass dessen Haftung im Falle eines Kartenmissbrauchs auf diesen Betrag begrenzt sein kann, wenn die die Karte ausstellende Bank ihrer Pflicht, die Einhaltung dieses Höchstbetrags zu sichern, nicht genügt hat.

Urteil vom 29. November 2011 - XI ZR 370/10
Amtsgericht Göppingen - Urteil vom 23. April 2010 - 7 C 115/10
LG Ulm - Urteil vom 20. Oktober 2010 - 1 S 81/10
Karlsruhe, den 29. November 2011

Die von der klagenden Bank in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendeten, im Urteil angesprochenen Klauseln lauteten auszugsweise wie folgt:

Ziffer 9.1:
"Der Höchstbetrag für Bargeldauszahlungen beträgt bei der SPECIAL Visa Card/MasterCard 500 EUR pro Tag oder der entsprechende Betrag in der jeweiligen Landeswährung. Für Inhaber einer SPECIAL Visa Goldcard/ MasterCard Gold oder eines SPECIAL Goldcard Sets erhöht sich der Betrag auf 1000 EUR."
Ziffer 10.1:
"Stellen Sie den Verlust der Karte/n oder eine missbräuchliche Verfügung fest, werden Sie dies der Bank unverzüglich telefonisch unter nachfolgender schriftlicher Bestätigung anzeigen. Bis zum Eingang der Verlustmeldung haften Sie bis zum Höchstbetrag von 50 EUR. Für Umsätze ab Eingang der Verlustmeldung entfällt Ihre Haftung für eine eventuelle missbräuchliche Verwendung der Karte/n. Sofern der Verdacht einer Einwendung oder missbräuchlichen Verwendung besteht, werden Sie unverzüglich Anzeige bei der Polizei erstatten. "
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Donnerstag, 24. November 2011

BGH entscheidet im Urheberrechtsstreit um "Stuttgart 21" gegen eine Wiedererrichtung des Bauwerks

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 186/2011 vom 24.11.2011 

Der seitens eines Enkels des Urhebers angestrengte Rechtsstreit ist sympathisch, weil er um die Erhaltung einer Bausubstanz und deren Wiederherstellung kämpft, während jenes Neue das an dessen Stelle treten soll, unter bauästhetische Aspekten wohl kaum dessen Gestaltungshöhe erreichen wird, von ganz anderen Bedenken in diesem Zusammenhang abgesehen. 

Nachdem aber das LG Stuttgart und das OLG Stuttgart diesen Anspruch aus §§ 14, 39 UrhG aus ererbtem Recht bereits abgelehnt hatten, war die Entscheidung des BGH hinsichtlich der Nichtzulassung der Revision jedenfalls nicht völlig überraschend. Die Pressemitteilung referiert zwar den Hergang der Sache, lehnt den Anspruch aber nähere Angabe der Rechtsgründe ziemlich apodiktisch ab, indem auf bereits ergangene Rechtsprechung und auf das ohne Rechtsfehler ergangene Urteil des OLG Stuttgart verwiesen wird, das im Rahmen des § 39 Abs.2 UrhG eine Interessenabwägung vorgenommen hatte, demzufolge das Änderungsinteresse des Eigentümers das Erhaltungsinteresse des Urhebers überwiegt. Damit ist gemeint, dass der Urheber nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, seine Einwilligung zu den Änderungen zu erteilen, zumal ein Anspruch auf Erhaltung eines Bauwerks grds. nicht besteht (BGH, ZUM 1988, 245). 

Man mag es sehen wie man will, aber dieser Fall zeigt, mit welcher Gleichgültigkeit wenn nicht Leichtfertigkeit mit historischen Bauwerken hier umgegangen wird, um den Preis der vermeintlichen oder tatsächlichen Vorteile einer Postmoderne, die noch niemand wirklich kennt. 

 --- 

Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rechtsstreit zwischen einem Erben des Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs und der Deutschen Bahn AG die Nichtzulassungsbeschwerde des klagenden Erben zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde wollte der Kläger erreichen, dass der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2010 zulässt und über den Fall verhandelt.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist nach einem Entwurf von Prof. Dipl.-Ing. Paul Bonatz aus dem Jahre 1911 gestaltet worden. Diese Gestaltung ist urheberrechtlich geschützt. Urheberrechtsschutz besteht, nachdem der Architekt im Jahre 1956 verstorben ist, noch bis Ende des Jahres 2026. Die im Rahmen des Infrastrukturprojekts "Stuttgart 21" vorgelegte Planung der Deutschen Bahn AG sieht den Abriss der Seitenflügel und der Treppenanlage in der großen Schalterhalle vor. Einer dieser Seitenflügel ist bereits im Jahre 2010 abgerissen worden. Der Kläger sieht durch diesen, teilweise bereits vollzogenen Teilabriss des Bahnhofsgebäudes die Urheberpersönlichkeitsrechte von Paul Bonatz beeinträchtigt. 

Mit der Klage will er den Wiederaufbau des Nordwest-Flügels erreichen sowie den Abriss des Südost-Flügels und der Treppenanlage verhindern. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Stuttgart haben die Klage abgewiesen. Die Revision war vom Oberlandeslandesgericht nicht zugelassen worden.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts bestätigt und entschieden, dass Gründe für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen. Nach § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht erfüllt. Die maßgeblichen Rechtsfragen, die sich in dem Verfahren gestellt haben, hat der Bundesgerichtshof bereits in früheren Entscheidungen geklärt. Das Urteil des Oberlandesgerichts ließ auch keine Rechtsfehler erkennen, die eine Zulassung der Revision erfordert hätten. 

Beschluss vom 9. November 2011 - I ZR 216/10
Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 6. Oktober 2010 - 4 U 106/10
GRUR-RR 2011, 56 LG Stuttgart - Urteil vom 20. Mai 2010 - 17 O 42/10
ZUM-RD 2010, 491
Karlsruhe, den 24. November 2011
Quelle: Pressestelle des BGH

EuGH lehnt allgemeine Überwachungspflichten für Internet Access Provider ab


EuGH - PRESSEMITTEILUNG Nr. 126/11
Luxemburg, den 24. November 2011 - Urteil in der Rechtssache C-70/10
Scarlet Extended SA / Société belge des auteurs, compositeurs et éditeurs SCRL (SABAM)

Das Urteil ist das vorläufige Ende des Begehrens der Verwertungsgesellschaften von Internet Access Providern verlangen zu wollen, dass diese die Art und Weise der Nutzung der Telekommunikation durch ihre Nutzer zu filtern haben, um Rechtsverletzungen  - etwa durch Nutzung von peer-to-peer-Technologie - zu verhindern. Peer - to - Peer - Technologie ist aber nicht per se rechtswidrig. Eine solche allgemeine Überwachungspflicht ist mit europäischem Sekundär - und Primärrecht nicht vereinbar.

Der vorliegende Fall richtet sich im Ausgangspunkt nach belgischem Recht. Nachdem eine den Anträgenden stattgebende einstweilige Verfügung ergangen war, legte das Berufungsgericht die hiermit verbundenen europarechtlichen Fragen dem EuGH vor, der eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen hat. Ganz unabhängig von der Frage der Kosten (und eines etwaigen Kostenerstattungsanspruchs der Provider gegenüber den Verwertungsgesellschaften) hinsichtlich der Implementation einer derartigen - nicht fehlerfrei handhabbaren - Software scheitert ein solcher Anspruch bereits daran, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr eine solche allgemeine Überwachungspflicht bewusst verneint und damit entgegenstehende nationale Regelungen mit europäischem Sekundärrecht nicht vereinbar sind.

Der EuGH belässt es aber nicht dabei, sondern lehnt einen solchen Anspruch auch unter primärrechtlichen Aspekten als unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit der IAP ab, was etwaigen Änderungswünschen de lege ferenda Grenzen auferlegt, die zudem mit den seitens des EuGH geäußerten datenschutzrechtlichen Aspekten unter primärrechtlichen Vorzeichen noch verstärkt werden. Wie der EuGH sehr treffend ausführt, würden die IAP in solchen Fällen als Datensammelstellen für personenbezogene Daten zugunsten der Rechteinhaber fungieren. Besonders interessant - gerade auch für die deutsche Diskussion des Themas - ist in diesem Zusammenhang, dass der EuGH IP - Adressen zutreffend als personenbezogene Daten qualifiziert und diese Vorgehensweise auch dazu führen kann, dass Personen betroffen werden, die zwar solche Technologien nutzen, aber keine Rechtsverletzungen begangen haben. Die Entscheidung schafft deutliche Klarheit und ist sehr zu begrüßen.

---


Das Unionsrecht steht einer von einem nationalen Gericht erlassenen Anordnung entgegen, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten die Einrichtung eines Systems der Filterung aufzugeben, um einem unzulässigen Herunterladen von Dateien vorzubeugen

Eine solche Anordnung beachtet weder das Verbot, solchen Anbietern eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen, noch das Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten.

Diese Rechtssache beruht auf einem Rechtsstreit zwischen der Scarlet Extended SA, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten, und SABAM, einer belgischen Verwertungsgesellschaft, deren Aufgabe es ist, die Verwendung von Werken der Musik von Autoren, Komponisten und Herausgebern zu genehmigen.
SABAM stellte im Jahr 2004 fest, dass Internetnutzer, die die Dienste von Scarlet in Anspruch nähmen, über das Internet – ohne Genehmigung und ohne Gebühren zu entrichten – zu ihrem Repertoire gehörende Werke über „Peer-to-Peer“-Netze (ein offenes, unabhängiges, dezentralisiertes und mit hochentwickelten Such- und Downloadfunktionen ausgestattetes Hilfsmittel zum Austausch von Inhalten) herunterlüden.

Auf Antrag von SABAM gab der Präsident des Tribunal de première instance de Bruxelles (Belgien) Scarlet als Anbieter von Internetzugangsdiensten unter Androhung eines Zwangsgelds auf, diese Urheberrechtsverletzungen abzustellen, indem sie es ihren Kunden unmöglich mache, Dateien, die ein Werk der Musik aus dem Repertoire von SABAM enthielten, in irgendeiner Form mit Hilfe eines „Peer-to-Peer“-Programms zu senden oder zu empfangen.

Scarlet legte bei der Cour d’appel de Bruxelles Berufung ein und machte geltend, dass die Anordnung nicht unionsrechtskonform sei, weil sie ihr de facto eine allgemeine Pflicht zur Überwachung der Kommunikationen in ihrem Netz auferlege, was mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und den Grundrechten unvereinbar sei. Vor diesem Hintergrund fragt die Cour d’appel den Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten aufgrund des Unionsrechts dem nationalen Richter erlauben können, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten aufzugeben, generell und präventiv allein auf seine eigenen Kosten und zeitlich unbegrenzt ein System der Filterung der elektronischen Kommunikationen einzurichten, um ein unzulässiges Herunterladen von Dateien zu identifizieren.

In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler wie die Anbieter von Internetzugangsdiensten beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung ihrer Rechte genutzt werden. Die Modalitäten der Anordnungen sind Gegenstand des nationalen Rechts. Diese nationalen Regelungen müssen jedoch die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178, S. 1) Beschränkungen wie u. a. die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr beachten, wonach nationale Stellen keine Maßnahmen erlassen dürfen, die einen Anbieter von Internetzugangsdiensten verpflichten würden, die von ihm in seinem Netz übermittelten Informationen allgemein zu überwachen.

Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass die fragliche Anordnung Scarlet verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten aller ihrer Kunden vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Daraus folgt, dass die Anordnung zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten würde, die mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr unvereinbar ist. 
Außerdem würde eine solche Anordnung nicht die anwendbaren Grundrechte beachten.

Zwar ist der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Gleichwohl ergibt sich weder aus der Charta selbst noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieses Recht schrankenlos und sein Schutz daher bedingungslos zu gewährleisten wäre.
Im vorliegenden Fall bedeutet die Einrichtung eines Filtersystems, dass im Interesse der Inhaber von Urheberrechten sämtliche elektronischen Kommunikationen im Netz des fraglichen Anbieters von Internetzugangsdiensten überwacht werden, wobei diese Überwachung zudem zeitlich unbegrenzt ist. 

Deshalb würde eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit von Scarlet führen, da sie sie verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf ihre Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten.

Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf Scarlet beschränken, weil das Filtersystem auch die Grundrechte ihrer Kunden beeinträchtigen kann, nämlich ihre durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen. Zum einen steht nämlich fest, dass diese Anordnung eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um personenbezogene Daten handelt. Zum anderen könnte diese Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil dieses System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.

Daher stellt der Gerichtshof fest, dass das nationale Gericht, erließe es die Anordnung, mit der Scarlet zur Einrichtung eines solchen Filtersystems verpflichtet würde, nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten.

Der Gerichtshof antwortet folglich, dass das Unionsrecht einer Anordnung an einen Anbieter von Internetzugangsdiensten entgegensteht, ein System der Filterung aller seine Dienste durchlaufenden elektronischen Kommunikationen, das unterschiedslos auf alle seine Kunden anwendbar ist, präventiv, auf ausschließlich seine eigenen Kosten und zeitlich unbegrenzt einzurichten.

Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht
www.curia.eu

Excellent article about this decision in English via Technollama:
http://www.technollama.co.uk/european-court-of-justice-rules-against-indiscriminate-intermediary-filtering

BGH legt dem EuGH die Frage vor, wann eine Marke rechtserhaltend benutzt wird

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 185/2011 vom 24.11.2011 

Die im Spannungsfeld zwischen dieser Anfrage des BGH und der neueren Judikatur des EuGH sich stellenden Fragen nach Art und Reichweite der rechtserhaltenden Benutzung von Marken spielen auch und gerade in Widerspruchsverfahren immer wieder eine Rolle. es ist zu begrüßen, dass der BGH insoweit eine europaweite Klärung herbeiführt. Es geht dabei unter dem Aspekt des § 26 Abs.3 MarkenG nicht zuletzt um die Frage, in welchem Rahmen Bildmarken während der Schutzdauer einer Modernisierung zugänglich sind und wie sich der Schutz bei sog. "Zusammengesetzten Marken" auswirkt. Es wird im Vorlagebeschluss deutlich, dass der BGH insoweit jeweils zu einem weitreichenden Schutz tendiert. 

---

Bundesgerichtshof legt dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur rechtserhaltenden Benutzung von Marken vor 

Der unter anderem für das Markenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union in zwei Verfahren Fragen zur rechtserhaltenden Benutzung von Marken zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Kläger des ersten Verfahrens ist Inhaber der Marke "PROTI". Er sieht in der Verwendung der Bezeichnung "Protifit" durch den Beklagten eine Verletzung seiner Rechte an der Marke "PROTI". Der Beklagte hat die Einrede mangelnder Benutzung erhoben, weil der Kläger die Marke "PROTI" nur in einer abgewandelten, ebenfalls als Marke eingetragenen Form benutzt hat. 

Ein weiteres Verfahren betrifft einen Rechtsstreit von Levi Strauss & Co. gegen ein Einzelhandelsunternehmen. Levi Strauss ist Inhaberin verschiedener nationaler und internationaler Marken unter anderem einer für Hosen eingetragenen Gemeinschaftsbildmarke. Nach der Beschreibung im Markenregister handelt es sich um eine Positionsmarke, die aus einem roten rechteckigen Label aus textilem Material besteht, das oben links in die Gesäßtasche von Hosen, Shorts oder Röcken eingenäht ist und aus der Naht hervorsteht. Die Beklagte brachte seit September 2001 Jeanshosen auf den Markt, die an der rechten Seitennaht der Gesäßtasche mit einem roten Stofffähnchen versehen sind. Die Klägerin betrachtet dies als Verletzung ihrer Markenrechte. Die Beklagte hat sich darauf berufen, die Klägerin habe die Klagemarke ausschließlich in abgewandelter Form und zwar mit der Aufschrift "LEVI'S" benutzt. Die tatsächlich verwendete Form sei ebenfalls als Marke registriert; deshalb sei nur diese Marke und nicht auch die Positionsmarke rechtserhaltend benutzt worden. 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in einem Urteil aus dem Jahr 2007 entschieden, dass eine eingetragene Marke nicht durch die Verwendung eines abgewandelten Zeichens rechtserhaltend benutzt werden kann, wenn dieses abgewandelte Zeichen ebenfalls als Marke eingetragen ist (EuGH, Urteil vom 13. September 2007 – C-234/06, GRUR 2008, 343 Rn. 86 BAINBRIDGE).  

Der Bundesgerichtshof hat die bei ihm anhängigen zwei Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Reichweite dieser Aussage vorgelegt. Diese betreffen in dem Verfahren "PROTI" die Vereinbarkeit des § 26 Abs. 3 Satz 2 des deutschen Markengesetzes mit der Markenrechtsrichtlinie.  Die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG gestattet die rechtserhaltende Benutzung einer Marke in einer abgewandelten, ebenfalls als Marke eingetragenen Form, wenn die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs verstößt die deutsche Bestimmung nicht gegen die Markenrechtsrichtlinie. Zur Begründung seiner Ansicht hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen auf das erhebliche wirtschaftliche Interesse der Markeninhaber abgestellt, ihre häufig wertvollen älteren Marken zu modernisieren, ohne den Markenschutz und damit die Priorität der älteren nicht mehr benutzten Marke zu verlieren. 

Das zweite Verfahren um die Rechte aus dem roten Label an den Jeanshosen von Levi Strauss unterscheidet sich von dem ersten Verfahren dadurch, dass die benutzte, als Marke eingetragene Form (rotes Stofffähnchen mit der Aufschrift LEVI'S) eine Kombination von zwei weiteren Marken des Markeninhabers ist (Marke "rotes Stofffähnchen" und Wortmarke "LEVI'S") und die zusammengesetzte Marke keine geringfügige Abwandlung der aus den einzelnen Bestandteilen bestehenden Marken darstellt. 

Der Bundesgerichtshof möchte im Interesse einer effektiven Durchsetzung der Markenrechte auch in einem solchen Fall von einer rechtserhaltenden Benutzung eines als Marke eingetragenen Zeichenbestandteils durch Verwendung der zusammengesetzten Marke ausgehen. Der Markeninhaber hat ein schützenswertes Interesse, auch einen einzelnen Bestandteil einer zusammengesetzten Marke eintragen zu lassen, der vom Verkehr als eigenständiges Kennzeichenmittel aufgefasst wird. Dies ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bei dem roten Label von Levi Strauss der Fall. 

Beschluss vom 17. August 2011 - I ZR 84/09 – PROTI 
LG Köln - Urteil vom 16. September 2008 - 33 O 484/06 
OLG Köln - Urteil vom 20. Mai 2009 - 6 U 195/08 
und 

Beschluss vom 24. November 2011 - I ZR 206/10 - Stofffähnchen II 
 LG Hamburg - Urteil vom 22. Juni 2004 - 312 O 482/03 
 OLG Hamburg - Urteil vom 18. November 2010 - 3 U 130/04 

 Karlsruhe, den 24. November 2011 

§ 26 MarkenG Benutzung der Marke (1)… (2)… (3)
Als Benutzung einer eingetragenen Marke gilt auch die Benutzung der Marke in einer Form, die von der Eintragung abweicht, soweit die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändert. Satz 1 ist auch dann anzuwenden, wenn die Marke in der Form, in der sie benutzt worden ist, ebenfalls eingetragen ist. 

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs (www.bundesgerichtshof.de)

Dienstag, 15. November 2011

EuGH: Steuerregelungen, die Offshore-Unternehmen der Besteuerung entziehen, stellen mit EU - Recht unvereinbare staatliche Beihilfe dar

Die beiden Entscheidungen des EuGH sind für das internationale Gesellschaftsrecht und das internationale Steuerrecht unter dem Aspekt der steuerminimierenden Standortwahl von erheblichem Interesse. Sie betreffen das Niedrigsteuergebiet Gibraltar, einem für bestimmte Unternehmensgründungen interessanten Standort. Dort aber nur die 2004 geplante Besteuerung der Offshore-Gesellschaften, denen der EuGH unterstellt, dass sie keine Arbeitnehmer beschäftigen und keine Büroräume nutzen, sondern letztlich nur "virtuelle Offices" betreiben. Der EuGH betrachtet hier Vergünstigungen für Offshoregesellschaften unter derartigen Voraussetzungen als europarechtlich verbotene Subventionen. Die beiden Urteile könnten durchaus ein Paradigma darstellen, auch weitere Begünstigungen von Offshore - Gesellschaften in der EU zu "neutralisieren", wobei die weiteren Entwicklungen abgewartet werden müssen. 

 --- Gerichtshof der Europäischen Union 
PRESSEMITTEILUNG Nr. 120/11 Luxemburg, den 15. November 2011 
Presse und Information Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-106/09 P und 107/09 P 
Kommission und Spanien / Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich 

Eine Steuerregelung, die so konzipiert ist, dass Offshore-Unternehmen der Besteuerung entgehen, stellt eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe dar. Daher hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und bestätigt die Entscheidung der Kommission, die es dem Vereinigten Königreich untersagt, das Vorhaben von 2002 zur Reform der Körperschaftsteuer in Gibraltar durchzuführen. 

Im August 2002 meldete das Vereinigte Königreich bei der Kommission die beabsichtigte Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar an.1 Diese Reform umfasste insbesondere die Aufhebung des alten Steuersystems und die Einführung von drei Steuern, die für alle Unternehmen in Gibraltar gelten sollten: eine Eintragungsgebühr für Unternehmen, eine Lohnsummensteuer und eine Gewerbegrundbenutzungssteuer (business property occupation tax, BPOT), wobei für die beiden letztgenannten Steuern eine Obergrenze von 15 % der Gewinne gelten sollte. 

Die Kommission entschied im Jahr 2004, dass die angemeldeten Vorschläge zur Reform des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar eine staatliche Beihilferegelung darstellten, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei, und dass diese Vorschläge daher nicht umgesetzt werden dürften. Die Kommission stellte fest, dass drei Bestandteile der Steuerreform materiell selektiv seien: 1. die Voraussetzung der Gewinnerzielung durch die Unternehmen als Grundlage für die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese Voraussetzung Unternehmen begünstige, die keine Gewinne erzielten, 2. die für die Lohnsummensteuer und die BPOT geltende Obergrenze von 15 % der Gewinne, da diese Obergrenze die Unternehmen begünstige, die in dem betreffenden Steuerjahr im Verhältnis zur Zahl ihrer Mitarbeiter und zur Nutzung von Geschäftsräumen niedrige Gewinne erzielten, 3. die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese beiden Steuern ihrem Wesen nach „Offshore-Unternehmen“ begünstigten, die in Gibraltar nicht tatsächlich physisch präsent und daher nicht körperschaftsteuerpflichtig seien. Außerdem sei die geplante Reform regional selektiv, da sie ein System vorsehe, nach dem Unternehmen in Gibraltar allgemein niedriger besteuert würden als Unternehmen im Vereinigten Königreich. 

Auf die Klagen der Regierung von Gibraltar und des Vereinigten Königreichs erklärte das Gericht erster Instanz am 18. Dezember 2008 die Entscheidung der Kommission für nichtig.3 Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass die Kommission in Bezug auf die materielle Selektivität des Reformvorhabens keine korrekte Prüfungsmethode angewandt habe. Die Kommission hätte, um den selektiven Charakter der fraglichen Steuerregelung zu beweisen, nachweisen müssen, dass bestimmte Bestandteile dieser Regelung Ausnahmen von der allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung von Gibraltar seien. Dabei habe die Kommission nicht, wie sie dies in ihrer Entscheidung getan habe, allgemeine Steuermaßnahmen im Hinblick auf ihre Wirkungen als selektiv ansehen dürfen. Außerdem war das Gericht der Ansicht, der Bezugsrahmen für die 1 

Die Reform, um die es in den vorliegenden Rechtssachen geht, ist jedoch nicht in Kraft getreten. 2 Entscheidung 2005/262/EG der Kommission vom 30. März 2004 über die Beihilferegelung, die das Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar beabsichtigt (ABl. 2005, L 85, S. 1). 3 Urteil in den Rechtssachen T-211/04 und T-215/04, Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Kommission (vgl. Pressemitteilung Nr. 99/08). www.curia.europa.eu Beurteilung der regionalen Selektivität der Reform entspreche ausschließlich den Grenzen des Gebiets von Gibraltar und nicht denjenigen des Vereinigten Königreichs. 

Die Kommission und Spanien legten daraufhin beim Gerichtshof die vorliegenden Rechtsmittel ein, mit denen sie die Aufhebung des Urteils des Gerichts begehren. 

In seinem Urteil vom heutigen Tag befindet der Gerichtshof, das Gericht habe rechtsfehlerhaft die Ansicht vertreten, dass das Steuerreformvorhaben den Offshore-Unternehmen keine selektiven Begünstigungen gewähre. Der Gerichtshof führt aus, dass eine unterschiedliche steuerliche Belastung, die sich aus der Anwendung einer „allgemeinen“ Steuerregelung ergibt, als solche nicht ausreichen kann, um die Selektivität einer Besteuerung festzustellen. Allerdings liegt diese Selektivität vor, wenn, wie hier, die in einem Steuersystem als Besteuerungsgrundlage festgelegten Kriterien geeignet sind, die begünstigten Unternehmen anhand ihrer spezifischen Eigenarten als privilegierte Gruppe zu kennzeichnen. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Steuerregelung von Gibraltar u. a durch eine Kombination von Lohnsummensteuer und BPOT als einzigen Besteuerungsgrundlagen gekennzeichnet ist, woraus sich eine Besteuerung ergibt, die von der Zahl der Arbeitnehmer und der Größe der genutzten Geschäftsräume abhängt. Gleichwohl schließt die Kombination dieser beiden Besteuerungsgrundlagen (die auf an sich allgemeinen Kriterien beruhen), da andere Besteuerungsgrundlagen fehlen, von vornherein jede Besteuerung der Offshore-Unternehmen aus, da diese keine Arbeitnehmer beschäftigen und auch keine Geschäftsräume nutzen. Diese Kriterien führen daher zu einer unterschiedlichen Behandlung der Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit dem Steuerreformvorhaben verfolgte Ziel, ein allgemeines Besteuerungssystem für alle in Gibraltar ansässigen Unternehmen einzuführen, in einer vergleichbaren Lage befinden. 

Der Gerichtshof gelangt folglich zu dem Schluss, dass der Umstand, dass die Offshore-Unternehmen auf Gibraltar nicht besteuert werden, keine zufällige Folge der fraglichen Regelung ist, sondern unvermeidliche Konsequenz der Tatsache, dass die beiden Körperschaftsteuern (insbesondere ihre Besteuerungsgrundlagen) genau so konzipiert sind, dass die Offshore-Unternehmen, die als solche keine Arbeitnehmer beschäftigen und keine Geschäftsräume nutzen, der Besteuerung entgehen. 

Der Umstand, dass die Offshore-Unternehmen gerade aufgrund der typischen und spezifischen Merkmale dieser Gruppe von Unternehmen der Besteuerung entgehen, erlaubt daher die Feststellung, dass diesen Unternehmen selektive Begünstigungen zugutekommen. 

Der Gerichtshof weist insbesondere darauf hin, dass entgegen der Auffassung des Gerichts die Einstufung eines Steuersystems als „selektiv“ nicht davon abhängig ist, dass dieses so konzipiert ist, dass sämtliche Unternehmen denselben steuerlichen Belastungen unterliegen, einige von ihnen aber von Ausnahmevorschriften profitieren, die ihnen einen selektiven Vorteil gewähren. Ein solches Verständnis des Kriteriums der Selektivität würde voraussetzen, dass eine Steuerregelung – um als selektiv eingestuft werden zu können – nach einer bestimmten Regelungstechnik konzipiert ist. Dies hätte zur Folge, dass nationale Steuervorschriften der Kontrolle auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen von vornherein aus dem bloßen Grund entzogen sind, dass sie auf einer anderen Regelungstechnik beruhen, obwohl sie dieselben Wirkungen entfalten. Da das Steuerreformvorhaben materiell selektiv ist, soweit es den Offshore-Unternehmen selektive Vorteile gewährt, hält der Gerichtshof die Prüfung, ob das Reformvorhaben in territorialer Hinsicht selektiv ist, für nicht erforderlich. 

Unter diesen Umständen hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und bestätigt die Entscheidung der Kommission, wonach das Steuerreformvorhaben eine staatliche Beihilferegelung darstellt, die das Vereinigte Königreich nicht umsetzen darf. www.curia.europa.eu HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist. Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht 

Die Urteile sind im Volltext sehr lesenswert!

--- 

Europäischer Gerichtshof Urteil vom 15.11.2011 - C-106/09 P 

Donnerstag, 10. November 2011

Bundesgerichtshof zur Haftung des Admin-C

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 180/2011 vom 10.11.2011 - Haftung des ADMIN-C

---

Die lange erwartete Entscheidung - bei der es nur noch um die sog. "Abmahnkosten" ging - zur Haftung des ADMIN - C hat keine endgültige Klärung der Haftungssituation für alle Fallkonstellationen erbracht, sondern betrifft im Kern die Situation eines ADMIN - C mit deutscher Anschrift, der sich Unternehmen aus dem Ausland zur Verfügung stellt, die freiwerdende Domains ohne Rechteprüfung automatisch registrieren, unter anderem auch bei der DEIC e.G. Angesichts der Vertragsrechtslage hat der BGH für diese Konstellation angenommen, dass den ADMIN - C im Rahmen der Mitstörerhaftung eine besondere Prüfpflicht auferlegt. Damit ist nicht gesagt, dass ein ADMIN - C in allen denkbaren Fällen als Mitstörer "automatisch" haftet. Die sachgerechte Entscheidung lässt Spielraum für eine an der Einzelfallgerechtigkeit ausgerichtete rechtliche Wertung im Rahmen der Mitstörerhaftung. 

Der BGH stellte im konkreten Fall darauf ab, dass auch bei der DENIC eine solche Prüfung nicht stattfindet und somit in Kenntnis des ADMIN - C  eine erhöhte Gefahr besteht, dass unter Nutzung seiner Funktion für den Domaininhaber rechtsverletzende Domainnamen registriert werden, wenn die automatisiert registrierten Domainnamen Rechte Dritter verletzen. Da diese besonderen Umstände im Instanzenzug bislang nicht geprüft wurden, hat der BGH die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 

---


Der unter anderem für das Kennzeichenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gestern entschieden, ob der administrative Ansprechpartner, der bei Registrierung eines Domainnamens immer dann benannt werden muss, wenn der Anmelder nicht im Inland wohnt, in Fällen in Anspruch genommen werden kann, in denen der registrierte Domainname Rechte Dritter verletzt. 

Die Klägerin betreibt unter der Bezeichnung "Basler Haar-Kosmetik" unter anderem im Internet einen Versandhandel für Haarkosmetikprodukte und Friseurbedarf. Sie fühlt sich durch eine unter dem Domainnamen www.baslerhaarkosmetik.de registrierte Internetseite in ihrem Namensrecht verletzt. 

Der Domainname ist von einer in Großbritannien ansässigen Gesellschaft bei der DENIC, der Genossenschaft, die die Domainnamen mit dem Top-Level-Domain ".de" vergibt, angemeldet worden. Als administrativer Ansprechpartner (sogenannter Admin-C) für den Domainnamen war der Beklagte registriert.  

Die Klägerin wandte sich mit einem Schreiben ihres Rechtsanwalts an den Beklagten und forderte diesen zur Löschung des Domainnamens auf. Der Domainname wurde daraufhin gelöscht. 

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von dem Beklagten Erstattung der ihr durch die Abmahnung entstandenen Rechtsanwaltskosten. 

Das Landgericht Stuttgart hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt, das Oberlandesgericht Stuttgart hat das landgerichtliche Urteil auf die Berufung des Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. 

Ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten hängt davon ab, ob der Klägerin im Zeitpunkt der Abmahnung ein Anspruch auf Löschung des Domainnamens nicht nur gegen den Domaininhaber, sondern auch gegen den Beklagten als Admin-C zustand. 

Das Oberlandesgericht hatte diese Frage verneint. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. 

Ein Anspruch gegenüber dem Admin-C kann sich aus dem Gesichtspunkt der Störerhaftung ergeben. Die dafür erforderliche Verletzung zumutbarer Prüfungspflichten ergibt sich allerdings noch nicht aus der Stellung des Beklagten als Admin-C an sich. Denn dessen Funktions- und Aufgabenbereich bestimmt sich allein nach dem zwischen der DENIC und dem Domaininhaber abgeschlossenen Domainvertrag, wonach sich der Aufgabenbereich des Admin-C auf die Erleichterung der administrativen Durchführung des Domainvertrages beschränkt. 

Unter bestimmten Umständen kann den Admin-C aber - so der Bundesgerichtshof - eine besondere Prüfungspflicht hinsichtlich des Domainnamens treffen, dessen Registrierung er durch seine Bereitschaft, als Admin-C zu wirken, ermöglicht. 

Im Streitfall hatte sich der Beklagte gegenüber der in Großbritannien ansässigen Inhaberin des Domainnamens generell bereit erklärt, für alle von ihr registrierten Domainnamen als Admin-C zur Verfügung zu stehen. 

Ferner hatte die Klägerin vorgetragen, dass die britische Gesellschaft in einem automatisierten Verfahren freiwerdende Domainnamen ermittelt und automatisch registrieren lässt, so dass auf der Ebene des Anmelders und Inhabers des Domainnamens keinerlei Prüfung stattfindet, ob die angemeldeten Domainnamen Rechte Dritter verletzen könnten. 

Bei dieser Verfahrensweise besteht im Hinblick darauf, dass auch bei der DENIC eine solche Prüfung nicht stattfindet, eine erhöhte Gefahr, dass für den Domaininhaber rechtsverletzende Domainnamen registriert werden. 

Unter diesen Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof eine Pflicht des Admin-C bejaht, von sich aus zu überprüfen, ob die automatisiert registrierten Domainnamen Rechte Dritter verletzen. 

 Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, das nun noch klären muss, ob die von der Klägerin vorgetragenen besonderen Umstände vorliegen und der Beklagte davon Kenntnis hatte oder haben musste. 

Urteil vom 9. November 2011 - I ZR 150/09 - Basler Haarkosmetik LG Stuttgart - Urteil vom 27. Januar 2009 - 41 O 127/08 OLG Stuttgart - Urteil vom 24. September 2009 - 2 U 16/09 GRUR-RR 2010, 12 = K & R 2010, 197 

Karlsruhe, den 10. November 2011 
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Mittwoch, 9. November 2011

Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 178/2011 vom 09.11.2011 

Familienrecht ist im Regefall nicht unser Thema, aber der Fall ist von allgemeinem Interesse, weil der BGH erstmal für den Fall des sog. Scheinvaterregresses nach erfolgreicher gerichtlicher Anfechtung der Vaterschaft aus § 242 BGB einen Auskunftsanspruch gegen die Kindesmutter zugelassen hat, ohne die dieser Rückgriffsanspruch gegen den leiblichen Vater leerläuft. Die Schwierigkeiten einen derartigen Auskunftsanspruch auch im Falle der Weigerung zu vollstrecken, seien am Rande erwähnt, § 888 ZPO. 

---

Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass dem Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung und zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses ein Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft über die Person zusteht, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat. Die Parteien hatten bis zum Frühjahr 2006 für etwa zwei Jahre in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt. Im Frühsommer 2006 trennten sie sich endgültig. Am 18. Januar 2007 gebar die Beklagte einen Sohn. Nachdem sie den Kläger zuvor aufgefordert hatte, die Vaterschaft für "ihr gemeinsames Kind" anzuerkennen, erkannte dieser bereits vor der Geburt mit Zustimmung der Beklagten die Vaterschaft an. Er zahlte an die Beklagte insgesamt 4.575 € Kindes- und Betreuungsunterhalt. In der Folgezeit kam es zwischen den Parteien zu verschiedenen Rechtsstreitigkeiten. In einem Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts wurde ein psychologisches Gutachten eingeholt, dessen Kosten der Kläger jedenfalls teilweise zahlen musste.

In einem Rechtsstreit über Betreuungs- und Kindesunterhalt verständigten sich die Parteien auf Einholung eines Vaterschaftsgutachtens. Auf der Grundlage dieses Gutachtens stellte das Familiengericht im Anfechtungsverfahren fest, dass der Kläger nicht der Vater des 2007 geborenen Sohnes der Beklagten ist. Dementsprechend sind die Unterhaltsansprüche gegen den leiblichen Vater nach § 1607 Abs. 3 Satz 2 BGB in Höhe des geleisteten Unterhalts auf den Kläger übergegangen. Inzwischen erhält die Beklagte von dem mutmaßlichen leiblichen Vater des Kindes monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 202 €. Dem Kläger ist der leibliche Vater des Kindes nicht bekannt. Er möchte in Höhe der geleisteten Zahlungen Regress bei diesem nehmen. Zu diesem Zweck hat er von der Beklagten Auskunft zur Person des leiblichen Vaters verlangt. 

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Auskunft verurteilt, wer ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt habe. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat auch die Revision der Beklagten zurückgewiesen. 

Die Beklagte schuldet dem Kläger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Auskunft über die Person, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Ein solcher Anspruch setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass auf der Grundlage einer besonderen Rechtsbeziehung zwischen den Parteien der eine Teil in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, während der andere Teil unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen. 

Diese Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof als erfüllt angesehen. Dem Kläger ist nicht bekannt, gegen wen er seinen Anspruch auf Unterhaltsregress richten kann; die Beklagte kann ihm unschwer die Person benennen, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat und gegenwärtig sogar Kindesunterhalt leistet. Die erforderliche besondere Rechtsbeziehung zwischen den Auskunftsparteien ergibt sich aus dem auf Aufforderung und mit Zustimmung der Mutter abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnis. Zwar berührt die Verpflichtung zur Auskunft über die Person des Vaters ihres Kindes das Persönlichkeitsrecht der Mutter nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG, das auch das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre umfasst und zu dem die persönlichen, auch geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner gehören. Dieser Schutz ist nach Art. 2 Abs. 1 GG aber seinerseits beschränkt durch die Rechte anderer. Ein unzulässiger Eingriff in den unantastbaren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt nicht vor, weil die Auskunftspflichtige bereits durch ihr früheres Verhalten Tatsachen ihres geschlechtlichen Verkehrs während der Empfängniszeit offenbart hatte, die sich als falsch herausgestellt haben. Damit hatte sie zugleich erklärt, dass nur der Kläger als Vater ihres Kindes in Betracht kam und diesen somit zum Vaterschaftsanerkenntnis veranlasst. In einem solchen Fall wiegt ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht regelmäßig nicht stärker als der ebenfalls geschützte Anspruch des Mannes auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG zur Durchsetzung seines Unterhaltsregresses nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung. Urteil vom 9. November 2011 - XII ZR 136/09 AG Rendsburg – 23 F 235/08 – Urteil vom 10. Dezember 2008 OLG Schleswig – 8 UF 16/09 – Urteil vom 23. Juni 2009 – FamRZ 2009, 1924  

Karlsruhe, den 9. November 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

BGH: Versicherungsrechtliche Folgen des Zusammenbruchs eines Geld - und Werttransportunternehmens

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 179/2011 vom 09.11.2011

Die interessante Entscheidung betrifft erneut das Thema der versicherungsrechtlichen Absicherung von Insolvenzrisiken, einem Modell, dass in der Praxis mehr und mehr Bedeutung erlangt.  

Hier geht es die Folgen des Zusammenbruches der Heros - Gruppe, deren unternehmerische Aktivitäten sich im Kern Geld- und Werttransportdienstleistungen befassten. Die Geschäftsführer mehrerer Unternehmen der Unternehmensgruppe hatten ihnen überlassenes Bargeld über Jahre hinweg zweckwirdrig verwendet, so dass die betrroffenen Banken dieses Geld nach dem Zusammenbruch nicht mehr realisieren konnten, ohne auf die Transportversicherungen zurückzugreifen. Diese wiederum haben die Transportversicherungsverträge wegen argistiger Täuschung angefochten, was gegen die Zahlungsansprüche eingewendet wurde, wobei allerdings die Wirksamkeit der Anfechtung in Streit steht. Der BGH hat diese Rechtsstreitigkeiten zwar wegen mangelnder Tatsachenaufklärung des Land- und Oberlandesgerichtes Düsseldorf zurückverwiesen, aber interessante Ausführungen zur Rechtslage gemacht, die erkennen lassen, dass der BGH ein weites Verständnis des Schutzumfanges dieser Transportversicherungen zugrundelegt, so dass die vertragswidrige Nichtablieferung von Bargeld vom Versicherungsschutzt umfasst ist. 

---

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute im Anschluss an die Entscheidungen vom 25. Mai 2011 im Zusammenhang mit der HEROS-Gruppe weitere Entscheidungen zu den versicherungsrechtlichen Folgen des Zusammenbruchs eines Geld- und Werttransportunternehmens getroffen. Die Kläger - Banken und Einzelhandelsunternehmen - haben Versicherungsleistungen aus einer Transportversicherung gefordert. Deren Versicherungsschutz erstreckt sich auf "alle Gefahren und Schäden, gleichviel aus welcher Ursache", denen versicherte Sachen (u.a. Geld, Geldscheine, Hartgeld, Münzen) ausgesetzt sind. Er beginnt mit deren "Übergabe oder Übernahme … an bzw. durch den Versicherungsnehmer" und "endet, wenn dieselben in die Obhut des berechtigten Empfängers übergeben worden sind". 

 Die Geschäftsführer des Geld- und Werttransportunternehmens verwendeten diesem überlassenes Bargeld über Jahre hinweg zweckwidrig, indem sie damit unter anderem Verbindlichkeiten gegenüber anderen Auftraggebern beglichen. Aufgrund dessen wurde zahlreichen Auftraggebern - darunter nach ihren Behauptungen auch den Klägern - insbesondere im August 2006 dem Transporteur zur Entsorgung überlassenes Bargeld nicht mehr (vollständig) auf ihren Konten gutgeschrieben oder zur Versorgung von Filialen oder Geldautomaten bestimmtes Geld nicht mehr übergeben. Nach Aufdeckung dieser Geschäftspraktiken im Sommer 2006 fochten die Beklagten die Versicherungsverträge wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss an. 

 Die Parteien haben vor allem darüber gestritten, ob die beklagten Versicherer schon infolge der Anfechtung leistungsfrei sind, sowie, ob das Geld- und Werttransportunternehmen im Umgang mit dem ihm anvertrauten Bargeld gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen und dadurch einen Versicherungsfall ausgelöst hat. Die Berufungsgerichte hatten die Klageansprüche überwiegend zugesprochen. Dagegen wendeten sich die Versicherer mit ihren Revisionen. Die Kläger erstrebten zum Teil eine weitergehende Verurteilung der Beklagten, soweit die Klagen in den Vorinstanzen abgewiesen worden waren. Der Bundesgerichtshof hat den noch von den Berufungsgerichten angenommenen Ausschluss der Beklagten mit der Geltendmachung des Einwandes der Anfechtung abgelehnt. 

Die Verfahren sind zur neuen Verhandlung und Entscheidung, insbesondere zur Klärung der bisher offen gelassenen Frage, ob die Beklagten ihre Vertragserklärungen wirksam wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss angefochten haben, an diese zurückverwiesen worden. Darüber hinaus hat der IV. Zivilsenat weitere Grundsatzentscheidungen zur Reichweite des Versicherungsschutzes für Geld- und Werttransporte getroffen. Anders als in dem Sachverhalt, der dem Urteil vom 25. Mai 2011 (HEROS I IV ZR 117/09, VersR 2011, 918; Pressemitteilung Nr. 87/2011) zugrunde lag, schließen die Bedingungen der zwischen den Klägern und dem Geld- und Werttransportunternehmen geschlossenen Transportverträge es in den heute entschiedenen Rechtssachen aus, dass zur Entsorgung überlassenes Bargeld bei Ablieferung bei der Deutschen Bundesbank zunächst einem Eigen-Konto des Transporteurs gutgebracht wird. Erfolgt dennoch eine Einzahlung auf einem solchen Konto und wird die Übergabe daher nicht wie geschuldet ausgeführt, liegt darin ein dem Versicherungsschutz unterfallender Zugriff auf das Transportgut. Denn der von den Beklagten versprochene und bis zur Übergabe "in die Obhut des berechtigten Empfängers" währende Deckungsschutz umfasst auch die Einhaltung der vertraglichen Einzahlungsanweisung. Ein so begründeter Versicherungsfall entfällt nicht allein dadurch, dass die Auftraggeber eine solche, für sie erkennbar dem Transportvertrag widersprechende Handhabung stillschweigend hingenommen haben. 

Erstmals hat der Bundesgerichtshof sich auch mit der Reichweite des Versicherungsschutzes für den Bereich der Versorgung mit Bargeld - etwa für Geldautomaten und Kassen von Filialen - befasst. Hat der Transporteur für den Auftraggeber von der Deutschen Bundesbank Bargeld entgegen genommen, das er den vertraglichen Vorgaben zuwider nicht an den vorgesehenen Bestimmungsorten abliefert, liegt auch darin ein vom Versicherungsschutz umfasster stofflicher Zugriff auf das Transportgut. Damit wird nach außen erkennbar in den vereinbarten Ablauf der Geldversorgung eingegriffen und zugleich dem Auftraggeber die Möglichkeit entzogen zu bestimmen, wie mit dem Bargeld verfahren wird. 

Urteile vom 9. November 2011 IV ZR 251/08 Landgericht Düsseldorf - Urteil vom 26. Oktober 2007 - 39 O 114/06 Oberlandesgericht Düsseldorf - Urteil vom 5. November 2008 - I-18 U 188/07 und IV ZR 15/10 Landgericht Essen - Urteil vom 12. November 2008 - 1 O 183/07 Oberlandesgericht Hamm - Urteil vom 18. Dezember 2009 - I-20 U 30/09 und IV ZR 16/10 Landgericht Essen - Urteil vom 4. Juni 2008 - 1 O 66/07 Oberlandesgericht Hamm - Urteil vom 18. Dezember 2009 - I-20 U 137/08 und IV ZR 171/10 Landgericht Essen - Urteil vom 29. August 2008 - 19 O 35/08 Oberlandesgericht Hamm - Urteil vom 16. Juli 2010 - I-20 U 166/08 und IV ZR 172/10 Landgericht Essen - Urteil vom 1. Dezember 2008 - 1 O 308/06 Oberlandesgericht Hamm - Urteil vom 16. Juli 2010 - I-20 U 28/09 und IV ZR 173/10 Landgericht Essen - Urteil vom 26. Mai 2008 - 1 O 55/07 Oberlandesgericht Hamm - Urteil vom 16. Juli 2010 - I-20 U 128/08

Karlsruhe, den 9. November 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Mittwoch, 2. November 2011

BGH zum Umfang des Insolvenzschutzes bei Pauschalreisen

Bundesgerichtshof - Mitteilung der Pressestelle Nr. 173/2011 vom 02.11.2011 Bundesgerichtshof zum Umfang des Insolvenzschutzes bei Pauschalreisen ---

Der Insolvenzschutz bei Pauschalreisen hat seine Tücken und Lücken im Versicherungsschutz. Im vorliegenden Fall hatte sich ein Versicherer versucht, der Haftung für eine Insolvenz des Reiseveranstalters mit dem Argument zu entgehen, dass die betreffende Reise bereits vor der Insolvenz nicht zustande gekommen ist und der Zeitpunkt - der etwa einen Monat später liegenden - der Stellung des Insolvenzantrages und der nach vorläufiger Insolvenzverwaltung erfolgten Insolvenzeröffnung nicht auf diesen Zeitpunkt zurückwirkt. Damit wird versucht eine Lücke im Konzept des Sicherungsscheines nach § 651 k BGB zu schaffen. Diese fehlerhafte Rechtsauffassung stieß im Instanzenzug auf keinerlei "Sympathien".

Der BGH legt § 651 k BGB mit Blick auf Art. 7 der Richtlinie 90/314/EWG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH dahingehend aus, die eindeutig von einem umfassenden Schutzkonzept ausgeht, so dass auch Rückzahlungsansprüche vom Versicherungsschutz erfasst sind, die aufgrund einer Insolvenz des Reiseveranstalters nicht mehr von diesem erfüllt werden können. Nichts anders ist auch in § 651k BGB geregelt, der diese Norm in deutsches Recht umgesetzt hat. Weder nach deutschem noch nach eureopäischem Recht kommt es auf eine Kausalität der Insolvenz für den Reiseausfall an, sondern es reicht aus, "dass infolge der Insolvenz dem Reisenden vom Veranstalter der vorausgezahlte Preis für die ausgefallene Reise nicht erstattet werden kann und der insolvente Reiseveranstalter naturgemäß auch zur Durchführung der Reise nicht mehr in der Lage ist." Jedes andere Verständnis verkennt das Sicherungskonzept das dieser Regelung zugrundeliegt, was nunmehr höchstrichterlich geklärt ist.

---  

Nr. 173/2011: Die Kläger buchten Anfang 2009 über einen Reiseveranstalter eine Kreuzfahrt, die Anfang 2010 hätte stattfinden sollen. Sie überwiesen, nachdem sie einen "Sicherungsschein für Pauschalreisen gemäß § 651k des Bürgerlichen Gesetzbuches" des nunmehr verklagten Hamburger Versicherers erhalten hatten, jeweils über 7.400 EUR an den Reiseveranstalter. Anfang August 2009 teilte der Reiseveranstalter den Klägern mit, dass die Reise mangels Nachfrage nicht stattfinde. Bereits einen Monat später wurde durch das Insolvenzgericht die vorläufige Verwaltung des Vermögens des Reiseveranstalters angeordnet, Anfang Dezember 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Zur Rückzahlung des Reisepreises durch den Reiseveranstalter kam es nicht mehr. Der beklagte Versicherer lehnte eine Erstattung ab. Die Reise sei nicht aufgrund der Insolvenz des Reiseveranstalters ausgefallen, sondern weil sie von diesem mangels Nachfrage abgesagt worden sei. Das Risiko, dass der dadurch ausgelöste Rückzahlungsanspruch wegen Insolvenz des Reiseveranstalters nicht mehr realisiert werden könne, werde vom Wortlaut des Sicherungsscheins, der der gesetzlichen Formulierung in § 651k BGB folge, nicht erfasst. Ferner treffe die Kläger ein Mitverschulden, weil sie den Reisepreis bereits ein Jahr vor Beginn der Reise beglichen hätten, ohne dass sie hierzu verpflichtet gewesen seien.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Versicherung hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Reiserecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Entscheidungen heute bestätigt.

Ein Reisender, zu dessen Gunsten ein Reisepreisversicherungsvertrag gemäß § 651k des Bürgerlichen Gesetzbuches abgeschlossen worden ist, ist damit – so der BGH - auch gegen das Risiko absichert, dass nach einer Absage der Reise durch den Reiseveranstalter sein Anspruch auf Rückzahlung des vorausbezahlten Reisepreises aufgrund der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht mehr realisiert werden kann. § 651k BGB ist auch auf diese Fallgestaltung anzuwenden, weil der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 7 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen vollständig umsetzen wollte.

Art. 7 der Richtlinie erfasst eindeutig auch den vorliegenden Fall, weil die Richtlinie vorschreibt, dass der Reiseveranstalter für den Fall seiner Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sicherzustellen hat. Eine Kausalität der Insolvenz für den Reiseausfall muss daher weder nach europäischen noch nach deutschem Recht bestehen, es reicht vielmehr aus, dass infolge der Insolvenz dem Reisenden vom Veranstalter der vorausgezahlte Preis für die ausgefallene Reise nicht erstattet werden kann und der insolvente Reiseveranstalter naturgemäß auch zur Durchführung der Reise nicht mehr in der Lage ist. In diesem Sinne sind auch die zu Gunsten der Kläger abgeschlossenen Reisepreisversicherungsverträge zwischen dem Reiseveranstalter und dem beklagten Versicherer auszulegen, weil sie in ihren allgemeinen Versicherungsbedingungen auf die gesetzliche Regelung Bezug nehmen.

Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Pauschalreise-Richtlinie hat der Senat wegen des klaren Wortlauts des Art. 7 und der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht für notwendig erachtet. § 651 k BGB lautet (auszugsweise):

"(1)Der Reiseveranstalter hat sicherzustellen, dass dem Reisenden erstattet werden 1.der gezahlte Reisepreis, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Reiseveranstalters ausfallen, und 2.notwendige Aufwendungen, die dem Reisenden infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Reiseveranstalters für die Rückreise entstehen. Die Verpflichtungen nach Satz 1 kann der Reiseveranstalter nur erfüllen 1. durch eine Versicherung bei einem im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen oder 2. durch ein Zahlungsversprechen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts. (2) … (3) Zur Erfüllung seiner Verpflichtung nach Absatz 1 hat der Reiseveranstalter dem Reisenden einen unmittelbaren Anspruch gegen den Kundengeldabsicherer zu verschaffen und durch Übergabe einer von diesem oder auf dessen Veranlassung ausgestellten Bestätigung (Sicherungsschein) nachzuweisen. … (4) Reiseveranstalter und Reisevermittler dürfen Zahlungen des Reisenden auf den Reisepreis vor Beendigung der Reise nur fordern oder annehmen, wenn dem Reisenden ein Sicherungsschein übergeben wurde. …" Art. 7 der Richtlinie lautet: "Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, weist nach, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind."

Urteil vom 2. November 2011 – X ZR 43/11 LG Hamburg – 334 O 249/09 – Urteil vom 19. August 2010 OLG Hamburg – 9 U 154/10 – Urteil vom 29. März 2011 und Urteil vom 2. November 2011 – X ZR 44/11 LG Hamburg – 334 O 250/09 – Urteil vom 19. August 2010 OLG Hamburg – 9 U 155/10 – Urteil vom 29. März 2011 Karlsruhe, den 2. November 2011
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Dienstag, 1. November 2011

OLG Frankfurt/Main: Perlentaucher revisited

Der Bundesgerichtshof hatte in Sachen www.perlentaucher.de (nach wie vor eine sehr lesenswerte Webpage mit täglichem Newsletter zum Bereich Belletristik und Literatur) nicht abschließend entschieden, sondern die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Übersicht: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,732181,00.html). Die beiden Entscheidungen liegen des OLG Ffm. liegen jetzt vor. 

Es geht dabei um die Frage, ob und inwieweit es zulässig ist, Buchrezensionen komprimiert als abstract wiederzugeben. Der BGH hat die Auffassung vertreten, dass diese Vorgehensweise entgegen der Auffassungen der Klägerinnen zwar nicht generell urheberrechtswidrig ist, aber im Einzelfall durchaus eine Rechtsverletzung darstellen kann, je nachdem inwieweit die Buchrezensuion Urheberrechtsschutz genießt und der abstract den damit verbundenen Urheberrechtsschutz verletzt (sehr verkürzt dargestellt). 

Das OLG Frankfurt/Main hat die Einzelfälle nunmehr intensiv geprüft und vertritt die Auffassung, dass in einigen Fällen die textlichen Übernahmen so intensiv sind, dass eine Urheberrechtsverletzung wegen der Vornahme unfreier Bearbeitungen zu bejahen ist. Das OLG Frankfurt/Main betont aber in diesem Zusammenhang selbst, dass dies die Vorgehensweise selbst nicht generell in Frage stellt. Indessen ist mit einer Einzelfallprüfung anhand der BGH - Kriterien eine Rechtssicherheit nicht erreicht, da letztlich pro Zusammenfassung einer Rezension geprüft werden muss, ob dies eine "freie" oder "unfreie" Bearbeitung darstellt. 

Der Ruf nach dem Gesetzgeber verhallt in vielen Fällen ungehört, wenn keine entsprechende "Lobby" existiert. Zu bedenken ist aber generell, dass derartige Internetprojekte Buchautoren und Verlagen mehr nutzen als schaden und sich die Buchwelt mit der Digitalisierung sehr verändert hat. Es bleibt alles in der Schwebe des Einzelfalles!

---

01.11.2011 - Pressemitteilung

In zwei Urteilen vom 1.11.2011 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) erneut über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen die komprimierte Wiedergabe von Buchrezensionen Dritter zulässig ist.

Die Klägerinnen verlegen namhafte Tageszeitungen, in denen auch Buchrezensionen veröffentlicht werden. 

Die Beklagte stellt auf ihrer Webseite "perlentaucher.de" Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vor und spricht Empfehlungen aus. Dabei veröffentlicht sie auch Buchrezensionen aus den von den Klägerinnen verlegten Zeitungen in komprimierter Fassung. Diese sog. "Abstracts" werden von den Mitarbeitern der Beklagten formuliert, enthalten aber einzelne Zitate und Passagen aus den Originalkritiken.
 
Die Klägerinnen halten dies für unzulässig und haben mit den vorliegenden Klagen in der Hauptsache ein generelles Verbot derartiger Abstracts verlangt, hilfsweise die Untersagung von Abstracts mit Originalzitaten sowie bestimmter konkreter Abstracts. Nach Ansicht der Klägerinnen verletzen die Abstracts wegen des Umfangs der Übernahme von Formulierungen aus den Originalrezensionen ihre Urheberrechte.

Das in erster Instanz zuständige Landgericht hatte die Klagen abgewiesen. Auch die dagegen eingelegten Berufungen hatten keinen Erfolg. Das OLG wies die Berufungen im Dezember 2007 zunächst vollständig zurück (vgl. OLG-Presseinformation vom 11.12.2007).

In der Revision bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Klägerinnen kein generelles Verbot der Verwendung ihrer Buchrezensionen verlangen können. Es sei urheberrechtlich grundsätzlich zulässig, den Inhalt eines Schriftwerks in eigenen Worten zusammenzufassen und diese Zusammenfassungen zu verwerten. 

Anders als die Vorinstanzen vertrat der BGH aber die Auffassung, dass die Übernahme der Rezensionen im konkreten Einzelfall die Urheberrechte der Klägerinnen verletzten könnte. Der BGH hob deshalb die Berufungsurteile teilweise auf und wies das OLG an zu prüfen, ob die Verbreitung einzelner konkreter Abstracts der Beklagten das Urheberrecht der Klägerinnen verletzen.

In den aktuellen Berufungsurteilen kommt das OLG nunmehr zu dem Ergebnis, dass tatsächlich bestimmte Perlentaucher-Kritiken, die im Dezember 2004 erschienen waren und von den Klägerinnen konkret benannt werden, ihr Urheberrecht verletzten. Diese Abstracts bestünden mehr oder weniger aus einer Übernahme von besonders prägenden und ausdrucksstarken Passagen der Originalrezensionen, von denen lediglich einige Sätze ausgelassen worden seien. Sie stellten deshalb eine unzulässige "unfreie" Bearbeitung im Sinne des Urhebergesetzes dar und hätten ohne die Einwilligung der Klägerinnen nicht übernommen werden dürfen. In diesem - eingeschränkten - Umfang gab das Oberlandesgericht den Berufungen deshalb statt und änderte die vorausgegangenen Urteile des Landgerichts ab.

Die Verurteilung der Beklagten lässt keine allgemeine Aussage darüber zu, in welchem Umfang die Übernahme von Buchrezensionen urheberrechtlich zulässig ist. Jede Übernahme oder Verarbeitung muss vielmehr im Einzelfall daraufhin überprüft werden, ob sie eine zulässige freie Bearbeitung des Originaltextes darstellt.

Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig und können in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abgerufen werden.

OLG Frankfurt am Main, Urteile vom 1.11.2011, Aktenzeichen 11 U 75/06 und 11 U 76/06
(vorausgehend LG Frankfurt am Main, Urteile vom 23.11.2006, Aktenzeichen 2-3 O 171+172/06; OLG Frankfurt am Main, Urteile vom 11.12.2007, Aktenzeichen 11 U 75/06 und 11 U 76/06; BGH, Urteile vom 1.12.2010, Aktenzeichen I ZR 12+13/08)

Pressestelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main