Freitag, 23. Dezember 2011

BGH entscheidet zur Unverwertbarkeit von polizeilich abgehörten Selbstgesprächen

Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle - Nr. 206/2011


Angesichts des Sachverhaltes war das Ziel der Ermittlungsbehörden, hier zu einem plausiblen Ermittlungsergebnis zu gelangen durchaus verständlich. Auf der anderen Seiten ziehen die Grundrechten dem Verlangen nach einer effektiven Ermittlung deutliche Grenzen aus bürgerrechtlicher Sicht, denen der Senat mit diesem Urteil überzeugend Rechnung getragen hat. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat 

in dieser Sache unter Zurückverweisung an das LG Köln entschieden, dass die Selbstgespräche im konkreten Fall nicht hätten zur Überführung der Angeklagten im Strafprozess hätten verwendet werden 
dürfen, weil insoweit ein Beweisverwertungsverbot bestand, das sich unmittelbar aus der Verfassung ergab. Mit der heimlichen Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung  mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit  verbunden. Dieser Kernbereich wird mit dieser Entscheidung auf den Bereich des Selbstkommunikationen ausgeweitet, was zu begrüßen ist, da jedem Menschen ein Kernbereich verbleiben muss, der sich staatlicher Überwachung entzieht, was einen Rechtsstaat übrigens auch von einem autoritären Staat unterscheidet.

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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Selbstgespräche im konkreten Fall nicht hätten zur  Überführung der Angeklagten im Strafprozess hätten verwendet werden dürfen. Insoweit bestand ein Beweisverwertungsverbot, das sich unmittelbar aus der Verfassung ergab. Denn mit der heimlichen 
Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung  mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit
verbunden.



 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revisionen der drei Angeklagten das Urteil des Landgerichts Köln vom 11. Dezember 2009 aufgehoben, durch welches diese jeweils wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitstrafe verurteilt worden waren (vgl. Pressemitteilung Nr. 176/2011).

Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete einer der Angeklagten seine Ehefrau, nachdem diese sich von ihm getrennt hatte. Er wollte damit verhindern, dass die Geschädigte das gemeinsame Kind mitnehme, das nach dem Willen des Angeklagten im Haushalt seiner mitangeklagten Schwester und deren ebenfalls mitangeklagten Ehemanns aufwachsen sollte. Die beiden Mitangeklagten waren an der Tat zumindest im Vorbereitungsstadium maßgeblich beteiligt; sie handelten, um den Wunsch zu verwirklichen, das Kind der Getöteten selbst aufzunehmen und großzuziehen. Konkrete Feststellungen zur Art der Tötung und zu konkreten Tatbeiträgen konnte das Landgericht nicht treffen, zumal die Leiche des Tatopfers nicht aufzufinden war.

Als eines unter mehreren für die Tatbegehung selbst sowie für die Täterschaft der Angeklagten sprechendes Indiz hat das Landgericht Bemerkungen des Ehemanns der Getöteten gewertet, die dieser bei Selbstgesprächen in seinem PKW gemacht hat. Das Kraftfahrzeug war auf richterliche Anordnung mit technischen Mitteln abgehört worden. Dabei wurden sowohl Gespräche von zwei der Angeklagten bei gemeinsamen Fahrten als auch – bruchstückhaft – Selbstgespräche des angeklagten Ehemanns der Getöteten aufgezeichnet. Auf beides hat das Landgericht die Verurteilung der drei Angeklagten gestützt.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Selbstgespräche im konkreten Fall nicht hätten zur Überführung der Angeklagten im Strafprozess hätten verwendet werden dürfen. Insoweit bestand ein Beweisverwertungsverbot, das sich unmittelbar aus der Verfassung ergab. Denn mit der heimlichen Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs war ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit verbunden.

Maßgeblich für diese Bewertung des Senats war eine Abwägung und Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des konkreten Falles. Denn nicht jedes Selbstgespräch einer Person ist ohne Weiteres dem vor staatlichen Eingriffen absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzuordnen. Andererseits muss nach den Grundätzen des Schutzes der Menschenwürde und der Freiheit der Person ein Kernbereich privater Lebensgestaltung und Lebensäußerung verbleiben, in welchen der Staat auch zur Aufklärung schwerer Straftaten nicht eingreifen darf.

Der Grundsatz, dass "die Gedanken frei" und dem staatlichen Zugriff nicht zugänglich sind, beschränkt sich nicht allein auf innere Denkvorgänge , sondern erfasst auch ein in – unbewussten oder bewussten, unwillkürlich oder willkürlich geführten – Selbstgesprächen formuliertes Aussprechen von Gedanken, bei welchem sich die Person als "allein mit sich selbst" empfindet.

Wichtige Kriterien für die Entscheidung, ob Äußerungen in Selbstgesprächen diesem innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit zuzuordnen sind, sind namentlich

die Eindimensionalität der Selbstkommunikation, also die Äußerung ohne kommunikativen Bezug;
die Nichtöffentlichkeit der Äußerungssituation und das Maß des berechtigten Vertrauens der Person darauf, an dem jeweiligen Ort vor staatlicher Überwachung geschützt zu sein;
die mögliche Unbewusstheit der verbalen Äußerung;
die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken ,
die Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder –bedürftiger Ausschnitt eines "Gedankenflusses".

In der Flüchtigkeit und Bruchstückhaftigkeit des in Selbstgesprächen gesprochenen Worts ohne kommunikativen Bezug liegen nach Ansicht des Senats auch rechtlich erhebliche Unterschiede etwa zu Eintragungen in Tagebüchern. Aus dem Umstand, dass eine Äußerung innerhalb des nach Art. 13 GG geschützten Bereichs der Wohnung fällt, lässt sich nach der gesetzlichen Systematik zwar ein verstärkendes Indiz für die Zuordnung zum geschützten Kernbereich ableiten. Auch außerhalb der Wohnung ist dieser Kernbereich aber absolut geschützt, wenn andere der genannten Gesichtspunkte in der Wertung überwiegen. So lag es in dem vom 2. Strafsenat entschiedenen Fall. Der gegen die Zuordnung zum Kernbereich der Persönlichkeit sprechende Sozialbezug der Äußerungen, der in ihrem möglichen oder tatsächlichen Bezug auf eine schwere Straftat lag, trat dagegen zurück.

Aus der Verletzung des von Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereichs der Persönlichkeit ergab sich danach ein absolutes Verwertungsverbot für die bei den Selbstgesprächen aufgezeichneten Äußerungen. Dieses Verwertungsverbot wirkt auch in Bezug auf die beiden Mitangeklagten.

Die Sache muss demnach erneut vor dem Landgericht Köln verhandelt werden.
Urteil vom 22. Dezember 2011 – 2 StR 509/10

Landgericht Köln – Urteil vom 11. Dezember 2009 - 90 Js 196/07 105 – 19/08
Karlsruhe, den 22. Dezember 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

BGH: Nacherfüllung durch "Lieferung einer mangelfreien Sache" erfasst Ausbau und Abtransport der mangelhaften Kaufsache

Bundesgerichtshof 
Mitteilung der Pressestelle - Nr. 202/2011

In Umsetzung einer Entscheidung des EuGH hat der Bundesgerichtshof nunmehr grds. zugunsten der Verbraucher dahingehend entschieden, dass § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB* richtlinienkonform dahin auszulegen ist, dass die dort genannte Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache grundsätzlich erfasst, wobei Ausnahmen wegen der Schranke des "angemessenen Betrags" bei der Kostenerstattung denkbar sind: 

" Das dem Verkäufer in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB* eingeräumte Recht, die Nacherfüllung wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung dahingehend einzuschränken, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert. In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers darf allerdings nicht dazu führen, dass das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten ausgehöhlt wird."

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Richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB: Nacherfüllung durch "Lieferung einer mangelfreien Sache" erfasst Ausbau und Abtransport der mangelhaften Kaufsache

Der Bundesgerichtshof hat in Umsetzung eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12; Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) über den Umfang der den Verkäufer bei der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 BGB* treffenden Pflichten sowie die Reichweite der dem Verkäufer nach § 439 Abs. 3 BGB* zustehenden Einrede der Unverhältnismäßigkeit entschieden.

Der Kläger erwarb von der Beklagten, die einen Baustoffhandel betreibt, Bodenfliesen zum Preis von 1.191,61 € netto. Nachdem er die Fliesen in seinem Wohnhaus hatte verlegen lassen, zeigten sich Mängel, deren Beseitigung nicht möglich ist. Der Kläger hat deswegen von der Beklagten die Lieferung neuer Fliesen sowie die Zahlung der Kosten für den Ausbau der mangelhaften Fliesen und den Einbau neuer Fliesen in Höhe von 5.830,57 € begehrt.

Das Landgericht hat der Klage aus dem – vom Kläger nicht geltend gemachten – Gesichtspunkt der Minderung in Höhe von 273,10 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Lieferung neuer Fliesen und zur Zahlung der Ausbaukosten in Höhe von 2.122,37 € verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte überwiegend Erfolg.

Zunächst hatte der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das Verfahren mit Beschluss vom 14. Januar 2009 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Zum einen musste geklärt werden, ob Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie** dahingehend auszulegen ist, dass der Verkäufer im Falle einer Ersatzlieferung die Kosten des Ausbaus des mangelhaften Verbrauchsguts aus einer Sache, in die es der Verbraucher gemäß dessen Art und Verwendungszweck eingebaut hat, tragen muss. Zum anderen sollte klargestellt werden, ob eine nationale Vorschrift wie § 439 Abs. 3 BGB*, die es dem Verkäufer einer mangelhaften Kaufsache erlaubt, die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung (vgl. § 439 Abs. 1 BGB*) zu verweigern, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert der mangelfreien Sache und der Bedeutung des Mangels (absolut) unverhältnismäßig wären, mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Einklang steht (Mitteilung der Pressestelle Nr. 8/2009).

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierüber durch Urteil vom 16. Juni 2011 entschieden und die vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:

"Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertragswidrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsgutes aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen.

Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig wären. Art. 3 Abs. 3 schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird."

Nunmehr hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB* richtlinienkonform dahin auszulegen ist, dass die dort genannte Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst. Das dem Verkäufer in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB* eingeräumte Recht, die Nacherfüllung wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung dahingehend einzuschränken, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert. In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers darf allerdings nicht dazu führen, dass das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten ausgehöhlt wird.

* § 439 BGB: Nacherfüllung

  (1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.
(2) Der Verkäufer hat die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen.
  (3) Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs.  2 und 3 verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. Der Anspruch des Käufers beschränkt sich in diesem Fall auf die andere Art der Nacherfüllung; das Recht des Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zu verweigern, bleibt unberührt.
  (4) (…)


** Art. 3 ("Rechte des Verbrauchers")
°°(1) Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht.
°°(2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Absätze 5 und 6.
(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.
Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die (...) verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.
Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind.
(4) (…)

Urteil vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 70/08
LG Kassel – Urteil vom 24. November 2006 – 4 O 1248/06
OLG Frankfurt am Main – Urteil vom 14. Februar 2008 – 15 U 5/07
(veröffentlicht in ZGS 2008, 315 = OLGR 2008, 325)
BGH – Beschluss vom 14. Januar 2009 – VIII ZR 70/08
(veröffentlicht unter anderem in NJW 2009, 1660)
EuGH – Urteil vom 16. Juni 2011, Rs. C-65/09 und C-87/09 – Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer und Ingrid Putz/Medianess Electronics GmbH
(veröffentlicht unter anderem in NJW 2011, 2269)
Karlsruhe, den 21. Dezember 2012
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Bundesgerichtshof zur "Neuwagen"-Eigenschaft eines Vorführwagens

Bundesgerichtshof 
Mitteilung der Pressestelle - Nr. 207/2011 vom 23.12.2011 

KfZ - Händler gehen mit den werberechtlichen Anforderungen an ihre werblichen Angebote im Internet mitunter etwas "lax" um. Die Pkw - EnVkV  (Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung) ist in der Branche immer noch nicht so recht bekannt, obwohl sie zwingend Beachtung finden sollte. Der BGH hat sich jetzt auf den Standpunkt gestellt, dass diese VO unter dem Aspekt des Rechtsbruchs nach § 4. Nr. 11 UWG auch wettbewerbsrechtlich relevant ist, so dass bei Nichtbeachtung dieser Anforderungen sich erhebliche Abmahnrisiken ergeben, wie dieses Urteil zeigt. Die europarechtlich geprägte Auslegung dieser VO führt zu erheblichen Abweichungen hinsichtlich der überkommenen kaufrechtlichen Terminologie.

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Verpflichtung, in der Werbung für Neuwagen Angaben zum Kraftstoffverbrauch des angebotenen Fahrzeugs zu machen, auch für Vorführwagen gelten kann. 

Die Beklagte bot am 20. April 2009 auf einer Internet-Verkaufsplattform ein Fahrzeug an, das u.a. wie folgt beschrieben war: "Vorführfahrzeug …, EZ 3/2009, 500 km". Angaben zum Kraftstoffverbrauch und zu den CO2-Emissionen, wie sie § 1 der (Pkw-EnVKV) für die Werbung für "neue Personenkraftwagen" vorsieht, enthielt die Anzeige nicht. 

Der Kläger, der Verband Sozialer Wettbewerb, sieht hierin einen Verstoß gegen die in § 1 Pkw-EnVKV geregelte Informationspflicht und gleichzeitig einen Verstoß gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). Er hat die Beklagte daher auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht Mainz hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht Koblenz hat dieses Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Bei dem angebotenen Fahrzeug habe es sich nicht um einen Neuwagen gehandelt, weil es bereits als Vorführwagen im Straßenverkehr genutzt worden sei und auch schon eine Laufleistung von 500 km aufgewiesen habe. Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Klägers das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Ob die neuen Kriterien des BGH - der insoweit eine 1.000 hm - Grenze zieht - für die Abgrenzung zwischen einer Zwischennutzungsabsicht und einer Weiterverkaufsabsicht wirklich für die Praxis tragfähig sind, ist allerdings angesichts der Starre des Kriteriums gewissen Zweifeln ausgesetzt.

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Die in Rede stehende Verordnung, mit der eine Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt worden ist, enthält in § 2 eine eigenständige Definition des Begriffs des neuen Personenkraftwagens und fasst darunter alle "Kraftfahrzeuge …, die noch nicht zu einem anderen Zweck als dem des Weiterverkaufs oder der Auslieferung verkauft wurden". Aus diesem Grund kann nicht auf den im nationalen Recht entwickelten Begriff des Neuwagens zurückgegriffen werden, den der Bundesgerichtshof im Kaufrecht bei der Frage der zugesicherten Eigenschaft oder im Wettbewerbsrecht bei der Frage der Irreführung zugrunde legt. 

Die gesetzliche Definition stellt an sich auf die Motivlage bei der Anschaffung des Fahrzeugs ab. Dabei kommt es indessen - so der Bundesgerichtshof - nicht auf die konkreten Vorstellungen an, die sich der Händler beim Erwerb des Fahrzeugs macht und die ohnehin kaum ermittelt werden könnten. Entscheidend sind vielmehr objektivierbare Umstände, aus denen sich ergibt, dass das betreffende Fahrzeug alsbald verkauft werden soll, ohne dass damit eine kurzfristige Zwischennutzung im Betrieb des Händlers - etwa als Vorführwagen - ausgeschlossen wäre. Als objektiven Umstand hat der Bundesgerichtshof auf die Kilometerleistung abgestellt: Bietet ein Händler ein Fahrzeug mit einer geringen Kilometerleistung (bis 1000 km) an, ist davon auszugehen, dass er dieses Fahrzeugs zum Zwecke des Weiterverkaufs erworben hat. Liegt die Kilometerleistung des angebotenen Fahrzeugs darüber, spricht dies dafür, dass der Händler das Fahrzeug (auch) zu einem anderen Zweck als dem des Weiterverkaufs - nämlich für die nicht ganz unerhebliche Eigennutzung - erworben hat. 

Urteil vom 21. Dezember 2011 I ZR 190/10 
 LG Mainz - Urteil vom 30. März 2010 - 10 HKO 80/09 
OLG Koblenz - Urteil vom 13. Oktober 2010 - 9 U 518/10 
Karlsruhe, den 23. Dezember 2011 
 Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Sonntag, 4. Dezember 2011

Post vom "Gelben Branchenbuch" :-)

Es geht auf Weihnachten zu und es ist die Zeit der Spendenaufrufe. In diesem Sinne habe ich diese Woche ein Fax interpretiert, dass zur Teilnahme an einem "Gelben Branchenbuch" für mindestens zwei Jahre Laufzeit zum Monatspreis von 85 Euro einlud. Manche nennen das auch "Anzeigenbetrug" (der Link führt zu einer umfangreichen Urteilsdatenbank für den deutschen Bereich, die sehr empfehlenswert ist).


Die Laufzeiten sind - ziemlich kleingedruckt und leicht überlesbar, auch für Unternehmer - meist ähnlich geregelt: 

"Die Vertragslaufzeit beträgt zwei Jahre und verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn nicht spätetestens drei Monate vor Ablauf der jeweiligen Vertragslaufzeit schriftlich per Brief gekündigt wird"


Aus der Urteilspraxis in Deutschland, die den einschlägigen Anbietern nicht mehr so sonderlich wohlgesonnen ist, hat mancher Anbieter scheinbar interessante Konsequenzen gezogen. Der Unternehmenssitz wird im aktuellen Fall mit jetzt (Fax und Internetseiten differieren hier etwas) mit Providence, Mahé, Seychelles angegeben, allerdings ohne das dortige Recht vereinbaren zu wollen. Nein, die Anbieter wollen uns Europäern schon etwas entgegenkommen, indem folgendes in den AGB enthalten ist: 


"Gerichtsstand ist Budapest, Ungarn. Es gilt ungarisches Recht als vereinbart."

Mit einer gewerblich, freiberuflich oder unternehmerisch tätigen Zielgruppe lässt sich derartiges möglicherweise nach den Regelungen des IPR wirksam vereinbaren, was man hier dahinstehen lassen kann.  Es mutet indessen seltsam an, gerade eine solche Rechtswahl bei einer deutschen Zielgruppe zu treffen, die auch darauf zielen könnte, sich ungarische Zahlungstitel zu verschaffen, um diese nach der EuGVVO in Deutschland vollstrecken zu lassen. Gleichzeitig glaubt man damit die deutschen Gerichte "ausschalten" zu können.  

Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass keine Identität mit den Angeboten der DeTeWe-Medien besteht, deren Datenbestand scheinbar fleissig genutzt wird, so dass die Möglichkeit eines Domainwechsels nicht ausgeschlossen wird. 

Wohl dem, der solchen Fax-Spam ignoriert, da ein Vorgehen gegen dieser Spammer in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht derzeit ohne intensive Ermittlungen schwierig sein dürfte. 


Donnerstag, 1. Dezember 2011

EuGH: Eine Porträtfotografie genießt denselben urheberrechtlichen Schutz wie jedes andere Werk


EuGH, PRESSEMITTEILUNG Nr. 132/11 - Luxemburg, den 1. Dezember 2011

Urteil in der Rechtssache C-145/10
Eva-Maria Painer /
Standard VerlagsGmbH, Axel Springer AG, Süddeutsche Zeitung GmbH, Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co KG et Verlag M. DuMont Schauberg Expedition der Kölnischen Zeitung GmbH & Co KG

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Die Einsicht, dass Portraitfotos von professionellen Fotografen als Lichtbildwerke urheberrechtlich geschützt sind, ist sicherlich nicht so ganz neu, wird aber durch den EuGH für den Bereich der gesamten EU klargestellt. Fotografen müssen von ihrer Arbeit leben können, aber ihre Werke werden vielerorts von Dritten präsentiert, die nicht einmal die Quelle nennen. Letzteres trifft Fotokünstler oftmals schwerer als der Eingriff in das Vervielfältigungsrecht an sich. Indessen häufen sich Fälle, in denen auch größere Unternehmen im Pressebereich bei freien Journalisten oder Fotographen Leistungen ohne Lizenz und ohne Urheberbenennung "abschöpfen". Wer sich wehrt, kommt mitunter als "Lieferant" nicht mehr in Betracht. Es ist angesichts derartiger Arbeitsbedingungen in diesem Bereich kein Wunder, wenn insbesondere freiberuflich tätige Pressefotographen Lizenzgebühren einfordern, wie dies vorliegend der Fall ist. Allerdings machte der EuGH hier interessante und völlig angemessene Einschränkungen für Fälle, in denen die Veröffentlichung erforderlich ist, um eine vermisste - oder sonst von einer schweren Straftat bedrohte, wie man ergänzen sollte - Person aufzufinden. Infolgedessen lassen sich insbesondere Art und Umfang des Schadensersatzanspruches in diesem Fall erst nach der Entscheidung des Handelsgerichts Wien beurteilen, das diesen Fall völlig zu Recht dem EuGH vorgelegt hat. 

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Eine Porträtfotografie genießt denselben urheberrechtlichen Schutz wie jedes andere Werk. Die Medien dürfen eine solche Fotografie jedoch ohne Zustimmung ihres Urhebers veröffentlichen, wenn die Veröffentlichung im Rahmen kriminalpolizeilicher Ermittlungen der Polizei helfen soll, eine vermisste Person wiederzufinden.


Frau Painer ist selbständige Fotografin und fotografiert u. a. Kinder in Kindergärten und Horten. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat sie mehrere Fotografien von Natascha K. gemacht (und dabei den Hintergrund entworfen, die Position und den Gesichtsausdruck bestimmt, den Fotoapparat bedient und die Fotos entwickelt).
Nachdem Natascha K. 1998 im Alter von zehn Jahren entführt worden war, erließ die österreichische Polizei einen Fahndungsaufruf, für den die Fotos von Frau Painer verwendet wurden.

Nach der Flucht von Natascha K. im Jahr 2006 und vor ihrem ersten öffentlichen Auftreten veröffentlichten fünf Presseverlage – vier deutsche und ein österreichischer – diese Fotos in bekannten Zeitungen bzw. Zeitschriften1 und auf Internetseiten, jedoch ohne Angabe des Namens der Urheberin der Fotos bzw. unter Angabe eines anderen Namens als desjenigen von Frau Painer als Urheberin.

Mehrere dieser Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten außerdem ein durch digitale Bearbeitung eines dieser Fotos hergestelltes Porträt, das, da es bis zu dem ersten öffentlichen Auftreten von Natascha K. keine aktuellen Fotos von ihr gab, ihr vermutetes Aussehen wiedergab.

Da Frau Painer der Auffassung war, dass mit der Veröffentlichung dieser Fotos ihr Urheberrecht verletzt worden sei, beantragte sie bei den österreichischen Gerichten, den Presseverlagen aufzugeben, es zu unterlassen, die Fotos und das Phantombild ohne ihre Zustimmung und ohne Angabe ihres Namens als Urheberin zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten. Sie verlangte auch eine angemessenes Entgelt und Schadensersatz.


Es handelt sich um die Tageszeitungen Der Standard, Süddeutsche Zeitung, Express, Bild und Die Welt sowie die Wochenzeitschrift Der Spiegel.


Das Handelsgericht Wien (Österreich), bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, möchte vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht Porträtaufnahmen einen schwächeren urheberrechtlichen Schutz gewährt, weil sie „wirklichkeitsgetreu“ seien und geringere künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten aufwiesen. Ferner möchte das österreichische Gericht wissen, unter welchen Umständen die Medien solche Aufnahmen ohne Zustimmung ihres Urhebers für kriminalpolizeiliche Ermittlungen verwenden dürfen. Außerdem ersucht es den Gerichtshof um Klärung, unter welchen Umständen ein geschütztes Werk zitiert werden darf.
In seinem Urteil vom heutigen Tag führt der Gerichtshof zunächst aus, dass das Urheberrecht nur Objekte schützt, bei denen es sich um ein Original in dem Sinne handelt, dass es eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers liegt vor, wenn darin seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Dies ist dann der Fall, wenn der Urheber bei der Herstellung des Werks seine schöpferischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen konnte, indem er frei kreative Entscheidungen trifft.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Urheber einer Porträtfotografie bei deren Herstellung auf mehrfache Weise und zu unterschiedlichen Zeitpunkten frei kreative Entscheidungen treffen kann. So kann er in der Vorbereitungsphase über die Gestaltung, die Haltung der zu fotografierenden Person oder die Beleuchtung entscheiden. Bei der Aufnahme des Porträts kann der Urheber den Bildausschnitt, den Blickwinkel oder auch die Atmosphäre wählen. Schließlich kann er bei der Herstellung des Abzugs unter den verschiedenen bestehenden Entwicklungstechniken diejenige wählen, die er einsetzen möchte, oder gegebenenfalls Software verwenden.

Der Urheber einer Porträtfotografie kann mit diesen unterschiedlichen Entscheidungen dem geschaffenen Werk somit seine „persönliche Note“ verleihen. Daher ist eine Porträtfotografie urheberrechtlich geschützt, wenn sie Ausdruck der schöpferischen Fähigkeiten ihres Urhebers ist. Der Gerichtshof hebt außerdem hervor, dass dieser Schutz demjenigen entspricht, der anderen Werken, auch fotografischen Werken, zukommt.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Umfang des urheberrechtlichen Schutzes nach dem Unionsrecht2 ausnahmsweise eingeschränkt sein kann, wenn das geschützte Werk zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit genutzt wird, insbesondere bei kriminalpolizeilichen Ermittlungen zur Wiederauffindung einer vermissten Person. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass nur Staaten – und nicht Presseverlage – als fähig und verantwortlich dafür anzusehen sind, die öffentliche Sicherheit durch passende Maßnahmen wie etwa einen Fahndungsaufruf sicherzustellen.

Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass ein Presseverlag im Einzelfall zur Erreichung eines Ziels der öffentlichen Sicherheit beitragen kann, indem er z. B. eine Fotografie einer gesuchten Person veröffentlicht. Diese Initiative der Medien muss allerdings im Zusammenhang mit dem Vorgehen der nationalen Behörden stehen, und sie muss im Einvernehmen und in Absprache mit ihnen ergriffen werden, soll sie nicht deren Maßnahmen zuwiderlaufen. Der Gerichtshof weist aber auch darauf hin, dass bei Ermittlungen eine Fotografie von den Medien veröffentlicht werden kann, ohne dass zuvor ein konkreter, aktueller und ausdrücklicher Aufruf der Sicherheitsbehörden hierzu ergangen wäre.

Schließlich stellt der Gerichtshof zur Zitierung von geschützten Werken fest, dass Werke, die der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht worden sind, zitiert werden dürfen, sofern die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers angegeben wird, es sei denn, dass sich dies als unmöglich erweist.
In diesem Zusammenhang geht der Gerichtshof auf das Vorbringen der Presseverlage ein, sie hätten Frau Painers Fotos von einer Presseagentur erhalten, aber Schwierigkeiten gehabt, die Urheberin zu ermitteln, und ihren Namen auf den Fotos nicht angeben können. Der Gerichtshof führt aus, dass die Presseagentur – sofern sie nicht rechtswidrig, d. h. ohne Zustimmung der Urheberin, in den Besitz dieser Fotos gelangt ist – den Verlagen den Namen der Urheberin mitteilen musste. Daher waren auch die Verlage gehalten, ihn in ihren Zeitungen anzugeben.

Es ist jedoch, so der Gerichtshof, auch möglich, dass es die nationalen Sicherheitsbehörden waren, die die Fotos von Frau Painer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Dabei musste der Name der Urheberin nicht angegeben werden. In diesem Fall ist, sofern der Name der Urheberin nicht angegeben wurde, nur die Angabe der Quelle dieser Fotografien, nicht aber die Angabe des Namens ihrer Urheberin erforderlich.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach
der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10) der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht

Dienstag, 29. November 2011

Bundesgerichtshof entscheidet Streit über Nachlass des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 188/2011  

Siegfried Unseld war ein Verleger, der die Geistesgeschichte der Bundesrepublik Deutschland während seines Lebens nachhaltig geprägt hat. Im Hause Suhrkamp erschienen - und erscheinen - Bände, die u.a. maßgebliche Zustandsbeschreibungen dieser Welt enthalten. Nach dem Tod von Siegfried Unseld entstand Streit um sein Erbe. In Erbstreitigkeiten geht es - insbesondere bei Pflichtteilsansprüchen - oftmals um die Frage, was überhaupt in den Nachlass fällt und wie die Nachlassbestandteile zu bewerten sind. Die Entscheidung des BGH berührt das Spannungsverhältnis von Stiftungsrecht und Pflichtteilsrecht, wobei oftmals auch und gerade Pflichtteilsergänzungsansprüche eine Rolle spielen. Hier ging es darum, ob und inwieweit der Stiftung Suhrkamp seitens des Erblassers via Schenkung eingeräumte Unterbeteiligungen an Gesellschaften der Suhrkamp - Verlagsgruppe in den Nachlass fallen oder nicht, wobei hier noch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts "zwischengeschaltet" war. Im vorliegenden Falle war die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung Alleinerbin geworden, während der Siegfried Unseld Stiftung  unentgeltlich Unterbeteiligungen an Tochtergesellschaften eingeräumt worden waren. Nach der Kollisionsregel des § 2301 BGB geht der BGH davon aus, dass diese Schenkungen bereits im Jahre 2001 unter Lebenden vollzogen worden sind, so dass die Unterbeteiligungen nicht in den Nachlass gefallen sind und bei der Pflichteilsberechnung nicht zu berücksichtigen sind. Diese Entscheidung wird die gesellschaftsrechtliche und erbrechtliche Gestaltungspraxis intensiv beschäftigen.

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Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die der Siegfried Unseld-Stiftung eingeräumten Unterbeteiligungen an Gesellschaften der Suhrkamp-Verlagsgruppe nicht in den Nachlass des im Oktober 2002 verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld gefallen und daher bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs seines Sohnes Joachim Unseld nicht zu berücksichtigen sind.

Siegfried Unseld hatte im Oktober 2001 die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung als seine Alleinerbin eingesetzt und einer weiteren Stiftung, der Siegfried Unseld-Stiftung, unentgeltlich Unterbeteiligungen in Höhe von jeweils 30% u.a. an der Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG und der Insel Verlag GmbH & Co. KG aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt seines Todes eingeräumt. Nach seinem Tode entstand über die Höhe des Pflichtteilsanspruchs des Sohnes Joachim aus erster Ehe des Erblassers Streit zwischen diesem und der von der Ehefrau Ulla Unseld-Berkéwicz vertretenen Alleinerbin. Die Parteien stritten u.a. darüber, ob die Unterbeteiligungen an den Verlagsgesellschaften bereits zu Lebzeiten von Siegfried Unseld der Siegfried Unseld-Stiftung mit Abschluss der darauf gerichteten Verträge im Oktober 2001 rechtswirksam geschenkt worden und damit bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nicht zu berücksichtigen waren.

Der auf die entsprechende Feststellung gerichteten Klage der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung haben die Vorinstanzen stattgegeben. Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Schenkung der Unterbeteiligungen an die Siegfried Unseld-Stiftung mit dem Abschluss der Verträge im Oktober 2001 bereits vollzogen wurde und damit die Vorschriften über Schenkungen unter Lebenden Anwendung finden. Nach den im Oktober 2001 getroffenen Vereinbarungen stehen der Siegfried Unseld-Stiftung nicht nur Ansprüche als Unterbeteiligte auf Beteiligung am Gewinn der Erbin als Hauptbeteiligte in den Verlagsgesellschaften zu. Der Unterbeteiligten sind vielmehr darüber hinaus Mitwirkungsrechte in der zwischen ihr und der Hauptbeteiligten begründeten Innengesellschaft bürgerlichen Rechts eingeräumt worden. Jedenfalls bei einer solchen Ausgestaltung der Rechte des Unterbeteiligten innerhalb der Innengesellschaft ist die Schenkung der Unterbeteiligung als bereits mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags vollzogen anzusehen. Das hat zur Folge, dass die Unterbeteiligungen nicht in den Nachlass des im Oktober 2002 verstorbenen Erblassers gefallen sind.

Urteil vom 29. November 2011 II ZR 306/09
LG Frankfurt am Main – Urteil vom 9. Mai 2007
OLG Frankfurt am Main – Urteil vom 13. November 2008
Karlsruhe, den 29. November 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

BGH zur Haftung bei missbräuchlicher Abhebung von Bargeld an Geldautomaten

BGH - Mitteilung der Pressestelle 

Im vorliegenden Fall hat die klagende Bank letztlich versucht dem Bankkunden die Haftung für einen Computerfehler aufzuerlegen, der in ihren Verantwortungsbereich fällt. Wenn in AGB geregelt wird, dass pro Tag nur max. 1.000 Euro via Nutzung eines Auszahlungsautomaten mit Kundenkarte abgehoben werden dürfen, in einer Nacht jedoch fast 3.000 Euro abgehoben werden, fällt zumindest der die Höchstgrenze übersteigende Betrag nicht in das Risiko des Kunden. Dies gilt umso mehr, wenn der Kunde den Verlust einer Karte gemeldet hat und dafür nur 50 Euro zu zahlen hat. Hier unterstellte die Bank dem Kunden jedoch schuldhaftes Handeln und verneinte die Anwendbarkeit dieser AGB - Regelungen. Der Rechtsstreit ist zwar zurückverwiesen worden, aber das Urteil stärkt die Rechte der Bankkunden, wobei sich eine Bank selbstredend an den eigenen AGB - so sie einer Inhaltskontrolle im Streitfall standhalten - festhalten lassen muss und zwar auch bei schuldhaftem Handeln des Kunden.

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Der für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Grundsätze für eine Haftung des Karteninhabers bei missbräuchlichen Abhebungen von Bargeld an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl fortentwickelt sowie über die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entschieden, die diese Haftung regeln.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde dem Beklagten von der klagenden Bank eine Kreditkarte zur Verfügung gestellt, die zur Abhebung von Bargeld an Geldautomaten zugelassen war. In den zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die Bank den Höchstbetrag für Bargeldauszahlungen auf 1.000 € pro Tag begrenzt. Weiter war danach der Karteninhaber verpflichtet, Verlust oder festgestellten Missbrauch der Karte der Bank unverzüglich anzuzeigen. Bis zum Eingang dieser Verlustmeldung sollte er grundsätzlich nur bis zu einem Höchstbetrag von 50 € haften.

In der Nacht vom 12. auf den 13. August 2009 kam es an Geldautomaten von Kreditinstituten in Hamburg zu insgesamt sechs Abhebungen zu je 500 €, wobei die persönliche Identifikationsnummer (PIN) des Beklagten verwendet wurde. Die Klägerin belastete das Girokonto des Beklagten mit den abgehobenen Beträgen im Lastschriftverfahren. Der Beklagte widersprach den Abbuchungen und kündigte den Kreditkartenvertrag.

Die klagende Bank begehrt von dem Beklagten im Wege des Schadensersatzes Ausgleich der Belastungsbuchungen und der Gebühren für Rücklastschriften sowie für die Erstellung eines Kontoauszugs in Höhe von insgesamt noch 2.996 €. Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe die Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der verwendeten PIN verletzt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Beklagten das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 5. Oktober 2004 – XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 314 f.; Senatsbeschluss vom 6. Juli 2010 – XI ZR 224/09, WM 2011, 924 Rn. 10) in Fällen, in denen an Geldausgabeautomaten unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl Geld abgehoben wurde, der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass entweder der Karteninhaber die Abhebungen selbst vorgenommen hat oder – was hier nach der Feststellung des Berufungsgerichts allein in Betracht kam – dass ein Dritter nach der Entwendung der Karte von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung gemeinsam mit der Karte Kenntnis erlangen konnte. Das setzt aber voraus, dass bei der missbräuchlichen Abhebung die Originalkarte eingesetzt worden ist, da bei Abhebung mithilfe einer ohne Kenntnis des Inhabers gefertigten Kartenkopie (z.B. durch Skimming) kein typischer Geschehensablauf dafür spricht, Originalkarte und Geheimzahl seien gemeinsam aufbewahrt worden. Den Einsatz der Originalkarte hat dabei die Schadensersatz begehrende Bank zu beweisen.

Weiter erfasst eine von der kontoführenden Bank im konkreten Fall in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete Klausel, nach der bis zum Eingang einer Verlustmeldung der Karteninhaber nur bis zu einem Höchstbetrag von 50 EUR haften soll, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch die Haftung des Karteninhaber bei schuldhafter Verletzung seiner Sorgfaltspflichten. Der beklagte Karteninhaber kann sich damit auf die Haftungsgrenze von 50 Euro unabhängig davon berufen, ob er schuldhaft gehandelt hat.

Schließlich schützt ein in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank festgelegter Höchstbetrag für Bargeldauszahlungen pro Tag mit einer konkreten Karte auch den Karteninhaber, sodass dessen Haftung im Falle eines Kartenmissbrauchs auf diesen Betrag begrenzt sein kann, wenn die die Karte ausstellende Bank ihrer Pflicht, die Einhaltung dieses Höchstbetrags zu sichern, nicht genügt hat.

Urteil vom 29. November 2011 - XI ZR 370/10
Amtsgericht Göppingen - Urteil vom 23. April 2010 - 7 C 115/10
LG Ulm - Urteil vom 20. Oktober 2010 - 1 S 81/10
Karlsruhe, den 29. November 2011

Die von der klagenden Bank in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendeten, im Urteil angesprochenen Klauseln lauteten auszugsweise wie folgt:

Ziffer 9.1:
"Der Höchstbetrag für Bargeldauszahlungen beträgt bei der SPECIAL Visa Card/MasterCard 500 EUR pro Tag oder der entsprechende Betrag in der jeweiligen Landeswährung. Für Inhaber einer SPECIAL Visa Goldcard/ MasterCard Gold oder eines SPECIAL Goldcard Sets erhöht sich der Betrag auf 1000 EUR."
Ziffer 10.1:
"Stellen Sie den Verlust der Karte/n oder eine missbräuchliche Verfügung fest, werden Sie dies der Bank unverzüglich telefonisch unter nachfolgender schriftlicher Bestätigung anzeigen. Bis zum Eingang der Verlustmeldung haften Sie bis zum Höchstbetrag von 50 EUR. Für Umsätze ab Eingang der Verlustmeldung entfällt Ihre Haftung für eine eventuelle missbräuchliche Verwendung der Karte/n. Sofern der Verdacht einer Einwendung oder missbräuchlichen Verwendung besteht, werden Sie unverzüglich Anzeige bei der Polizei erstatten. "
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Donnerstag, 24. November 2011

BGH entscheidet im Urheberrechtsstreit um "Stuttgart 21" gegen eine Wiedererrichtung des Bauwerks

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 186/2011 vom 24.11.2011 

Der seitens eines Enkels des Urhebers angestrengte Rechtsstreit ist sympathisch, weil er um die Erhaltung einer Bausubstanz und deren Wiederherstellung kämpft, während jenes Neue das an dessen Stelle treten soll, unter bauästhetische Aspekten wohl kaum dessen Gestaltungshöhe erreichen wird, von ganz anderen Bedenken in diesem Zusammenhang abgesehen. 

Nachdem aber das LG Stuttgart und das OLG Stuttgart diesen Anspruch aus §§ 14, 39 UrhG aus ererbtem Recht bereits abgelehnt hatten, war die Entscheidung des BGH hinsichtlich der Nichtzulassung der Revision jedenfalls nicht völlig überraschend. Die Pressemitteilung referiert zwar den Hergang der Sache, lehnt den Anspruch aber nähere Angabe der Rechtsgründe ziemlich apodiktisch ab, indem auf bereits ergangene Rechtsprechung und auf das ohne Rechtsfehler ergangene Urteil des OLG Stuttgart verwiesen wird, das im Rahmen des § 39 Abs.2 UrhG eine Interessenabwägung vorgenommen hatte, demzufolge das Änderungsinteresse des Eigentümers das Erhaltungsinteresse des Urhebers überwiegt. Damit ist gemeint, dass der Urheber nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, seine Einwilligung zu den Änderungen zu erteilen, zumal ein Anspruch auf Erhaltung eines Bauwerks grds. nicht besteht (BGH, ZUM 1988, 245). 

Man mag es sehen wie man will, aber dieser Fall zeigt, mit welcher Gleichgültigkeit wenn nicht Leichtfertigkeit mit historischen Bauwerken hier umgegangen wird, um den Preis der vermeintlichen oder tatsächlichen Vorteile einer Postmoderne, die noch niemand wirklich kennt. 

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Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rechtsstreit zwischen einem Erben des Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs und der Deutschen Bahn AG die Nichtzulassungsbeschwerde des klagenden Erben zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde wollte der Kläger erreichen, dass der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2010 zulässt und über den Fall verhandelt.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist nach einem Entwurf von Prof. Dipl.-Ing. Paul Bonatz aus dem Jahre 1911 gestaltet worden. Diese Gestaltung ist urheberrechtlich geschützt. Urheberrechtsschutz besteht, nachdem der Architekt im Jahre 1956 verstorben ist, noch bis Ende des Jahres 2026. Die im Rahmen des Infrastrukturprojekts "Stuttgart 21" vorgelegte Planung der Deutschen Bahn AG sieht den Abriss der Seitenflügel und der Treppenanlage in der großen Schalterhalle vor. Einer dieser Seitenflügel ist bereits im Jahre 2010 abgerissen worden. Der Kläger sieht durch diesen, teilweise bereits vollzogenen Teilabriss des Bahnhofsgebäudes die Urheberpersönlichkeitsrechte von Paul Bonatz beeinträchtigt. 

Mit der Klage will er den Wiederaufbau des Nordwest-Flügels erreichen sowie den Abriss des Südost-Flügels und der Treppenanlage verhindern. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Stuttgart haben die Klage abgewiesen. Die Revision war vom Oberlandeslandesgericht nicht zugelassen worden.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts bestätigt und entschieden, dass Gründe für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen. Nach § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht erfüllt. Die maßgeblichen Rechtsfragen, die sich in dem Verfahren gestellt haben, hat der Bundesgerichtshof bereits in früheren Entscheidungen geklärt. Das Urteil des Oberlandesgerichts ließ auch keine Rechtsfehler erkennen, die eine Zulassung der Revision erfordert hätten. 

Beschluss vom 9. November 2011 - I ZR 216/10
Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 6. Oktober 2010 - 4 U 106/10
GRUR-RR 2011, 56 LG Stuttgart - Urteil vom 20. Mai 2010 - 17 O 42/10
ZUM-RD 2010, 491
Karlsruhe, den 24. November 2011
Quelle: Pressestelle des BGH

EuGH lehnt allgemeine Überwachungspflichten für Internet Access Provider ab


EuGH - PRESSEMITTEILUNG Nr. 126/11
Luxemburg, den 24. November 2011 - Urteil in der Rechtssache C-70/10
Scarlet Extended SA / Société belge des auteurs, compositeurs et éditeurs SCRL (SABAM)

Das Urteil ist das vorläufige Ende des Begehrens der Verwertungsgesellschaften von Internet Access Providern verlangen zu wollen, dass diese die Art und Weise der Nutzung der Telekommunikation durch ihre Nutzer zu filtern haben, um Rechtsverletzungen  - etwa durch Nutzung von peer-to-peer-Technologie - zu verhindern. Peer - to - Peer - Technologie ist aber nicht per se rechtswidrig. Eine solche allgemeine Überwachungspflicht ist mit europäischem Sekundär - und Primärrecht nicht vereinbar.

Der vorliegende Fall richtet sich im Ausgangspunkt nach belgischem Recht. Nachdem eine den Anträgenden stattgebende einstweilige Verfügung ergangen war, legte das Berufungsgericht die hiermit verbundenen europarechtlichen Fragen dem EuGH vor, der eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen hat. Ganz unabhängig von der Frage der Kosten (und eines etwaigen Kostenerstattungsanspruchs der Provider gegenüber den Verwertungsgesellschaften) hinsichtlich der Implementation einer derartigen - nicht fehlerfrei handhabbaren - Software scheitert ein solcher Anspruch bereits daran, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr eine solche allgemeine Überwachungspflicht bewusst verneint und damit entgegenstehende nationale Regelungen mit europäischem Sekundärrecht nicht vereinbar sind.

Der EuGH belässt es aber nicht dabei, sondern lehnt einen solchen Anspruch auch unter primärrechtlichen Aspekten als unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit der IAP ab, was etwaigen Änderungswünschen de lege ferenda Grenzen auferlegt, die zudem mit den seitens des EuGH geäußerten datenschutzrechtlichen Aspekten unter primärrechtlichen Vorzeichen noch verstärkt werden. Wie der EuGH sehr treffend ausführt, würden die IAP in solchen Fällen als Datensammelstellen für personenbezogene Daten zugunsten der Rechteinhaber fungieren. Besonders interessant - gerade auch für die deutsche Diskussion des Themas - ist in diesem Zusammenhang, dass der EuGH IP - Adressen zutreffend als personenbezogene Daten qualifiziert und diese Vorgehensweise auch dazu führen kann, dass Personen betroffen werden, die zwar solche Technologien nutzen, aber keine Rechtsverletzungen begangen haben. Die Entscheidung schafft deutliche Klarheit und ist sehr zu begrüßen.

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Das Unionsrecht steht einer von einem nationalen Gericht erlassenen Anordnung entgegen, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten die Einrichtung eines Systems der Filterung aufzugeben, um einem unzulässigen Herunterladen von Dateien vorzubeugen

Eine solche Anordnung beachtet weder das Verbot, solchen Anbietern eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen, noch das Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten.

Diese Rechtssache beruht auf einem Rechtsstreit zwischen der Scarlet Extended SA, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten, und SABAM, einer belgischen Verwertungsgesellschaft, deren Aufgabe es ist, die Verwendung von Werken der Musik von Autoren, Komponisten und Herausgebern zu genehmigen.
SABAM stellte im Jahr 2004 fest, dass Internetnutzer, die die Dienste von Scarlet in Anspruch nähmen, über das Internet – ohne Genehmigung und ohne Gebühren zu entrichten – zu ihrem Repertoire gehörende Werke über „Peer-to-Peer“-Netze (ein offenes, unabhängiges, dezentralisiertes und mit hochentwickelten Such- und Downloadfunktionen ausgestattetes Hilfsmittel zum Austausch von Inhalten) herunterlüden.

Auf Antrag von SABAM gab der Präsident des Tribunal de première instance de Bruxelles (Belgien) Scarlet als Anbieter von Internetzugangsdiensten unter Androhung eines Zwangsgelds auf, diese Urheberrechtsverletzungen abzustellen, indem sie es ihren Kunden unmöglich mache, Dateien, die ein Werk der Musik aus dem Repertoire von SABAM enthielten, in irgendeiner Form mit Hilfe eines „Peer-to-Peer“-Programms zu senden oder zu empfangen.

Scarlet legte bei der Cour d’appel de Bruxelles Berufung ein und machte geltend, dass die Anordnung nicht unionsrechtskonform sei, weil sie ihr de facto eine allgemeine Pflicht zur Überwachung der Kommunikationen in ihrem Netz auferlege, was mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und den Grundrechten unvereinbar sei. Vor diesem Hintergrund fragt die Cour d’appel den Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten aufgrund des Unionsrechts dem nationalen Richter erlauben können, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten aufzugeben, generell und präventiv allein auf seine eigenen Kosten und zeitlich unbegrenzt ein System der Filterung der elektronischen Kommunikationen einzurichten, um ein unzulässiges Herunterladen von Dateien zu identifizieren.

In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler wie die Anbieter von Internetzugangsdiensten beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung ihrer Rechte genutzt werden. Die Modalitäten der Anordnungen sind Gegenstand des nationalen Rechts. Diese nationalen Regelungen müssen jedoch die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178, S. 1) Beschränkungen wie u. a. die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr beachten, wonach nationale Stellen keine Maßnahmen erlassen dürfen, die einen Anbieter von Internetzugangsdiensten verpflichten würden, die von ihm in seinem Netz übermittelten Informationen allgemein zu überwachen.

Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass die fragliche Anordnung Scarlet verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten aller ihrer Kunden vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Daraus folgt, dass die Anordnung zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten würde, die mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr unvereinbar ist. 
Außerdem würde eine solche Anordnung nicht die anwendbaren Grundrechte beachten.

Zwar ist der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Gleichwohl ergibt sich weder aus der Charta selbst noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieses Recht schrankenlos und sein Schutz daher bedingungslos zu gewährleisten wäre.
Im vorliegenden Fall bedeutet die Einrichtung eines Filtersystems, dass im Interesse der Inhaber von Urheberrechten sämtliche elektronischen Kommunikationen im Netz des fraglichen Anbieters von Internetzugangsdiensten überwacht werden, wobei diese Überwachung zudem zeitlich unbegrenzt ist. 

Deshalb würde eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit von Scarlet führen, da sie sie verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf ihre Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten.

Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf Scarlet beschränken, weil das Filtersystem auch die Grundrechte ihrer Kunden beeinträchtigen kann, nämlich ihre durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen. Zum einen steht nämlich fest, dass diese Anordnung eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um personenbezogene Daten handelt. Zum anderen könnte diese Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil dieses System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.

Daher stellt der Gerichtshof fest, dass das nationale Gericht, erließe es die Anordnung, mit der Scarlet zur Einrichtung eines solchen Filtersystems verpflichtet würde, nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten.

Der Gerichtshof antwortet folglich, dass das Unionsrecht einer Anordnung an einen Anbieter von Internetzugangsdiensten entgegensteht, ein System der Filterung aller seine Dienste durchlaufenden elektronischen Kommunikationen, das unterschiedslos auf alle seine Kunden anwendbar ist, präventiv, auf ausschließlich seine eigenen Kosten und zeitlich unbegrenzt einzurichten.

Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht
www.curia.eu

Excellent article about this decision in English via Technollama:
http://www.technollama.co.uk/european-court-of-justice-rules-against-indiscriminate-intermediary-filtering

BGH legt dem EuGH die Frage vor, wann eine Marke rechtserhaltend benutzt wird

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 185/2011 vom 24.11.2011 

Die im Spannungsfeld zwischen dieser Anfrage des BGH und der neueren Judikatur des EuGH sich stellenden Fragen nach Art und Reichweite der rechtserhaltenden Benutzung von Marken spielen auch und gerade in Widerspruchsverfahren immer wieder eine Rolle. es ist zu begrüßen, dass der BGH insoweit eine europaweite Klärung herbeiführt. Es geht dabei unter dem Aspekt des § 26 Abs.3 MarkenG nicht zuletzt um die Frage, in welchem Rahmen Bildmarken während der Schutzdauer einer Modernisierung zugänglich sind und wie sich der Schutz bei sog. "Zusammengesetzten Marken" auswirkt. Es wird im Vorlagebeschluss deutlich, dass der BGH insoweit jeweils zu einem weitreichenden Schutz tendiert. 

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Bundesgerichtshof legt dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur rechtserhaltenden Benutzung von Marken vor 

Der unter anderem für das Markenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union in zwei Verfahren Fragen zur rechtserhaltenden Benutzung von Marken zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Kläger des ersten Verfahrens ist Inhaber der Marke "PROTI". Er sieht in der Verwendung der Bezeichnung "Protifit" durch den Beklagten eine Verletzung seiner Rechte an der Marke "PROTI". Der Beklagte hat die Einrede mangelnder Benutzung erhoben, weil der Kläger die Marke "PROTI" nur in einer abgewandelten, ebenfalls als Marke eingetragenen Form benutzt hat. 

Ein weiteres Verfahren betrifft einen Rechtsstreit von Levi Strauss & Co. gegen ein Einzelhandelsunternehmen. Levi Strauss ist Inhaberin verschiedener nationaler und internationaler Marken unter anderem einer für Hosen eingetragenen Gemeinschaftsbildmarke. Nach der Beschreibung im Markenregister handelt es sich um eine Positionsmarke, die aus einem roten rechteckigen Label aus textilem Material besteht, das oben links in die Gesäßtasche von Hosen, Shorts oder Röcken eingenäht ist und aus der Naht hervorsteht. Die Beklagte brachte seit September 2001 Jeanshosen auf den Markt, die an der rechten Seitennaht der Gesäßtasche mit einem roten Stofffähnchen versehen sind. Die Klägerin betrachtet dies als Verletzung ihrer Markenrechte. Die Beklagte hat sich darauf berufen, die Klägerin habe die Klagemarke ausschließlich in abgewandelter Form und zwar mit der Aufschrift "LEVI'S" benutzt. Die tatsächlich verwendete Form sei ebenfalls als Marke registriert; deshalb sei nur diese Marke und nicht auch die Positionsmarke rechtserhaltend benutzt worden. 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in einem Urteil aus dem Jahr 2007 entschieden, dass eine eingetragene Marke nicht durch die Verwendung eines abgewandelten Zeichens rechtserhaltend benutzt werden kann, wenn dieses abgewandelte Zeichen ebenfalls als Marke eingetragen ist (EuGH, Urteil vom 13. September 2007 – C-234/06, GRUR 2008, 343 Rn. 86 BAINBRIDGE).  

Der Bundesgerichtshof hat die bei ihm anhängigen zwei Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Reichweite dieser Aussage vorgelegt. Diese betreffen in dem Verfahren "PROTI" die Vereinbarkeit des § 26 Abs. 3 Satz 2 des deutschen Markengesetzes mit der Markenrechtsrichtlinie.  Die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG gestattet die rechtserhaltende Benutzung einer Marke in einer abgewandelten, ebenfalls als Marke eingetragenen Form, wenn die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs verstößt die deutsche Bestimmung nicht gegen die Markenrechtsrichtlinie. Zur Begründung seiner Ansicht hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen auf das erhebliche wirtschaftliche Interesse der Markeninhaber abgestellt, ihre häufig wertvollen älteren Marken zu modernisieren, ohne den Markenschutz und damit die Priorität der älteren nicht mehr benutzten Marke zu verlieren. 

Das zweite Verfahren um die Rechte aus dem roten Label an den Jeanshosen von Levi Strauss unterscheidet sich von dem ersten Verfahren dadurch, dass die benutzte, als Marke eingetragene Form (rotes Stofffähnchen mit der Aufschrift LEVI'S) eine Kombination von zwei weiteren Marken des Markeninhabers ist (Marke "rotes Stofffähnchen" und Wortmarke "LEVI'S") und die zusammengesetzte Marke keine geringfügige Abwandlung der aus den einzelnen Bestandteilen bestehenden Marken darstellt. 

Der Bundesgerichtshof möchte im Interesse einer effektiven Durchsetzung der Markenrechte auch in einem solchen Fall von einer rechtserhaltenden Benutzung eines als Marke eingetragenen Zeichenbestandteils durch Verwendung der zusammengesetzten Marke ausgehen. Der Markeninhaber hat ein schützenswertes Interesse, auch einen einzelnen Bestandteil einer zusammengesetzten Marke eintragen zu lassen, der vom Verkehr als eigenständiges Kennzeichenmittel aufgefasst wird. Dies ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bei dem roten Label von Levi Strauss der Fall. 

Beschluss vom 17. August 2011 - I ZR 84/09 – PROTI 
LG Köln - Urteil vom 16. September 2008 - 33 O 484/06 
OLG Köln - Urteil vom 20. Mai 2009 - 6 U 195/08 
und 

Beschluss vom 24. November 2011 - I ZR 206/10 - Stofffähnchen II 
 LG Hamburg - Urteil vom 22. Juni 2004 - 312 O 482/03 
 OLG Hamburg - Urteil vom 18. November 2010 - 3 U 130/04 

 Karlsruhe, den 24. November 2011 

§ 26 MarkenG Benutzung der Marke (1)… (2)… (3)
Als Benutzung einer eingetragenen Marke gilt auch die Benutzung der Marke in einer Form, die von der Eintragung abweicht, soweit die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändert. Satz 1 ist auch dann anzuwenden, wenn die Marke in der Form, in der sie benutzt worden ist, ebenfalls eingetragen ist. 

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs (www.bundesgerichtshof.de)

Dienstag, 15. November 2011

EuGH: Steuerregelungen, die Offshore-Unternehmen der Besteuerung entziehen, stellen mit EU - Recht unvereinbare staatliche Beihilfe dar

Die beiden Entscheidungen des EuGH sind für das internationale Gesellschaftsrecht und das internationale Steuerrecht unter dem Aspekt der steuerminimierenden Standortwahl von erheblichem Interesse. Sie betreffen das Niedrigsteuergebiet Gibraltar, einem für bestimmte Unternehmensgründungen interessanten Standort. Dort aber nur die 2004 geplante Besteuerung der Offshore-Gesellschaften, denen der EuGH unterstellt, dass sie keine Arbeitnehmer beschäftigen und keine Büroräume nutzen, sondern letztlich nur "virtuelle Offices" betreiben. Der EuGH betrachtet hier Vergünstigungen für Offshoregesellschaften unter derartigen Voraussetzungen als europarechtlich verbotene Subventionen. Die beiden Urteile könnten durchaus ein Paradigma darstellen, auch weitere Begünstigungen von Offshore - Gesellschaften in der EU zu "neutralisieren", wobei die weiteren Entwicklungen abgewartet werden müssen. 

 --- Gerichtshof der Europäischen Union 
PRESSEMITTEILUNG Nr. 120/11 Luxemburg, den 15. November 2011 
Presse und Information Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-106/09 P und 107/09 P 
Kommission und Spanien / Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich 

Eine Steuerregelung, die so konzipiert ist, dass Offshore-Unternehmen der Besteuerung entgehen, stellt eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe dar. Daher hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und bestätigt die Entscheidung der Kommission, die es dem Vereinigten Königreich untersagt, das Vorhaben von 2002 zur Reform der Körperschaftsteuer in Gibraltar durchzuführen. 

Im August 2002 meldete das Vereinigte Königreich bei der Kommission die beabsichtigte Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar an.1 Diese Reform umfasste insbesondere die Aufhebung des alten Steuersystems und die Einführung von drei Steuern, die für alle Unternehmen in Gibraltar gelten sollten: eine Eintragungsgebühr für Unternehmen, eine Lohnsummensteuer und eine Gewerbegrundbenutzungssteuer (business property occupation tax, BPOT), wobei für die beiden letztgenannten Steuern eine Obergrenze von 15 % der Gewinne gelten sollte. 

Die Kommission entschied im Jahr 2004, dass die angemeldeten Vorschläge zur Reform des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar eine staatliche Beihilferegelung darstellten, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei, und dass diese Vorschläge daher nicht umgesetzt werden dürften. Die Kommission stellte fest, dass drei Bestandteile der Steuerreform materiell selektiv seien: 1. die Voraussetzung der Gewinnerzielung durch die Unternehmen als Grundlage für die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese Voraussetzung Unternehmen begünstige, die keine Gewinne erzielten, 2. die für die Lohnsummensteuer und die BPOT geltende Obergrenze von 15 % der Gewinne, da diese Obergrenze die Unternehmen begünstige, die in dem betreffenden Steuerjahr im Verhältnis zur Zahl ihrer Mitarbeiter und zur Nutzung von Geschäftsräumen niedrige Gewinne erzielten, 3. die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese beiden Steuern ihrem Wesen nach „Offshore-Unternehmen“ begünstigten, die in Gibraltar nicht tatsächlich physisch präsent und daher nicht körperschaftsteuerpflichtig seien. Außerdem sei die geplante Reform regional selektiv, da sie ein System vorsehe, nach dem Unternehmen in Gibraltar allgemein niedriger besteuert würden als Unternehmen im Vereinigten Königreich. 

Auf die Klagen der Regierung von Gibraltar und des Vereinigten Königreichs erklärte das Gericht erster Instanz am 18. Dezember 2008 die Entscheidung der Kommission für nichtig.3 Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass die Kommission in Bezug auf die materielle Selektivität des Reformvorhabens keine korrekte Prüfungsmethode angewandt habe. Die Kommission hätte, um den selektiven Charakter der fraglichen Steuerregelung zu beweisen, nachweisen müssen, dass bestimmte Bestandteile dieser Regelung Ausnahmen von der allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung von Gibraltar seien. Dabei habe die Kommission nicht, wie sie dies in ihrer Entscheidung getan habe, allgemeine Steuermaßnahmen im Hinblick auf ihre Wirkungen als selektiv ansehen dürfen. Außerdem war das Gericht der Ansicht, der Bezugsrahmen für die 1 

Die Reform, um die es in den vorliegenden Rechtssachen geht, ist jedoch nicht in Kraft getreten. 2 Entscheidung 2005/262/EG der Kommission vom 30. März 2004 über die Beihilferegelung, die das Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar beabsichtigt (ABl. 2005, L 85, S. 1). 3 Urteil in den Rechtssachen T-211/04 und T-215/04, Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Kommission (vgl. Pressemitteilung Nr. 99/08). www.curia.europa.eu Beurteilung der regionalen Selektivität der Reform entspreche ausschließlich den Grenzen des Gebiets von Gibraltar und nicht denjenigen des Vereinigten Königreichs. 

Die Kommission und Spanien legten daraufhin beim Gerichtshof die vorliegenden Rechtsmittel ein, mit denen sie die Aufhebung des Urteils des Gerichts begehren. 

In seinem Urteil vom heutigen Tag befindet der Gerichtshof, das Gericht habe rechtsfehlerhaft die Ansicht vertreten, dass das Steuerreformvorhaben den Offshore-Unternehmen keine selektiven Begünstigungen gewähre. Der Gerichtshof führt aus, dass eine unterschiedliche steuerliche Belastung, die sich aus der Anwendung einer „allgemeinen“ Steuerregelung ergibt, als solche nicht ausreichen kann, um die Selektivität einer Besteuerung festzustellen. Allerdings liegt diese Selektivität vor, wenn, wie hier, die in einem Steuersystem als Besteuerungsgrundlage festgelegten Kriterien geeignet sind, die begünstigten Unternehmen anhand ihrer spezifischen Eigenarten als privilegierte Gruppe zu kennzeichnen. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Steuerregelung von Gibraltar u. a durch eine Kombination von Lohnsummensteuer und BPOT als einzigen Besteuerungsgrundlagen gekennzeichnet ist, woraus sich eine Besteuerung ergibt, die von der Zahl der Arbeitnehmer und der Größe der genutzten Geschäftsräume abhängt. Gleichwohl schließt die Kombination dieser beiden Besteuerungsgrundlagen (die auf an sich allgemeinen Kriterien beruhen), da andere Besteuerungsgrundlagen fehlen, von vornherein jede Besteuerung der Offshore-Unternehmen aus, da diese keine Arbeitnehmer beschäftigen und auch keine Geschäftsräume nutzen. Diese Kriterien führen daher zu einer unterschiedlichen Behandlung der Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit dem Steuerreformvorhaben verfolgte Ziel, ein allgemeines Besteuerungssystem für alle in Gibraltar ansässigen Unternehmen einzuführen, in einer vergleichbaren Lage befinden. 

Der Gerichtshof gelangt folglich zu dem Schluss, dass der Umstand, dass die Offshore-Unternehmen auf Gibraltar nicht besteuert werden, keine zufällige Folge der fraglichen Regelung ist, sondern unvermeidliche Konsequenz der Tatsache, dass die beiden Körperschaftsteuern (insbesondere ihre Besteuerungsgrundlagen) genau so konzipiert sind, dass die Offshore-Unternehmen, die als solche keine Arbeitnehmer beschäftigen und keine Geschäftsräume nutzen, der Besteuerung entgehen. 

Der Umstand, dass die Offshore-Unternehmen gerade aufgrund der typischen und spezifischen Merkmale dieser Gruppe von Unternehmen der Besteuerung entgehen, erlaubt daher die Feststellung, dass diesen Unternehmen selektive Begünstigungen zugutekommen. 

Der Gerichtshof weist insbesondere darauf hin, dass entgegen der Auffassung des Gerichts die Einstufung eines Steuersystems als „selektiv“ nicht davon abhängig ist, dass dieses so konzipiert ist, dass sämtliche Unternehmen denselben steuerlichen Belastungen unterliegen, einige von ihnen aber von Ausnahmevorschriften profitieren, die ihnen einen selektiven Vorteil gewähren. Ein solches Verständnis des Kriteriums der Selektivität würde voraussetzen, dass eine Steuerregelung – um als selektiv eingestuft werden zu können – nach einer bestimmten Regelungstechnik konzipiert ist. Dies hätte zur Folge, dass nationale Steuervorschriften der Kontrolle auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen von vornherein aus dem bloßen Grund entzogen sind, dass sie auf einer anderen Regelungstechnik beruhen, obwohl sie dieselben Wirkungen entfalten. Da das Steuerreformvorhaben materiell selektiv ist, soweit es den Offshore-Unternehmen selektive Vorteile gewährt, hält der Gerichtshof die Prüfung, ob das Reformvorhaben in territorialer Hinsicht selektiv ist, für nicht erforderlich. 

Unter diesen Umständen hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und bestätigt die Entscheidung der Kommission, wonach das Steuerreformvorhaben eine staatliche Beihilferegelung darstellt, die das Vereinigte Königreich nicht umsetzen darf. www.curia.europa.eu HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist. Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht 

Die Urteile sind im Volltext sehr lesenswert!

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Europäischer Gerichtshof Urteil vom 15.11.2011 - C-106/09 P 

Donnerstag, 10. November 2011

Bundesgerichtshof zur Haftung des Admin-C

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 180/2011 vom 10.11.2011 - Haftung des ADMIN-C

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Die lange erwartete Entscheidung - bei der es nur noch um die sog. "Abmahnkosten" ging - zur Haftung des ADMIN - C hat keine endgültige Klärung der Haftungssituation für alle Fallkonstellationen erbracht, sondern betrifft im Kern die Situation eines ADMIN - C mit deutscher Anschrift, der sich Unternehmen aus dem Ausland zur Verfügung stellt, die freiwerdende Domains ohne Rechteprüfung automatisch registrieren, unter anderem auch bei der DEIC e.G. Angesichts der Vertragsrechtslage hat der BGH für diese Konstellation angenommen, dass den ADMIN - C im Rahmen der Mitstörerhaftung eine besondere Prüfpflicht auferlegt. Damit ist nicht gesagt, dass ein ADMIN - C in allen denkbaren Fällen als Mitstörer "automatisch" haftet. Die sachgerechte Entscheidung lässt Spielraum für eine an der Einzelfallgerechtigkeit ausgerichtete rechtliche Wertung im Rahmen der Mitstörerhaftung. 

Der BGH stellte im konkreten Fall darauf ab, dass auch bei der DENIC eine solche Prüfung nicht stattfindet und somit in Kenntnis des ADMIN - C  eine erhöhte Gefahr besteht, dass unter Nutzung seiner Funktion für den Domaininhaber rechtsverletzende Domainnamen registriert werden, wenn die automatisiert registrierten Domainnamen Rechte Dritter verletzen. Da diese besonderen Umstände im Instanzenzug bislang nicht geprüft wurden, hat der BGH die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 

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Der unter anderem für das Kennzeichenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gestern entschieden, ob der administrative Ansprechpartner, der bei Registrierung eines Domainnamens immer dann benannt werden muss, wenn der Anmelder nicht im Inland wohnt, in Fällen in Anspruch genommen werden kann, in denen der registrierte Domainname Rechte Dritter verletzt. 

Die Klägerin betreibt unter der Bezeichnung "Basler Haar-Kosmetik" unter anderem im Internet einen Versandhandel für Haarkosmetikprodukte und Friseurbedarf. Sie fühlt sich durch eine unter dem Domainnamen www.baslerhaarkosmetik.de registrierte Internetseite in ihrem Namensrecht verletzt. 

Der Domainname ist von einer in Großbritannien ansässigen Gesellschaft bei der DENIC, der Genossenschaft, die die Domainnamen mit dem Top-Level-Domain ".de" vergibt, angemeldet worden. Als administrativer Ansprechpartner (sogenannter Admin-C) für den Domainnamen war der Beklagte registriert.  

Die Klägerin wandte sich mit einem Schreiben ihres Rechtsanwalts an den Beklagten und forderte diesen zur Löschung des Domainnamens auf. Der Domainname wurde daraufhin gelöscht. 

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von dem Beklagten Erstattung der ihr durch die Abmahnung entstandenen Rechtsanwaltskosten. 

Das Landgericht Stuttgart hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt, das Oberlandesgericht Stuttgart hat das landgerichtliche Urteil auf die Berufung des Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. 

Ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten hängt davon ab, ob der Klägerin im Zeitpunkt der Abmahnung ein Anspruch auf Löschung des Domainnamens nicht nur gegen den Domaininhaber, sondern auch gegen den Beklagten als Admin-C zustand. 

Das Oberlandesgericht hatte diese Frage verneint. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. 

Ein Anspruch gegenüber dem Admin-C kann sich aus dem Gesichtspunkt der Störerhaftung ergeben. Die dafür erforderliche Verletzung zumutbarer Prüfungspflichten ergibt sich allerdings noch nicht aus der Stellung des Beklagten als Admin-C an sich. Denn dessen Funktions- und Aufgabenbereich bestimmt sich allein nach dem zwischen der DENIC und dem Domaininhaber abgeschlossenen Domainvertrag, wonach sich der Aufgabenbereich des Admin-C auf die Erleichterung der administrativen Durchführung des Domainvertrages beschränkt. 

Unter bestimmten Umständen kann den Admin-C aber - so der Bundesgerichtshof - eine besondere Prüfungspflicht hinsichtlich des Domainnamens treffen, dessen Registrierung er durch seine Bereitschaft, als Admin-C zu wirken, ermöglicht. 

Im Streitfall hatte sich der Beklagte gegenüber der in Großbritannien ansässigen Inhaberin des Domainnamens generell bereit erklärt, für alle von ihr registrierten Domainnamen als Admin-C zur Verfügung zu stehen. 

Ferner hatte die Klägerin vorgetragen, dass die britische Gesellschaft in einem automatisierten Verfahren freiwerdende Domainnamen ermittelt und automatisch registrieren lässt, so dass auf der Ebene des Anmelders und Inhabers des Domainnamens keinerlei Prüfung stattfindet, ob die angemeldeten Domainnamen Rechte Dritter verletzen könnten. 

Bei dieser Verfahrensweise besteht im Hinblick darauf, dass auch bei der DENIC eine solche Prüfung nicht stattfindet, eine erhöhte Gefahr, dass für den Domaininhaber rechtsverletzende Domainnamen registriert werden. 

Unter diesen Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof eine Pflicht des Admin-C bejaht, von sich aus zu überprüfen, ob die automatisiert registrierten Domainnamen Rechte Dritter verletzen. 

 Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, das nun noch klären muss, ob die von der Klägerin vorgetragenen besonderen Umstände vorliegen und der Beklagte davon Kenntnis hatte oder haben musste. 

Urteil vom 9. November 2011 - I ZR 150/09 - Basler Haarkosmetik LG Stuttgart - Urteil vom 27. Januar 2009 - 41 O 127/08 OLG Stuttgart - Urteil vom 24. September 2009 - 2 U 16/09 GRUR-RR 2010, 12 = K & R 2010, 197 

Karlsruhe, den 10. November 2011 
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Mittwoch, 9. November 2011

Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses

BGH - Mitteilung der Pressestelle Nr. 178/2011 vom 09.11.2011 

Familienrecht ist im Regefall nicht unser Thema, aber der Fall ist von allgemeinem Interesse, weil der BGH erstmal für den Fall des sog. Scheinvaterregresses nach erfolgreicher gerichtlicher Anfechtung der Vaterschaft aus § 242 BGB einen Auskunftsanspruch gegen die Kindesmutter zugelassen hat, ohne die dieser Rückgriffsanspruch gegen den leiblichen Vater leerläuft. Die Schwierigkeiten einen derartigen Auskunftsanspruch auch im Falle der Weigerung zu vollstrecken, seien am Rande erwähnt, § 888 ZPO. 

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Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass dem Scheinvater nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung und zur Vorbereitung eines Unterhaltsregresses ein Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft über die Person zusteht, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat. Die Parteien hatten bis zum Frühjahr 2006 für etwa zwei Jahre in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt. Im Frühsommer 2006 trennten sie sich endgültig. Am 18. Januar 2007 gebar die Beklagte einen Sohn. Nachdem sie den Kläger zuvor aufgefordert hatte, die Vaterschaft für "ihr gemeinsames Kind" anzuerkennen, erkannte dieser bereits vor der Geburt mit Zustimmung der Beklagten die Vaterschaft an. Er zahlte an die Beklagte insgesamt 4.575 € Kindes- und Betreuungsunterhalt. In der Folgezeit kam es zwischen den Parteien zu verschiedenen Rechtsstreitigkeiten. In einem Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts wurde ein psychologisches Gutachten eingeholt, dessen Kosten der Kläger jedenfalls teilweise zahlen musste.

In einem Rechtsstreit über Betreuungs- und Kindesunterhalt verständigten sich die Parteien auf Einholung eines Vaterschaftsgutachtens. Auf der Grundlage dieses Gutachtens stellte das Familiengericht im Anfechtungsverfahren fest, dass der Kläger nicht der Vater des 2007 geborenen Sohnes der Beklagten ist. Dementsprechend sind die Unterhaltsansprüche gegen den leiblichen Vater nach § 1607 Abs. 3 Satz 2 BGB in Höhe des geleisteten Unterhalts auf den Kläger übergegangen. Inzwischen erhält die Beklagte von dem mutmaßlichen leiblichen Vater des Kindes monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 202 €. Dem Kläger ist der leibliche Vater des Kindes nicht bekannt. Er möchte in Höhe der geleisteten Zahlungen Regress bei diesem nehmen. Zu diesem Zweck hat er von der Beklagten Auskunft zur Person des leiblichen Vaters verlangt. 

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Auskunft verurteilt, wer ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt habe. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat auch die Revision der Beklagten zurückgewiesen. 

Die Beklagte schuldet dem Kläger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Auskunft über die Person, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Ein solcher Anspruch setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass auf der Grundlage einer besonderen Rechtsbeziehung zwischen den Parteien der eine Teil in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, während der andere Teil unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen. 

Diese Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof als erfüllt angesehen. Dem Kläger ist nicht bekannt, gegen wen er seinen Anspruch auf Unterhaltsregress richten kann; die Beklagte kann ihm unschwer die Person benennen, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat und gegenwärtig sogar Kindesunterhalt leistet. Die erforderliche besondere Rechtsbeziehung zwischen den Auskunftsparteien ergibt sich aus dem auf Aufforderung und mit Zustimmung der Mutter abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnis. Zwar berührt die Verpflichtung zur Auskunft über die Person des Vaters ihres Kindes das Persönlichkeitsrecht der Mutter nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG, das auch das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre umfasst und zu dem die persönlichen, auch geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner gehören. Dieser Schutz ist nach Art. 2 Abs. 1 GG aber seinerseits beschränkt durch die Rechte anderer. Ein unzulässiger Eingriff in den unantastbaren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt nicht vor, weil die Auskunftspflichtige bereits durch ihr früheres Verhalten Tatsachen ihres geschlechtlichen Verkehrs während der Empfängniszeit offenbart hatte, die sich als falsch herausgestellt haben. Damit hatte sie zugleich erklärt, dass nur der Kläger als Vater ihres Kindes in Betracht kam und diesen somit zum Vaterschaftsanerkenntnis veranlasst. In einem solchen Fall wiegt ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht regelmäßig nicht stärker als der ebenfalls geschützte Anspruch des Mannes auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG zur Durchsetzung seines Unterhaltsregresses nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung. Urteil vom 9. November 2011 - XII ZR 136/09 AG Rendsburg – 23 F 235/08 – Urteil vom 10. Dezember 2008 OLG Schleswig – 8 UF 16/09 – Urteil vom 23. Juni 2009 – FamRZ 2009, 1924  

Karlsruhe, den 9. November 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs